G8-Luxusliner ankert jetzt im Erdbebengebiet

J. de St. Leu, Matthias Monroy

Die Nachricht, den G8-Gipfel ins Erdbebengebiet der italienischen Abruzzen zu verlagern, setzt Sicherheitsbehörden unter Druck

[heise.de] Die jüngste Ankündigung Berlusconis, den diesjährigen G8-Gipfel
unter italienischer Präsidentschaft statt auf der sardinischen Insel La
Maddalena im Erdbebengebiet der Abruzzen auszutragen, löst hektische
Betriebsamkeit bei italienischen Sicherheitsbehörden aus. Nach 8
Monaten Planungsarbeit hatte Berlusconi die Pläne für La Maddalena (Berlusconi und Frattini produzieren Sicherheit) kurzerhand über Bord geworfen. Die Entscheidung wird vom Kabinett unterstützt. Als Gründe führte
er an, dass die Verlegung enorme Kosten sparen und Demonstranten
abhalten würde: "Ich glaube nicht, dass Globalisierungsgegner sich
trauen werden, in dieser vom Erdebeben heimgesuchten Gegend
gewalttätige Demonstrationen zu organisieren."

Als neuer Gipfelstandort gilt die Schule der Zoll- und Steuerpolizei
"Fiamme Gialle" (Gelbe Flammen) "Maresciallo Vincenzo Giudice" in
Coppito am westlichen Stradtrand von L‘ Aquila. Coppito ist die größte
Polizeischule Italiens. Auf einem 48 Hektar großen Gelände mit 1.500
überwachten Parkplätzen befinden sich moderne Unterkünfte und Gebäude.
Die Anlage verfügt
u.a. über ein Audimax mit 1.500 Plätzen, eine Mensa für über 3.500
Personen und eine Aula für Konferenzen mit 450 Personen. Die
Bettenkapazität umfasst 2.300 Unterkünfte in Vierbettzimmern, 300
Einbettzimmer sowie einige Appartements. Neben Landeplätzen für alle
Typen von Hubschraubern können in Coppito auch Kampfflugzeuge mit
Schnellbremssystemen (ähnlich wie auf Flugzeugträgern) landen. Laut dem
Studienbüroleiter der Schule, Oberst Paolo Carretta, sind US-Militärs
von dem Komplex begeistert: "Als die Marines zur Ausbildung der
Aquilanischen Gebirgsjäger für Afghanistan hierher kamen, sagten sie
uns: ‚Wenn wir nur eine Kaserne wie diese hätten!’".

 

Der Coppito-Komplex gilt als "einzige begehbare
Anlage" nach dem Erdbeben. Die Stahlbetonbauten mit 50.000
Quadratmetern Nutzfläche sind weitgehend unversehrt geblieben.
Herzstück der Festung ist allerdings ein ausgedehntes, im Verhältnis
zum Grundriss der Oberflächenstruktur gespiegeltes unterirdisches
Stockwerk. Im mit Fahrzeugen befahrbaren Bunker werden unter anderem
Reserven der staatlichen Münze in Tresoren der Bank von Italien
verwahrt. Die Anlage, die auch "Kampfunterstüzungsreserven" enthält,
gilt als operatives Zentrum im Falle eines Angriffs auf Rom –
einschließlich der Gegenwehr im Fall von Cyberangriffen.

Gegenwärtig sind in der Kaserne Guido Bertolaso, Chef des
Zivilschutzes, und Hunderte seiner Mitarbeiter und freiwilligen Helfer
sowie 1.300 Angehörige der Finanzpolizei untergebracht. Aufgrund des
Einsturzes von zahlreichen Gebäuden, in denen Behörden untergebracht
waren, residieren hier auch der Präfekt Franco Gabrielli und alle
Beamten, die in L’Aquila kein Büro mehr haben. Ein Informationsbüro hat
seine Zelte aufgeschlagen, um die Durchreise der Minister und
Staatssekretäre zu dokumentieren. "Bis Juli könnte sich die Seismizität
verringert haben", beruhigt Franco Barberi, Professor für Geochemie und
Vulkanologie an der Universität Roma Tre.

Zum G8-Gipfel in 3 Monaten werden in L’Aquila rund 3.000 Delegierte,
3.000 akkreditierte Journalisten und 16.000 Polizeikräfte erwartet.
Zivilschutzchef Bertolaso ist überzeugt, dass die Kapazität der Kaserne
in Coppito für den G8-Gipfel ausreichen wird. Trotzdem wird in Italien
bereits laut über die Unterbringung von Delegierten in Rom – unter
anderem im Botschaftsviertel – nachgedacht: "Wir haben gerade
angefangen, uns damit zu beschäftigen", sagte
ein hochrangiger leitender Beamter des Departements für Öffentliche
Sicherheit. Die Repräsentanten der G8 würden die 100 Kilometer von Rom
nach L’Aquila in 20 Minuten mit dem Hubschrauber zurücklegen können,
allerdings müssten die Delegationen sowie Begleitfahrzeuge,
Sicherheitskräfte und Dolmetscher die Strecke über die Autobahnen absolvieren. Betroffen wären die A24 und A25, die L’Aquila mit Rom und Pescara verbinden.

Das für den Gipfel bereits eingeplante Kreuzfahrtschiff "MSC Fantasia",
auf dem 4.000 Passagiere untergebracht werden können und das über 99
Luxussuiten verfügt, soll möglicherweise – statt vor La Maddalena – vor
der Provinzhauptstadt Pescara ankern, rund 70 Hubschrauberkilometer von
L‘ Aquila entfernt. Die Reederei gibt dazu bislang keine Auskunft.

Verlegung soll Popularität der G8-Treffen wiederherstellen

Laut Repubblica
wurde die Entscheidung zur Gipfelverlegung bereits eine Woche vor ihrer
Verkündung am 23. April getroffen, als Berlusconi sich auf La Maddalena
mit Regierungschef Gianni Letta und Zivilschutzchef Guido Bertolaso zu
einer Inspektion getroffen hatte. Allerdings bleibt unklar, wer die
Initiative dafür ergriff. Daraufhin wurden der Innenminister, der
Polizeichef, der Präsident der Abruzzen-Region, der Präsident der
Provinz, der Bürgermeister, der Präfekt und der Kommandant der "Fiamme
Gialle" kontaktiert. Die sardischen Kollegen der eingeweihten Lokalpolitiker wurden hingegen nicht einbezogen.

Innenminister Maroni gab wenig später "grünes Licht", die Sicherheit
sei gewährleistet. Neun Tage nach dem Anlauf auf La Maddalena stellte
Berlusconi die Entscheidung im Ministerrat zur Debatte, wo sie
überraschenderweise angenommen wurde, obwohl etwa Außenminister
Frattini, nur eine Woche vorher, eine etwaige Gipfelverlegung als
"schlicht und einfach unmöglich" bezeichnet hatte. Alteo Matteoli,
Minister für Infrastruktur in Berlusconis viertem Kabinett, schloss die
Überraschungsaktion noch unmittelbar vor der Kabinettsitzung
kategorisch aus: "Den G8 zu verlegen, ist nicht plausibel". Wenig
später räumte er zähneknirschend ein, es habe sich "um eine politische
Stellungnahme" gehandelt.

Innen- und Verteidigungsministerium begannen umgehend
mit der Inspizierung der Region, die Verlegung der G8-Büros wurde
ebenfalls ohne Verzug in die Wege geleitet. Die aufgrund der
Zerstörungen durch das Erdbeben verfügte Sperrung des Stadtkerns von
L’Aquila kommt den Sicherheitsplanungen entgegen, denn dadurch ist die
Kaserne nur noch von einer Seite aus zu erreichen.

Sardische Politiker kritisierten die Entscheidung der
Regierung. Aus Rom wurde beschwichtigend zugesichert, dass die Region
nach der 500 Millionen Euro schweren Neugestaltung von La Maddalena
über ein "Zentrum" für Gipfeltreffen, Tagungen und Kongresse im
Mittelmeerraum verfügen wird, das seines Gleichen suche. In einem
Interview mit Repubblica erklärt
Zivilschutzchef Bertolaso, dass auf Sardinien "das größte Projekt in
den Bereichen Sanierung und touristische Wiederaufwertung vollendet
wurde".

Durch Demonstration von Volksnähe im Verzicht auf ein Gipfeltreffen in
La Maddalena und die Verlegung in das vom Erdbeben heimgesuchte Gebiet
in Mittelitalien scheint Italien den Treffen der G8 wieder zu größerer
Popularität verhelfen zu wollen. In den letzten Jahren war es
regelmäßig zu massiven Protesten gekommen, die stets durch große und
breite Beteiligung gekennzeichet waren. 2001 hatten sich Demonstranten
gegen heftige Polizeiangriffe auf eine genehmigte Demonstration in
Genua gewehrt. Wenig später wurde der 21jährige Carlo Giuliani von
einem Angehörigen der Carabinieri erschossen. Der Widerstand der
globalisierungskritischen Bewegung führte zur weitgehenden Abschottung
der Treffen und zur Ausweisung von großräumigen, für Proteste nicht
zugelassenen Zonen.

Der Gipfel 2009 soll nun zum Zweck der inneren und äußeren Imagepflege offenbar "viel schlichter und seriöser"
werden. Primär will man wohl die Zahl der Delegationsmitglieder
reduzieren. Trotz angekündigter "Leichtbauanlagen" könnten die
Konferenzräume in Coppito dennoch nicht alle Treffen der Delegationen
aufnehmen. Ob die bisher rund 1.000 Personen umfassende Stärke der
US-Delegation tatsächlich reduziert wird, ist jedoch noch unklar. "Man
spart 220 Millionen, die bereits für La Maddalena vorgesehen waren",
betonte Berlusconi, um den Umzug nach L’Aquila zu begründen. Insgesamt
sollte die Austragung des G8-Gipfels auf La Maddalena 400 Millionen
Euro kosten. Unklar ist, was mit den übrigen 180 Millionen passiert:
Dienen sie der Fertigstellung bereits begonnener Maßnahmen auf
Sardinien, oder wird man sie tatsächlich, wie von der
Berlusconi-Regierung versprochen, den Katastrophenopfern zugute kommen?

 

Auf La Maddalena waren die Kosten der Sicherheit mit 118
Millionen veranschlagt, und dort hätten wir zwei Schiffe mieten müssen,
die uns weitere zehn Millionen gekostet hätten, um die 3.000
akkreditierten Journalisten aufzunehmen. Mit der Verlegung nach
L’Aquila werden diese Zahlen auf Beträge reduziert, die kaum noch ins
Gewicht fallen. Die Kosten, die auf uns zu kommen sind, postenweise,
die Kosten für die Dolmetscher, die Beförderung und die
Leichtbauinstallationen für die Anpassung der Giudice-Kaserne in
Coppito. Ein Betrag, der zwischen 10 und 30 Millionen Euro schwanken
dürfte.

Zivilschutzchef Bertolaso

Zustimmung der beteiligten Regierungen

Die Verlegung des Gipfelstandorts kam für Viele überraschend. Der
Standort La Maddalena wurde von Berlusconis Vorgänger Prodi
durchgesetzt. Nach seiner Wahl im April 2008 hatte der für die gekonnte
Nutzung der Symbolkraft einschlägiger Kulissen bekannte Berlusconi
versucht, den G8-Gipfel in ihm günstiger erscheinende Orten zu
verlegen. Im Gespräch waren besonders Neapel und Mailand, aber auch
sein eigenes Anwesen an der Costa Smeralda. Alle Vorschläge wurden von
Zivilschutzchef Bertolaso aufgrund von Sicherheitsbedenken abgelehnt.

In die Vorbereitungen der Sicherheitsarchitektur eines "major event" –
hier des G8-Gipfels – sind die ausländischen Stäbe der beteiligten
Regierungen involviert. Besonders die Bedingungen der US-Delegationen
gelten gemeinhin als sehr hoch. Zum Zeitpunkt der Inspektion auf La
Maddalena, bei der beschlossen wurde, die Verlegung des Gipfelstandorts
zu wagen, galt die Frage nach der Sicherheit des US-Präsidenten am
ursprünglich geplanten Gipfelstandort als nicht abschließend gelöst. Es
hatte sich zudem herausgestellt, dass das Schiff, das die
Repräsentanten mit ihren Delegierten aufnehmen sollte, wegen
unzureichender Tiefe der Gewässer nicht unmittelbar vor La Maddalena
hätte anlegen können. Dazu fehlte es an einer überschaubaren
Unterbringungsmöglichkeit für die akkreditierte Presse. Insofern lässt
die kurzfristige Verlegung darauf schließen, dass das Vorhaben zuvor
auch hinter den Kulissen der internationalen Vorbereitung abgestimmt
worden sei könnte.

Amerikaner und Briten sollen zugestimmt
haben. Lynn Eccles, Sprecherin der Dowing Street, sagte Unterstützung
zu: "Die Entscheidung den Gipfel zu verlegen gebührt der italienischen
Verwaltung. Großbritannien wird Italien in jeder Weise unterstützen".
Die EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner begrüßte den Beschluss als
"Solidarität mit der vom Erdbeben betroffenen Bevölkerung", auch Japan
soll bereits grünes Licht gegeben haben. Auch der deutschen Regierung
blieb keine Wahl, als den Coup Berlusconis zu akzeptieren:
"Wir vertrauen darauf, dass unsere italienischen Partner die
notwendigen logistischen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Gipfel
schaffen werden." Die deutschen Delegationen sollen
im Hotel von Campo Imperatore auf dem Gran Sasso logieren, in dem
Mussolini 1943 einige Wochen festgesetzt war, bis ein deutscher
Stoßtrupp ihn befreite.

Militarisierter Katastrophenschutz in den Abruzzen

Der anlässlich des Notstands einberufene außerordentliche Ministerrat hat Franco Gabrielli zum Präfekten von L’Aquila ernannt.
Gabrielli begann seine Laufbahn bei der politischen Polizei "Digos" in
Imperia und wechselte später in die Zentrale nach Rom. Unter seiner
Verantwortung hatte die Polizei Ende 2002 eine koordinierte Aktion
gegen die Nachfolgeorganisation der "Roten Brigaden" geführt, nach der
zwei Festgenommene für den Tod von Massimo D’Antona und Marco Biagi
verantwortlich gemacht wurden. Nach der Operation wurde er zum Chef des
international operierenden Geheimdiensts "Servizio Centrale
Antiterrorismo". Vor wenigen Jahren verfasste er gemeinsam mit dem
heutigen Polizeichef Antonio Manganelli ein Handbuch für die
Ermittlungspraxis.

Indes ist die Lage in vielen Dörfern des
Erdbebengenietes äußerst kritisch. Staatliche Hilfsinitiativen kamen
spät und arbeiten unregelmäßig. Demgegenüber behaupten Vertreter der
Regierung, die Maßnahmen seien hocheffizient. Eine Handvoll Dörfer, die
dabei wie Vorzeigeprojekte des Wiederaufbaus anmuten, wird rund um die
Uhr von Medien frequentiert. Diese ausgesprochen stark mediengestützte
Pflege eines Images der Effizienz und Handlungsfähigkeit dürfte auch
mit der Politur des internationalen Ansehen Italiens in Verbindung
stehen. Das Land zählt zu den durch die Krise als bankrottgefährdet
eingestuften Staaten in Europa. Es mehren sich zudem auch international
die Stimmen, die in der Entwicklung Italiens Anzeichen von
Demokratiezersetzung sehen. Dies wird in Regierungskreisen offenbar
durchaus registriert: iI den vergangen Wochen mahnte
die italienische Regierung mehrere ausländische Zeitungen, darunter in
Frankreich und Deutschland, an, die Politik Berlusconis nicht länger
als "postfaschistisch" zu bezeichnen.

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30215/1.html