Pressemitteilung vom 30.10.2009:
In einem heute veröffentlichten Urteil bezeichnet das
Verwaltungsgericht München den dauerhaften und anlasslosen Abgleich von
Kfz-Nummernschildern auf bayerischen Straßen als rechtmäßig. Mit
Unterstützung des ADAC und mithilfe eines Spendenaufrufs will der klagende Autofahrer Benjamin Erhart Berufung gegen das Urteil einlegen.
[daten-speicherung.de] Mit Urteil vom 23. September wies das Verwaltungsgericht München die
Klage Erharts gegen den Dauereinsatz von Kennzeichenlesegeräten[1] in Bayern ab (Az. M 7 K 08.3052). In der inzwischen vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung[2]
erkennt das Gericht zwar das Risiko an, dass ein unschuldiger
Autofahrer als „fehlerhafter Trefferfall erfasst wird“. Der
Massenabgleich habe auch eine „präventive Datenerhebung ohne konkreten
Anlass“ zum Gegenstand und stelle „eine ereignis- und
verdachtsunabhängig ausgestaltete und deshalb im Sinn einer Prävention
wenig zielgenaue Befugnis“ dar. Obwohl der erfasste Autofahrer „keinen
ihm zurechenbaren Anlass durch sein Verhalten“ setze, sei die Maßnahme
„als Vorsorge zur Verfolgung von bzw. Verhütung von Straftaten“
zulässig. Selbst der „Einsatz stationärer Anlagen an
Kriminalitätsschwerpunkten im Dauerbetrieb“ sei für die abgeglichenen
Fahrer im Regelfall „lediglich eine Grundrechtsbeeinträchtigung und
kein Grundrechtseingriff“.
Der Kläger Benjamin Erhart, Informatiker und ehrenamtlich als „Freiheitsredner“[3]
engagiert, will Berufung gegen das Urteil einlegen: „50 Millionen
Autofahrer in Deutschland dürfen nicht als potenzielle Verbrecher unter
Generalverdacht gestellt werden.“ Erhart befürchtet, Autofahrer könnten
durch den Massenabgleich jederzeit irrtümlich angehalten und
kontrolliert werden. Selbst wenn die Fehlerkennungsrate nur 5% betrüge,
käme es aufgrund des massenhaften Abgleichs stündlich zu
Falschmeldungen. Der Massenabgleich, mit dessen Hilfe auch verdeckte
Bewegungsprofile für Polizei und Geheimdienste erstellt würden,
entfalte insgesamt eine schädliche und abschreckende Wirkung auf unsere
Gesellschaft, besonders etwa im Vorfeld von Demonstrationen. Dem stehe
kein nennenswerter Nutzen gegenüber, kritisiert auch ADAC-Vizepräsident
Ulrich Becker: „Anlass- und verdachtslose Video-Rasterfahndung brachte
bisher keine erwähnenswerten Erfolge.“
Der ADAC unterstützt die Berufung finanziell. Daneben bittet Benjamin Erhart auf seiner Internet-Homepage[4]
um Spenden zur Finanzierung der Berufung, über die der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof voraussichtlich im nächsten Jahr entscheiden
wird. Die Vertretung des Klägers wird der Freiburger Rechtsanwalt Udo
Kauss übernehmen, der bereits für die erfolgreichen Kläger gegen den
Kfz-Massenabgleich in Hessen und Schleswig-Holstein vor dem
Bundesverfassungsgericht aufgetreten war.
Hintergrund:
Bayern setzt zurzeit 25 Anlagen zum Kfz-Massenabgleich ein: 22
Anlagen werden an 12 festen Standorten eingesetzt, während 3 Anlagen
mobil eingesetzt werden. Auf diese Weise werden in Bayern monatlich 5
Mio. Fahrzeuge abgeglichen – so viele wie in keinem anderen Bundesland.
Die gemeldete Trefferquote liegt lediglich bei 0,03%, während der
Abgleich zu 99,97% ohne Ergebnis bleibt. An konkreten Erfolgen wurde
bisher nur die Sicherstellung einiger Fahrzeuge und das Aufgreifen
eines Mordverdächtigen vermeldet, wobei der Verdächtige auch durch eine
gezielte, anlassbezogene Suche hätte gestellt werden können.
Im vergangenen Jahr erklärte das Bundesverfassungsgericht den
Kfz-Massenabgleich in Hessen und Schleswig-Holstein für
verfassungswidrig und entschied: „Die automatisierte Erfassung von
Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder
flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn
die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und
Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete
Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von
Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung
der Kennzeichenerfassung geben.“[5]
Nach dem Urteil stellte Innenminister Lothar Hay den Kfz-Massenabgleich
in Schleswig-Holstein ein und erklärte: „Das Kfz-Scanning hat sich als
ungeeignetes Instrument zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche
Sicherheit erwiesen“.[6]
Es binde Personal, das an anderen Stellen sinnvoller für operative
Polizeiarbeit eingesetzt werden könne. Während auch andere Länder auf
den bedenklichen Massenabgleich verzichten oder entsprechende Gesetze
nicht anwenden, wird der Kfz-Massenabgleich gerade in Bayern aufgrund
eines noch von der CSU alleine beschlossenen Gesetzes ungebremst und
massenhaft praktiziert.
Der Kfz-Massenabgleich ist in der letzten Zeit zunehmend in die
Kritik geraten: Bei dem Bundesverfassungsgericht ist
Verfassungsbeschwerde gegen den Kfz-Massenabgleich in Niedersachsen
anhängig (Az. 1 BvR 1443/08).[7]
Gegen die neu eingeführte Ermächtigung zum Kfz-Massenabgleich in
Baden-Württemberg soll in Kürze ebenfalls Verfassungsbeschwerde erhoben
werden. Der Automobilclub ADAC fordert ein „Recht auf datenfreie Fahrt“.[8]
ADAC-Vizepräsident Ulrich Becker kritisiert: „Die Kontrollen finden zum
ersten Mal verdachtsfrei und bei allen Fahrzeugen statt. Der Bürger
wird also unter Generalverdacht gestellt.“[9] Ein vom ADAC im Frühjahr in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten[10]
des Kasseler Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Alexander Roßnagel kommt
zu dem Ergebnis, dass keines der bestehenden Gesetze zum
Kfz-Massenabgleich mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Hessen plant
aktuell trotz Warnungen von Rechtsexperten die Wiedereinführung des
Kfz-Massenabgleichs.
Source: http://www.daten-speicherung.de/index.php/urteil-zu-kfz-massenabgleich-in-bayern-veroeffentlicht/