Nach den Demonstrationen gegen die rechtslastige Initiative Pro Köln werden schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben: Hunderte Demonstranten sollen unzulässig lange in Käfigen festgehalten worden sein – unter ihnen Kinder und Jugendliche.
[spiegel.de] Es hätte ein triumphaler Tag werden können für die Demonstranten. Mit vereinten Kräften hatten sie sich erfolgreich gegen den sogenannten "Anti-Islamisierungskongress" der Rechtsextremisten von Pro Köln gestemmt. Doch für rund 500 Anwesende endet dieser Samstag anders als geplant. Am frühen Nachmittag beginnen die Einsatzkräfte, "Schließungen" durchzuführen – also große Gruppen zu umzingeln. Gleich drei solcher Kessel richten die Einsatzkräfte ein. Damit habe man circa 500 gewalttätige Störer wegen Landfriedensbruch festsetzen wollen, so die Kölner Einsatzleitung. Unter den Eingeschlossenen befinden sich neben zahlreichen Linksautonomen auch drei Kinder und 72 Jugendliche.
Erst am frühen Abend bringen die Einsatzkräfte die eingeschlossenen Demonstranten von der Innenstadt in die rund 15 Kilometer entfernte Gefangenensammelstelle nach Brühl. Dort werden einige von ihnen in offene Käfige gesteckt – den kalten Abendtemperaturen ausgesetzt. Inhaftierte berichten, die Polizei habe teilweise 30 Menschen in Käfigen von 36 Quadratmetern zusammengepfercht, andere seien stundenlang in den engen Bussen festgehalten worden. Ein Gang auf die Toilette oder ein Anruf bei den Eltern sei untersagt worden.
Als die Inhaftierten eintreffen, wartet Rechtsanwältin Anni Pues vom anwaltlichen Notdienst dort schon auf sie, um Rechtsbeistand zu leisten. "Auf meine entsprechenden Bitten bei den Polizeibeamten vor Ort wurden mir nur zwei Personen zu Gesprächen gebracht. Danach wurde mir kein Zugang mehr zu Betroffenen gewährt", sagt die Rechtsanwältin. Über Stunden legt sie die Namen von mehr als 70 Betroffenen immer wieder der Polizei mit der Bitte vor, ihr ein Gespräch zu ermöglichen. Sie harrt bis 1.45 Uhr am Morgen in der Gefangenensammelstelle aus – vergeblich.
Das Grundgesetz schreibt vor, dass nur ein Richter über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung zu entscheiden hat. "Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen", legt Artikel 104 fest.
Eine Aufgabe, die eigentlich Richterin Erika Nagel vom Amtsgericht Köln übernehmen sollte. Wie ihr Pressesprecher, Jürgen Mannebeck, mitteilt, sind ihr im Lauf des Samstagabends aber nur sechs Personen vorgeführt worden – die sie ohne Prüfung des Sachverhaltes umgehend freigelassen hat, weil sie bereits zu lange festgehalten worden waren. Eingekesselt waren allerdings 400 Demonstranten. "Gegen 22.15 Uhr ist Frau Nagel dann gegangen, weil sie gesagt hat, sie kann sowieso nichts mehr tun", so Mannebeck.
Ein Skandal findet Rechtanwältin Anni Pues: "Die Richterin wurde schlichtweg von der Polizei nicht als Kontrollorgan in Anspruch genommen und das heißt an dieser Stelle, dass die Exekutive die Judikative, das eigentliche Kontrollorgan, völlig ausgehebelt hat." Die Polizei gehe immer weiter dazu über, grundlegende Grundrechtseingriffe wie Freiheitsentzug letztlich in "selbstherrlicher Art und Weise" durchzuführen.
Warum die Polizei den Zugang zu den Inhaftierten verweigerte, bleibt unklar. Wie der Kölner Polizeipräsident Klaus Steffenhagen mitteilt, arbeite man mit Hochdruck an der internen Aufarbeitung der erhobenen Vorwürfe. "Dabei prüfen wir auch, ob die oft weiten Anfahrten der Erziehungsberechtigten, sowie der Umstand, dass einige davon nicht einmal wussten, dass ihre Kinder an den Demonstrationen in Köln teilgenommen hatten, mit ursächlich für die lange Zeitdauer waren." Immerhin kamen nur zehn der inhaftierten Jugendlichen aus Köln, die anderen waren angereist.
Ein Umstand der nicht erklärt, wieso die letzte Minderjährige die Gefangenensammelstelle erst um 1.30 Uhr verlassen durfte. Dies zumindest berichtet das "Bündnis Pro Köln". Der Rest der Gefangenen sei dann erst zwischen 5 Uhr und 8 Uhr morgens entlassen worden. Laut Richterin Nagel hätten alle spätestens gegen 22 Uhr freigelassen werden müssen.
Die Polizei rechnet jetzt mit Strafverfahren. Man bitte deshalb um Verständnis, dass auf weitere Fragen bis zur Klärung des Sachverhaltes keine Antwort erfolgen könne.
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