[de.indymedia.org] Die US-amerikanische NGO Knowledge Ecology International (KEI) hat am 13. März eine für die US-Regierung und die Europäische Union außerordentlich peinliche Liste von LobbyistInnen mit vollem Zugang zu sämtlichen Papieren des Antipiraterieabkommens ACTA veröffentlicht. Gegenüber VertreterInnen der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft haben EU und US-Regierung bisher stets zum Inhalt der Verhandlungen geschwiegen. Die US-Regierung unter Präsident Obama hat das Dokument kürzlich "im Interesse der nationalen Sicherheit" als geheim klassifiziert.
Das geplante "Anti Counterfeiting Trade Agreement" (ACTA) hat die internationale Durchsetzung harter Standards bei der Ahndung von Verletzungen "geistiger Eigentumsrechte" zum Ziel, insbesondere im Bereich der Produktfälschung und der "Piraterie". Die Verhandlungen werden nicht im Rahmen einer internationalen Organisation geführt, sondern alleinstehend. Nicht nur die Inhalte des Verhandlungen unterliegen der Geheimhaltung, sondern auch die Liste der TeilnehmerInnen. Bisher war nur einzelne Regierungsorgane namentlich bekannt geworden, die ihre Beteiligung an den Verhandlungen selbst eingeräumt hatten. Dazu zählen die EU-Kommission, das Büro des US Handelsbeauftragten (Office of the United States Trade Representative) und des australischen Ministeriums für Außenpolitik und Handel (Australian Department of Foreign Affairs and Trade). Auf dem G8-Gipfel in Hokkaido 2008 hatten die G8-Staaten das Abkommen befürwortet und seine baldige Umsetzung gefordert.
Die Veröffentlichung der LobbyistInnen-Liste durch KEI vermittelt nun erstmals einen Eindruck, in welchem Umfang Unternehmen und Wirtschaftsverbände in die Verhandlungen einbezogen werden, von denen die internationale Öffentlichkeit, um deren Rechte es geht, ausgeschlossen bleibt. Allein in den USA haben alle Mitglieder der 27 wirtschaftlichen Beratungsgremien des Handelsbeauftragen Zugang zu sämtlichen Unterlagen. KEI hat nur die Mitgliedslisten von vieren dieser Gremien veröffentlicht, die zusammen VertreterInnen von 116 Konzernen und Wirtschaftsverbänden umfassen, darunter Time Warner, IBM, Monsanto und General Motors, die Entertainment Software Association, die Recording Industry Association of America, die Motion Picture Association of America, die Association of American Publishers und die Generic Pharmaceutical Association.
Aufgrund von Äußerungen einzelner PolitikerInnen und der Veröffentlichung interner Papiere auf der Enthüllungs-Plattform Wikileaks sind in der Vergangenheit Teile der ACTA-Verhandlungen bekannt geworden. BürgerrechtlerInnen befürchten, dass das ACTA-Abkommen unter anderem Bestimmungen für intensivere Zoll-Durchsuchungen von Mobilcomputern und Gepäck bei Einreisen, von Postsendungen und von Ein- und Ausfuhren ebenso etnhalten wird wie Internetsperren und "Three Strikes Out"-Bestimmungen nach Vorgabe der Medienindustrie. Laut einem im Januar auf der Website der EU-Kommission publizierten Übersichtsdokument zu ACTA sollen Provider von Internetdiensten für eventuell nicht lizenzierte Inhalte in deren Netzen verantwortlich gemacht und so indirekt zu einer Kontrolle von Kommunikationsinhalten gezwungen werden. Bürgerrechtsorganisationen wie die EFF und die Free Software Foundation befürchten auch, dass über die ACTA-Verhandlungen wieder das Thema Software-Patente in der EU auf den Tisch kommen könnte.
KritikerInnen bewerten die ACTA-Verhandlungen als typisches Beispiel von Politikwäsche ("policy laundering"): die Durchsetzung repressiver Gesetze, die sich auf den üblichen Verfahrenswegen mangels ausreichender Mehrheiten nicht durchsetzen lassen, durch – meist demokratisch gar nicht oder kaum legitimierte – internationale Vertragsorganisationen. Ihre Minimalforderung lautet, die Verhandlungen auf demokratische und transparente Weise durchzuführen, die Öffentlichkeit zu informieren und Bürgerrechts- und Vebraucherschutzorganisationen zu beteiligen. Auch das EU-Parlament hat im März die Kommission nachdrücklich dazu aufgefordert, die ACTA-Verhandlungen zu öffnen. Doch auch wenn infolge des neuerlichen Skandals durch die Veröffentlichung der LobbyistInnen-Listen nun der US-Handelsbeauftragte mit einigen US-Bürgerrechtsgruppen in Verhandlung getreten ist, bleibt eine Demokratisierung und Öffnung der Verhandlungen ohne anhaltenden gesellschaftlichen Protest utopisch.
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