Lübeck – Weil er vor vier Jahren afrikanische Flüchtlinge an Bord nahm, wurde Stefan Schmidt, Kapitän der "Cap Anamur", in Italien wegen Schleuserei angeklagt. Der Prozess gegen den Lübecker läuft noch immer.
[kn-online.de] Das Schlauchboot trieb auf dem Wasser. Es verlor Luft, der Motor qualmte, es drohte unterzugehen, 150 Kilometer vor Lampedusa. Sechs mal 2,5 Meter, 37 Mann. Sie hatten kein Wasser, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Flüchtlinge aus Afrika, die sich nach dem langen Weg durch die Wüste auf den Weg machten gen Europa. Flüchtlinge wie die 234, die vor wenigen Tagen in Lampedusa strandeten, auf der Suche nach einem besseren Leben.
Im Juli 2004 entdeckte Kapitän Stefan Schmidt die 37 Männer. Menschen in Seenot, entschied er – und holte sie an Boot der "Cap Anamur", des Schiffes der gleichnamigen Hilfsorganisation. Er rettete die Schiffsbrüchigen, seine Pflicht als Kapitän. "Ich wollte sie in den nächsten Hafen bringen, wie es üblich ist, und dann wieder auslaufen", berichtet Schmidt. Doch es kam anders. Es sollte sein Leben verändern.
Stefan Schmidt sitzt in seinem Wohnzimmer in einem Lübecker Altbau. So stellt man sich einen Kapitän vor: weißer Vollbart, sonnengegerbtes Gesicht. Eine Katze streicht um seine Beine, sie war immer mit an Bord, auch vor viereinhalb Jahren auf der "Cap Anamur".
Stefan Schmidt kontaktierte damals die italienischen Behörden, die ihn aufforderten, die Flüchtlinge nach Lampedusa zu bringen. Doch die 95 Meter lange "Cap Anamur" war zu groß für den Hafen. Schmidt sollte Agrigent ansteuern: "Plötzlich verweigerten uns die Behörden die Hafeneinfahrt." Es folgten zwei Wochen, die in die Schlagzeilen gerieten, in denen die "Cap Anamur" vor der Küste auf und ab fuhr, mit den Behörden verhandelte. "Die italienische Marine und ein Tross von Journalisten umkreisten unser Schiff", erinnert sich Schmidt. Schließlich widersetzte er sich: "Ich konnte nicht mehr für die Sicherheit an Bord garantieren." 37 Flüchtlinge, zehn Besatzungsmitglieder. "Die Nerven lagen blank. Einige Afrikaner wollten sich über Bord werfen, andere verweigerten das Essen, einige klappten zusammen." Im Hafen angekommen, wurden Schmidt und Elias Bierdel, damaliger Chef der Hilfsorganisation, aufs Polizeipräsidium gebeten – und dort verhaftet. Wegen "bandenmäßiger Begünstigung illegaler Einwanderung": Schlepperei. Nach fünf Tagen Gefängnis durften Bierdel und Schmidt nach Deutschland zurück. Im November 2006 begann der Prozess. Er läuft noch immer. Ein Verhandlungstag pro Monat. "Mal fahre ich hin, mal Elias, bei wichtigen Zeugen wir beide, mal nur unser Korrespondenzanwalt."
Der Staatsanwalt möchte beweisen, dass Cap Anamur die Rettung als PR-Aktion plante, Fernsehbilder verkaufen wollte. Vorwürfe, die Schmidt entschieden zurückweist: "Alle Zeugen haben unsere Version bestätigt." Nun scheint es, als ob der Prozess sich dem Ende zuneigt. Schmidt sieht gute Chancen, dass am nächsten Prozesstag – am 16. Februar – der Termin für das Urteil festgelegt wird. Wie er dem entgegensieht? Im schlimmsten Fall drohen ihm und Bierdel zwölf Jahre Haft. Ein zermürbender Gedanke. Juristisch gesehen sei die Sache klar, da kein Zeuge gegen sie ausgesagt habe: "Aber es ist ein politischer Prozess." Man wisse nicht, was die Richterin bewegt. Eine Verurteilung könne zur Folge haben, dass viele Kapitäne bei schiffbrüchigen Flüchtlingsbooten lieber wegschauen, anstatt zu Hilfe zu kommen. Doch Kapitän Schmidt ist ein zuversichtlicher Mann.
Zur See fährt er nicht mehr. Sein Kapitänspatent besitzt er noch. Nur ein Schiff wie die "Cap Anamur" käme in Frage, ein zum Krankenhaus umgebautes Schiff, das in notleidende Gebiete fahren sollte. Und nie dazu kam: Die Fahrt im Juli 2004 war die Jungfernfahrt. Heute fährt das Schiff als Frachter über die Ostsee. Und Schmidt? 67 ist er. Zur Ruhe setzen will er sich nicht. Er arbeitet als Lehrer in der Seemannsschule in Travemünde. Unter anderem zeigt er, wie man Menschen aus Seenot rettet. "Außer mir hat dort keiner praktische Erfahrung damit", sagt er lachend. Noch eine Sache liegt ihm am Herzen: der Verein Borderline, den er mit Elias Bierdel gründete. Auf die Flüchtlingsströme wollen sie aufmerksam machen. Mehr als 13000 Tote an Europas Grenzen in zehn Jahren, rechnet Schmidt. Er reist durchs Land, hält Vorträge in Schulen, Universitäten, Kirchen. Ein Thema, das ihn bewegt. Doch von dem er früher wenig wusste. "Bevor ich diese Menschen aus dem Wasser fischte, war ich nur ein einfacher Kapitän."
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