[bernerzeitung.ch] Die
Schweiz verzeichnet deutlich mehr Asylgesuche. Jetzt versucht sie sich
für Asylsuchende unattraktiv zu machen. Für Politiker und
Hilfsorganisationen ist das zu kurzsichtig: Die Schweiz müsse über die
Landesgrenze hinaus aktiv werden.
Der
Asyldruck ist derzeit besonders gross. Dies zeigen seit längerem Bilder
von Flüchtlingen in Italien und Spanien, die auf dem hochriskanten
Meeresweg in überfüllten Booten aus Afrika kommen. Dies zeigen aber
auch die Zahlen für das Jahr 2008 zu den Asylgesuchen in Europa (siehe
auch Grafik), wie sie die UNO-Flüchtlingsagentur UNHCR und das
Bundesamt für Migration ausweisen:
Schweiz: Zunahme der Asylgesuche um 53 Prozent,
Deutschland: plus 13 Prozent,
Frankreich: plus 17 Prozent,
Niederlande: plus 89 Prozent,
Norwegen: plus 105 Prozent.
«Nicht einigeln»
Grafiken
des UNHCR zeigen, dass Europa das bevorzugte Ziel von Flüchtlingen aus
aller Welt ist. Mit den am Mittwoch veröffentlichten Massnahmen
versucht der Bundesrat gemäss Bericht des Justiz- und
Polizeidepartementes darum, «die Attraktivität der Schweiz als Zielland
von Asylsuchenden zu senken».
Wie Yann Golay, Sprecher der
Schweizer Flüchtlingshilfe, sagt, bemühen sich derzeit alle Staaten in
Europa, möglichst unattraktiv zu sein. «Das ist ein wahrer Wettbewerb.
Nach unserer Sicht ist das aber der falsche Weg», betont Golay. Die
Schweiz sollte sich, «statt sich einzuigeln, europaweit stärker
engagieren. Sie muss mehr tun, ist viel zu passiv.»
Schweiz soll mehr zahlen
Mehr
Aktivität fordern auch verschiedene Politiker der Staatspolitischen
Kommission des Nationalrates (SPK), die sich unter anderem um die
gesetzlichen Regelungen im Asylwesen kümmert. Kommissionspräsident
Gerhard Pfister (CVP, ZG) sagt: «Der Dublin-Vertrag mit seinen
Rücknahmeabkommen für Asylsuchende ist gut. Doch muss die Schweiz
darauf pochen, dass diese auch überall konsequent umgesetzt werden.»
Zudem sollte die Schweiz offensiver Hand bieten, wenn Europa an seinen
stark belasteten Aussengrenzen Hilfe benötige. Auf der italienischen
Insel Lampedusa zum Beispiel seien die Behörden immer wieder
überfordert. «Die Schweiz könnte hier finanziell beim Ausbau der
Empfangsstellen oder personell aktiver helfen», meint Pfister. Auch bei
der Agentur Frontex, welche für den Schutz der Aussengrenzen der EU
zuständig ist, sieht Pfister noch Potenzial.
Die Agentur kann
die Schweiz heute im Bedarfsfall anfragen. Unser Land stellt Knowhow in
Form von derzeit 30 ausgebildeten Spezialisten (Betäubungsmittel,
Dokumentenfälschung oder Luftüberwachung) zur Verfügung. Die Schweiz
kann gemäss Abmachung die Anfrage jedoch auch jederzeit ablehnen. «Die
Schweiz forciert diese Einsätze nicht», räumt Thomas Schrämli,
Kommunikationsleiter des Grenzwachtkorps, ein. «Die personellen
Ressourcen sind für die Einsätze hier in der Schweiz bereits schon
knapp bemessen. Sind die Leute im Ausland im Einsatz, fehlen sie
natürlich hier.» Daher könnten die Grenzwächter derzeit auch nur für
zwei, drei Wochen, maximal drei Monate an den EU-Aussengrenzen
arbeiten. Der Bund müsste also das Grenzwachtkorps personell ausbauen.
Das dürfte politisch schwierig werden.
Blocher gegen Widmer
Derweil
streiten sich hier zu Lande Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf
und ihr Vorgänger Christoph Blocher um Erfolge und Misserfolge in der
Asylpolitik. Widmer-Schlumpf sagte in der Sendung «Rundschau» des
Schweizer Fernsehens auf den Vorwurf Blochers, sie gehe zu lasch mit
Asylverfahren um, dass man Migration schlicht nicht steuern könne.
SVP-Vizepräsident
Blocher setzte heute noch einen drauf. In einem Interview mit «Ra-dio
1» sagt er: Die von Widmer-Schlumpf am Mittwoch präsentierte
Revisionsbotschaft verdecke die «ausserordentlich schlimme» Situation.
Er selber hätte eine Beschränkung auf 10000 Asylplätze einhalten
können: «Ich hätte das durchgebracht.» (Berner Zeitung)
Source: http://www.bernerzeitung.ch/schweiz/standard/Schweiz-ist-in-Europa-viel-zu-passiv/story/15450894