Mehr Benzin, weniger illegale Einwanderung

J. de St. Leu, Matthias Monroy

G8 und EU basteln nach "italienischem Modell" an neuer "Sicherheitsarchitektur"

[heise.de] Ende Mai trafen sich die Justiz- und Innenminister der G8-Staaten
in Rom, um eine "weltweite Kooperation" in Sicherheitsfragen
voranzutreiben (G8 strebt World Governance an).
Italien nutzt die gegenwärtige G8-Präsidentschaft, um mit dem
"italienischen Modell" die Leistung von Prozessen, Strukturen und
Techniken zu optimieren und für eine "globale Sicherheitsarchitektur"
"revolutionäre" Akzente zu setzen. Über die italienischen Gastgeber
rückt Afrika in Fragen der Migrationsabwehr in den Vordergrund.

Offizielle Tagesordnungspunkte
des G8-Ministertreffens in Rom waren Piraterie, die "italienische
Methode der Beschlagnahme von Vermögen der organisierten Kriminalität",
die Rolle der EU in der "Bekämpfung illegaler Migration", der Ausbau
eines "Kampf gegen Terrorismus" und die Erstellung einer "blacklist"
von Webseiten.

Weitere Konferenzteilnehmer waren der Vize-Präsident der EU-Kommission
und Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit Jacques Barrot, die Justiz-und Innenminister der tschechischen Republik, sowie die Leiter von Interpol, UNODC und UNICRI.
Die Delegationen von Interpol waren bereits am Tag zuvor in Rom
angekommen. Am Vorabend der offiziellen Konferenzeröffnung hatten die
italienischen Gastgeber, Innenminister Maroni und Justizminster Alfano,
zum Gala-Dinner in der Präfektur geladen.

In der Abschlusserklärung
erklärt die exklusive Runde, an der "Verteidigung" gegen sechs
"Bedrohungen" gearbeitet zu haben: "Terrorismus; grenzüberschreitende
organisierte Kriminalität; Kinderpornographie; Computerkriminalität und
IT Security; Menschenhandel und illegale Migration; Urban security".
Neben bilateralen Vereinbarungen, Empfehlungen und Arbeitsaufträgen an
Fachgruppen wurden zwei "ad hoc statements" zu Kinderpornographie und
Piraterie verabschiedet.

Empfohlen wird die zunehmende Zusammenarbeit von Geheimdiensten und die
Kontrolle von "Kommunikationsmitteln", vor allem des Internet. Die
Erklärung bekräftigt "pre-emption", also die vorauseilende Überwachung
und Kontrolle ohne erkennbare Gefährdung, als Grundlage einer neuen
Sicherheitszusammenarbeit.

Multi- und bilaterale Kooperationsvereinbarungen

Die Konferenz resultierte in 25 konkreten Kooperationsvereinbarungen, von denen allein 10 von Italien eingebracht wurden:

1. "Stärkung der Polizeikooperation im Kampf gegen Währungsfälschung

2. Verbesserung der Beschaffung und des Austauschs von Informationen und von geheimdienstlichen Erkenntnissen

3. Optimierung des Einsatzes von
Polizeikräften zur Prävention und Bekämpfung der Ausbeutung
Minderjähriger im so genannten Sextourismus

4. Vergleich der Ausbildungssysteme des
Personals der Polizei in den G8-Ländern bezüglich ihrer beruflichen
Herangehensweise an die multikulturellen Gesellschaften

5. Verbesserung der Organisation der Charterflüge für die Rückführung von illegalen Migranten

6. Potenzierung der internationalen Polizeikooperation bei Identitätskontrollen und bei der Fälschung von Ausweispapieren

7. Verbesserung der Aktivitäten zur Identifizierung von illegalen Migranten

8. Konstantes Monitoring der Anwesenheit und Aktivität von reisenden islamischen Predigern in den G8-Ländern

9. Definition und Bestimmung des
organisatorischen Rahmens der Gruppen, die mit Al Qaida in Verbindung
stehen oder von Al Qaida inspiriert sind
10. Sammlung und Analyse von
Informationen über die Videoüberwachung im Bereich der Sicherheit im
Transportwesen."

Die G8-Mitgliedstaaten wollen sich bei der Beschlagnahme von Vermögen
des "organisierten Verbrechens" ebenfalls am "italienischen Modell"
orientieren und ein Zusatzprotokollder "Konvention von Palermo" unterzeichnen.

Merkmale und Wirksamkeit des "italienischen Modells" wurden ausgiebig
am zweiten Gipfeltag präsentiert. Juristen erläuterten die Bedeutung
der Einführung einer Haftbarkeitfür juristische Personen
im Gesellschaftsrecht und der darauf begründeten Beschlagnahme von
Vermögensbeständen. Verfassungsrichter Frigo bezeichnete die Änderung
des Gesellschaftsrechts als "Reform, die im italienischen Rechtssystem
und allgemein in den Ländern der ‚Civil law‘ eine Art Revolution
dargestellt hat".

Zur "Bekämpfung von Piraterie" schlägt die
italienische Regierung vor, internationale Institutionen und Behörden
zu stärken. UNDOC-Direktor Costa sorgt sich um die "Wirtschaft und die
Sicherheit auf See" und fordert eine "homogene Antwort" auf die
Phänomene internationaler Piraterie, etwa im Golf von Aden. Polizisten
könnten an Bord von Handelsschiffen gehen, ähnlich wie "sky marshals"
in Flugzeugen. "In den vergangenen vierzehn Tagen haben wir zwei Fälle
von Piratenverhaftungen gehabt, bei denen die Täter dann von Bord
geschickt wurden, weil sie nicht wissen, wie sie mit ihnen umgehen
sollen", beklagt Costa. Er erinnerte an den Rat der UNO, Polizisten der
Küstenländer an Bord der Militärschiffe zu holen, die im indischen
Ozean operieren. Damit könnten Verhaftungen und Gerichtsverfahren nach
dem Recht des betreffenden Festlands vorgenommen werden. Der Vorschlag
stieß auf uneingeschränkte Zustimmung, einige Minister fordern zudem
die Schaffung internationaler Gerichtshöfe. Die Diskussion mündete in
die Einrichtung einer Arbeitsgruppe.

Unter dem erstmals auf einem G8-Treffen behandelten Tagesordnungspunkt
"Urban security" wurde vereinbart, zur Sicherheit von Transport- und
Rohstoffketten gemeinsame Standards zu erarbeiten und die
internationale Kooperation zu stärken. Der Auftrag wurde an die Roma/LyonGruppe,
eine Einrichtung der G8 zur "Terrorismusbekämpfung", weitergereicht.
Auch hier sollen sich die G8-Minister des Inneren und der Justiz laut
Innenminister Maroni positiv zum "italienischen Modell" geäußert haben:
Das "integrierte urban security Modell unter Mitwirkung von
Polizeikräften, Lokalbehörden und Bürgern, die zur Koordination der
Kontrolle des Territoriums ausgebildet werden können", sei laut Innenminister Maroni auf Zustimmung gestoßen.

Weitere konkrete Vereinbarungen konnte Italien während des
Gipfeltreffens auf bilateraler Ebene erzielen. Italien und die USA
haben (wie andere Länder zuvor) ein Abkommen zum Austausch von
Einträgen in DNA-Datenbanken geschlossen. Der Vertrag dient der
"Stärkung der Prävention und der ermittlerischen Tätigkeit zur
Bekämpfung der schweren Kriminalitätsformen" und soll automatisiert
erfolgen. Da es in den USA weniger Einschränkungen bei der Erhebung von
DNA-Daten gibt, dürften italienische Verfolgungsbehörden über ein
effektives neues Instrument zur Informationsgewinnung verfügen: ein
"Referenzmodell auf internationalem Niveau", wie Innenminister Maroni
in Begleitung des Polizeichefs Manganelli der Presse erklärte.

Italien und Frankreich wollen zukünftig gemeinsame Ermittlungsgruppen (JIT)
zur "Bekämpfung illegaler Migration" aufbauen. Die JIT sollen auch im
Bereich des "Drogen- und Waffenhandels" operieren, da "Menschenhandel"
die gleichen "Wege und Deckungen" nutze, was durch zahlreiche
Ermittlungsverfahren in Italien und Frankreich bewiesen sei. Weitere
Bestandteile des Kooperationsabkommens sind der "transnationale
Organhandel" sowie Familien- und Erbrecht. Ein "Austausch von
Beweismitteln" soll beschleunigt werden, hierfür eine "europäische
Amtshilfe-Kommission" eingerichtet werden. Italien sagte zu, einen
Vertreter zum Treffendes "Netzwerks der Staatsanwälte"
zu entsenden, das die Kooperation zwischen Europa und dem Mittelmeer
verbessern soll und zuletzt am 8. und 9. Juni in Marseille stattfand.

"Italienisches Modell" macht aus "Schurkenstaat" einen "starken Partner"

Zu neuen Maßnahmen der Grenzsicherung erklärten die G8-Minister, neben
"Menschenhandel" explizit die "illegale Einwanderung" stärker zu
bekämpfen, da diese zusätzlich zur Finanzkrise "den Druck auf die
Industireländer" erhöhe. Die Länder in der InternationalCivil Aviation Organization
(ICAO) sollen spätestens ab April 2010 ausschließlich maschinenlesbare
Ausweise ausstellen und baldmöglichst automatisierte Ausweiskontrollen
an Grenzen einführen, wofür auch technische Unterstützung angeboten
werden soll.

Neben neuen Instrumenten zum Aufspüren und Verfolgen von Migranten soll
die Prävention ausgebaut werden, Herkunfts- und Transitländer dabei im
Vordergrund stehen. Gemäß dem "italienischen Modell" gerät Libyen in
den Focus sicherheitspolitischer Einflussnahme in Nordafrika. Muammar
al Gaddafi, nach jahrelang intensivierter politischer und
wirtschaftlicher Kooperation zum "starken Partner" Italiens
aufgestiegen, wird als Präsident der Afrikanischen Union am dritten Tag
des G8-Gipfels im Juli teilnehmen. Längst ist nicht nur von der
Sicherung der Außengrenze Europas die Rede, sondern von der Prävention
und Bekämpfung von Migration entlang der südlichen Grenze Libyens in
der Subsahara. Italien dürfte sich die Gelegenheit nicht entgehen
lassen, im Zuge der laufenden G8-Präsidentschaft beim Gipfeltreffen in
L‘ Aquila wichtige Weichen zu stellen.

Wir werden mehr Gas und Benzin aus Libyen bekommen und weniger illegale Einwanderung.
Ministerpräsident Berlusconi

Im Freundschaftspakt mit Libyen ist die Verpflichtung Italiens
festgeschrieben, die Hälfte der Mittel für die Installierung eines
satellitengestützten Systems zur Überwachung der libyschen Südgrenze zu
stellen (und die Kontrolle der Seegrenzen, etwa mit Drohnen, gemeinsam
zu betreiben). Die zweite Hälfte der für die Jahre 2009 bis 2011 mit 300Millionen Euro
veranschlagten Kosten soll von der EU gestellt werden. Entsprechende
Forderungen wollen italienische Innen- und Außenpolitiker im Juni auf
Spitzentreffen der EU vortragen.

Auch Gaddafi selbst adressiert Forderungen an die EU, z.B. für technische Hilfe, Ausbildung, Personal und "Spezialausrüstung".

Mit Interpol weniger Internet

Einigkeit herrschte beim Treffen in Rom, die
"Kooperation zwischen social networks, Sicherheitskräften,
Ermittlungsbehörden und Providern" auszubauen.
Italiens Justizminister Alfano erklärte, dass es den Behörden vor allem
um Phänomene verschleierter Identität ("Identitätsraub") gehe. Eine
diesbezügliche Kooperationsvereinbarung wird von den USA und Kanada
angestrebt (gegen den "für die geistigen Eigentumsrechte bedrohlichen
und die Anstrengungen zur Wahrung der inneren Sicherheit
unterminierenden Identitätsraub").

Als "eines der ersten Länder" gab Kanada letzte Woche bekannt,
dass durch die Einführung neuer Technologie fortan alle Polizeibehörden
Zugriff auf die "umfassenden Datenbanken" von Interpol hätten. Erste
Einsatzgebiete wären etwa der G8-Gipfel und die olympischen Spiele
2010.

Zur "Bekämpfung des Terrorismus" soll das Internet stärker
durchleuchtet werden, da es als Hort für "Radikalisierung und
Rekrutierung" diene. Auch hier wird auf vorauseilende
Kriminalitätsbekämpfung gesetzt, die "bessere Verteidigung" sei die
Prävention: "Zu diesem Zweck müssen wir unsere Kenntnisse über
Zielgruppen und Verbreitungskanäle des gewalttätigen Extremismus
ausweiten und austauschen."

Wie z.B. in Deutschland rechtfertigen die G8-Minister
die zunehmende Kontrolle des Internet mit der Bekämpfung von
Kinderpornografie. Die G8-Delegationen wünschen sich "Antworten auf dem
neuesten technologischen Stand" im Kampf gegen "Cyberkriminalität"
sowie den Aufbau einer internationalen Praxis des
Informationsaustausches. Mittelfristig soll hierfür unter Leitung von
Interpol und UNODC eine Arbeitsgruppe eingerichtet werden, die "G8
blacklists" zur Sperrung von Webseiten ausarbeiten und umsetzen soll.

Zeitgleich, unweit des Ministertreffens in Rom, fand in San Marino die
38. Europäische Regionalkonferenz von Interpol statt, wo die
G8-Vorschläge sofort in konkrete Arbeitsaufträge übersetzt wurden.
BKA-Präsident Ziercke setzte – wiein Deutschland
– die "Intensivierung des weltweiten Kampfes gegen Kinderpornografie"
auf die Agenda. Heraus kam eine besorgniserregende Erklärung:

Basierend auf Zulieferungen aller
Interpol-Mitgliedsstaaten wird die Erstellung einer globalen Liste mit
zu sperrenden Internet-Adressen (URL) durch das
Interpol-Generalsekretariat in Lyon angeregt. Im Rahmen der 78.
Generalversammlung der IKPO-Interpol im Oktober 2009 in Singapur soll
die Gesamtthematik zwischen allen Interpol-Mitgliedsstaaten erörtert
werden.

Interpol

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30527/1.html