Florian Rötzer
Nachdem die US- und die britische Regierung ein Warnsystem eingeführt haben, gab es niemals Entwarnung
[heise.de] Wenn man einmal ein System eingeführt hat, das die Gefährdung durch
Terrorismus öffentlich meldet, so scheint die Tendenz der Bürokraten
dahin zu gehen, das Altbewährte beizubehalten, geschehe, was wolle –
oder was nicht geschieht.
Seit Jahren pflegt die US-Regierung der Bevölkerung durch das "Homeland
Security Advisory System" mitzuteilen, dass die Gefahr von
Terroranschlägen in den USA unverändert "erhöht" ist, was schön in der
Mitte liegt. Vor sieben Jahren am 12. März 2002 eingeführt, hielt man
es für angemessen, höchstens mal kurzfristig die Warnstufe zu erhöhen,
sie aber nie auf "mäßig" oder "gering" zu senken (Kampf zwischen Zivilisation und Chaos).
Bezeichnenderweise ist nicht vorgesehen, dass es kein Terrorrisiko
gibt. Sieben Mal wurde von "gelb" auf "orange" (hohes Risiko) und
einmal für 3 Tage im August 2006 auf "rot" erhöht.
Die Bush-Regierung lebte politisch von der
terroristischen Bedrohung, die sie daher aufrechterhalten musste.
Opportun war auch, die Gefahr stets hoch zu lassen, denn dann konnte
man ja immer sagen, dass man doch gewarnt hatte, auf der Hut und
vorbereitet war. Bei "erhöhtem" Risiko sind die Bürger aufgefordert,
wachsam zu sein, ihre Umgebung zu beobachten und Verdächtiges sofort zu
melden, Zudem wird jeder angehalten, ein Notfallpaket bereit zu halten
und mit seiner Familie einen Notfallplan ausgearbeitet zu haben.
Auch wenn der neue US-Präsident den "Change" auf seine Fahnen
geschrieben hat, so will er bislang nicht von der erhöhten
Gefahrenstufe lassen, obgleich Kriminalität, Gangs, das in Kämpfen mit
und zwischen Drogenbanden ins Chaos versinkende Mexiko und die
Wirtschaftskrise weitaus drängender sind. Allerdings kann das Weiße
Haus auch darauf setzen, dass die permanent aufrechterhaltene Warnung
aus der Aufmerksamkeit herausgefallen ist, während man sich
gleichzeitig weiter politisch absichert, sollte sich doch etwas
ereignen. Ähnlich wird ja hierzulande, allen voran vom
Bundesinnenminister, verfahren, wenn man von einer potenziellen oder
abstrakten Gefährdungslage spricht, die unverändert hoch sei. Das
erlaubt auch weiterhin, neue Maßnahmen zur inneren Sicherheit
durchzudrücken, die stets erst einmal mit der Terrorgefährdung
legitimiert und dann auf andere Bereiche erweitert werden, wie dies
gerade bei der Online-Durchsuchung geschehen soll.
Nach unterbrechungslos verordneter Erregung stellt sich notwendig
Apathie ein und wird die Warnung, falls sie nicht von der Wirklichkeit
bestätigt wird, nicht mehr ernst genommen, was freilich dann auch zum
Problem werden kann, wenn es tatsächlich einmal zu einer konkreten
akuten Bedrohung kommen sollte.
Während das US-Heimatschutzministerium unter der neuen Leitung die
Warnstufe sozusagen klammheimlich beibehält, prescht die britische
Regierung erneut vor. Sie hat nach dem Vorbild der USA ein ähnliches Warnsystem
eingeführt, das nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn seit 1.
August 2006 zwischen einer "ernsten" (severe) und einer "unmittelbar
drohenden" (critical) Gefahr eines Anschlags warnt. In Großbritannien
wurde selbst die mittlere Stufe (substantial) nicht benutzt, geschweige
denn "moderate" (ein Anschlag ist möglich, aber nicht wahrscheinlich)
oder gar "low" (ein Anschlag ist unwahrscheinlich). Auch hier ist keine
prinzipielle Entwarnung vorgesehen.
Zweimal wurde die Warnung von "severe" auf "critical"
hochgesetzt. Seit Juli 2007 ist die Gefahrenstufe "severe", die heißen
soll, dass ein Anschlag sehr wahrscheinlich ist. Neben der Bedrohung
durch al-Qaida und damit verbundene Netzwerke wird für Nordirland auch
von diddidenten IRA-Gruppen gewarnt.
In Fortsetzung der Antiterror-Politik der
Labour-Regierung warnt das britische Innenministerium nun nicht wieder
davor, dass die größte Bedrohung Großbritanniens von al-Qaida ausgeht,
sondern rüstet auch die "zweite Verteidigungslinie" auf.
Innenministerin Smith spricht von einer umfassenden
Antiterrorstrategie, die erforderlich sei, weil es keinen Bereich in
Großbritannien gäbe, der frei von Terrorbedrohung sei. Besorgt wegen
der Angriffe auf die Hotels in Mumbai wird befürchtet, dass Terroristen
oder Militante Anschläge während des G20-Gipfels planen könnten ("Reclaim the Money"). Angeblich
gehen die Sicherheitsbehörden von der höchsten Gefahrenstufe aus. Neben
den Sicherheitskräften wurden in der "zweiten Linie" nun auch 60.000
Zivilisten für Antiterrormaßnahmen trainiert: von kommunalen
Angestellten bis zu Mitarbeitern in Hotels oder Einkaufszentren.
Tens of thousands of men and women throughout Britain –
from security guards to store managers – have now been trained and
equipped to deal with an incident and know what to watch for as people
go about their daily business in crowded places such as stations,
airports, shopping centres and sports grounds.
Gordon Brown
Premier Gordon Brown sieht
die Antiterror-Maßnahmen, die am Dienstag vorgestellt werden sollen,
als "weltweit führend in ihrem Umfang" an. Mitten in der Finanz- und
Wirtschaftskrise steckend, die manche Geheimdienstmitarbeiter bereits
als gefährlicher als den Terrorismus bezeichnen, will Brown am
eingefahrenen Weg festhalten. Der Schutz der Briten vor dem Terrorismus
sei die "wichtigste Aufgabe der Regierung" erklärt er. Großbritannien
sei weiterhin bedroht von Terroranschlägen von al-Qaida. Erforderlich
sei eine permanente Wachsamkeit. Die Polizei von London hat erst vor
wenigen Tagen eine neue Antiterror-Kampagne mit dem Slogan gestartet:
"Don’t rely on others. If you supect it report it. "