Ein leises Surren aus der Höhe – dann kommt der Tod

Von Oliver Meiler.

Rund 80 Menschen sind in Pakistan durch Raketen einer Drohne umgekommen. Sie wurde von Amerika aus gesteuert. Moderner Krieg: der Versuch, durch Technik den Nahkampf zu vermeiden.

[tagesanzeiger.ch] Die internationale Abkürzung UAV (Unmanned Aerial Vehicle, unbemanntes Luftfahrzeug) bezeichnet Flugzeuge, die ferngesteuert oder autonom unterwegs sind. Die US-Armee machte 1964 erste Versuche damit, aber erst in den 90er-Jahren war die Technik reif. Seither wurden verschiedene Typen entwickelt. Der Fernaufklärer Global Hawk etwa hat die Flügelspannweite eines Airbus A320, kann 22’000 km weit und fast 20 km hoch fliegen und 36 Stunden in der Luft bleiben. Kleinere Typen mit geringeren Leistungen können auch bewaffnet werden, z.B. mit Raketen. Ganz kleine UAV-Helikopter dienen als Kameraträger über dem Gefechtsfeld, bei Strassenkämpfen oder auch im Innern von Industrieanlagen.

Entwickelt werden gegenwärtig Drohnen, die autonom im Schwarm fliegen können. Andere sollen ohne Pilot Versorgungs- und Evakuationsflüge in speziell gefährlichen Situationen ausführen. Als Beobachtungsplattform sollen auch unbemannte, sehr hoch fliegende Ballone verwendet werden. Pendants zu den unbemannten Luftfahrzeugen gibt es am Boden sowie auf und unter Wasser. Die Industrie erwartet bei solchen Robotern einen Milliardenmarkt. Ihn teilen werden sich vor allem US- und israelische Firmen.

Drohnen sind (unbewaffnet) auch bei der Schweizer Luftwaffe im Einsatz.
Es handelt sich dabei um eine gemeinsame Entwicklung der Schweizer Ruag
und der israelischen Malat. 


Im Nordwesten Pakistans trafen am Dienstagabend – wieder einmal – Bomben und Raketen, die von hochmodernen unbemannten Reaper-Drohnen abgefeuert wurden. Sie töteten laut pakistanischen Medienberichten wohl mindestens 80 Extremisten. Über die Zahl getöteter Zivilisten wurde zunächst nichts bekannt.

Ein leises Surren aus der Höhe kündigt diese Art von Tod jeweils an. Ferngesteuert werden die Drohnen entweder aus einer Zentrale der amerikanischen Luftwaffe in der Nähe von Las Vegas, im Wüstenstaat Nevada, viele Tausend Kilometer und viele Zeitzonen entfernt von den rauen Bergen Südwaziristans. Oder dann wird, so die «New York Times», der Vorgang von der CIA-Zentrale in Langley aus geleitet. Jedenfalls aber sitzt die steuernde Person am Joystick, vor dem Bildschirm mit Radarbildern der Reaper. Die Übermittlung eines Befehlssignals nach Pakistan dauert nur 1,2 Sekunden. So war es auch beim Druck auf den Knopf, der die Rakete «Hellfire», Höllenfeuer, aktiviert. Nie war ein Krieg moderner.

40 Stunden in der Luft

Bei dieser jüngsten Serie von Drohnen-Angriffen wurden so viele Menschen getötete wie wie noch nie bei einer einzelnen solchen Operation. Die meisten von ihnen hatten gemäss pakistanischen Medien gerade an der Bestattung eines getöteten Führers der Taliban teilgenommen, als wahrscheinlich dieselbe Drohne, die noch immer 8000 Meter über dem Ort kreiste, erneut zuschlug und offenbar eine ganze Reihe von Kaderleuten traf. Möglich ist das deshalb, weil eine Reaper 40 Stunden lang fliegen kann, bevor sie wieder auftanken muss. Kein Vergleich mit den viel lauteren und teureren Kampfjets, die nur kurz in der Luft bleiben können.

Das eigentliche Ziel der Attacke aber, der 35-jährige Talibanchef Baitullah Mehsud, Pakistans gefährlichster und mächtigster Islamistenführer, entging dem Bombardement. Auch er soll bei der Beerdigung anwesend gewesen sein. Mehsud sagte einmal, er profitiere von den Angriffen der Reaper und Predator, wie die kleinere Vorgängermaschine heisst, die Mitte der 90er-Jahre entwickelt worden war: Die Drohnen und ihre vielen Opfer trieben ihm viele neue Anhänger zu. Diese Art der Kriegsführung auf Distanz ist unter Stammesleuten als feige verpönt. Die Paschtunen ziehen den Nahkampf vor.

Drohnenangriffe werden geduldet

Doch die USA wollen gerade diesen möglichst vermeiden. Einerseits lässt sich durch den Einsatz unbemannter Drohnen der Blutzoll in den eigenen Reihen vermeiden. Andererseits nehmen die Amerikaner damit auf die Sensibilität der verbündeten pakistanischen Regierung Rücksicht, die ihrem Volk eine Invasion von US-Bodentruppen nur schlecht erklären könnte. Und so hat man sich zwischen Islamabad und Washington wohl auf die folgende Formel geeinigt: Die Pakistaner lassen die Drohnen-Angriffe zu, dürfen sich jedoch in der Öffentlichkeit jedes Mal darüber ereifern.

In der mittlerweile rituellen Stellungnahme heisst es nun nach jeder Attacke, die pakistanische Regierung verbiete sich jede Verletzung der nationalen Souveränität. Viel mehr als Rhetorik ist das nicht.

Die erste bewaffnete Drohne – ursprünglich ein Späherflugzeug – hatte einst George W. Bush im Jemen eingesetzt, im Winter 2002. Regelmässig kamen die Maschinen aber erst ab 2006 in Pakistans Nordwesten zum Einsatz. Seit Barack Obama in Washington an der Macht ist, haben die USA ihre unbemannte Offensive intensiviert. Sie können sich gemäss Militärexperten auf Angaben von Informanten und Agenten vor Ort stützen. Für die Lokalisierung der Ziele ist das unabdingbar.

Kommt Mullah Omar ins Visier?

Trotz dramatischer Kollateralschäden gelten die Drohnen als erfolgreiche Waffe im Kampf gegen die al-Qaida. Allein in den vergangenen Monaten soll ein Dutzend führende Kämpfer von Bin Ladens Terrornetzwerk bei Angriffen mit Reaper und Predator eliminiert worden sein. Nun sollen die Angriffe offenbar auch auf die Provinz Belutschistan ausgeweitet werden. Dort, in der Nähe der Provinzhauptstadt Quetta, wird die Führungsequipe der afghanischen Taliban vermutet. So auch Mullah Omar, der Gründer und Chef der Koranschüler. Sollte er ins Zoom der Laserkamera einer Drohne geraten, dürfte sein Schicksal gezeichnet sein – am Joystick in Las Vegas oder Langley.

Source: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Ein-leises-Surren-aus-der-Hoehe–dann-kommt-der-Tod/story/27666942