Ein nicht sonderlich niedlicher Igel, auf französisch "Herisson",
soll im Auftrag der französischen Armee künftig dazu fähig sein, das
Internet und sämtliche Medien zu überwachen
[heise.de] Das Projekt HERISSON (Habile Extraction du Renseignement d’Intérêt
Stratégique à partir de Sources Ouvertes Numérisées ) soll in 3 Jahren
einsatzfähig sein, und wurde vom Rüstungsgsausschussdes Verteidigungsministeriums beim Flugzeugbauer und Verteidigungsspezialisten EADS
Ende letzten Jahres in Auftrag gegeben. Es geht darum, Informationen
von strategischem Interesse aus den zahlreichen Kommunikationskanälen
herauszufiltern. Böse Zungen behauten, dass der Umstand, dass
Frankreich kürzlich wieder Voll-NATO-Mitglied geworden ist (Die NATO, trojanisches Pferd der Amerikaner?), etwas mit der Schaffung dieses neuen Abhörnetzwerkes zu tun haben könnte.
Während seiner Präsidentschaftskampagne hatte Barack Obama eindrücklich
vor möglichen Cyberattacken durch ausländische Mächte gewarnt, die er
als eben so gefährlich eingestufte, wie "die nukleare oder biologische
Bedrohung". Jenseits des Atlantiks, bei den wackeren Galliern, steht
man dem großen, hassgeliebten Bruder in Sachen elektronischer
Überwachung und Kontrolle natürlich in nichts nach: So hatte die
Superdatenbank EDVIGE im Oktober letzten Jahres ob der drohenden
Datenerfassung von Millionen von Franzosen für einige Aufregung bei den
Bürgern gesorgt (Adieu Datenbank Edvige! Adieu?).
EDVIGE ist zwar daraufhin umgetauft (EDVIRSP) und etwas entschärft
worden, vor allem was die Datenerfassung zu den sexuellen Neigungen und
gesundheitliche Informationen anlangt, ist aber nach wie vor dafür
vorgesehen personenbezogene Daten zu erfassen.
Das Gesetz, das Internetsperren
für Filesharer vorsieht, ist zwar kürzlich vom Verfassungsrat in die
Schranken gewiesen worden, doch die Regierung lässt nicht locker, und
verschärft sogar noch den Strafenkatalog. Der neue Kulturminister,
Frederic Mitterand, von Präsident Sarkozy wohl wegen seines berühmten
Namens mit an Bord geholt worden, spricht sogar davon, gegen die
"Rowdys des Internets" strafrechtlich vorzugehen.
Ud nun soll also im Auftrag der Armee ein Igel den blau-weiß-roten Cyberspace überwachen. Das Projekt HERRISSON soll künftig sämtliche Daten und Fakten,
die am Netz, aber auch in klassischen Medien wie Zeitungen, TV, Radio
und Telefon zirkulieren, katalogisieren und analysieren. Online sollen
Zeitungen, Blogs, Foren, Suchmaschinen und soziale Netzwerke erfasst
werden können. Auch IRC-chats, Mailinglists, Newsgroups, Foren,
Podcasts und P2P-Systeme interessieren den neugierigen Igel. Das
niedliche Tierchen soll jeder Präsentationsform von Inhalten am Netz,
ob nun Video, Audio, Text oder Bild gewachsen sein, und sämtliche
Protokolle (POP3, FTP, usw.) und Sprachen (HTML, PHP, ASP…)
beherrschen.
Nur ein harmloser Prototyp?
Ein Sprecher des Rüstungsausschusses DGA, der für die Versuche und Auswertungen der Abwehrsysteme zuständig ist, erklärte,
dass HERISSON vorerst nichts weiter als ein Prototyp sei. Ein
technologisches Versuchsobjekt, das dazu benutzt werden soll, die am
Markt verfügbare Software, auch die freie, zu erkunden und zu testen,
um zu sehen, ob diese Programme stabil genug für ein künftiges
militärisches Überwachungsprogramm sind. Keinesfalls solle in die
Privatsphäre von Usern eingedrungen werden.
Die Daten, die vom militärischen Igel aufgespürt werden sollen, würden
keine persönlichen Informationen enthalten. Zudem soll HERRISSON, wie
schon diese Abkürzung besage, nur frei Zugängliches aufspüren.
Sogenannte Open-Source-Inhalte, wie der Sprecher des
Verteidigungsministeriums versichert. Aber auch das "unsichtbare Netz",
also Seiten, die kaum oder gar nicht von den Suchmaschinen erfasst
werden, sollen vom Igel aufgespürt werden können:
Es hat nichts mit Echelon zu tun, wie ich hie und da
lesen konnte. Der Umstand, dass Informationen auf POP3
(Messageprotokoll) gesucht werden sollen, ist nicht dazu gedacht, die
Mails der Leute auszuspionieren. Es geht uns darum, uns auf
Mailinglists einschreiben zu können, die POP3 benötigen. Was P2P
anbelangt, geht es nicht darum zu erfahren, wer was downloadet, sondern
welche Informationen auf emule heruntergeladen werden können, wie z.B.
ein Al-Qaida-Video. (…) Aber es werden keine Datenbanken erstellt.
Derweilen ginge es einzig und allein darum, die verfügbare Software auf
ihre militärische Tauglichkeit zu prüfen. In drei Jahren allerdings
könnte HERRISSON ein operationelles System werden, wie dieser
Armeesprecher stur weiterhin die Möglichkeitsform anwendet. Aber auch
da solle nach wie vor nur Open-Source-Material den Igel füttern. Daher
sei auch das werdende Überwachungsprogramm der Armee nicht als
Militärgeheimnis eingestuft worden.
Laut Le Monde
soll diese Supersuchmaschine der französischen Armee dazu imstande
sein, Autoren von Daten oder Kommunikationen aufzuspüren und zu
identifizieren. Die Datenschutzkommission CNIL
ist allerdings von den Militärs gar nicht erst konsultiert worden,
handle es sich doch vorerst bloß um einen Prototypen. HERISSON soll im
Pariser Expertisenzentrum (CEP) von Arcueil untergebracht werden.
Frenchelon
Das künftige militärische Überwachungsprogramm soll angeblich nicht in
das französische Echelon, von den Angelsachsen griffig Frenchelon
getauft, integriert werden. Wie denn auch, existiert dieses offiziell
doch gar nicht (siehe zu Echelon das TelepolisSpecial). Allerdings soll 1998 ein Offizier der DST, einem Nachrichtendienst des Innenministeriums, der 2008 zum DCRI (Direction centrale du renseignement intérieur) wurde, einigen Journalisten gegenüber Folgendes erklärt haben:
Wir stehen den Amerikanern in Nichts nach. Wir haben ein
System in Frankreich, das Echelon entspricht. Dieses verfügt über eine
Abhörstation in der Pariser Umgebung, die mit Hilfe semantischer
Analysemotoren die Informationen aussiebt.
Ebenfalls 1998, dem Jahr also in dem die ersten offiziellen Berichte
des Europäischen Parlaments begannen, das amerikanische Abhörsystem
offen zu hinterfragen, soll ein französischer Spion von einem geheimen
Krieg gesprochen haben, der zwischen den Franzosen und den Amerikanern
vor sich gehe, bei dem es gelte, in Sachen Nachrichtentechnologie
wettbewerbsfähig zu bleiben.
Frenchelon soll von 2 Geheimdiensten, dem DGSE (Direction générale de la sécurité éxterieure), zuständig für die äußere Sicherheit, und dem Militärgeheimdienst DRM,
auf die Beine gestellt worden sein, und über 15 Abhörstationen
verfügen. Wobei die französischen Exkolonien es praktischerweise
erlauben, die elektronischen Lauscher rund um den Globus aufzusperren,
wie z.B. auf den französischen Antillen, Réunion, Djibuti und Mayotte
(indischer Ozean). Auch die Kouroubasis in französisch Guayana, von der
aus die Arianeraketen starten, soll mit einer solchen Abhörinstallation
ausgestattet sein, die speziell auf die amerikanischen und
südamerikanischen Satellitenkommunikationen ausgerichtet sein soll.
Doch Frenchelon bleibt laut dem "Le Monde"-Journalisten Jean-Marc Manach,
ein quasi unerforschtes Territorium in der geheimnisumwitterten Welt
der Nachrichtendienste, und hätte bislang nur eine Handvoll Artikel
gezeitigt. Und das obwohl schon mehrere parlamentarische Berichte die
Existenz dieses Abhörnetzwerkes kleinlaut erwähnt haben sollen. 2004
wurde erstaunlicherweise das französische Fernsehen dazu ermächtigt,
eine Reportage auf der militärischen Abhörbasis in Domme, einem kleinen
Städtchen im Südwesten Frankreichs, zu drehen. Wobei sich die Armee
damals öffentlich mit ihren neuesten Errungenschaften brüstete: Dem
Nachrichtensatelliten Helios2A, der es ermöglichen soll, "einen Panzer von einem Traktor" zu unterscheiden. Gemeinsam mit den Mikrosatelliten Essaim
(Schwarm), die eine Karte aller Sender erstellen sollen, sollen diese
Technologien integraler Bestandteil des Echelon made in France sein.
Ob sich nun ein "harmlose" Igel, der doch bloß frei verfügbare Daten
klaubt, zu diesem "nicht existierenden" Abhörnetzwerk dazugesellt oder
nicht, eines steht jedenfalls fest: Dem nicht eingeweihten Bürger und
Steuerzahler bleibt bloß noch die bange Frage, ob es die Militär- oder
Industriespionage oder die zunehmende Überwachung durch die Behörden
(EDVIGE, CHRISTINA HADOPI, usw.) sind, die seine persönlichen
Freiheiten am Meisten gefährden. Dies alles im Namen der Sicherheit,
die laut Präsident Sarkozy, die "erste aller Freiheiten" ist.