[nrw.tv] Deutschland rückt nach Einschätzung des
Verfassungsschutzes immer mehr ins Zentrum der islamistischen
Bedrohung. Neben ausländischen Terroristen würden zunehmend auch
deutsche Konvertiten rekrutiert, deren Zahl mittlerweile bei 15 Prozent
des «Kernpotenzials» liege, hieß es am Montag auf einer Tagung des
Inlandsgeheimdienstes in Berlin. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU) betonte: «Deutschland steht im Fadenkreuz terroristischer
Anschläge.»
Schäuble wies zugleich den Vorwurf der Panikmache zurück.
«Entschlossenheit und Gelassenheit sind kein Gegensatz», sagte er. Doch
könnten die deutschen Sicherheitsbehörden nicht ignorieren, dass es
rund 80 Personen in Deutschland gebe, die als «Gefährder» eingestuft
werden. Schäuble erinnerte daran, dass nur durch die enge Kooperation
der Behörden in den vergangenen Jahren sieben Attentatsversuche
verhindert worden seien.
Der CDU-Politiker regte ein umfassendes Sicherheits-Netzwerk für
Deutschland an, das über den Kreis der klassischen Sicherheitsbehörden
hinausgehen sollte. «Wir müssen dem Netzwerk der Terroristen ein
Netzwerk der Sicherheit entgegensetzen», sagte der Minister mit Blick
auf eine engere Verzahnung auch mit Finanz- und Ausländerbehörden.
Schäuble unterstrich: «Der freiheitliche Rechtsstaat darf sich nicht
vorsätzlich blind machen»
Die Linke-Innenexpertin Petra Pau warf Schäuble vor, er strebe eine
Heimatschutzbehörde nach US-Vorbild an. «Was als Wort schön klingt, ist
als Instanz gefährlich»: Polizeien und Geheimdienste verschmölzen,
zivile Einrichtungen wie das Finanzamt oder die Ausländerbehörden
würden zu «Sicherheitsapparaten». «Summa summarum geht es um den
systematischen Umbau eines demokratischen Rechtsstaates zu einem
präventiven Sicherheitsstaat», sagte Pau.
Dieser Vorwurf wurde vom Verfassungsschutz und vom Bundeskriminalamt
(BKA) zurückgewiesen. «Das BKA wird kein deutsches FBI. Auch der
Grundsatz der Trennung von Nachrichtendienst und Polizei bleibt
unangetastet», sagte BKA-Chef Jörg Ziercke. Die sogenannte
Vorfelduntersuchung bei terroristischen Hinweisen bleibe Aufgabe des
Verfassungsschutzes. Das wolle und könne auch das BKA nicht übernehmen.
Verfassungsschutz-Präsident Heinz Fromm argumentierte ähnlich,
forderte jedoch eine stärkere Koordinierung der Arbeit der Landesämter
durch das Bundesamt. Da die netzwerkartige Struktur des islamistischen
Terrorismus keine festen Organisationsstrukturen und Sammelräume mehr
brauche, sei die »nachrichtendienstliche Durchdringung« der militanten
Szene umso wichtiger. Erneut plädierte Fromm dafür, dass der
Verfassungsschutz wie das Bundeskriminalamt das Recht zur
Online-Durchsuchung privater Computer erhält.
Der beim Bundesamt für Verfassungsschutz für den islamistischen
Terrorismus zuständige Direktor Hans-Georg Engelke warnte, Deutschland
stehe »im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen«.
Das islamistisches Potenzial werde sich kurz- bis mittelfristig
erhöhen. Sein Fazit: »Terroristische Anschläge sind jederzeit möglich."