Frankreich: Militär koordiniert Grippebekämpfung

Fabian Kröger

Im Verteidigungsministerium werden neben Plänen zur Abwehr von
Wirtschaftsspionage, Terrorismus oder Cyberwar auch solche für die
Bekämpfung der Grippepandemie ausgearbeitet

[heise.de] Wer das Hôpital Foch in Suresnes nahe Paris (Hauts-de-Seine) betritt, dem stechen als erstes die großen orangefarbenen Plakate
ins Auge, mit denen das Gesundheitsministerium der Bevölkerung
Verhaltensmaßnahmen einimpfen will, die der neuen Grippe A/H1N1
vorbeugen sollen. Wer der Krankheit entkommen will, soll sich
regelmäßig die Hände waschen, zum Niesen ein Taschentuch benutzen und
den Arzt anrufen, wenn er erste Anzeichen einer Infektion bemerkt.  

In dem Krankenhaus hatten sich Ende Juli zwei Mitarbeiter des medizinischen Personals mit dem H1N1-Virus infiziert.
Zwanzig Patienten, bei denen das Risiko einer Infektion bestand, wurden
in Quarantäne gesteckt’und mit dem antiviralen Medikament Tamiflu
behandelt. Zudem wurde ein Krisenstab eingerichtet, der das leitende
Personal jeden Tag um 15 Uhr zu einer Lagebesprechung zusammenrief.
Alle Mitarbeiter der betroffenen Lungenheilkundeabteilung mussten
Masken tragen. Wer Grippesymptome zeigte, wurde sofort untersucht und
zu Hause isoliert. Nach 11 Tagen wurden die Sicherheitsmaßnahmen wieder
aufgehoben.

Schon seit Januar war das Personal mit Notfallübungen
auf solch ein Ereignis vorbereitet worden. Viele Ärzte zeigten sich
aber verunsichert über die Art und Weise, wie die Regierung die
Kontrolle über die Maßnahmen übernahm. Bisher war unbekannt, in welchem
Ausmaß die Bekämpfung der H1N1-Grippe in Frankreich von der Armee
koordiniert wird.

Die Militarisierung der Grippebekämpfung

"Letztlich folgen wir den Anweisungen des Militärs", berichtet eine
Mitarbeiterin des Krankenhauses gegenüber Telepolis. Man bekomme den
Eindruck, mitten im Krieg zu sein. Ganz falsch ist das nicht: Denn der
nationale Präventions- und Kampfplan gegen die Grippepandemie (Plan national de prévention et de lutte "Pandémie grippale") wurde vom französischen Militär ausgearbeitet.

Verantwortlich zeichnet das Secrétariat général de la défense nationale
(SGDN), eine beim Premierminister angesiedelte Einrichtung, die lange
Zeit die Arbeit der Geheimdienste koordinierte. Dieses Sekretariat
befasst sich mit der Ausarbeitung von Krisenplänen der Regierung und
berät sie in Verteidigungsangelegenheiten. So erstellte das SGDN zum
Beispiel den nationalen Antiterrorismusplan Vigipirate. Außerdem ist es in die Abwehr von Wirtschaftspionage und Cyberwar-Angriffen sowie die Kontrolle des Waffenhandels eingebunden.

Ab Oktober 2004 arbeite das SGDN auch am ersten Plan zur Bekämpfung des
Vogelgrippe-Virus H5N1. Dieser Plan wurde immer weiter ausgebaut – und
wird nun auf das Schweinegrippevirus H1N1 angewandt. Dabei wird völlig
unterschlagen, dass die H1N1-Grippe ganz anders beschaffen ist, als die
Vogelgrippe: Während die nun virulente Schweinegrippe sehr ansteckend
zu sein scheint, aber nur in den seltensten Fällen zum Tode führt, ist
die Vogelgrippe kaum ansteckend, verläuft aber in 60 Prozent der Fälle
tödlich. Die in dem Plan aufgeführten Maßnahmen scheinen dem aktuellen
Risiko also völlig unangemessen zu sein.

Im nationalen Präventions- und Kampfplan gegen die
Grippepandemie ist festgelegt, welche Maßnahmen in jeder der sechs
Epidemie-Phasen durchgeführt werden müssen. Die Regierung hatte
angekündigt, dass Frankreich zur "rentrée" im September – wenn die
Urlauber aus den Sommerferien zurückkehren – von dem derzeitigen Niveau
5A (Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch im Ausland) auf die
maximale Alarmstufe 6 springen könnte (Übertragung des Virus von Mensch
zu Mensch in Frankreich), was unter anderem die Schließung öffentlicher
Einrichtungen und Verkehrsmittel, Einschränkungen im Flugverkehr und
medizinische Kontrollen an den Grenzen bedeuten würde. Außerdem wird
das Land in Verteidigungszonen eingeteilt und jedem Präfekten ein
Armeeoffizier zur Seite gestellt.

Das Militär soll dann auch direkt zum Einsatz kommen.
So sollen unter anderem Reservisten einberufen werden, um den Einsatz
der Armee im Inneren zu gewährleisten. Das Militär soll den Zugang zu
Krisenzentren und Verteidigungseinrichtungen einschränken und
Gesundheitskontrollen durchführen. Außerdem sollen Soldaten bei der
Verteilung von Hilfsgütern eingesetzt werden.

Zwangsimpfungen im Herbst?

Im Zusammenhang mit einer anderen möglichen Maßnahme weckt die tragende Rolle des Militärs Unbehagen: Ende Mai berichtete das Journal du Dimanche,
die Regierung erwäge die Zwangsimpfung der gesamten französischen
Bevölkerung, sollte sich das Virus im Herbst massiv verbreiten.

"Niemand hätte das Recht, sich einer Impfung zu verweigern – außer im
Falle einer medizinischen Indikation" sagt Anne Laude vom Institut
droit et santé der Universität Paris-V-Descartes. Zwangsverabreichungen
von Impfdosen sind vor allem deshalb fragwürdig, weil sie tief in die
Persönlichkeitsrechte eingreifen. Zudem sind die Nebenwirkungen der
Impfungen oft nicht abschätzbar, eine "medizinische Indikation" ist
also bei niemandem auszuschließen. Damit sind solche Impfungen de facto
Menschenexperimente in großem Stil. Überdies nützen die bereits von der
Regierung bestellten Impfstoffe überhaupt nichts, wenn das Virus sich
durch Mutationen verändern sollte. Hinzu kommen die hohen Impfkosten
von bis zu einer Milliarde Euro.

Katastrophenszenarien versetzen die Gesellschaft in einen Schockzustand

Zwar ist bisher nicht entschieden, ob die Regierung
diesen drastischen Schritt gehen wird und wie diese Zwangsimpfungen
umgesetzt werden sollen. Dennoch stellt sich die Frage, welche Rolle
dem Militär bei solchen Zwangsmaßnahmen zukommen könnte. Unter
Umständen könnte sich das umgekehrte Szenario abspielen wie in dem Film
Outbreak (1995) von Wolfgang Petersen, wo das Militär gewaltsam
versucht, die Verabreichung eines Antiserums gegen einen Biokampfstoff
zu verhindern.

In jedem Fall sind diese Vorschläge ein gutes
Beispiel für die These der Globalisierungskritikerin Naomi Klein, die
von einem Schock-Zustand spricht, in den moderne Gesellschaften – hier
etwa durch die Grippeangst – versetzt werden, um dann drastische
Maßnahmen durchzuziehen, die unter normalen Umständen nie akzeptiert
worden wären. So könnte die Ausrufung einer Pandemie dazu führen, dass
die Bevölkerung Einschränkungen der Freiheit und Eingriffe in
Persönlichkeitsrechte klagloser akzeptiert. Denkbar wäre auch, dass die
klare Trennung zwischen zivil angeforderter Amtshilfe und der Übernahme
hoheitlicher Funktionen durch das Militär im Pandemiefall nicht mehr
aufrecht erhalten wird.

Die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit verschwimmen schon
heute: Die Einwohner der französischen Hauptstadt sind es bereits
gewohnt, im Alltag patrouillierenden Militärs zu begegnen. So laufen
einem an strategischen Punkten der Pariser Metro zu jeder Tageszeit
ganze Gruppen nervöser Soldaten über den Weg, den Finger am Abzug ihrer
FA-MAS-Sturmgewehre. Dabei ist klar, dass diese Militärpräsenz kein
Attentat verhindern wird. Diese Simulation von Sicherheit bewirkt eher
das Gegenteil: Die Fahrgäste fühlen sich ständig daran erinnert,
Zielscheiben zu sein.

Ähnlich funktioniert die präventive Militarisierung
im Fall der Grippebekämpfung. "Heute stehen wir schon im Bann der
Seuche, bevor sie bei uns angekommen ist", gibt
die Historikerin Silvia Berger zu Bedenken. Vor allem durch ihre
Bekämpfung wird ein politisch ausbeutbarer Bedrohungszustand erzeugt.
Die französische Regierung habe mit ihren Maßnahmen vor allem für Angst
in der Bevölkerung gesorgt, kritisierte
auch Professor Bernard Debré vom Nationalen Ethik-Komitee. Die durch
den H1N1-Virus ausgelöste Krankheit bezeichnete er als ein "Grippchen",
das weniger gefährlich sei als die normale Saisongrippe.

Source: http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30888/1.html