Neue Details zum NSA-Lauschprogramm enthüllt

[heise.de] Russel Tice, früherer Mitarbeiter der National Security Agency (NSA), hat im US-Sender MSNBC die Öffentlichkeit Mitte der Woche über weitere Einzelheiten des umstrittenen Abhörprogramms der Bush-Regierung aufgeklärt.
Demnach hatte beziehungsweise hat der technische Geheimdienst Zugang zu
sämtlicher elektronischer Kommunikation aller US-Bürger.
Telefongespräche, Faxe, E-Mails und andere computervermittelte
Nachrichten würden prinzipiell rund um die Uhr 365 Tage im Jahr
überwacht. Es sei zwar auch für die großen und leistungsstarken
Rechnersysteme der NSA nicht möglich, alle dabei anfallenden Daten
längere Zeit aufzubewahren. Aus dem Netz seien aber die kompletten
Kommunikationsströme einzelner Organisationen wie insbesondere von
Fernsehsendern oder Verlagen herausgefischt und in umfangreichen
Datenbanken gespeichert worden.

Auf die Frage, ob etwa die E-Mails aller Reporter der New York Times
aufgezeichnet und archiviert würden, entgegnete Tice, dass bei einer
von dem Lauschprogramm anvisierten Einrichtung tatsächlich die gesamte
aufnehmbare Kommunikation erfasst worden sei. Selbst Kreditkartendaten
und andere Zahlungsinformationen seien mit gespeichert worden, legte
der bereits 2005 und 2006 als Whistleblower in Erscheinung getretene Ex-Spion in einem zweiten Interview am gestrigen Donnerstag nach.

Auch die Kommunikation zehntausender völlig unverdächtiger US-Bürger
ist laut Tice mit in die Datenberge gewandert. Dazu habe es etwa schon
gereicht, ein vergleichsweise kurzes Telefongespräch zu führen, da auch
Terroristen bei Anschlagsvorbereitungen nur in ein oder zwei Minuten
das Nötigste austauschen würden. Die im Raster hängen gebliebenen Bits
und Bytes seien mithilfe von Data-Mining-Verfahren durchforstet worden.
Die Idee dahinter sei gewesen, im Falle eines potenziellen Terroristen
rückverfolgen zu können, ob er etwa ein Flugticket oder andere Sachen
gekauft habe. Die Ursprünge dieser Datensammelwut sieht der von der NSA
entlassene ehemalige Staatsangestellte im "Total Information
Awareness"-Konzept aus dem Pentagon. Dieses Programm stoppte der
US-Kongress 2003 offiziell, es soll aber in verschiedenen Varianten
weitergeführt worden sein. Ob der Geheimdienst nach wie vor diese Form
der Rundum-Beschattung durchführt, wusste Tice nicht zu sagen.

Die Ausmaße des Überwachungsprojekts hielt die US-Regierung nach
Angaben des Insiders durch eine Art Hütchenspiel in betrügerischer
Weise geheim. So seien einschlägige Akten bei Anforderungen aus
Geheimdienstkomitees als Sache des US-Verteidigungsministeriums
deklariert worden, über die man keine Auskunft geben könne. Falls
Verteidigungsausschüsse aus dem Abgeordnetenhaus oder dem Senat
nachgefragt hätten, seien die Informationen wiederum als
Geheimdienstsache verkauft worden. James Risen, einer der frühen
Berichterstatter über das Beschnüffelungsprogramm bei der New York
Times, machte gegenüber MSNBC den Erklärungsversuch, dass mit dem "Big
Brother"-Projekt vor allem mögliche Quellen und Whistleblower in der
Verwaltung abgeschreckt werden sollten.

Von der neuen US-Regierung unter dem Demokraten Barack Obama gibt es
derweil trotz aller Wandel-Versprechen keine Anzeichen für ein Abrücken
von der Geheimniskrämerei rund um die gerichtliche Behandlung des
Abhörprogramms. So haben die Anwälte des US-Justizministeriums laut Wired
auch unter geänderter Flagge am Donnerstag in einer Gerichtseingabe im
Streit über die illegale Beschattung der Al-Haramain Islamic Foundation
gefordert, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Der in San Francisco
zuständige Bezirksrichter Vaughn Walker hatte zuvor entschieden,
dass das von der islamistischen Stiftung angestrengte Verfahren
fortzusetzen sei. Zugleich hatte er angeordnet, dass der Kammer
Einsicht in ein als geheim eingestuftes, versehentlich an Al-Haramain
geschicktes Fax der Regierung zu gewähren sei, wonach die Organisation
Ziel einer richterlich nicht gestatteten Überwachungsmaßnahme war. Auch
die Obama-Administration will dieser Auflage nun aber nicht Folge
leisten. Die kafkaeske gerichtliche Untersuchung der NSA-Schnüffeleien
dürfte sich so weiter hinziehen. (Stefan Krempl) /
(pmz/c’t)

Quelle: heise.de