Frankreich: Wie aus einer mehrdeutigen Kurzmitteilung eine horrible Kurzgeschichte wird
[heise.de] Der Text der Kurzmitteilung lautet:
"Hast du eine Idee, wie man einen Zug zum Entgleisen bringen kann?".
Weil ein 29jähriger Franzose diese Nachricht nicht sofort bei den
Behörden meldete, verfügte der Staatsanwalt aus Abbeville (maritime
Picardie), dass der nicht vorbestrafte Mann 24 Stunden lang in
Polizeigewahrsam blieb.
Leider sind in den Zeitungsartikeln, die sich heute in Frankreich mit diesem Thema befassen, angefangen von der Lokalzeitung Courrier Picard bis zu Le Monde und dem Figaro,
wenig oder gar keine Informationen darüber zu finden, wie diese SMS
genauer einzuordnen ist, welchem Umfeld der Sender zugehört und welchen
Hintergrund die SMS hat, ob die Polizei bzw. die Staatsanwaltschaft
nicht vielleicht auch mildere Mittel anwenden hätten können. So ergibt
sich zunächst nur eine weitere, etwas bizarre Geschichte, die zeigt,
wie der Terrorismus-Verdacht aus einer mehrdeutigen Mitteilung eine
dunkle Kurzgeschichte ("Man hat mich behandelt wie einen Kriminellen,
wie einen Hund") stricken kann.
Abgeschickt hatte die SMS nach Informationen der Lokalzeitung Courrier Picard
ein Arbeitskollege, dessen Verhältnis mit dem verdächtigen jungen Mann
als "vage" gekennzeichnet wird. Abgefangen – und das ist bemerkenswert
– wurde die SMS von der Telefongesellschaft, die dem Verdächtigen ein
Ersatzhandy zur Verfügung gestellt hatte, solange sich dessen
Mobiltelefon in Reparatur befand. Das Mobilfunkunternehmen tat, was der
SMS-Empfänger unterließ: Es meldete die verdächtige Kurznachricht bei
der Staatsanwaltschaft in Abbeville, die den Mobiltelefonbesitzer
anschließend vorlud.
Laut Lokalzeitung fällt der junge Mann "aus allen Wolken", als er
vom Staatsanwalt mit dem Terrorismusverdacht konfrontiert wird und vor
allem mit der möglichen Konsequenz einer bis zu zehn Tage dauernden
Festnahme. Nach eigenen Angaben hat er in der SMS "nichts Böses
gesehen". Die Staatsanwaltschaft und Polizei allerdings schon, nämlich
den Verdacht auf einen Sabotageakt mit möglichen schweren Folgen. Für
die Ermittler gilt:
"Das Vorgehen ist für jeden gleich, egal ob das Risiko mehr oder weniger wahrscheinlich ist.
Nach den Worten des Staatsanwalts hat das Prinzip der Vorsicht bei allen Belangen, die mit Terrorismus zu tun haben, unbedingten Vorrang.
"In dieser Sache wollten wir nichts riskieren", betont der
Staatsanwalt und die Haltung ist nachvollziehbar, allerdings beruft er
sich auf eine Geschichte, die kein gutes Licht auf den Umgang der
französischen Fahndungsbehörden mit Verdächtigungen wirft: Zum Nachteil
des jungen Franzosen gereicht ihm nämlich laut Procureur eine
Affäre, die sich letzten Herbst in Frankreich zutrug, weswegen sie noch
ganz frisch im Gedächtnis ist: die "Affäre Tarnac". In ihrem
Mittelpunkt stand eine Gruppe von Menschen, die als freiheitliches
Kollektiv im Dorf Tarnac lebte und von den französischen Behörden
verdächtigt wurde, die französische Eisenbahn sabotiert zu haben. Die
(schlechte) Ironie der Geschichte: Auch diese Verdächtigen wurden
wieder freigelassen, weil die gegen sie erhobenen Vorwürfe unhaltbar waren.
Trotz der vielen aktuellen Zeitungsberichten ist derzeit noch nicht
bekannt, was die Polizei als Motiv der SMS ermittelt hat. Laut Courrier Picard wurde der Arbeitskollege ebenfalls vorgeladen.
Source: www.heise.de