Undurchsichtige Sammelwut

Interview mit Stefan Schrage
 

Für
StrafverteidigerInnen ist es oft nicht einfach, die technischen
Grundlagen der DNA-Analyse zu durchschauen. Auch die Sinnhaftigkeit
dieser Ermittlungsmethode erscheint oft zweifelhaft.

[gen-ethisches-netzwerk.de] Herr Schrage, Sie vertreten derzeit einen Beschuldigten in einem 129-Verfahren. Grund der Angeklagte ist eine antimilitaristische Aktion, nämlich eine versuchte Brandstiftung an Bundeswehrlastwagen im Sommer 2007 und zudem die Mitgliedschaft in der „militanten gruppe“ – kurz mg.1 Es gab während der Ermittlungsverfahren eine Demonstration, als Beschuldigte eine DNA-Probe abgeben mussten. Motto: „Da bleibt mir die Spucke weg“. Wie wichtig sind DNA-Spuren in diesem Verfahren?

Generell wurde jedwede Art von Gutachten, die denkbar ist, auch gemacht. Ein Beispiel – etwas abseits der DNA-Analyse: Man hat von dem Zaun, der das Gelände mit den Bundeswehrautos umgab, an der vermutlichen Überstiegstelle Faserproben genommen. Das Bundeskriminalamt (BKA) wollte insgesamt mehr als 90 Fasern von der Kriminaltechnik untersuchen lassen, um festzustellen, ob sie mit der Kleidung, die die Angeklagten bei der Festnahme getragen hatten, identisch waren. Der Kriminaltechniker hielt dieses Ansinnen allerdings für höchstgradig absurd, da die mutmaßlichen Täter alle blaue Jeans getragen hatten. Es gab zwar acht Faserspuren, die indigoblau gefärbte Baumwolle aufwiesen, aber auch die Untersuchung dieser acht Spuren machte keinen Sinn, da Baumwolle indigoblau auf der ganzen Welt – sozusagen globalisiert – gleich ist. Er packte dann alle über 90 Proben wieder in den Karton und schickte sie zurück. Das ist ein typisches Beispiel für die Sinnhaftigkeit vieler Gutachten.

Aber ist das bei DNA-Proben nicht anders?

Tatsächlich wurde auch alles nach DNA-Spuren untersucht, was nur irgendwie ging. Das BKA beschlagnahmte zum Beispiel ein Auto, das nicht das mutmaßliche Tatauto war, sondern einfach nur einem der Beschuldigten gehörte, und dessen Vorbesitzer ein Hundehalter war. Nach der DNA-Analyse einer Unzahl von Haarproben, die sich als Hundehaare herausstellten, wurde festgestellt: In diesem Auto saß ein Hund. Da das Auto überhaupt nicht am Tatort gewesen war, ging es nur darum zu schauen, wer alles in diesem Auto gesessen hatte und ob es einen Treffer in der DNA-Datenbank geben würde. Aber es fragt sich doch: Wo ist die konkrete Relevanz für das Strafverfahren?

Steckt dahinter nicht das Interesse, möglichst viele Profile für die Datenbank zu sammeln?

Selbstverständlich gibt es ein Interesse an der Ausweitung der Datenbank. Aber das ist nicht alles: Es ist vergleichbar mit der Atombombe, die getestet wurde, weil sie fertig war. Alle Untersuchungen werden eben gemacht, weil sie technisch möglich sind – und nicht immer, weil sie Sinn machen. Der Hype der DNA-Analysen in der Strafverfolgung ist meines Erachtens sowieso mit Vorsicht zu genießen: Es gibt zwar diese Angaben, dass in der Vergangenheit einige tausend Verfahren mit der DNA-Analyse aufgeklärt wurden – als plakative Werbung. Offen bleibt aber die Frage: Hätten die genannten Taten nicht auch ohne DNA-Analyse aufgeklärt werden können? Denn meistens soll die DNA-Analyse – so sieht man das auch in dem mg-Verfahren – nur dazu dienen, andere Beweisergebnisse abzurunden. Schließlich gibt es ja sehr viele Unsicherheiten – angefangen damit, dass man nicht weiß, wie ein Haar an einen Tatort gekommen ist oder ob die betreffende Mütze nicht vorher jemandem gestohlen worden ist.
Dennoch ist im Jahr 2005 die DNA-Analyse durch eine Gesetzesreform in Deutschland auf geringe Straftaten ausgeweitet worden…

Ja, wenn man den Katalog anschaut, nach welchen Straftaten DNA entnommen werden darf, so ist darin inzwischen fast alles enthalten – außer Straftaten wie Beleidigung, bei denen die Strafandrohungen sehr niedrig sind.

Aber im reformierten Paragraphen 81 der Strafprozessordnung wird für eine DNA-Abnahme doch die Bedingung genannt, dass es sich um Wiederholungstaten handeln muss?

Die Voraussetzung zur zwangsweisen Abgabe einer DNA-Probe ist eine Prognose, die ein Richter stellen kann – allerdings ohne zusätzliches Gutachten. Er muss erklären, dass von dieser Person noch weitere Straftaten mittlerer Güte zu erwarten sind. Um die Datenbanken zu füttern, gab es in den letzten Jahren einen Boom der nachträglichen Datenerhebung. Die Ermittlungsbehörden haben von allen Verurteilten mit einer solchen Prognose DNA-Proben gesammelt, entweder im Gefängnis oder auch noch Jahre später. Mittlerweile haben diese Aktivitäten nachgelassen, da alle Personen, derer man habhaft werden konnte, sozusagen abgearbeitet sind. Personen aus der Staatsanwaltschaft, haben mir aber in den letzten Jahren erzählt, dass sie nur noch damit beschäftigt waren, alte Akten aus dem Speicher zu holen, um die Anträge zur nachträglichen Entnahme von DNA zu bearbeiten.

Ist es nicht sowieso schwierig, als Jurist die technischen Abläufe und die Aussagekraft von DNA-Tests zu verstehen?

Ich behaupte, dass selbst ein Biologiestudium nicht ausreicht, um die derzeitige Technik überprüfen zu können. Vor einigen Jahren habe ich im Rahmen des so genannten K.O.M.I.T.E.E-Verfahrens2 angefangen, mich genauer mit der DNA-Analyse zu beschäftigen. Es gab damals drei Personen, die erst nachträglich zu Beschuldigten erklärt worden waren. Sie sollten zur DNA-Analyse, weil ihre DNA mit den Profilen an einem Zigarettenstummel verglichen werden sollte, der am Tatort gefunden worden war. Ich habe damals einen Kriminaltechniker am rechtsmedizinischen Institut in Münster genauer über die technischen Abläufe befragt. Er erklärte mir nebenbei, dass die industriellen Werkstücke, die Analyseroboter, die damals auf dem Markt waren, automatisch eine Geschlechtsbestimmung der DNA-Probe vornähmen, obwohl diese damals noch verboten war. Erst nachträglich könnten sie den Schnipsel mit dieser Information vom Ergebnisprotokoll abschneiden und vernichten. Mit dieser Begründung haben wir Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht gestellt, um diese Analyse für illegal zu erklären. Wir haben dieses Verfahren auch tatsächlich gewonnen. Kurz darauf wurde das Verbot der Geschlechtsbestimmung jedoch gesetzlich aufgehoben. Was ich aber zeigen will: Es ist unmöglich, die im Einsatz befindlichen Analyse-Technologien wirklich zu kontrollieren. Niemand außer den Kriminaltechnikern hat davon Ahnung.

Es scheint auch oft unklar zu sein, von welchen Personengruppen die Ermittlungsbehörden präventiv DNA-Profile sammeln. Zwei Nachrichten aus der letzten Zeit: Bei einer Demonstration von Graffiti-Sprayern sollen DNA-Proben der Demonstranten gesammelt worden sein – und während der Weltmeisterschaft gab es die Diskussionen um den Aufbau einer Hooligan-DNA-Datenbank.

Tatsächlich haben Polizeibeamte während einer Graffiti-Demonstration 2006 Zigarettenstummel und Flaschen gesammelt. Was die Hooligans angeht – diejenigen, die als Kategorie C eingestuft waren, durften damals während der Weltmeisterschaft über Wochen noch nicht einmal die Berliner Innenstadt betreten. Für eine gruppenspezifische DNA-Datenbank müsste es eine gesetzlich vorgeschriebene und öffentlich nachvollziehbare Errichtungsanordnung geben. Allerdings: Zu viel Vertrauen sollte man in die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Datenspeicherung nicht setzen. So gab es zum Beispiel eine Göttinger Hausbesetzerdatei, die 1981 angelegt und 1985 angeblich gelöscht wurde. Zehn Jahre danach tauchte die komplette Datei wieder auf. Es gibt keine Sicherheit, dass einmal erhobene Daten tatsächlich gelöscht werden. Daher finde ich es immer besser, wenn die Daten erst gar nicht erhoben werden.

Derzeit fordert GeneWatch in Großbritannien in einer Kampagne, dass die Daten von Unschuldigen nicht gespeichert werden sollten (siehe Artikel „Stand up for your rights“ von Helen Wallace in diesem Heft). Ein Argument ist, dass nicht mehr Taten aufgeklärt werden, wenn der Personenkreis für zu speichernde DNA-Profile permanent erweitert wird. Was halten Sie von einer solchen Forderung bezogen auf den deutschen Kontext?

Die Gefahr solcher Kampagnen ist die Schere im Kopf. Bei so genannten Kriminellen soll die Datenspeicherung also erlaubt sein. Dahinter steckt die Idee, man könne ein geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben mit polizeilichen Mitteln erreichen. Das ist aber sinnlos – nur ein gesellschaftlicher Konsens über die Regeln, unter denen wir zusammenleben wollen, kann das erreichen.
Sie halten es also für problematisch, den Datenschutz nur für bestimmte Gruppen einzufordern?
Ja. Solche Forderungen suggerieren, das es eine klare Zweiteilung zwischen der kriminellen Masse und den anderen gibt, die nie kriminell werden. Das kann sich aber gelegentlich auch in die ein oder anderen Richtung verschieben, je nachdem, wie die Bedingungen sind, unter denen die Einzelnen leben.

Das Interview führte Susanne Schultz

Source: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/191/undurchsichtige-sammelwut