[zeit.de] Unter den Vätern der deutschen Sicherheitsforschung waren
Vertreter der militärischen Industrie besonders einflussreich. Eine
kurze Geschichte des Forschungsprogramms
Das deutsche zivile Sicherheitsforschungsprogramm ist jung.
Erst im Jahr 2008 beginnt die Forschung an den ausgeschriebenen
Projekten, weitere Ausschreibungen laufen noch. Die Grundlagen für
das Programm wurden schon viel früher gelegt. Ein Rückblick
erklärt, welche Strömungen und Personen Einfluss hatten. Unter
ihnen sind die militärisch gesinnten nicht die Schwächsten. Von
Anfang an ging es um die Förderung der Industrie.
2001:
Tatsächlich sind die Anschläge vom 11.
September 2001 der Auslöser. Nachdem die USA ihre Aktivitäten in
der Sicherheitsforschung und der "Homeland Security" stark
ausgebaut hatten, wollten auch die europäischen Unternehmen
mithalten und machten zunehmend Druck auf die EU-Kommission, auch die
europäische Sicherheitsindustrie stärker zu fördern. Das deutsche
zivile Sicherheitsforschungsprogramm und das Europäische waren und
sind eng miteinander verknüpft. Die EU war und ist wichtiger
Impulsgeber.
2003
Um im siebten seiner so genannten
Rahmenprogamme (FP7), in denen die EU Forschung fördert, mit einem
Programm zur Sicherheitsforschung voll durchstarten zu können,
wurden erstmal Experten zur Beratung zusammengeholt, die ein
Vorläuferprogramm diskutieren sollten: PASR.
Im Oktober 2003 beriefen EU-Kommissionsmitglieder eine "Gruppe
von Persönlichkeiten im Bereich der Sicherheitsforschung" ein,
die von europäischen Regierungen, europäischen akademischen
Instanzen und aus der europäischen Industrie kamen. Von Anfang an
wurde auch unter einem militärischen Blickwinkel beraten. Die
primäre Aufgabenstellung war "Das Vorschlagen von Prinzipien
und Prioritäten eines Europäischen Programms für
Sicherheitsforschung (EPSF) in Übereinstimmung mit den Außen-,
Sicherheits- und Verteidigungspolitikzielen der Europäischen Union
und ihrem Bestreben, einen Lebensraum der Freiheit, der Sicherheit
und des Rechts zu konstruieren".
Acht der 25 Mitglieder in der "GoP" genannten
Expertengruppe hatten einen direkten militärischen Hintergrund, weil
sie als Unternehmen im militärischen Auftrag arbeiteten: BAE
Systems, Diehl, EADS, Ericsson Finmeccanica, Indra, Siemens und
Thales. Dazu kamen politische Vertreter als Beobachter. Viele der
GoP-Mitglieder waren alte Vertraute. Sie kannten sich bereits aus
einem früheren Gremium, der European Advisory Group of Aerospace,
gegründet durch die EU-Kommission im Juli 2001. In ihrem
abschließenden Report (STAR 21) machen sich die Mitglieder für das
Militär stark: Sie fordern die Erhöhung des europäischen Budgets
für Verteidigung, um die europäische Verteidigungs-Industrie
international wettbewerbsfähig zu machen. Ein effektives
Forschungsprogramm solle die "große Inbalance" zwischen
Europa und den USA harmonisieren und eine eigene Struktur für die
Verteidungungs- und Sicherheitsforschung schaffen.
2004:
Am 15. März 2004 legt die "GoP",
den Bericht "Research for a Secure Europa" vor, und
empfiehlt, um den "neuen" Bedrohungen zu begegnen, die
Entwicklung von neuen Technologien. Die EU-Kommission stimmt dem zu.
In ihrer Mitteilung zum FP7 werden vier Sicherheitsmissionen
festgelegt, für die Forschungsbedarf bestehe: Grenzsicherheit,
Schutz vor Terror und organisierter Kriminalität, Schutz kritischer
Infrastruktur und Wiederherstellung der Sicherheit im Fall einer
Krise. Zum Schluss empfahl sich der GoP-Zirkel selbst. Mit Erfolg:
Die Runde existierte in erweiterter Form weiter unter dem Namen
"European Security Research Advisory Board" (ESRAB), und
führte die Planung der Forschung innerhalb des FP7 weiter.
Die Kommission ebenso wie EU-Präsident Prodi begrüßten den
Bericht, der "gerade zur rechten Zeit" komme. Schließlich
erinnerten die derzeitigen Ereignisse in Madrid alle daran, wie
dringlich und wichtig es sei, gegen Terror technisch besser
präpariert zu sein. Prodi: "Es gibt keine Sicherheit ohne
Technologie." Noch 2004 geht das vorbereitende
EU-Sicherheitsforschungsprogramm PASR an den Start, ausgestattet mit
insgesamt 45 Millionen Euro. Es läuft bis 2006.
2005:
Im April 2005 ging der Beraterzirkel der
GoP offiziell in im 45-köpfigen ESRAB auf. Sowohl Forschung als auch
Industrie waren vertreten.
Für Deutschland saßen in ESRAB:
– Klaus
Thoma (Sprecher des Fraunhofer Verbundes Verteidigungs- und
Sicherheitsforschung und Leiter des Fraunhofer-Instituts für
Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut)
– Markus
Hellenthal (EADS)
– Heinz Hoch (Leiter
Entwicklung der Diehl BGT Defence)
– Stephan
Lechner (Leiter des Fachzentrums Sicherheit der Siemens)
–
Dr. Markus Hellenthal (EADS, Bereich Homeland Security)
–
Jürgen Stock (Vizepräsident des Bundeskriminalamts)
Die europäische Begeisterung für Sicherheitsforschung färbt
derweil auf Deutschland ab: Bereits im Koalitionsvertrag von CDU und
SPD vom 11.11. 2005 wird die Sicherheitsforschung als förderungsfähig
genannt, im Forschungsressort beginnen Überlegungen, die bislang in
der Sicherheitsforschung noch allzu unkoordinierte deutsche
Wissenschaftsszene neu zu strukturieren.
Auch in Deutschland trafen sich zur Vorbereitung des
Sicherheitsforschungsprogramms (in öffentlichen Unterlagen nicht
näher benannte) Experten, um "künftige Sicherheitslösungen zu
identifizieren" und "prioritäre Sicherheitsszenarien zu
entwickeln." Wie auch bei der GoP-Gruppe gibt es nur wenige
Informationen zu den Treffen und keine Pressemitteilung, in der
informiert wird, wer da über die zukünftige Sicherheitslage im Land
beraten hat. Von April bis Juni 2006 führte das BMBF jedenfalls in
drei Expertenworkshops ca. 250 Expertinnen und Experten zusammen",
heißt es knapp in der Programmbroschüre des BMBF.
2006:
Erstmals richtete die Fraunhofer
Gesellschaft, die das deutsche Forschungsprogramm stark geprägt hat,
in Karlsruhe die Tagung "Future Security" aus, auf der
Bundesforschungsministerin Annette Schavan vor einem interessierten
Fachpublikum die Pläne zum Start des deutschen
Sicherheitsforschungsprogramms bekannt gab:
"Die Anschläge in Madrid und New York haben die Welt mit der
Bedrohung durch Terrorismus konfrontiert und deutlich gemacht, dass
der technische Fortschritt und die global vernetzte Welt neben
Wohlstands- und Freiheitsgewinnen auch neue Risiken mit sich bringt.
Wir müssen neue Wege suchen, um unsere Freiheit und
Rechtsstaatlichkeit und dem damit verbundenen freiheitlichen
Lebensstil zu sichern", erklärte die Ministerin. Das Potenzial
von Wissenschaft und Forschung für die Sicherheit der Bevölkerung
sei in Deutschland bislang nicht ausgeschöpft worden, das solle sich
nun ändern. In Abstimmung mit ihrem Kollegen, Bundesinnenminister
Wolfgang Schäuble, habe sie die Federführung der nationalen
Strategie zur Sicherheitsforschung übernommen.
2007:
Mit dem Beginn der deutschen
EU-Ratspräsidentschaft starten im Januar gleichzeitig das deutsche
und das europäische Sicherheitsforschungsprogramm (Im
EU-Sicherheitsprogramm werden insgesamt 1,4 Milliarden Euro
ausgegeben.). Ihre Leitlinien ähneln sich. Drei Monate später fand
in Berlin die "Europäische Sicherheitsforschungskonferenz SRC
07" statt, auf der es eigentlich um die Vorstellung der
Sicherheitsprojekte ging, die im Rahmen des FP7 der EU gefördert
werden. Deutsche Politiker und einige Wissenschaftler nutzen das
Forum, um für ihr nationales Programm zu werben.
Am 26. März 2007 gibt das BMBF dann seine Erste von mehreren
Ausschreibungen heraus. Gefördert werden sollen neuartige
"Detektionsverfahren für CBRNE-Gefahren" – die Abkürzung
steht gleich für mehrere Bedrohungen: chemische, biologische,
nukleare und explosive Gefahrstoffe. Außerdem sucht das BMBF
Lösungen für den Schutz von Verkehrsinfrastrukturen, den Schutz und
die Rettung von Menschen.
Das deutsche Sicherheitsforschungsprogramm läuft bis 2010. Über
eine Verlängerung wird bereits diskutiert.
Von Nicola Kuhrt | © ZEIT ONLINE
3.12.2008
Quelle: zeit.de