EU-Innenminister: SIS II und „illegale Inhalte“

Anlässlich eines informellen Treffens in
Prag diskutieren die Innen- und Justizminister der EU über die weitere
Vernetzung von Polizeidatenbanken und den Kampf gegen "illegale
Inhalte" im Internet. Die Bürgerrechtsorganisation EFF hat unterdessen
davor gewarnt, den Kinderschutz als Vorwand zur Internet-Zensur
einzusetzen.

[futurezone.orf.at] Der Aufbau des neuen Grenzschutzsystems der europäischen
Schengen-Staaten stößt auf immer neue Probleme. Die Inbetriebnahme des
Schengener Informationssystem SIS II könne noch Jahre dauern, sagte der
tschechische Innenminister und Ratsvorsitzende Ivan Langer vor einem
Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen am Donnerstag in Prag.
"SIS II hat schwere Probleme", sagte Langer. "Es ist schon um Jahre
verzögert."

Die Modernisierung des Computersystems mit Millionen von
Fahndungsdaten aus den Mitgliedsstaaten liege um Jahre hinter dem
Fahrplan zurück und gefährde einen baldigen Beitritt Bulgariens und
Rumäniens zum Schengen-Raum ohne Grenzkontrollen.

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Die EU denkt auch
daran, eine zentrale Datenbank für Pass- und Fingerabdrucksdaten für
Kinder einzurichten, wie aus einem Bericht des EU-Parlaments zur
Einführung von Chip-Pässen für Kinder hervorgeht.

Erfassung von Fingerabdrücken

"Es ärgert mich schon, dass es so lange dauert", sagte der
luxemburgische Ressortchef Luc Frieden. "Das heutige System ist nicht
schlecht, aber es reicht nicht." Bisher tauschen die 25 Länder der
Schengen-Zone ohne systematische Kontrollen an den Binnengrenzen die
Daten von Einreisenden mit dem Schengen-Informationssystem I (SIS I)
aus, das keine digitalisierten Fingerabdrücke und Passbilder
verarbeiten kann. SIS II soll das ermöglichen, doch die Technik hapert.
"Wir werden eine Bestandsaufnahme machen und einen Zeitplan
aufstellen", kündigte EU-Justizkommissar Jacques Barrot an.

Parallel zur Lösung der SIS-II-Probleme plant Barrots Behörde eine
neue EU-Agentur, die alle Datenbanken mit sicherheitsrelevanten Angaben
lenken soll. Einen konkreten Vorschlag für eine Agentur zur
Datenbank-Steuerung will die Kommission nach Ratsunterlagen im Februar
vorlegen. In dieser neuen Strategie sollen etwa SIS, das
Visa-Informationssystem (VIS), die europäische Datenbank zur
Speicherung von Fingerabdrücken (EURODAC) und für die Zukunft das
Entry-Exit System unter eine gemeinsamen Sicherheitsstrategie gebracht
werden. Zudem wolle man biometrische Daten, Fingerprints und moderne
Technologien für die Zuwanderung integrieren.

80 Millionen Euro für Tests

Der deutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble besteht trotz der
Probleme beim Aufbau eines neuen europäischen Computernetzes auf der
Kontrolle digital gespeicherter Passfotos und Fingerabdrücke an den
Grenzen. "Biometrische Daten sind die notwendige Voraussetzung für
jedes automatisierte Kontrollverfahren", sagte Schäuble am Rande eines
EU-Innenministertreffens in Prag am Donnerstag.

Der Minister räumte dauerhafte Schwierigkeiten beim geplanten
Schengen-Informationssystem II (SIS II) ein. "So viele Tests sind
gescheitert", sagte Schäuble. Er könne allerdings nicht sagen, wie viel
Geld dafür bisher ausgegeben worden sei. Fachleute sprachen am Rande
des Rates gegenüber der dpa von bis zu 80 Millionen Euro.

Erst Ende 2008 erfuhren die Minister nach Darstellung Schäubles von
einer Alternative zu SIS II für den Abgleich digitalisierter
Fingerabdrücke und Passfotos. "Inzwischen haben wir festgestellt,
biometrische Daten können wir auch auf der Grundlage von SIS I
austauschen", sagte Schäuble. Ihm sei egal, welches System künftig für
diesen Zweck eingesetzt werde: "Mich interessiert nur, dass es
funktioniert", sagte der Bundesinnenminister.

Bekämpfung "illegaler Inhalte"

Die europäischen Innen- und Justizminister beraten am Donnerstag und
Freitag unter anderem über den Einsatz von Satelliten und anderen
modernen Technologien zum Grenzschutz. Auf der Tagesordnung stehen
weiters die Verwendung moderner Technologien im Bereich der
polizeilichen Zusammenarbeit, der internationale Schutz von Kindern,
die Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet, neue Maßnahmen im Kampf
gegen den Drogenhandel sowie die weitere Entwicklung des Schengener
Informationssystems SIS II, so eine Aussendung des Innenministeriums.

Österreich ist bei dem zweitägigen informellen Treffen unter durch
Maria Fekter (Inneres; ÖVP) und Claudia Bandion-Ortner (Justiz;
parteilos) vertreten.

EFF zu Zensur und Kinderschutz

Passend zur Agenda des Innenministertreffens hat die
US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) am
Mittwoch (Ortszeit) in einer Mitteilung davor gewarnt,
Internet-Zensurmechanismen unter dem Vorwand des Kinderschutzes
durchsetzen zu wollen. Es sei erwiesen, dass die Zensur des Internets
technisch nicht machbar sei und der Wirtschaft schade.

Ende 2008 hatte die unilaterale und unkontrollierte Sperrung eines
Eintrags in der englischsprachigen Wikipedia seitens eines von der EU
mitfinanzierten britischen Kinderporno-Sperrlistenbetreibers dazu
geführt, dass die britischen Wikipedia-Beiträger nicht mehr auf die
freie Enzyklopädie zugreifen konnten.

Filter für Deutschland

Im Kampf gegen die Kinderpornografie im Internet will die deutsche
Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) den Zugang zu
entsprechenden Seiten und Portalen sperren lassen, wie sie am
Donnerstag sagte. Dazu erwartet sie bis Anfang März eine "verbindliche
Abmachung" mit allen großen deutschen Internet-Anbietern.

Ähnlich wie in Skandinavien soll das Bundeskriminalamt künftig
regelmäßig Kinderporno-Seiten ermitteln und den Internet-Anbietern zur
Sperrung melden, kündigte von der Leyen am Donnerstag in Berlin an.
Zugleich werde zusammen mit dem Innen- und Wirtschaftsressort eine
rechtliche Klarstellung im Telemediengesetz vorbereitet. Für die
Sperrung der Seiten soll Technologie aus Norwegen genutzt werden, die
dort bereits seit 2004 erfolgreich eingesetzt werde.

Vorbild Norwegen

Hat die Polizei ein Kinderporno-Angebot im Internet identifiziert,
wird es nach dem norwegischen Modell den Anbietern zur Blockade
gemeldet. Klickt der Nutzer dann eine entsprechende Seite an, erscheint
auf seinem Bildschirm automatisch ein rotes Stopp-Schild. Ludvigsen:
"Wir erheben nicht den Zeigefinger, sondern machen nur darauf
aufmerksam, dass hier der Zugang zu einer Seite mit verbotener
Kinderpornografie gesucht wird."

Oft gebe es auch "irrtümliche Einwahlversuche". Zwischen 15.000- und
18.000-mal am Tag erscheine heute auf norwegischen PC-Bildschirmen
diese Stopp-Seite. Die Nutzer würden nur gezählt, nicht namentlich
erfasst.

Von der Leyen sagte, hochgerechnet für die Bundesrepublik würde das
die verhinderte Nutzung von über 300.000 Kinderporno-Seiten am Tag
bedeuten. Bis zu 80 Euro monatlich zahle ein Nutzer in Europa für den
Zugang zu einer Kinderporno-Site, berichtete die Ministerin unter
Hinweis auf eine britische Studie. Wenn aber die Nachfrage sinke, werde
auch weniger produziert, berichtete Ludvigsen über die bisherigen
Erfahrungen in Skandinavien. Von der Leyen: "Wir wollen vor allem die
Opfer schützen." Die Initiative ziele nicht auf den Nutzer. Sie richte
sich vor allem gegen die Betreiber solcher Seiten.

"Klar abgrenzbar"

Kinderpornografie sei in Deutschland eindeutig verboten. Selbst
"aktives Suchen" danach sei strafbar, sagte von der Leyen. Die
Ministerin wies zugleich Einwände zurück, ein solches Filtersystem
könne auch zur Zensur anderer Themen und Inhalte im Internet eingesetzt
werden. Anders als etwa bei Gewaltdarstellungen sei Kinderpornografie
"klar abgrenzbar". Die Ministerin: "Das Aufspüren der Seiten ist Sache
des Bundeskriminalamtes." Dafür übernehme der Staat die Verantwortung.
Die Sperrung müsse dann durch die Internet-Anbieter erfolgen. Nach
anfänglicher Skepsis hätten sich jetzt alle Anbieter zur Zusammenarbeit
entschieden.

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(dpa/APA/futurezone)

Source: http://futurezone.orf.at/stories/1501670/