Innen-Staatssekretär
und Ex-Geheimdienstler August Hanning hat offenbar seine ganz eigenen
Vorstellungen bezüglich Sicherheit, Überwachung, Privatsphäre und
Bürgerrechten.
In einem Interview mit der Zeitung taz
äußerte Hanning einige durchaus kontroverse Meinungen zu diesem
Themenkomplex. Auf die Frage, ob es zum Schutz der Privatsphäre
Bereiche geben sollte, in die der Staat verlässlich nicht hineinschauen
darf, antwortete er entschieden: "Natürlich nicht. Wenn man ein
Vakuum lässt, ist klar, dass dies zur Verabredung von Verbrechen
genutzt wird. Kein Rechtsstaat der Welt wird sich Bereiche leisten, die
jeglicher staatlicher Überwachung entzogen sind." Er betonte, es gehe "darum,
dass unsere Gesetze in jedem Winkel Deutschlands gelten müssen. Es darf
keine Bereiche geben, in denen der Staat nicht auf potenziell
Tatverdächtige zugreifen kann. Das haben die Sicherheitsbehörden auch
erst lernen müssen."
In eine ähnliche
Richtung gingen weitere Thesen Hannings, die dieser während des
Interviews äußerte. So sprach er sich dafür aus, früher geschützte
Bereiche nicht mehr als tabu zu betrachten: "Früher glaubte man zum
Beispiel, dass die Polizei um Universitäten und Gotteshäuser einen
großen Bogen schlagen sollte. Und dann wurden die Anschläge vom 11. 9.
2001 unter anderem in der Hamburger Universität und in Hamburger
Moschee-Veranstaltungen vorbereitet." Hanning gab sogar an, dass
er auch öffentliche Toiletten überwachen würde, wenn davon auszugehen
sei, dass sich Terroristen dort träfen – mit Mikrofonen und notfalls,
beispielsweise im Falle rein schriftlicher Kommunikation, auch mit
Kameras. Das alles diene natürlich nur dazu, "das Leben potenzieller Anschlagsopfer zu schützen", so Hanning. Die Tatsache, dass bei einer solchen Praxis auch Unbeteiligte "beim Pinkeln" mit überwacht würden, tat Hanning ab: "Solche Bilder kämen ja nie in die Akten, die interessieren die Polizei überhaupt nicht."
Auf die möglichen psychologischen Folgen einer derart allgegenwärtigen
Überwachung ging der Staatssekretär in diesem Zusammenhang nicht ein.
Offenbar etwas befremdet fragte der das Interview führende
taz-Redakteur Christian Rath, ob es für Hanning überhaupt keine Grenzen
gebe. "Wenn ich Grenzen hätte, würde ich sie nicht in der Zeitung
nennen. Ich gebe doch keine Gebrauchsanleitung für konspiratives
Verhalten. Ansonsten gilt selbstverständlich immer das Prinzip der
Verhältnismäßigkeit der Mittel. Aber wenn es um die Vermeidung von
Terroranschlägen geht, kann es keine absolut sicheren Rückzugsräume
geben," antwortete Hanning und fügte, auf den im Grundgesetz als
besonders schützenswert definierten Kernbereich privater
Lebensgestaltung angesprochen, hinzu: "Den achten die
Sicherheitsbehörden natürlich. In der Praxis gibt es damit auch kaum
Probleme. Für die Privatgespräche und die Sexualität der Verdächtigen
interessiert sich die Polizei ja auch gar nicht. Und Gespräche über
kriminelle Pläne gehören laut Bundesverfassungsgericht nie zum
Kernbereich des Privatlebens." Dabei sei es auch egal, wo und unter welchen Umständen diese Gespräche geführt würden.
Abschalten würden die Beamten aber in offensichtlich unter die
Privatsphäre fallenden Situationen, wie beispielsweise beim Sex, nicht,
so Hanning. "Sie glauben doch nicht, dass da die ganze Zeit ein
Polizist sitzt und mithört, um rechtzeitig auf den Aus-Schalter zu
drücken? In der Praxis läuft da meist ein Band mit, das man sich
anschließend anhört. Und dann werden intime Geräusche sofort gelöscht
und nur das polizeilich Relevante wird gespeichert." Dies gleicht
in etwa dem von Ermittlern immer wieder geforderten "Richterband", bei
dem zunächst alles aufgenommen wird und ein Richter anschließend prüft,
welcher Teil des Materials vor Gericht verwertet werden darf. Um ein
Veto des Bundesverfassungsgerichts, wie es früher bereits bei einer
solchen Praxis eingelegt wurde, macht sich Hanning offensichtlich keine
Gedanken. "Da hat sich das Gericht inzwischen aber bewegt, wie wir
im Urteil zur Online-Durchsuchung gesehen haben. Dort haben die Richter
zugelassen, dass zunächst die ganze Festplatte eines Terrorverdächtigen
kopiert wird und bei der Sichtung dann die offensichtlich privaten
Dateien gelöscht werden. Niemand kann wollen, dass Deutschland zu einer
Oase wird, in der man sich der Strafverfolgung verlässlich entziehen
kann."
Unter einem Überwachungsstaat versteht Hanning nach eigenen Angaben
eine "anlasslose Totalüberwachung", wie er sie als Diplomat in der DDR
erlebte. Das habe aber mit den von ihm vorangetriebenen Maßnahmen, wie
etwa der Visa-Warndatei, nichts zu tun, betonte er. Diese sei nicht
ohne konkreten Anlass: "Vergessen Sie bitte nicht den
Visa-Untersuchungsausschuss und dessen Kritik am Auswärtigen Amt. Wir
haben mit unserem Gesetzentwurf nur den Koalitionsvertrag umgesetzt.
Dass nun das Bundesjustizministerium blockiert, geht deshalb vor allem
zu Lasten des Auswärtigen Amtes. […] In der Vieleinlader-Datei
versuchen wir Fälle zu erkennen, die Probleme machen könnten. Als
Vieleinlader gelten nur Personen oder Organisationen, die binnen zwei
Jahren mehr als fünf Mal visumpflichtige Ausländer eingeladen haben.
Das hat mit Verdacht noch gar nichts zu tun. Es geht hier um
Aufgreifschwellen, ab denen man Fälle überhaupt erst näher anschaut. So
etwas ist in der Verwaltung von Massenvorgängen, etwa im Steuerrecht,
durchaus üblich." Dabei hat Hanning offenbar schon ziemlich genaue
Vorstellungen, unter welchen Umständen in der Datei erfasste Personen
und Organisationen als verdächtig gelten: "Bei Unternehmen,
Kirchengemeinden und Sportvereinen ist doch klar, dass es nicht um die
Einschleusung von Ausländern geht. Da wird nicht weiter geprüft.
Vielmehr würde die neue Datei in solchen Fällen die Visaerteilung sogar
beschleunigen. Aber wenn Christian Rath Dutzende von Frauen aus allen
Teilen der Welt einlädt, würden wir schon genauer nachfragen." (Annika Kremer)
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Source: http://www.gulli.com/news/august-hanning-keine-2009-03-13/