Matthias Monroy, J. de St. Leu
G8-Innen- und Justizminister beraten über Terror- und Migrationsabwehr. Italien gibt den Kurs vor
Nach den G8-Ministertreffen zu Landwirtschaft und Umwelt beginnt heute in Rom das Treffen der Innen- und Justizminister unter italienischer G8-Präsidentschaft. Ausgegebene Prioritäten des diesjährigen Gipfels sind "Global Governance", "Kampf gegen den Terrorismus", "Schutz der Umwelt" und "Unterstützung für Afrika".
Das dreitägige Treffen der G8-Justiz- und Innenminister
findet unter Vorsitz von Justizminister Angelino Alfano und
Innenminister Roberto Maroni im Konferenzzentrum "Alcide De Gasperi"
statt. Eingeladen sind neben den 14 übrigen G8-Ministern auch
EU-Kommissar Jacques Barrot sowie die Innen- und Justizminister der
tschechischen Republik, die den gegenwärtigen EU-Vorsitz repräsentieren
und die Belange der EU vertreten. Aber auch ausgewählte "Experten"
dürfen am Tisch der Minister sitzen. Teilnehmen werden unter anderem
der Generalsekretär von Interpol, der Leiter der UN-Drogenbehörde (UNODC) und der Direktor des Internationalen Forschungsinstituts der Vereinten Nationen für Kriminalität und Rechtspflege (UNICRI).
Unter dem Tagesordnungspunkt "Organisierte Kriminalität" verhandeln die
G8-Minister vereinfachte Möglichkeiten des Einfrierens von Konten und
die Beschlagnahme von Vermögen. Im "Kampf gegen Terrorismus",
"Cybercrime" und Kinderpornografie im Internet soll die internationale
Kooperation gestärkt werden. Italiens Premier Berlusconi hatte bereits
mehrfach angekündigt, auf dem Gipfel gemeinsame Standards zur Kontrolle
des Internet zu forcieren. Bei der deutschen Delegation dürfte dies
angesichts der Umsetzung von Vorratsdatenspeicherung,
Onlinedurchsuchung und Internetsperren auf regen Zuspruch stoßen.
"Grenzüberschreitende Onlinedurchsuchungen" – eine Herzensangelegenheit
Schäubles – könnten dabei ebenfalls Gesprächsthema sein.
Besondere Sorge bereiten den Ministern "Probleme im
Zusammenhang mit illegaler Migration", "Menschenhandel" und die
"Integration der Einwanderer in ihren Bestimmungsländern". Auch hier
will Italien mit dem kürzlich geschlossenen Rückführungsabkommen mit
Libyen und gemeinsamen Grenzpatrouillen ab diesem Monat, die die
Migration "auf Null" reduzieren sollen, Pate stehen. Erst kürzlich
waren 300 Migranten auf dem Weg von Libyen ertrunken. Italien ist von
der UNO für seine Flüchtlingspolitik gerügt worden. Ungeachtet dessen hat der Senat kürzlich ein neues Sicherheitspaket
verabschiedet, das den "illegalen Aufenthalt" und dessen Unterstützung
unter Strafe stellt und eine Meldepflicht auch für Mediziner einführt.
Erstmals steht "Urban Security" auf der Agenda eines
G8-Treffens, gefolgt vom letzten und vermutlich ausführlichsten
Tagesordnungspunkt "Combating Terrorism". Wie jedes Jahr sollen die
gemeinsamen Anstrengungen vertieft und internationale Kooperation
gefördert werden. Auch die Verabschiedung des neuen 5-Jahresplan für
innere Sicherheit in der EU (Kritik am "Stockholm Programm") dürfte hier zum Thema werden.
Ursprünglich wollten sich die Innen- und Justizminister auf der Insel
Lampedusa treffen. Nach heftigen Aufständen Anfang des Jahres in den
Flüchtlingslagern auf der Insel wurde eilig Rom als Austragungsort gewählt.
Indirekt hatte Berlusconi die Verlegung des G8-Gipfels von der
sardinischen Insel La Maddalena ins Erdbebengebiet der Abruzzen
ebenfalls mit der Furcht vor Protesten begründet (G8-Luxusliner ankert jetzt im Erdbebengebiet).
Ein in Monza geplantes Treffen der G8-Wissenschaftsminister wurde nach
einer Großdemonstration in Turin vergangene Woche ganz abgesagt.
G8 soll "Global Consensus Group" werden
Der G8 in Italien wird die weitere Verschränkung innerer und äußerer
Sicherheit, inspiriert von der Doktrin der "Homeland Security",
befördern. Zentrale Figur ist hierbei Außenminister Franco Frattini,
bis zur Wahl Berlusconis im April 2008 EU-Kommissar für "Justiz,
Freiheit und Sicherheit" und gut befreundet mit Wolfgang Schäuble
(siehe "Quantensprünge" europäischer Sicherheitszusammenarbeit).
Als inoffizielles Motto des G8 hatte Frattini "We produce security"
ausgegeben und strebt den Ausbau der Zusammenarbeit von EU, G8 und NATO
an. Zur "Bekämpfung illegaler Migration" schlägt Frattini einen "7 Punkte-Plan" der EU vor, der einheitliche Mechanismen zur Migrationsabwehr vorsieht. Operationen auf See sollen zusammen mit Frontex
und Nicht-EU-Ländern weiterentwickelt werden, Abkommen zur EU-weiten
Aufnahme von Flüchtlingen geschlossen werden. Die Südgrenzen in Libyen
sollen weiter überwacht werden.
Frattini will ein neues Profil der G8-Treffen entwickeln. Trotz
Finanzkrise und Aufwertung der G20-Treffen soll das ursprüngliche
Format als "Kerngruppe" beibehalten werden, die nach Belieben etwa die
"G5" (Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika) einbeziehen kann.
Frattini warnt vor einer Aufweichung der G8 zu einem "fluktuierenden GX".
Die Zusammenarbeit mit dem IWF, der Weltbank, der WTO und den Vereinten
Nationen soll ausgebaut werden. Die G8 könnten damit ein Forum der
"Vorverhandlungen" darstellen und als "Global Consensus Group" (GCG)
Entscheidungsprozesse beschleunigen, erklärte im April . Sie würden damit zukünftig ein "strategisches Modell zur Unterstützung der World Governance ausüben".
"Security Governance" zum Schutz von Rohstoffketten
Einer der Schlüssel zu internationaler Kooperation im Bereich der
"Bekämpfung des Terrorismus" ist das Internationale Forschungsinstitut
der Vereinten Nationen für Kriminalität und Rechtspflege (UNICRI),
das auch am Treffen der Innen- und Justizminister teilnimmt. Das UNICRI
unterhält Arbeitsgruppen und Programme zu "Emerging Crimes and
Anti-Human Trafficking, Security Governance and Counter Terrorism
Laboratory, Justice Reform and Post-Graduate Training". Direktor des
UNICRI, das wiederum Teil der "Counter-Terrorism Implementation Task
Force" (CTITF) der Vereinten Nationen ist, ist der Italiener Sandro Calvani.
Das UNICRI arbeitet in der "Counter Terrorism Action Group" (CTAG) mit, die 2003 von den G8 in Evian ins Leben gerufen wurde (weitere Mitglieder sind Spanien, Australien und die Schweiz). Auf der letzten Sitzung der CTAG im April in Neapel
stellte Calvani das frisch gestartete "United Nations Security
Governance/ Counter-Terrorism Laboratory" vor, das zu "Security
Governance and Counter-Terrorism" forscht und "security stakeholders"
in "Public-Private Partnerships" zusammenbringen möchte. Gemeint ist
die Verschränkung von Sicherheits- und Justizbehörden,
Zivilgesellschaft, lokalen und regionalen Regierungen und des "privaten
Sektors", also der Sicherheitsindustrie. Angestrebt ist die Entwicklung
einer "nachhaltigen Plattform zum Informationsaustausch und effektiver
Politik im Bereich von Sicherheit und Terrorismusbekämpfung".
Modellprojekte waren etwa Kenia und Mexico, aber auch die Olympiade in
Peking. Das UNICRI arbeitet mit Europol zusammen und bestimmt
maßgeblich das "National Research Programme to Major Events Security in
Europe" (EU-SEC) sowie ein ähnliches Programm in Lateinamerika ("IPO Americas").
Zusammen mit dem Max-Planck-Institut gibt das UNICRI seit kurzem die Zeitschrift F3 – Freedom from Fear
heraus, das "Entscheidungsträgern" Lösungen zu "geopolitischen
Fragestellungen" in den Bereichen "Security Governance und Terrorismus"
bieten will. Finanziert wird das Blatt aus Geldern der UNO und Werbung.
Auffällig ist die Häufung von Anzeigen italienischer
sicherheitspolitischer Institute.
Eine der Arbeitsgruppen des UNICRI ist das International Permanent Observatory
(IPO) mit Sitz in Turin, das sich mit der "Sicherheit bei mayor events"
beschäftigt. Laut Selbstauskunft auf der Webseite ist das Institut in
die Sicherheitsplanungen meist politischer Großereignisse wie Gipfel
der G8, APEC, IWF und Weltbank involviert. Das IPO empfiehlt etwa
Informationsaustausch, Reisesperren für Demonstranten, Zäune, offensive
Zusammenarbeit mit Medien etc.
Die G8 unterhalten zahlreiche Arbeitsgruppen zum Thema "Terrorismusbekämpfung".
Nach einer Studie waren sogar bereits 2002 44% der Themen der G8-Gipfel
"Sicherheitsthemen", was laut der Stiftung Wissenschaft und Politik deutlich zugenommen haben soll.
Erkennbar wird dieser Fokus etwa auf dem soeben in Rom abgehaltenen Treffen der G8-Energieminister.
Ziel war das Festhalten an "stabilen Märkten auch in den Zeiten der
Krise", eine Forderung, die auch vom Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie, Karl-Theodor zu Guttenberg, geteilt wurde. Italien will "Investitionen für große Vorhaben im Energiebereich ankurbeln", erklärte
der zuständige Minister Claudio Scajola. Gemeint sind vermutlich die
umfangreichen Vorhaben für neue Kernkraftwerke. Zur Zeit des G8 2001 in
Genua war Claudio Scajola Innenminister. Nach dem blutigen Ausgang des
Gipfels wurde ihm vorgehalten, unter bestimmten Voraussetzungen den
Gebrauch von Schusswaffen freigegeben zu haben. Mit dem damaligen
Amtskollegen Otto Schily hatte sich Scajola lange Zeit für die
Einrichtung einer europäischen Aufstandsbekämpfungspolizei eingesetzt.
Scajola hält es für vordringlich, "in der Entwicklungspolitik für
Afrika die Energie zu berücksichtigen", denn "der Energie-Mangel führt
dort zu sozialer Instabilität, zu unkontrollierter Migration und zu
Epidemien".
Bereits Anfang des Jahres hatte Außenminister Frattini Länder wie Mauretanien, Senegal, Angola und Nigeria bereist,
um die Rohstoffsicherheit für Industrieländer zu stärken. Angola etwa
darf beim G8 am "Dialog" mit den "erdölkonsumierenden und
erdölproduzierenden Ländern" teilnehmen.
Im Gefolge Frattinis reisten der italienische Polizeipräsident und der
Direktor von Interpol, um die geschlossenen Verträge praktisch
umzusetzen. Im Gegenzug sollen die Länder "illegale Migration und
Drogenhandel" bekämpfen und werden mit neuen Passsystemen ausgestattet.
Die Polizei wird von italienischen Carabinieri in Aufstandsbekämpfung
ausgebildet. Diese Trainings finden in der Akademie "Center of
Excellence for Stability Police Units" (COESPU) der Europäischen Gendarmerietruppe (EUROGENDFOR)
im italienischen Vicenza statt. Die Einrichtung des COESPU wurde auf
den G8-Gipfeln 2002 und 2004 beschlossen, Zielgruppe waren explizit afrikanische Länder. Ähnliche Abkommen wurden etwa mit Ägypten geschlossen.
Nicht nur die G8 und Interpol sorgen sich um unterbrochene "Rohstoffketten" und Investorensicherheit. Erst kürzlich hatte Europol vor "Frachträubern" auch auf dem europäischen Festland gewarnt.
Als besonders gefährdet gelten etwa Polen und Rumänien. Beide Länder
sind erst vor kurzem der Europäischen Gendarmerietruppe mit Sitz im
italienischen Vicenza beigetreten. Die Europäische Gendarmerietruppe
wurde auf Initiative der früheren französischen Verteidigungsministerin
und jetzigen Innenministerin, Michèle Alliot-Marie, eingerichtet.
Deutsche Delegation strahlt Zufriedenheit aus
Zum Treffen der Justiz- und Innenminister dürfte auch ein aktualisierter Report der Roma-Lyon-Gruppe ("Best-Practices") in den G8-Staaten vorliegen. Das 2004 auf US-Initiative aus der "Roma-Gruppe" und "Lyon-Gruppe" gebildete Gremium arbeitet den G8 zu und bastelt ebenfalls am "verstärkten Austausch terrorismusrelevanter Informationen", aber auch an Flug-, Hafen- und Schifffahrtssicherheit. Beim G8 2007 gab die Gruppe auch eine Empfehlung zur Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft, darunter auch Internet Service Providern (ISP), heraus. Im Bericht zum G8-Gipfel 2008
in Japan taucht unter dem Abschnitt "Neue Bedrohungen" als erster Punkt
"Abuse of Modern Information and Communication Technology" auf .
Am Dienstag hatte eine deutsche Regierungs-Delegation L’Aquila besucht.
Man zeigte sich zufrieden über die Vorbereitungen am Austragungsort des
G8 in der hochgesicherten Schule der Finanzpolizei in Coppito bei
L’Aquila. Das deutsche Technische Hilfswerk traf auf das italienische
Pendant des Zivilschutzes, das für die Militarisierung der
Erdbebenregion heftiger Kritik ausgesetzt ist (G8-Luxusliner ankert jetzt im Erdbebengebiet).
Die "Sicherheitssysteme" des G8 für Polizei, Militär und
Katastrophenschutz werden von Selex Sistemi Integrati, einer
Gesellschaft der Finmeccanica-Gruppe, aufgesetzt.
Für das Ende des Treffens der Innen- und Justizminister am Samstag eine Großdemonstration in Rom
angekündigt. Unzählige Gruppen in Italien unterstützen den Aufruf. Der
Aufzug dürfte damit eine ähnliche Dimension haben wie eine
Demonstration von Migranten am letzten Wochenende in Mailand. Unter dem
Motto "Auf welcher Seite stehst du?" demonstrierten 15.000 gegen das
italienische Modell, innenpolitische Probleme mit Militär und Polizei
zu lösen. Auch diese Demonstration stand im Kontext des
Ministertreffens in Rom. Gestern hat sich das "Comitato Nationale per
L‘ Ordine e la Sicurezza", ein nationales Gremium für die Innere und
Äußere Sicherheit, mit der Sicherheitslage und den geplanten Protesten
beschäftigt.
"Wir wissen, wer teilnehmen wird und wer nicht", sagte Innenminister Maroni.
Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30418/1.html