Von der „militanten gruppe“ weiß nur der VS

BAW erhebt Anklage wegen versuchter Brandstiftung und mg-Mitgliedschaft

[einstellung.so36.net] Am Ende waren es nur noch drei, nachdem im August letzten Jahres noch
von sieben Beschuldigten die Rede war. Damals wurden mit einem großen
Paukenschlag umfangreiche Ermittlungen in Sachen "militante gruppe"
(mg) bekannt. Am 21. Juni hat nun die Bundesanwaltschaft (BAW) vor dem
Kammergericht Berlin Anklage gegen drei der sieben Beschuldigten
erhoben. Ihnen wird versuchte Brandstiftung und Mitgliedschaft in der
mg vorgeworfen. Mit Prozessbeginn ist für Herbst dieses Jahres zu
rechnen.In der Nacht vom 30. auf den 31. Juli 2007 stoppte ein
Polizeisonderkommando in der Nähe von Brandenburg an der Havel auf
offener Straße einen Pkw, in dem drei Berliner unterwegs waren. Unter
den Augen oberservierender Beamter hätten zwei von ihnen kurz zuvor auf
dem Gelände einer MAN-Werkstatt unter drei Bundeswehr-Lkw Brandsätze
gelegt. Noch bevor die Brandsätze entflammten, seien die Zünder von
Polizisten entfernt worden. Glaubt man der Darstellung der BAW, so
standen Axel H., Florian L. und Oli R. seit ihrer Abfahrt aus Berlin
einige Stunden zuvor unter permanenter Beobachtung.

Am frühen Morgen des 31. Juli 2007 ging die Polizeiaktion weiter. Neben
den Wohnungen der in Brandenburg Festgenommenen wurden in Berlin und
Leipzig die Wohnungen von vier weiteren Beschuldigten durchsucht. Wie
sich im Nachhinein herausstellte, hatte das Bundeskriminalamt (BKA) die
Vier seit einiger Zeit im Visier. Ausgangspunkt waren
Internetrecherchen, bei denen "Übereinstimmungen" zwischen ihren
Veröffentlichungen und Texten der mg festgestellt wurden.

Verfassungsschutz hat "vertrauliche Informationen"

Im Spätsommer 2006 war das BKA in Zusammenarbeit mit dem
Verfassungsschutz (VS) auf einen Text eines Politikwissenschaftlers aus
dem Jahr 1998 gestoßen, der anlässlich des Kosovo-Kriegs zum Thema UCK
in der Zeitschrift telegraph erschienen war. Dieser Text wurde mit
einem
mg-Papier von 2004 verglichen. Dabei fanden sich neun übereinstimmende
Wörter, u.a. die Begriffe "drakonisch", "marxistisch-leninistisch",
"Reproduktion" und "politische Praxis".

Dieser Internetfund war der Ausgangspunkt für Ermittlungen nach §129a
StGB, Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung", namentlich
der "militanten gruppe". In der Folge wurden der Autor und sein Umfeld
mit den ganzen Sonderermittlungsbefugnissen überzogen, die den
Ermittlungsbehörden in einem solchen Fall zu Verfügung stehen:
Überwachung jeglicher Kommunikation, GPS-Peilsendereinsatz, Observation
usw. Innerhalb weniger Wochen glaubte das BKA im Umfeld des
Politikwissenschaftlers drei Männer ausgemacht zu haben, die ihm fortan
als die "intellektuellen Köpfe" der mg galten. Unter ihnen war auch
Andrej H., der am 31. Juli 2007 ebenfalls festgenommen wurde.

Der Berliner Stadtsoziologe hatte sich Anfang 2007 nach Erkenntnissen
der ErmittlerInnen zwei Mal mit Florian L. getroffen. Die Verabredungen
waren über einen gemeinsam genutzten E-Mail-Account erfolgt, wobei die
Nachrichten nicht verschickt, sondern im Entwurfordner des Accounts
gespeichert worden waren. Für BAW und BKA ein eindeutiges Indiz: Wenn
der mg-Beschuldigte Andrej H. sich unter solchen Umständen mit einer
weiteren Person trifft, muss auch sie zur mg gehören. Die Folge: Die
Ermittlungen wurden auf Florian L. ausgeweitet; im Zuge dieser
Ermittlungen stieß die Polizei auf Oli R., bis sie schließlich einen
Tag vor dem 30. Juli auch noch auf Axel H. aufmerksam wurde.

Bereits 2002, ein Jahr nach der ersten Aktion der mg, gehörte die
Gruppe "seit einiger Zeit mit zu den Themen interner Gesprächsrunden
zwischen der Generalbundesanwaltschaft, dem Bundesamt für
Verfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt". (Tagesspiegel, 15.2.02)
Inzwischen ist bekannt, dass es mindestens vier Ermittlungsverfahren in
Sachen mg gab bzw. gibt. Das wenige, was darüber bekannt ist, lässt
vermuten, dass die Ermittlungsbehörden eigentlich nicht wussten, mit
wem sie es hier zu tun haben. "Diese Gruppe geistert teilweise als
Phantom durch unsere Ermittlungsarbeit", gab ein BKA-Beamter kurz nach
den Verhaftungen am 31. Juli 2007 unumwunden zu. (Die Welt, 4.8.07)

Die ErmittlerInnen versuchten anscheinend – gespickt durch
entsprechende Hinweise des VS – vor allem die "ideologischen
Hintermänner" der mg ausfindig zu machen. Im Ermittlungsverfahren gegen
vier Männer aus Berlin, das im November 2003 durch eine
Veröffentlichung des Focus bekannt wurde, hieß es beispielsweise: Bei
dem "enttarnten Quartett" würde es sich vielleicht nur um die
"ideologischen ,Schreibtischtäter" handeln, "andere Komplizen" könnten
"die eigentlichen Brandsätze" zünden. (vgl. ak 478) Ähnlich auch die
Arbeitshypothese im Ermittlungsverfahren gegen den Leipziger
Politikwissenschaftler, Andrej H. u.a. Die Anklage wegen
"Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" gegen die drei in
Brandenburg Festgenommenen stützt sich im Wesentlichen auf diverse
Indizien, die bei den Hausdurchsuchungen am 31. Juli gefunden wurden:
u.a. Kassenbelege, Schriftstücke, Fotos. Zur Anklage steht auch nur der
versuchte Brandanschlag in Brandenburg, die übrigen ktionen der mg
spielen nur am Rande eine Rolle. "Wenig erfolgreich waren die
Karlsruher Ermittler offenbar bei dem Versuch, die anderen 24 nschläge,
die der ,mg` zugerechnet werden, aufzuklären", schlussfolgert der
Berliner Tagesspiegel. (27.7.08) Auch das Verfahren gegen Andrej H. nd
die drei anderen ist abgetrennt worden.

"In Karlsruhe gilt das Verfahren als Problemfall, nachdem der
Bundesgerichtshof die Ermittler schon im vergangenen Herbst
ungewöhnlich
scharf gerügt hatte", so der Tagesspiegel weiter. Am 18. Oktober 2007
hatte der BGH den Haftbefehl gegen Andrej H. aufgehoben, da er keine
"hinreichenden Belege" für "eine mitgliedschaftliche Einbindung des
Beschuldigten in die ,militante gruppe`" und somit keinen dringenden
Tatverdacht gegen den Berliner Stadtsoziologen gegeben sah. Einen Monat
später wurden auch Axel H., Florian L. und Oli R. von der U-Haft
verschont. Zugleich entschieden die BundesrichterInnen, dass kein
Verdacht auf Mitgliedschaft in einer "terroristischen", sondern
lediglich in einer "kriminellen" Vereinigung vorliege. Nachdem der BGH
keine hinreichenden Belege dafür sah, dass Andrej H. etwas mit der mg
zu tun hat, muss nun als Beleg für eine mg-Mitgliedschaft von Axel H.,
Florian L. und Oli R. ein VS-Spitzel
herhalten. Am 25. Februar 2008 – also sechs Monate nach den Festnahmen
in Brandenburg! – habe der VS mitgeteilt, "dass nach dort vorliegenden
vertraulichen, allerdings noch unbestätigten Informationen" die drei
Beschuldigten Mitglieder der mg seien, heißt es in der Anklageschrift.
Man darf gespannt sein, was der als Zeuge geladene VS-Chef Heinz Form
dazu zu sagen hat.

Verhinderte Abrüstungsinitiative vor Gericht

Ganz unabhängig davon, was am Ende von dem großspurig verkündeten
Ermittlungserfolg gegen die mg übrig bleibt, weist das Bündnis für die
Einstellung der §129(a)-Verfahren darauf hin, dass die Zerstörung von
Bundeswehrfahrzeugen "eine konkrete Abrüstungsinitiative" sei. Sie
diene dazu, "Kriegshandlungen – also Schlimmeres – zu verhindern". In
verschiedenen europäischen Ländern seien antimilitaristische
AktivistInnen mit dieser Begründung freigesprochen worden. Ein
interessanter Gedanke, dem sich das Gericht nicht verschließen sollte.

mb.

Source: http://einstellung.so36.net/de/ps/1057