Sicherheitsarchitekturen im Wandel. Polizei – Geheimdienst – Militär

von Norbert Pütter
 

Seit einigen Jahren ist von der "neuen Sicherheitsarchitektur" die
Rede. Die Institutionen der alten Bundesrepublik seien den neuen
Herausforderungen nicht mehr gewachsen; sie müssten gründlich
umgebaut werden. Unter dem Schlagwort der "Vernetzung" findet
gegenwärtig die Reorganisation des Gewaltmonopols statt.

[cilip.de] Die
Institutionen, die Innere Sicherheit gewährleisten sollen, unterliegen
einem ständigen Wandel. Bereits das Entstehen des
administrativ-politischen Komplexes "Innere Sicherheit" in der
Bundesrepublik ist ein Resultat dieses Wandels, der in das Ende der
60er/den Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts fällt.[1]
Obwohl sie nicht trennscharf an Jahreszahlen geschieden werden können,
lassen sich für die Entwicklung der BRD deutlich vier (wenn man die
alliierte Vorgeschichte hinzunimmt fünf) Phasen benennen. Sie
unterscheiden sich in der Organisation, in der rechtlichen Regulierung,
in der Qualifikation des Personals, der strategischen Orientierung und
hinsichtlich derjenigen Probleme, denen sich die innere
Sicherheitspolitik und ihre Apparate vorrangig widmeten. Typisierend
vereinfacht verliefen die Wandlungen in dieser Abfolge:

  1. Vom
    Kriegsende bis zur Gründung der Bundesrepublik. Sie stand
    polizeipolitisch unter dem Einfluss west-alliierter Vorstellungen, die
    in der britischen und amerikanischen Zone von den zivilen und
    dezentralen Polizeitraditionen ihrer Heimatländer bestimmt waren.[2]
  2. Mit
    der Konsolidierung der Bundesrepublik wird der alliierte Einfluss
    schrittweise rückgängig gemacht. Bis Mitte der 60er Jahre wird auch
    polizeipolitisch eine Strategie der Restauration verfolgt, die im Kern
    darin besteht, die deutsche, staatsorientierte Polizeitradition der
    Vorkriegszeit fortzusetzen. Vom Tschako bis zum Polizeirecht, von der
    Aufstellung geschlossener Einheiten bis zur kasernierten Ausbildung –
    in weiten Bereichen werden Weimarer Polizeistrukturen wiederhergestellt.[3]
  3. Anfang
    der 70er Jahre beginnt die Reform der deutschen Polizeien. Das Programm
    für die innere Sicherheit der Innenministerkonferenz von 1972 bildet
    den Ausgangspunkt für Veränderungen in den Bereichen Organisation,
    Recht, Ausbildung. Die Bewaffnung der Polizei wird den gewandelten
    Bedrohungsszenarien angepasst; mit der Etablierung von Inpol wird die
    EDV für die Polizeiarbeit nutzbar gemacht.[4]
  4. Seit
    Mitte der 70er Jahre bis zum Fall der Mauer setzt sich der Ausbau der
    Sicherheitsapparate fort: die Professionalisierung der Polizeiarbeit
    schreitet voran (von der Fachhochschulausbildung bis zum Entstehen von
    Spezialdienststellen – Mobiles- und Sondereinsatzkommando, Verdeckte
    Ermittlungen, Auswertung), der technische Fortschritt wird in die
    Polizeiarbeit integriert (PIOS-Dateien, technische Überwachungen), und
    das Volkszählungsurteil zwingt zu einer Flut von gesetzlichen
    Novellierungen.[5]
  5. Mit
    dem Fall der Mauer wird eine Phase der Verunsicherung eingeläutet, in
    der nach der Erstreckung des Polizeimodells auf die neuen Länder eine
    Diskussion über die Ausrichtung der Apparate beginnt. Die
    kriminalpolitischen Konjunkturen der 90er Jahre (von Organisierter
    Kriminalität bis Zero tolerance) treten seit dem 11. September 2001 in
    den Schatten des neuen internationalen Terrorismus. Im Namen seiner
    Bekämpfung werden viele der alten Fäden aufgegriffen, die zu einer
    neuen "Sicherheitsarchitektur" vernetzt werden sollen.

Die langen Wellen der Entwicklung

Die
kursorische Erinnerung dieser Vorgeschichte ist wichtig, wenn man die
gegenwärtigen Veränderungen würdigen will. Schnell wird nämlich
sichtbar, dass ein Teil der aktuellen Vorgänge einen langen Vorlauf
hat, ein anderer Teil jedoch darin besteht, die letzten Grundpfeiler,
die das System innerer Sicherheitswahrung in der Bundesrepublik
kennzeichneten, durch einen umfassend vernetzten Sicherheitsverbund zu
ersetzen.

Aus dem Kreis der längerfristigen Veränderungen
stechen zwei besonders hervor: die präventive Orientierung und die
Zentralisierung der Apparate. Spätestens seit Mitte der 70er Jahre ist
"Prävention" zum Angelpunkt polizeistrategischer Orientierungen
geworden. Sie fand ihren Niederschlag zum einen in den Vorverlagerungen
des Strafrechts. Diese Ausweitung – besonders deutlich in den
§§ 129 ff. des Strafgesetzbuchs – knüpft unmittelbar an die Tradition
des politischen Strafrechts in Deutschland an.[6]
Was in den 70ern zunächst in Bezug auf den Terrorismus begann, setzte
sich in den 90ern hinsichtlich "organisierter Kriminalität" fort. Zum
anderen folgte aus dem präventiven Ansatz eine entgrenzte Zuständigkeit
der Polizeien, die als "vorbeugende Bekämpfung von Straftaten"
verrechtlicht wurde.[7]
War und ist diese Art der "Prävention" mit ausgeweiteter
Kriminalisierung und dem Einsatz verdeckter Methoden verbunden, so
zeigt die kriminalpräventive Konjunktur der letzten Jahre, dass sich
mit "Prävention" jede Art von Polizeiarbeit legitimieren lässt.[8]
Das diffuse Präventionsversprechen, das die Hoffnung beim Publikum
weckt, Gefahren und Schäden könnten verhindert werden, unterliegt auch
der jüngsten Entwicklung. Die Einbeziehung der Geheimdienste, der
Zugriff auf private Datenbestände, die technische Überwachung von
Räumen, verdachtsunabhängige Personenkontrollen, biometrische
Identifzierungsverfahren: all dies wird in präventiver Absicht
praktiziert – und führt zu einer Ausweitung und Vorverlagerung von
Repression.

Die zweite, bereits seit den 70er Jahren
manifeste Entwicklung betrifft die Zentralisierung der Polizeien. Dies
gilt zunächst für das Verhältnis zwischen Bund und Ländern. Die
Konzeption des Grundgesetzes folgte noch den dezentralen Vorstellungen
der Alliierten. Aus dem Bundeskriminalpolizeiamt, das als Ausnahme vom
Grundsatz "Polizei ist Ländersache" gedacht war, wurde die wichtigste
Polizeibehörde der Republik[9]
– ein Prozess, für den drei Elemente verantwortlich waren. Erstens, die
Ausweitung von Ermittlungen: 1973 erhielt das Bundeskriminalamt (BKA)
erstmals originäre Ermittlungsbefugnisse für einige Deliktsbereiche,
nachdem der Generalbundesanwalt bereits seit 1969 förmlich ermächtigt
worden war, das Amt mit Ermittlungen im Bereich des politischen
Strafrechts zu beauftragen – ein Weg, der großzügig in Anspruch
genommen wurde und wird. Hinzu kommen – zweitens – der Ausbau von
Informations- und Kriminaltechnik und – drittens – die zunehmende
Bedeutung der EU, für die das BKA als Schaltstelle fungiert. Dieser
Bedeutungszuwachs schlug sich in erheblichen Personalzuwächsen nieder.
Die mit der neuerlichen Novellierung des BKA-Gesetzes vorgesehenen
präventiven Ermittlungsbefugnisse des Amtes setzen diese Linie
konsequent fort.[10]

Die
Karriere des Bundesgrenzschutzes (BGS) zur Bundespolizei ist das zweite
Element, das die Polizeiverfassung zugunsten des Bundes veränderte.[11]
1951 zunächst als Vorhut der in Planung befindlichen Armee gegründet,
war der BGS in den ersten Jahrzehnten auf die traditionelle
Aufstandsbekämpfung im Innern und auf die Wahrnehmung von
Polizeiaufgaben im Falle eines kriegerischen Angriffs aus dem Osten
ausgerichtet. Seit 1972 stand er zur Unterstützung der Länderpolizeien
zur Verfügung; 1992 wurde ihm die Bahnpolizei und die Zuständigkeit für
die Flughäfen übertragen. Damit hatte der BGS seine territoriale
Bindung an das Grenzgebiet endgültig verloren. Seine Befugnisse wurden
denen der Länderpolizeien angepasst. Die 2005 erfolgte Umbenennung in
"Bundespolizei" war eine konsequente Folge dieses Aus- und Umbaus.

Zur
gewachsenen Bedeutung des Bundes gehört auch der Aufstieg des Zolls zu
einer Polizei im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeriums.
Zunächst in den gemeinsam mit der Polizei gebildeten
"Ermittlungsgruppen Rauschgift", dann ausgeweitet auf die Kontrolle der
Schwarzarbeit und auf die Bekämpfung von Geldwäsche ist der Zoll zu
einer sicherheitsrelevanten Exekutive im Innern avanciert.[12]

Die
andere Seite der Zentralisierung betrifft die Polizeien in den
Bundesländern. Mitte der 70er Jahre wurden die letzten städtischen
Polizeien verstaatlicht. In immer neuen Organisationsreformen werden
die Polizeien seither umgestaltet. Das gilt nicht allein für das
Verhältnis von Schutz- und Kriminalpolizei, sondern auch für die
Verteilung und Gliederung der Polizei in der Fläche. Durchgängig wurden
und werden die Landespolizeien zentralisiert. Kleinere Dienststellen
werden aufgelöst oder in nur temporär besetzte Polizeiposten
verwandelt. Die Polizei zieht sich aus der Fläche zurück. Dies
geschieht nur vordergründig, um den polizeilichen Verwaltungsapparat zu
verkleinern, vielmehr ist die Zentralisierung auf der unteren Ebene
Folge und Voraussetzung polizeilicher Spezialisierung. Mittlerweile
wird versucht, den Rückzug aus der Fläche mit Laien- oder
Hilfspolizeien oder der Reaktivierung kommunaler Ordnungshüter
auszugleichen.[13]
Die neuen Kontrollarrangements, die in den Städten seit den 90er Jahren
entstehen, sind die Rückseite polizeilicher Zentralisierung. Dass damit
nicht weniger, sondern andere und ausgeweitete Praktiken sozialer
Kontrolle einher gehen, ist offenkundig.[14]

Letzte Grenzen

Bis
zum Beitritt der Länder der DDR zur Bundesrepublik galt das
"Trennungsgebot" von Polizei und Geheimdiensten. Dieses Gebot hat nie
bedeutet, dass Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst
keinerlei Beziehungen unterhielten. Es führte jedoch zur Entwicklung
eigenständiger Apparate, deren Beziehungen eher punktueller Natur waren
und sich auf das Gebiet des Staatsschutzes beschränkten. Seit den 70er
Jahren führte die "präventive" Ausrichtung der Polizeien dazu, dass
diese sich ein Repertoire verdeckter Methoden zulegten, das aus der
Welt der Geheimdienste stammt. Auch die Weiterentwicklung
kriminalistischer Auswertungen zur "intelligence" stellte eine Facette
der Vergeheimdienstlichung von Polizeiarbeit dar.

Mit der deutschen Vereinigung begann nicht nur eine Debatte über den Verfassungsrang des Trennungsgebots,[15]
vorangetrieben wurde auch die Verpolizeilichung der Geheimdienste: Die
Überwachung des internationalen Telekommunikationsverkehrs durch den
Bundesnachrichtendienst wurde 1994 auf (vermutete) Bereiche
Organisierter Kriminalität (OK) ausgeweitet. Die Diskussion über die
OK-Bekämpfung durch Geheimdienste führte dazu, dass einige Landesämter
für Verfassungsschutz mit derartigen Vorfelderkundungen beauftragt
wurden. Die "Doppelzuständigkeit" von Polizei und Diensten, die schon
immer in den politischen Delikten bestand, wurde nun auf "gewöhnliche"
Kriminalität ausgedehnt. Dass die Dienste im Rahmen des neuen
Anti-Terrorismus Zugang zu den Kundendaten von Post-,
Telekommunikations- und Luftfahrtunternehmen sowie Banken erhielten,
setzte die Aufwertung der Geheimdienste in der "präventiven"
Kriminalitätsbekämpfung konsequent fort. Dass auch nach
institutionellen und rechtlichen Formen gesucht werden musste, um
Polizei und Geheimdienste – nachdem beide über verdeckte Methoden
verfügen und beide sich denselben Phänomenen widmen sollen – dauerhaft
zusammenzubringen, liegt auf der Hand. In der "Berliner Republik" wurde
das Trennungsgebot in sein Gegenteil umgedeutet: Aus der
institutionellen Trennung resultiere die Pflicht zur informationellen
Zusammenarbeit. Und um diese auf eine wirksame und dauerhafte Basis zu
stellen, bedürfe es entsprechender Rechtsgrundlagen und
institutioneller Formen.[16]
Am vorläufigen Ende dieser Entwicklung ist das Trennungsgebot allein
darauf reduziert, dass die Beteiligten unterschiedlichen Dienstherren
unterstehen und aus unterschiedlichen Titeln des Staatshaushaltes
bezahlt werden. Die Bildung einer gemeinsamen Überwachungszentrale im
Bundesverwaltungsamt,[17]
die gegenüber der Öffentlichkeit als eine bloß technische
Dienstleistungseinheit verharmlost wird, ist ein weiteres
Mosaiksteinchen in der neuen polizeilich-geheimdienstlichen Gemengelage.

Seit
Gründung der Bundeswehr war deren Einsatz im Innern umstritten. Die
Notstandsgesetzgebung hatte die Debatte 1968 zu einem vorläufigen Ende
gebracht. Bis heute sind allein die damals geschaffenen Regelungen über
den Katastropheneinsatz praktisch relevant geworden. Die Bundesrepublik
blieb vom Spannungs- und Verteidigungsfall verschont; und die
Definition des Inneren Notstands entsprach schon 1968 nicht mehr dem
Protest- und Konfliktpotential einer modernen
Dienstleistungsgesellschaft. Befreit von der Aufgabe, auf den
Bürgerkrieg vorbereitet zu sein, konnten vielmehr die Polizeien (allen
voran der BGS) ein spezifisch polizeiliches Organisationsprofil
ausbilden.

Nach dem Ende des Kalten Krieges war nicht nur
das Gegenüber der Geheimdienste maßgeblich reduziert, sondern aus dem
militärischen Feind im Osten wurden schnell Verbündete oder Partner. In
den humanitär legitimierten Kriegen der 90er Jahre, dann aber in dem
offensiven Bekenntnis, die deutschen Interessen (die der NATO, der
Vereinten Nationen) weltweit auch militärisch durchsetzen zu können,
fand die Bundeswehr als Einsatzarmee ihre neue Orientierung.

Seit
den 90er Jahren tauchten aber als Auswege aus der Sinnkrise der
Bundeswehr auch immer wieder Vorschläge auf, die Streitkräfte an
verschiedenen Aufgaben im Innern zu beteiligen. Das reichte vom Einsatz
im Umweltschutz bis zur Sicherung der deutschen Ostgrenze. Der heutige
Innenminister Wolfgang Schäuble war schon damals einer der Vorreiter
dieser Idee: In den Auslandseinsätzen seit den 90er Jahren hätte die
Bundeswehr oft polizeiliche Aufgaben wahrnehmen müssen. Deshalb sei es
nicht einzusehen, warum deutschen Soldaten im Inland verwehrt bleibe,
was sie im Ausland mit Erfolg meisterten.[18]

Die
Bundeswehr an der Aufrechterhaltung innerer Sicherheit in
Friedenszeiten zu beteiligen, steht seither auf der politischen Agenda.
Den Weg über die Katastrophenhilfe hat das Bundesverfassungsgericht im
Februar 2006 durch sein Urteil zum Luftsicherheitsgesetz verstellt.
Derzeit wird deshalb praktisch versucht, die Reichweite bestehenden
Rechts auszudehnen, militärische Ressourcen polizeilich nutzbar zu
machen und die Öffentlichkeit an die Normalität militärischer
"Dienstleistungen" im Innern zu gewöhnen – Heiligendamm 2007 war nur
der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung.[19]

Konturen der Sicherheitsarchitektur

Pläne
einer neuen "Sicherheitsarchitektur" gibt es seit den 70er Jahren – von
Alfred Stümpers "Systematisierung der Verbrechensbekämpfung"[20] (1981) bis Eckart Werthebachs "Idealtypische Organisation innerer und äußerer Sicherheit"(2002)[21]
oder der "Modellentwicklung für eine Neuorganisation der
kriminalpolizeilichen Sicherheitskomponenten des Bundes", die der Bund
Deutscher Kriminalbeamter 2004 vorlegte.[22]
Aber die Entwicklung folgt bislang nicht diesen Architekten, die
durchgängig den Bund gegenüber den Ländern stärken wollen. Statt dieser
als notwendig und effektiv gepriesenen Reißbrettmodelle ist die reale
Veränderung des "Systems innerer Sicherheit" von Konfliktlinien der
etablierten Apparat- und Politikinteressen bestimmt: Bund und Länder
ringen ebenso um Zuständigkeiten wie Polizei und Geheimdienste;
politische Absichtserklärungen und polizeiliche Strategien sind nicht
deckungsgleich; schutz- und kriminalpolizeiliche Interessen (und ihre
gewerkschaftlichen Vertreter) verlangen Berücksichtigung; justitielle
Kriterien (Rechtsstaatlichkeit, strafprozessuale Verwertbarkeit)
stimmen nicht immer mit polizeilich-gefahrenabwehrenden überein;
verfassungsrechtliche Grenzen beschneiden polizeilich-politische
Umbauphantasien; und schließlich muss der Komplex der Öffentlichkeit
als gleichzeitig wirksam und nicht gefährlich (für die Freiheiten der
BürgerInnen) verkauft werden können.

Aus diesem Geflecht
unterschiedlicher Interessen entwickelt sich eine "neue
Sicherheitsarchitektur", in der die bestehenden
rechtsstaatlich-demokratischen und bürgerrechtlichen Probleme des
Systems nicht verringert, sondern erheblich verschärft werden. Drei
Merkmale des Umbaus sind dafür verantwortlich:

Erstens: In
den neuen Formen der "Vernetzung" wird keinem der Beteiligten etwas
genommen. So ist es nach langen Anläufen gelungen, das
Bundeskriminalamt mit präventiven Kompetenzen für den internationalen
Terrorismus auszustatten. Niemand stört an diesem in der
Föderalismusreform gefundenen Kompromiss, dass eine Doppelzuständigkeit
von Landes- und Bundesbehörden geschaffen wird, die dem erklärten Ziel
der Entflechtung von Bund und Ländern widerspricht. Denn durch den
"Gewinn" der Zentrale wird das Tätigkeitsfeld der Länderpolizeien nicht
beschnitten. Das gilt auch für das Verhältnis von Polizeien und
Geheimdiensten. Die Überschneidungen in Arbeitsweisen und Zielobjekten
bleiben bestehen; sie bilden das Fundament der Kooperation. Im Ergebnis
werden die einzelnen Apparate gestärkt (Aufgaben, Befugnisse, Personal)
und mit anderen – ebenfalls ausgebauten – "vernetzt".

Zweitens:
Der Sicherheitsverbund schlägt sich auch institutionell nieder. Dabei
entstehen neue Organisationen, die die Grenzen von Ressorts, Sparten,
Bürokratien überschreiten. Das Gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum
(GTAZ), seine Vorläufer und seine Pendants in den Ländern gehören hier
hin, ebenso wie das "Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale
Migration" (GASIM), die "Information Boards" oder die
interadministrative Internetüberwachung im "Gemeinsamen
Internetzentrum" (GIZ).[23]
Neue exekutive Befugnisse werden in der Regel nicht geschaffen.
Vielmehr soll der Austausch von Daten dazu beitragen, dass die
Beteiligten umfassender informiert ihre Aufgaben wahrnehmen können.
Auch soll durch die Kombination von Zuständigkeiten, Befugnissen und
Sanktionen ein abgestimmtes und deshalb effektiveres Handeln ermöglicht
werden. Offen bleibt, was diese bürokratischen Zusammenschlüsse
jenseits des beschworenen Informationsaustauschs im einzelnen leisten
und worin ihre Bedeutung für die Beteiligten liegt.

Drittens:
In der "neuen Sicherheitsarchitektur" wird das Kontrollproblem
manifester denn je. Bereits der Umstand, dass undurchschaubare
Zusammenarbeitsformen unterschiedlicher Bürokratien mit unklarem
Tätigkeitsprofil, aber behaupteter hoher Sicherheitsrelevanz entstehen,
ist geeignet, die Verunsicherung in der Bevölkerung zu bekräftigen.
Wenn Daten ausgetauscht und angereichert werden, wenn aus den
"Auswertungen" exekutives Handeln resultiert, wenn Personen observiert
oder abgehört werden, wenn ihr Umfeld durchleuchtet oder ihre Computer
durchsucht werden, dann stellt sich die Frage nach dem Schutz der
BürgerInnen vor dem Staat neu. Bei aller Euphorie über den neuen
Sicherheitsverbund wird bewusst vergessen, dass es einen guten
demokratischen Sinn gab, verschiedene Staatstätigkeiten verschiedenen
Behörden, die unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten folgen, zuzuweisen.
Vertikale und horizontale Gewaltenteilung, die Scheidung von innerer
und äußerer Sicherheit, Unterschiede in gefahrenabwehrenden und
strafverfolgenden Befugnissen, die Trennung von Nachrichtendiensten und
Polizeien – das waren Versuche, die staatliche Machtentfaltung zu
bändigen. Dass die Parlamente den Exekutiven hilflos hinterherhecheln,
ist bekannt. Im Zeitalter der Vernetzung kommt nun verschärfend hinzu,
dass die Netze sich jenseits parlamentarischer Zuständigkeiten
etablieren. Durchgängig mangelt es an gesetzlichen Grundlagen, und
durchgängig werden die Kontrollchancen der Parlamente ausgehebelt.

Die
"neue Sicherheitsarchitektur" führt zu einem Verbund gestärkter
Behörden, die in klandestinen Formen zusammenwirken und damit sowohl
rechtliche wie politische Schranken unterlaufen. Es liegt in der Logik
dieser Entwicklung, wenn als Krönung der undurchschaubaren Verbünde ein
"Nationaler Sicherheitsrat" gefordert wird, der unter dem Primat der
"Sicherheit" das Potential zu einem Nebenkabinett besäße.

Im Dschungel der vernetzten Sicherheit

Der
Blick auf Polizei, Geheimdienste, Militär und die neuen
Kooperationsgremien zeigt nur einen kleinen Ausschnitt aus dem sich
entwickelnden neuen Gebäude der Inneren Sicherheit. Nicht
berücksichtigt wurden sämtliche externe Bezüge, insbesondere die
Verflechtungen mit der europäischen Ebene und deren Rückwirkungen auf
die nationalen Strukturen. Unterschlagen wurden auch die enger
gewordenen Verknüpfungen zwischen militärischen, polizeilichen und
nicht-polizeilichen Zuständigkeiten im Bereich des Katastrophen- bzw.
"Bevölkerungsschutzes". Und schließlich fehlt der Hinweis auf die
Privatisierungstendenzen in der Inneren Sicherheit. Diese drei weiteren
Bezüge verweisen darauf, dass die Netzwerklogik weit über den
traditionellen Teil des (national)staatlichen Gewaltmonopols hinaus
reicht.[24] Mit der erweiterten Perspektive nehmen auch die demokratisch-bürgerrechtlichen Probleme weiter zu.

Norbert Pütter ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.

[1] Funk,
A.; Werkentin, F.: Die siebziger Jahre – Das Jahrzehnt der inneren
Sicherheit?, in: Narr, W.-D. (Hg.): Wir Bürger als Sicherheitsrisiko,
Reinbek b. Hamburg 1977, S. 189-209 u. 337 f.
[2]
Noethen, St.: Kriminalpolitische Vorgaben der alliierten
Besatzungsmächte, in: Lange, H.-J. (Hg.): Kriminalpolitik, Wiesbaden
2008, S. 59-77
[3] Werkentin, F.: Die Restauration der deutschen Polizei, Frankfurt/M., New York 1984
[4]
Busch, H.; Funk, A.; Kauß, U.; Narr, W.-D.; Werkentin, F.: Die Polizei
in der Bundesrepublik, Frankfurt/M., New York 1985, insb. S. 69-250
[5]
s. exemplarisch: Bäumler, H.: 20 Jahre Polizeirechtsgesetzgebung – aus
der Sicht eines Datenschützers, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.):
Sicherheit vor Freiheit?, Berlin 2003, S. 23-32
[6] s. Cobler, S.: Die Gefahr geht von den Menschen aus – der vorverlegte Staatsschutz, Berlin 1976
[7] s.
Zöller, M.A.: Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei,
Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, Heidelberg 2002
[8] Pütter,
N.: Prävention. Spielarten und Abgründe einer populären Überzeugung,
in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 86 (1/2007), S. 3-15
[9] zum
BKA s. Klink, M.: Bundeskriminalamt, in: Groß, H.; Frevel, B.; Dams, C.
(Hg.): Handbuch der Polizeien Deutschlands, Wiesbaden 2008, S. 516-554
[10] s. den Beitrag von Fredrik Roggan in diesem Heft
[11]
zum BGS s. Peilert, A.; Kösling, W.: Bundespolizei – vormals
Bundesgrenzschutz, in: Groß; Frevel; Dams a.a.O. (Fn. 9), S. 555-590
[12]
Dem Zoll ist bislang unverdient wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden.
Für den gegenwärtigen Zustand s. die Selbstdarstellungsbroschüre:
Zollkriminalamt (Hg.): Zollfahndungsdienst, Köln 2005 (www.zoll.de/e0_downloads/d0_veroeffentlichungen/zka_zfd.pdf) [13]
s. exemplarisch: Hornof, P.; Kopsch, R.: Ansprechpartner statt
Strafverfolger. Wachpolizei und Freiwilliger Polizeidienst in der
Sicherheitsarchitektur eines Polizeipräsidiums, in: Polizei – heute
2007, H. 3, S. 82-87
[14]
mit Blick auf die privaten Sicherheitsdienste s. Beste, H.: Morphologie
der Macht. Urbane "Sicherheit" und die Profitorientierung sozialer
Kontrolle, Opladen 2000, S. 296 ff.
[15]
s. die Beiträge in: Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Berlin (Hg.):
Nachrichtendienste, Polizei und Verbrechensbekämpfung im demokratischen
Rechtsstaat, Berlin 1994
[16]
Busch, H.: Es wächst zusammen … Zum Gemeinsame-Dateien-Gesetz, in:
Bürgerrechte & Polizei/CILIP 85 (3/2006), S. 52-59; Roggan, F.;
Bergemann, N.: Die "neue Sicherheitsarchitektur" der Bundesrepublik
Deutschland. Anti-Terror-Datei, gemeinsame Projektdateien und
Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz, in: Neue Juristische
Wochenschrift 2007, H. 13, S. 876-881
[17] s. den Beitrag von Mark Holzberger in diesem Heft

[18]

Schäuble, W.; Stümper, A.; Greiner, A.: Eine der Lehren aus dem
Kosovo-Krieg: Sicherheit ist heute nicht mehr mit der Verteidigung der
Landesgrenzen identisch, in: Die Polizei 2000, H. 6, S. 161-163
[19] s. den Beitrag von Norbert Pütter in diesem Heft

[20]
Stümper, A.: Systematisierung der Verbrechensbekämpfung, Stuttgart u.a. 1981
[21]
Werthebach, E.: Idealtypische Organisation innerer und äußerer
Sicherheit. Gutachten für die "Task Force Zukunft der Sicherheit" der
Bertelsmann-Stiftung, Berlin 2002 (www.bertelsmann-stiftung.de/cps/rde/xbcr/SID-0A000F0A-C2BF0CCE/bst_engl/GutachtenWerthebach.pdf)
[22] Bund Deutscher Kriminalbeamter: Sicherheitsarchitektur des Bundes, Rheinbach 2004
[23] s. den Beitrag von Jan Wörlein in diesem Heft
[24] Dazu mehr in der nächsten Ausgabe von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
 

Bibliographische
Angaben: Pütter, Norbert: Sicherheitsarchitekturen im Wandel. Polizei –
Geheimdienst – Militär, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 90
(2/2008), S. 3-12
 

Source: http://www.cilip.de/ausgabe/90/architektur.htm