Fliegende Augen, hüpfende Nasen, krabbelnde Ohren


Die Schlachten von morgen werden mit Drohnen und Robotern geschlagen. Die US-Airforce spielt in einer Studie bereits mit dem Gedanken, künftig ganz auf Piloten zu verzichten. Neben großen, waffentragenden Flugkörpern spielen Mikrodrohnen und insektenähnliche Roboter in den Visionen der Militärs eine tragende Rolle. Den Maschinen wird auch im zivilen Bereich eine große Zukunft prognostiziert. Kritiker warnen allerdings vor einer lückenlosen Überwachung.

[vdi-nachrichten.de] Schwer bewaffnete Soldaten pirschen sich an ein dunkles Anwesen heran. Terroristen sollen sich hier verstecken. Ein Kämpfer in vorderster Front setzt lautlos ein kleines Kettengefährt auf den Sand. Der Roboter setzt sich sofort in Bewegung. Selbst eine Steintreppe kann ihn nicht stoppen. Vor seinem Ziel fährt er einen rundum schwenkbaren Sensorkopf mit Nachtsichtkameras aus. Vorne öffnet sich zeitgleich eine Klappe. Heraus fliegt ein Schwarm künstlicher Insekten. Die winzigen Maschinen entfleuchen zielstrebig in die Dunkelheit…

Das Werbevideo für das Future-Combat-Systems (FCS-)Programm der US-Army nimmt die Perspektive der Soldaten ein. Dank ihrer intelligenten Helfer sind sie stets über die Geschehnisse im Haus und der näheren Umgebung informiert. Sie wissen genau, wo der Feind steht. Zugleich sehen sie, in welchen Zimmern Zivilisten sind.

Unwillkürlich stellt sich beim Zuschauer Faszination für das Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Mikrosensoren ein. Realität ist das Szenario bislang aber nicht. Es ist blanke Theorie, dass unbemannte Systeme selektiv töten können. Die Praxis sieht völlig anders aus: als eine US-Drohne kürzlich in Pakistan auf Baitullah Mehsud abzielte, war zunächst unklar, ob der Taliban-Führer überhaupt zu den Opfern des Angriffs zählte. Offiziell heißt es inzwischen, dass die abgefeuerte Rakete den US-Staatsfeind liquidiert hat – und zusätzlich eine seiner Ehefrauen, einen Schwager und sieben Leibwächter.

Gut gerüstete Streitkräfte nutzen heute vor allem Spionage- und Aufklärungsdrohnen, die tagelang in der Luft bleiben und Bilder aus dem Feindesland liefern können. Aktuell kreisen US-Drohnen vor der somalischen Küste, um Piraten aufzuspüren. Ein Job, der für echte Piloten zu langweilig wäre. Wo immer es für echte Soldaten zu dirty, dangerous or dull (schmutzig, gefährlich oder eintönig) wird, sattelt die US-Armee im Zuge des FCS-Programms auf Roboter und Drohnen um. Ihre gesammelten Informationen sollen sie einspeisen ins "Global Information Grid" – einem Breitband-IT-Netzwerk, das für jeden US-Soldaten und jede Einheit jederzeit und überall auf der Welt verfügbar sein soll.

Die Rechnerstruktur sieht vor, umkämpfte Regionen mit dichten Netzen aus stationären und mobilen Sensoren zu überziehen – und so beispielsweise über optische, akustische, seismische oder magnetische Systeme umfassende Aufklärung zu betreiben. Eine Herausforderung wird es sein, die Unmengen von Daten auszuwerten, die Drohnen, Roboter und andere Systeme sammeln.

Die US-Airforce geht trotzdem schon einen Schritt weiter. Im Juli stellte sie eine Studie vor, wonach sie bis 2050 ganz auf Piloten verzichten könnte. Statt dessen wollen die Militärs Drohnen in allen Größen einsetzen. Noch reicht die Palette vom Propeller-Modellflugzeug mit 2 m Spannweite bis hin zum 60 m breiten Düsenjet.

Doch aus Hochschullabors und Forschungszentren ist eine neue Generationen von Drohnen im Anflug. Sie sind vergleichsweise winzig und billig. Sie sollen künftig zu Hunderten ausschwärmen und mit allerlei Sensoren Informationen sammeln.

Forscher des Harvard Microrobotics Labs lassen beispielsweise 60 mg leichte Roboterfliegen kreisen. Im Laboratory of Intelligent Systems der Polytechnischen Hochschule Lausanne heben derweil 10 g leichte, autonom fliegende Mikroflugzeuge ab. Im selben Labor hüpfen 7 g leichte Grashüpfer mit allerlei Zahnrädern umher. Und am Boden schließen sich handtellergroße Kamerawagen vor Hindernissen selbstständig zu Ketten zusammen, um raupengleich darüber hinweg zu krabbeln.

Gegen solche Miniaturen wirken die rund 500 g schweren Quadrocopter der Siegerländer Microdrones GmbH wie Riesen. Doch im Gegenteil zu den Forschungsobjekten aus Lausanne, Harvard und vielen anderen Unis der Welt sind sie bereits im realen Einsatz. Ihr Prinzip ist schnell erklärt. Von vier Rotoren drehen je zwei gegenüberliegende links und zwei rechts herum. Drehen alle Rotoren gleich schnell, steigt der Quadrocopter senkrecht auf. Um vorwärts zu fliegen, wird der vordere Rotor verlangsamt, der hintere beschleunigt. Das Flugverhalten ist äußerst stabil – Quadrocopter werden unter anderem als "Luftnagel" bezeichnet, weil sie sich auch bei Gegenwind ständig rekalibrieren (s. Kasten).

Die Microdrones führen je nach Kundenwunsch hoch auflösende Videokameras, Nachtsichtgeräte, Fotoapparate oder auch Gas- und Temperatursensoren mit. Unter anderem lässt die sächsische Landespolizei die Fluggeräte bei Fußballspielen steigen, um Hooligans zu identifizieren. Doch auch Feuerwehren sind an der Technik interessiert, etwa um sich bei Bränden schnell einen Überblick zu verschaffen oder in Rauch-wolken Schadstoffkonzentrationen zu messen. Weitere zivile Anwendungen: Bauwerksüberwachung, Verkehrsbeobachtung oder Luftaufnahmen.

Ein Problem der Maschinen ist ihre vergleichsweise kurze Flugzeit. Denn anders als gleitende Flugzeuge müssen sie mit ihren Rotoren permanent selbst für Auftrieb sorgen. Je nach Gewicht der mitgeführten Kameras und Sensoren hält ihr Lithium-Ionen-Akku maximal 20 Minuten. Danach muss die Drohne unweigerlich auf den Boden zurück. Experten sehen mittelfristig nur durch den Umstieg auf Brennstoffzellen eine Chance, die Flugzeiten zu verlängern. Mehr als eine Stunde werden aber auf absehbare Zeit nicht möglich sein. Und billig sind die Microdrones auch nicht: Eine kostet rund 65 000 €.

Doch es geht auch billiger. So bietet das ostfriesische Opensource-Projekt "Mikrokopter" Quadrocopter-Selbstbausätze schon ab 700 € an. Drohnen für Jedermann also, mit denen Ingo Busker und Holger Buss – die beiden Köpfe hinter dem Projekt – vor allem auf die Modellbauszene abzielen. Videos auf ihren Webseiten zeigen allerdings, dass auch mit einfachen Bausätzen scharfe Luftaufnahmen möglich sind. Die Elektroingenieure haben inzwischen sogar einen Octocopter mit acht Rotoren entwickelt, der 1,5 kg Gewicht trägt und selbst beim Ausfall einzelner Rotoren sicher in der Flugbahn bleibt. Mit einem solchen Gerät lassen sich auch teure Kameras mit HD-Qualität sicher in die Lüfte heben.

Der technologische Fortschritt bei Sensoren, Motoren und Akkus ist faszinierend. Dem Chaos Computer Club (CCC) bereitet er aber auch Sorge. Denn neben sinnvollen zivilen Einsätzen würden Kleinstdrohnen Totalüberwachung ermöglichen. "Schwebt künftig über jedem Quadratkilometer Stadt eine Drohne?", fragt CCC-Experte Andreas Steinhauser, der selbst Quadrocopter baut, um die Technologie zu verstehen. Es sei ein leichtes, die Geräte so zu programmieren, dass sie autonom ihre Ladestation anfliegen. Mit einigen Tausend Drohnen sei jede Stadt komplett zu überwachen. Übertragen auf politische Lagen wie in Teheran oder Lhasa, wo Proteste schon heute im Keim erstickt werden, ist das eine beängstigende Vision.

Auch die militärische Nutzung der Drohnen beäugt der CCC skeptisch. Selbst wenn Menschen den Feuerbefehl geben, sei die Entkopplung vom Geschehen problematisch. "Die Grenze zwischen Realität und Simulation verschwimmt – und damit die Hemmschwelle zu töten", so Steinhauser. Der Science-Fiction-Alptraum, in dem Computerspieler unwissend echte Waffen bedienen, bekommt eine ungeahnt realistische Dimension. P. TRECHOW

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