Die Bundeswehr auf der Suche nach der besten Vernetzung

[heise.de] Die Bundeswehr wird derzeit reformiert. Ein Kernelement ist die "Vernetzte Operationsführung"
(NetOpFü): Die Kommunikation soll weniger hierarchisch ablaufen,
sondern eher in einem Informations- und Kommunikationsverbund. Dabei
soll mit Hilfe moderner Mittel wie IT, Mobilfunk und Internet
kommuniziert werden. Im Sommer 2008 hat die Bundeswehr in Eckernförde
an der Ostsee eine Experimentübung veranstaltet, um NetOpFü zu testen. Nun liegen erste Ergebnisse des Experiments "Common Shield" (CS, Gemeinsames Schutzschild) vor.

Den Streitkräften steht ein Wandel bevor, der so revolutionär ist
wie der Übergang vom Schwert zum Gewehr", heißt es auf der
Bundeswehr-Website Streitkräftebasis.de. Das zuständige Zentrum für Transformation
der Bundeswehr ist zurückhaltend bei der Einschätzung, ob diese
Revolution in Eckernförde stattfand. Es schreibt Ende September im
nicht öffentlichen "First Impression Report" über Common Shield, der
heise online vorliegt, es habe sich herausgestellt, dass zwischen
Teilstreitkräften beziehungsweise Organisationsbereichen "erhebliche,
die Arbeit während des Experiments nachteilig beeinflussende
Auffassungs- und Definitionsunterschiede in den Vorstellungen von
NetOpFü bestehen".

Eine Ursache der Probleme liegt in der aktuellen Struktur der Armee.
Die drei Teilstreitkräfte Luftwaffe, Marine und Heer sollen nach der
Transformation als Einsatz-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte
zusammenarbeiten. Noch aber kommunizieren sie ganz unterschiedlich.
Viele taktische Fragen etwa würden vom Heer ganz anders beantwortet als
von der Marine, erklärt Oberst Klaus Dieter Kohl, der im Zentrum für
Transformation der Bundeswehr die Abteilung II
leitet. Sie beschäftigt sich mit der Enwicklung von Konzepten und ihrer
experimentellen Überprüfung. "Bei der Marine muss es schnell gehen: Ein
Flugkörper nähert sich, und es gibt nur zwei Möglichkeiten: Bekämpfen
oder nicht. Und da entscheidet der Kommandant: Schießen oder nicht",
erläutert Kohl. Bei der Luftwaffe gehe es hingegen nicht um
Befehlsgebung, sondern um den Austausch von Informationen, zum Beispiel
Luftlagebildern. Im Heer wiederum gebe es eine "ganz dezentrale
Kriegsführung, mit einer Vielzahl von Einzelkämpfern: Der Kompaniechef
führt nicht jeden Soldaten einzeln, er kann nicht jeden Schuss
befehlen."

Um dies Problem zu lösen, werden entweder alle verfügbaren
Informationen in interne Datenbanken eingespeist, auf die dann jeder
Soldat oder zumindest jeder Offizier zugreifen kann, oder jeder Soldat
klebt sich ein Mikrofon ans Ohr und erhält nur die Informationen, die
er gerade braucht. Zur Entscheidung darüber, wer welche Informationen
benötigt und wer dies entscheidet, strebt die Armee ein
Management-System namens "Gemeinsames Rollenorientiertes
Einsatzlagebild" (GREL) an, das im Hintergrund laufen und die
Informationen verwalten soll. Dabei handele es sich um "ein technisches
System, das die Informationsaustauschbeziehungen personalisieren soll",
erklärt Kohl, "es soll nicht jeder die Informationen von jedem erhalten
– dann ist das System tot." Daher sollten für den Austausch von
Informationen Standards festgelegt werden, die lagebezogen angepasst
werden können.

Der Geologe Frank Lehmann leitet im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das an der Übung in Eckernförde beteiligt war, den Bereich "Sensorkonzepte und Anwendungen".
Hier werden Kamerasensoren für Flugzeuge und den Weltraum entwickelt
und Sensoren mit Daten zusammengebracht. In Eckernförde überflog eine
High Resolution Stereo Camera (HRSC) innerhalb von etwa 90 Minuten
siebenmal das Übungsgebiet. Aus diesen Bildstreifen "haben wir ein
3-D-Bild des gesamten Geländes erstellt und mit einer Software
visualisiert", erklärt Lehmann. Damit könne ein Soldat vom Computer aus
das Einsatzgebiet genau begutachten, "er kann sich sogar von jeder
Perspektive aus an ein Haus heranzoomen und Einzelheiten erkennen, die
nur wenige Zentimeter groß sind".

Derartige Informationen sollen im Ernstfall in Echtzeit ins
Lagezentrum übertragen werden. Das ist schwierig, denn bei der
Gewinnung und Übermittlung der Daten kommen unterschiedliche
Sensordaten ins Spiel, etwa Video, Infrarot, Radar oder Standbilder.
Außerdem müssen die Produkte unterschiedlicher Hersteller miteinander
kompatibel sein – allein in Eckernförde waren etwa 50 Institute und
Unternehmen mit ihren Drohnen, Radargeräten, Durchgangsschleusen oder
Sprengstoffdetektoren dabei. Dabei müssen die Armeen verschiedener
Länder miteinander kooperieren.

Eines der Unternehmen, die solch eine Vernetzung bewerkstelligen, ist Magic for Components (m4com).
Es wertet Einzel- und Bewegtbilder aus. Geschäftsführer Michael
Karremann erläutert, "was der Sensor sieht, das können Sie live
miterleben". Es sei möglich, in Echtzeit von mehreren Orten auf die
Daten zuzugreifen und sie interaktiv zu nutzen. m4com hatte in
Eckernförde 17 Stationen aufgebaut. "Wenn zum Beispiel ein fliegender
Sensor eine interessante Szene liefert, dann kann ich reinzoomen und
dann wieder in den Lifestrom verzögerungsfrei vor- und zurückgehen",
sagt Karremann. Das hat allerdings noch nicht einwandfrei funktioniert,
ein Kamerasystem sei kurzfristig herausgenommen worden. Karremann
ergänzt, dass die Netzwerk-Infrastruktur am Anfang noch nicht stand.
Mehr als 30 Firmen hätten sich ad hoc im Netzwerk anschließen und Daten
austauschen sollen, da habe es Probleme bei der Interoperabilität
gegeben.

"Normalerweise macht man erst eine technische Aufbauphase und dann
eine Experimentierphase", erläutert Karremann. Hier wechselten sich
Labor- und Realphasen zyklisch ab, erst wenn ein System die Laborphase
bestanden habe, werde es für die Realphase freigegeben. Bei Common
Shield sei alles auf einmal gemacht worden, dafür habe es erstaunlich
gut funktioniert. Das Bundesverteidigungsministerium wies laut dem
Bericht das Vorhaben "Common Shield" am 23. April an, also vier Monate
vor Beginn. Fürs nächste Mal hofft das Zentrum für Transformation auf
mehr Zeit: Schon im Jahr 2012 soll die Vernetzte Operationsführung
nämlich in einem Großverband vor militärischen Publikum demonstriert
werden. (Ulrike Heitmüller) /

(anw/c’t)

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