RAT DER EUROPÄISCHEN UNION
Brüssel, den 21. Januar 2010 (22.01)
Betr.: Entwurf eines Beschlusses* des Rates zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen koordinierten operativen Zusammenarbeit
Die Kommission hat am 7. Dezember 2009 einen Vorschlag für eine Entscheidung* des Rates zu dem vorgenannten Thema übermittelt1.
Hintergrund des Vorschlags ist, dass der Ausschuss "Schengener Grenzkodex" am 19. Oktober 2009 gebeten worden war, im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle eine förmliche Stellungnahme nach Artikel 12 Absatz 5 und Artikel 33 Absatz 2 des Schengener Grenzkodex zu einem Entscheidungsentwurf* der Kommission zu demselben Thema abzugeben. Da der Ausschuss jedoch keine Stellungnahme abgab2, hat die Kommission den Vorschlag für eine Entscheidung* des Rates nach Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe a des Beschlusses 1999/468/EG3 des Rates unterbreitet.
Der Entwurf ist von der Gruppe "Grenzen"/dem Gemischten Ausschuss, der Gruppe der JI-Referenten und dem AStV/Gemischten Ausschuss in mehreren Sitzungen geprüft worden. Auf der Tagung des AStV vom 21. Januar 2010 wurde auf der Grundlage des Dokuments 5323/10 FRONT 6 COMIX 46 mit qualifizierter Mehrheit eine Einigung erzielt. IT und MT erklärten nach Darlegung ihrer Standpunkte, dass sie sich der Stimme enthalten werden. Der betreffende Text ist in Anlage I enthalten. In Anlage II findet sich der Entwurf einer Erklärung des Rates zu etwaigen Anpassungen der Leitlinien in der Zukunft.
Der Rat wird auf dieser Grundlage ersucht, dass er bei Stimmenthaltung der italienischen und der maltesischen Delegation
– gemäß Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe d des Beschlusses 1999/468/EG ("Komitologie- Beschluss") beschließt,
– den Erlass des in Anlage I enthaltenen Entwurfs des Ratsbeschlusses zu beabsichtigen,
– den Entwurf des Ratsbeschlusses dem Europäischen Parlament zu unterbreiten, und
– übereinkommt, dass – falls nicht das Europäische Parlament gemäß Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe e des Komitologie-Beschlusses den Erlass der Maßnahme ablehnt – der Rat zum Zeitpunkt der Annahme der Maßnahme nach Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe g jenes Beschlusses die in Anlage II wiedergegebene Erklärung annimmt und in das Ratsprotokoll aufnimmt.
ANLAGE I Entwurf
BESCHLUSS DES RATES
zur Ergänzung des Schengener Grenzkodex hinsichtlich der Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen koordinierten operativen Zusammenarbeit
DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –
gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex)4, insbesondere auf Artikel 12 Absatz 5, auf Vorschlag der Kommission, in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) Die Grenzüberwachung dient der Verhinderung des unbefugten Grenzübertritts, der Bekämpfung der grenzübergreifenden Kriminalität und der Festnahme von Personen, die die Grenze unerlaubt überschreiten, bzw. der Veranlassung sonstiger Maßnahmen gegen diese Personen. Eine effiziente Grenzüberwachung sollte daran hindern und davon abschrecken, die Kontrollen an den Grenzübergangsstellen zu umgehen, und sie sollte unbefugtes Überschreiten der Außengrenzen aufdecken.
(2) Die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachstehend "Agentur" genannt) ist zuständig für die Koordinierung der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten zum Zwecke der vereinfachten Anwendung des EU-Rechts; dies gilt auch für die Grenzüberwachung. Für Grenzüberwachungstätigkeiten, die von den See- und Luftstreitkräften eines Mitgliedstaats im Rahmen der von der Agentur koordinierten operativen Zusammenarbeit an den Seegrenzen eines anderen Mitgliedstaats durchgeführt werden, bedarf es zusätzlicher Regeln, mit denen diese Zusammenarbeit verstärkt wird.
(3) Im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 und den allgemeinen Grundsätzen des EURechts sollten während einer Überwachungsaktion getroffene Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen und die Grundrechte sowie die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden, einschließlich insbesondere des Verbots der Zurückweisung, uneingeschränkt wahren. Die Mitgliedstaaten sind bei Asylanträgen, die in ihrem Hoheitsgebiet einschließlich der Grenze und der Transitzonen gestellt werden, an die Bestimmungen des Asyl-Besitzstands, insbesondere die Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft5, gebunden.
(4) Auf seinen Tagungen vom 18./19. Juni 2009 und vom 29./30. Oktober 2009 hat der Europäische Rat hervorgehoben, dass die von der Agentur koordinierten Grenzkontrollmaßnahmen verstärkt und klare Einsatzregeln für gemeinsame Patrouillen geschaffen werden müssen. Im Juni 2009 hat der Europäische Rat zudem die Notwendigkeit von Regeln für die Ausschiffung geretteter Personen unterstrichen.
(5) Berücksichtigt werden sollte, dass die von der Agentur koordinierten Grenzüberwachungsmaßnahmen gemäß einem Einsatzplan sowie dem Zeitplan und den Anweisungen einer Leitstelle durchgeführt werden, in die sowohl die beteiligten Mitgliedstaaten als auch die Agentur Mitarbeiter entsenden; berücksichtigt werden sollte ferner, dass vor Einsatzbeginn ein Aufnahmemitgliedstaat oder mehrere Aufnahmemitgliedstaaten ermittelt werden, deren Grenzen zu überwachen sind.
(6) Die Umsetzung dieses Beschlusses berührt nicht die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten und sollte die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, dem Internationalen Übereinkommen zum Schutz des menschlichen Lebens auf See, dem Internationalen Übereinkommen über den Such- und Rettungsdienst auf See, dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und dem Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, Luft- und Seeweg, der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und anderen internationalen Übereinkünften unberührt lassen.
(7) Bei der Durchführung einer Grenzüberwachungsmaßnahme auf See kann sich eine Situation ergeben, in der Personen aus Seenot gerettet werden müssen.
(8) Im Einklang mit dem Völkerrecht verpflichtet jeder Staat den Kapitän eines seine Flagge führenden Schiffes, jeder Person, die auf See in Lebensgefahr angetroffen wird, Hilfe zu leisten und so schnell wie möglich Personen in Seenot zu Hilfe zu eilen, soweit der Kapitän ohne ernste Gefährdung des Schiffes, der Besatzung oder der Fahrgäste dazu imstande ist. Diese Hilfe sollte unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder dem Status der zu versorgenden Personen und ungeachtet der Umstände, unter denen diese aufgefunden werden, geleistet werden.
(9) Zur Sicherstellung einer besseren Koordinierung zwischen den an der Maßnahme teilnehmenden Mitgliedstaaten im Hinblick auf derartige Situationen sollten, wie in Teil II des Anhang dargelegt, unverbindliche Leitlinien in diesen Beschluss aufgenommen werden, um die Durchführung solcher Maßnahmen zu erleichtern. Dieser Beschluss sollte die Verantwortlichkeiten der für die Suche und Rettung auf See zuständigen Behörden unberührt lassen einschließlich ihrer Verantwortlichkeit, dafür Sorge zu tragen, dass die Koordinierung und die Zusammenarbeit in der Weise erfolgen, dass die geretteten Personen an einen sicheren Ort gebracht werden können.
(10) Dieser Beschluss steht im Einklang mit den Grundrechten und den Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, namentlich die Würde des Menschen, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Grundsätze der Nichtzurückweisung und der Nichtdiskriminierung sowie die Rechte des Kindes. Er sollte von den Mitgliedstaaten im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen angewandt werden.
(11) Da sich die Ziele der zu treffenden Maßnahme, nämlich die Festlegung ergänzender Regeln für die Überwachung der Seegrenzen durch Grenzschutzbeamte unter Federführung der Agentur auf Ebene der Mitgliedstaaten aufgrund unterschiedlicher Rechtsvorschriften und Praktiken nicht ausreichend verwirklichen lassen und daher wegen des multinationalen Charakters der Einsätze besser auf EU-Ebene zu erreichen sind, kann die Europäische Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Grundsatz der Subsidiarität tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geht der vorliegende Beschluss nicht über das für die Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.
(12) Nach den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet. Da mit diesem Beschluss der Schengen-Besitzstand ergänzt wird, beschließt Dänemark gemäß Artikel 4 dieses Protokolls innerhalb von sechs Monaten, nachdem der Rat diesen Beschluss erlassen hat, ob es ihn in einzelstaatliches Recht umsetzt.
(13) Für Island und Norwegen stellt dieser Beschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Übereinkommens zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands6 dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG des Rates vom 17. Mai 1999 zum Erlass bestimmter Durchführungsvorschriften zu jenem Übereinkommen7 genannten Bereich fallen.
(14) Für die Schweiz stellt dieser Beschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des Abkommens zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands8 dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG des Rates in Verbindung mit Artikel 3 des Beschlusses 2008/146/EG des Rates9 genannten Bereich fallen.
(15) Für Liechtenstein stellt dieser Beschluss eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne des zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft, der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein unterzeichneten Protokolls über den Beitritt des Fürstentums Liechtenstein zu dem Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen- Besitzstands dar, die in den in Artikel 1 Buchstabe A des Beschlusses 1999/437/EG in Verbindung mit Artikel 3 des Beschlusses 2008/261/EG des Rates10 genannten Bereich fallen.
(16) Dieser Beschluss stellt eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen- Besitzstands dar, an denen sich das Vereinigte Königreich gemäß dem Beschluss 2000/365/EG des Rates vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf es anzuwenden11, nicht beteiligt. Das Vereinigte Königreich beteiligt sich daher nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet.
(17) Dieser Beschluss stellt eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen- Besitzstands dar, an denen sich Irland gemäß dem Beschluss 2002/192/EG des Rates vom 28. Februar 2002 zum Antrag Irlands auf Anwendung einzelner Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf Irland12 nicht beteiligt. Irland beteiligt sich daher nicht an der Annahme dieses Beschlusses und ist weder durch diesen gebunden noch zu seiner Anwendung verpflichtet.
(18) Der Ausschuss für den Schengener Grenzkodex, der am 19. Oktober 2009 angehört wurde, gab keine Stellungnahme ab, so dass die Kommission gemäß Artikel 5a Absatz 4 Buchstabe a des Beschlusses 1999/468/EG dem Rat einen Vorschlag für die zu treffenden Maßnahmen unterbreitet und diesen gleichzeitig dem Europäischen Parlament übermittelt hat –
HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:
Artikel 1
Die Überwachung der Seeaußengrenzen im Rahmen der operativen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten, die von der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nachstehend "Agentur" genannt) koordiniert wird, ist in den in Teil I des Anhangs niedergelegten Vorschriften geregelt. Diese Vorschriften und die nicht verbindlichen Leitlinien in Teil II des Anhangs sind Teil des von der Agentur für den jeweiligen Einsatz aufgestellten Einsatzplans.
Artikel 2
Dieser Beschluss ist gemäß den Verträgen an die Mitgliedstaaten gerichtet.
Geschehen zu Brüssel am
Im Namen des Rates
Der Präsident
ANHANG
Teil I
Vorschriften für die von der Agentur koordinierten Maßnahmen an den Seegrenzen
1. ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE
1.1. Die Überwachungsmaßnahmen sind unter Wahrung der Grundrechte so durchzuführen, dass die Sicherheit weder der aufgegriffenen oder geretteten Personen noch der Einsatzkräfte gefährdet wird.
1.2. Keine Person darf unter Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung ausgeschifft oder auf andere Weise den Behörden eines Landes überstellt werden, in dem die Gefahr der Ausweisung oder Rückführung in ein anderes Land unter Verstoß gegen diesen Grundsatz besteht. Unbeschadet der Nummer 1.1 sind die aufgegriffenen oder geretteten Personen auf geeignete Weise zu informieren, so dass sie etwaige Gründe vorbringen können, aufgrund derer sie annehmen, dass die Ausschiffung an dem vorgeschlagenen Ort gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt.
1.3. Bei allen Überwachungsmaßnahmen ist den besonderen Bedürfnissen von Kindern, Opfern von Schleusern, Personen, die dringend medizinische Versorgung oder internationalen Schutz benötigen, sowie anderen Personen, die sich in einer besonders schwierigen Situation befinden, Rechnung zu tragen.
1.4. Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die an der Überwachungsmaßnahme beteiligten Grenzschutzbeamten im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen der Menschenrechte und des Flüchtlingsrechts geschult werden und mit den internationalen Vorschriften über die Suche und Rettung vertraut sind.
2. ABFANGEN UND AUFGRIFF
2.1. Bei Sichtung eines Schiffes oder eines anderen Wasserfahrzeugs ("Schiff") nähern sich die Einsatzkräfte diesem, um die Identität und die Staatszugehörigkeit festzustellen, und beobachten es bis auf weiteres aus sicherer Entfernung. Die Informationen über das Schiff werden umgehend der im Rahmen und zum Zwecke des koordinierten Frontex-Einsatzes auf See eingerichteten Leitstelle mitgeteilt.
2.2. Ist das Schiff im Begriff, in die Anschlusszone oder die Hoheitsgewässer eines Mitgliedstaats einzulaufen, der nicht an dem Einsatz beteiligt ist, oder ist es bereits dort eingelaufen, so übermittelt die Leitstelle dem bzw. den betreffenden Mitgliedstaat(en) die ihr mitgeteilten Informationen über das Schiff.
2.3. Wenn der Verdacht besteht, dass außerhalb des Einsatzbereichs ein Schiff für illegale Handlungen auf See benutzt wird, werden die Informationen der Leitstelle übermittelt, die diese an den bzw. die betreffenden Mitgliedstaat(en) weiterleitet.
2.4. Im Rahmen von Überwachungseinsätzen gegen Schiffe oder andere Wasserfahrzeuge, bei denen ein begründeter Verdacht auf Beförderung von Personen besteht, die sich den Grenzkontrollen zu entziehen versuchen, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:
a) Ersuchen um Information und Vorlage von Dokumenten zum Nachweis der Eigentumsverhältnisse, der Registrierung, des Reiseverlaufs sowie der Identität, Staatsangehörigkeit und anderer einschlägiger Personalien der an Bord befindlichen Personen;
b) Anhalten und Betreten des Schiffs, Durchsuchen des Schiffs, seiner Ladung und der an Bord befindlichen Personen sowie Befragung der an Bord befindlichen Personen;
c) Unterrichtung der an Bord befindlichen Personen, dass sie nicht zum Grenzübertritt berechtigt sind und dass Schiffsführer durch das Ermöglichen der Fahrt mit Sanktionen belegt werden können;
d) Beschlagnahme des Schiffs und Festnahme der an Bord befindlichen Personen;
e) Erteilen der Anweisung an das Schiff, den Kurs zu ändern und entweder einen Bestimmungsort außerhalb der Hoheitsgewässer oder der Anschlusszone anzusteuern bzw. diese zu verlassen, Eskortieren oder Geleiten des Schiffs, bis es sich auf diesem Kurs befindet;
f) Führen des Schiffs bzw. Beförderung der an Bord befindlichen Personen zu einem Drittstaat oder aber Überstellung des Schiffs bzw. der an Bord befindlichen Personen an die Behörden eines Drittstaates;
g) Führen des Schiffs bzw. Beförderung der an Bord befindlichen Personen bis zu dem Aufnahmemitgliedstaat oder einem anderen am Einsatz beteiligten Mitgliedstaat.
2.5. Die in Nummer 2.4 genannten Maßnahmen werden unter folgenden Bedingungen durchgeführt:
2.5.1. Hoheitsgewässer und Anschlusszone
2.5.1.1. Die in Nummer 2.4 beschriebenen Maßnahmen werden mit Genehmigung und nach Anweisungen des Aufnahmemitgliedstaats getroffen; die beteiligten Einsatzkräfte werden über die Leitstelle von der Genehmigung und den Anweisungen in Kenntnis gesetzt. Dazu teilen die beteiligten Einsatzkräfte dem Aufnahmemitgliedstaat über die Leitstelle mit, ob der Kapitän des abgefangenen Schiffs verlangt hat, dass ein Diplomat oder Konsularbeamter des Flaggenstaats benachrichtigt wird.
2.5.1.2. Jeder Einsatz im Hoheitsgewässer oder in der Anschlusszone eines nicht beteiligten Mitgliedstaats wird im Einklang mit der Genehmigung des Küstenstaats durchgeführt. Die Leitstelle wird über den gesamten Nachrichtenverkehr mit dem Küstenstaat und über die weiteren Maßnahmen unterrichtet.
2.5.2. Hinter der Anschlusszone gelegene hohe See
2.5.2.1. Führt ein Schiff die Flagge oder das Registrierungszeichen eines am Einsatz beteiligten Mitgliedstaats, so werden mit Genehmigung des Flaggenstaates die in Nummer 2.4 vorgesehenen Maßnahmen getroffen. Der diesen Mitgliedstaat in der Leitstelle vertretende nationale Beamte ist berechtigt, diese Genehmigung zu erteilen oder zu übermitteln.
2.5.2.2. Führt ein Schiff die Flagge oder das Registrierungszeichen eines am Einsatz nicht beteiligten Mitgliedstaats oder eines Drittstaats, so wird vom Flaggenstaat über geeignete Kommunikationskanäle eine Bestätigung der Registrierung angefordert und bei Bestätigung der Staatszugehörigkeit wird der Flaggenstaat entsprechend dem Palermo-Protokoll gegen die Schleusung von Migranten um Genehmigung ersucht, die in Nummer 2.4 vorgesehenen Maßnahmen zu treffen. Die Leitstelle wird über den gesamten Nachrichtenverkehr mit dem Flaggenstaat unterrichtet.
2.5.2.3. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, obgleich es eine fremde Flagge führt oder sich weigert, seine Flagge zu zeigen, die gleiche Staatszugehörigkeit besitzt wie die beteiligten Einsatzkräfte, so überprüfen diese die Berechtigung des Schiffes zur Flaggenführung. Zu diesem Zweck können sie ein Boot unter dem Kommando eines Offiziers zu dem verdächtigen Schiff entsenden. Bleibt der Verdacht nach Prüfung der Dokumente bestehen, so nehmen sie eine weitere Untersuchung an Bord des Schiffes vor, die so rücksichtsvoll wie möglich durchzuführen ist. Mit dem Land, unter dessen Flagge das Schiff vorgeblich steht, wird über geeignete Kommunikationskanäle Kontakt aufgenommen.
2.5.2.4. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff, welches eine fremde Flagge führt oder sich weigert, seine Flagge zu zeigen, in Wirklichkeit die Staatszugehörigkeit zu einem anderen am Einsatz beteiligten Mitgliedstaat besitzt, so wird mit Genehmigung dieses Mitgliedstaats die Berechtigung des Schiffes zur Flaggenführung überprüft. Der diesen Mitgliedstaat in der Leitstelle vertretende nationale Beamte ist berechtigt, diese Genehmigung zu erteilen oder zu übermitteln. Wenn sich in den vorgenannten Fällen der Verdacht hinsichtlich der Staatszugehörigkeit des Schiffs bestätigt, werden die in Nummer 2.4 vorgesehenen Maßnahmen unter Beachtung von Nummer 2.5.2.1 ergriffen.
2.5.2.5. Besteht der begründete Verdacht, dass ein Schiff keine Staatszugehörigkeit besitzt oder einem Schiff ohne Staatszugehörigkeit gleichzustellen ist, so überprüfen die Einsatzkräfte die Berechtigung des Schiffes zur Flaggenführung. Zu diesem Zweck können sie ein Boot unter dem Kommando eines Offiziers zu dem verdächtigen Schiff entsenden. Bleibt der Verdacht nach Prüfung der Dokumente bestehen, so nehmen sie eine weitere Untersuchung an Bord des Schiffes vor, die so rücksichtsvoll wie möglich durchzuführen ist.
Die in Nummer 2.4 vorgesehenen Maßnahmen werden getroffen, wenn sich der Verdacht, dass das Schiff keine Staatszugehörigkeit besitzt, bestätigt und der begründete Verdacht besteht, dass das Schiff für die Schleusung von Migranten auf dem Seeweg gemäß dem Zusatzprotokoll gegen die Schleusung von Migranten auf dem Land-, See- und Luftweg zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität benutzt wird. Wenn kein Staat einem Schiff das Recht erteilt hat, seine Flagge zu führen, oder wenn das Schiff die Flaggen von zwei oder mehr Staaten führt und diese nach Belieben verwendet, gilt das Schiff als Schiff ohne Staatszugehörigkeit oder wird einem solchen Schiff gleichgestellt.
2.5.2.6. Solange der Flaggenstaat keine Genehmigung für weitere Maßnahmen erteilt hat, wird das Schiff aus sicherer Entfernung beobachtet. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Flaggenstaates werden keine weiteren Maßnahmen getroffen, außer solchen, die gemäß Nummer 3 erforderlich sind, um eine unmittelbare Gefahr für das Leben von Personen abzuwenden, bzw. solchen Maßnahmen, die sich aus einschlägigen bilateralen oder multilateralen Übereinkünften ableiten, oder bis das Schiff in die Anschlusszone eingelaufen ist.
Teil II
Leitlinien für Such- und Rettungsmaßnahmen und für die Ausschiffung im Rahmen von durch die Agentur koordinierten Maßnahmen an den Seegrenzen
3. SUCH- UND RETTUNGSMASSNAHMEN
3.1. Die Mitgliedstaaten kommen der Pflicht, Personen in Seenot Hilfe zu leisten, gemäß den einschlägigen Bestimmungen der für Such- und Rettungsmaßnahmen maßgeblichen internationalen Übereinkünfte und unter gebührender Wahrung der Grundrechte nach. Die beteiligten Einsatzkräfte leisten jedem Schiff oder jeder Person in Seenot Hilfe. Die Hilfe wird ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit oder den Status einer solchen Person oder der Umstände, unter denen die Person aufgefunden wird, geleistet.
3.2. Wenn im Verlauf des Grenzüberwachungseinsatzes Zweifel an der Sicherheit eines Schiffes oder von Personen an Bord bestehen, übermitteln die beteiligten Einsatzkräfte der für die Such- und Rettungszone zuständigen Rettungsleitstelle so schnell wie möglich alle vorhandenen Lageinformationen.
Reagiert die zuständige Rettungsleitstelle der Such- und Rettungszone des Drittlands nicht auf die Meldung der beteiligten Einsatzkräfte, so nehmen Letztere Verbindung zur Rettungsleitstelle des Aufnahmemitgliedstaates auf.
Die beteiligten Einsatzkräfte warten die Anweisungen der Rettungsleitstelle ab und treffen derweil alle erforderlichen Maßnahmen, um die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten.
3.3. Die beteiligten Einsatzkräfte nehmen unter Berücksichtigung sämtlicher einschlägiger Informationen eine Lagebewertung vor, deren Ergebnisse sie an die zuständige Rettungsleitstelle weiterleiten; dabei ist auf folgende Fragen einzugehen:
a) Liegt ein Hilfeersuchen vor?
b) Ist das Schiff seetüchtig, und wie wahrscheinlich ist es, dass das Schiff sein Ziel nicht erreichen wird?
c) Wie viele Passagiere sind an Bord, und um welche Art von Schiff handelt es sich (Überladung)?
d) Sind ausreichende Vorräte (Treibstoff, Wasser, Nahrungsmittel usw.) für die Weiterfahrt bis zur Küste vorhanden?
e) Sind Besatzung und Kommandopersonal auf dem Schiff ausreichend qualifiziert?
f) Sind Sicherheits-, Navigations- und Kommunikationsausrüstungen vorhanden?
g) Benötigen Passagiere dringend medizinische Hilfe?
h) Sind Tote an Bord?
i) Sind Schwangere und Kinder an Bord?
j) Wie sind die Witterungsverhältnisse und der Seegang?
3.4. Ob eine Notsituation vorliegt, hängt nicht ausschließlich davon ab, ob um Hilfe ersucht wurde, oder wird nicht ausschließlich danach beurteilt. Wenn die Personen an Bord eines Schiffes, das offensichtlich in Seenot ist, Hilfe verweigern, informieren die beteiligten Einsatzkräfte die Rettungsleitstelle und treffen nach Maßgabe der Sorgfaltspflicht alle weiteren für den Schutz der betroffenen Personen erforderlichen Maßnahmen; dabei sind alle Maßnahmen zu vermeiden, die die Lage verschlimmern oder die Verletzungs- oder Lebensgefahr vergrößern könnten.
3.5. Die Leitstelle wird so rasch wie möglich über etwaige Kontakte zur Rettungsleitstelle und über die von den beteiligten Einsatzkräften ergriffenen Maßnahmen unterrichtet.
3.6. Wenn das Schiff nicht oder nicht mehr in Not ist oder die Such- und Rettungsmaßnahme abgeschlossen ist, setzen die beteiligten Einsatzkräfte in Absprache mit der Leitstelle die Maßnahme gemäß den Bestimmungen in Teil I fort.
4. AUSSCHIFFUNG
4.1. Im Einsatzplan sind die Einzelheiten für die Ausschiffung der aufgegriffenen oder geretteten Personen im Einklang mit dem Völkerrecht und etwaigen bilateralen Abkommen festzulegen. Der Einsatzplan bewirkt nicht, dass den am Einsatz nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegt werden. Wenn im Einsatzplan nichts anderes vorgesehen ist, sollte unbeschadet der Zuständigkeit der Rettungsleitstelle die Ausschiffung vorrangig in dem Drittland erfolgen, von dem aus das Schiff mit den Personen in See gestochen ist oder durch dessen Hoheitsgewässer oder Such- und Rettungszone dieses Schiff gereist ist; falls dies nicht möglich ist, sollte die Ausschiffung vorrangig im Aufnahmemitgliedstaat erfolgen, sofern nicht eine andere Vorgehensweise erforderlich ist, um die Sicherheit dieser Personen zu gewährleisten.
4.2. Die Leitstelle wird informiert, wenn Personen in einer Situation nach Nummer 1.2 angetroffen werden; sie setzt die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats hiervon in Kenntnis. Auf der Grundlage dieser Informationen wird im Einsatzplan festgelegt, welche Folgemaßnahmen getroffen werden können.
ANLAGE II
Erklärung des Rates, die bei der endgültigen Annahme des in Anlage I wiedergegebenen Entwurfs des Ratsbeschlusses angenommen und in das Ratsprotokoll aufgenommen werden soll
"Der Rat ersucht die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, dem Rat und der Kommission zwei Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses oder – bei Auftreten erheblicher Probleme – auch bereits vor diesem Zeitpunkt über die praktische Anwendung dieses Beschlusses Bericht zu erstatten. Werden im Rahmen der Auswertung der Seeeinsätze besondere Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung festgestellt, so kann die Kommission ersucht werden, Überlegungen über mögliche Vorschläge für eine geeignete Änderung des Beschlusses anzustellen."
* Anm. d. Übers.: Aufgrund des Lissabon-Vertrags nun "Beschluss" statt "Entscheidung".
1 Dok. 16870/09 FRONT 105 COMIX 903. Der Vorschlag ist den Delegationen am 30. November 2009 informell in drei Sprachen (EN/FR/DE) zugegangen.
2 Die Mindeststimmenzahl für die Abgabe einer Stellungnahme des Ausschusses (223 Stimmen – UK/DK/IE nehmen nicht teil) war nicht erreicht.
3 Beschluss 1999/468/EG des Rates zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse, geändert durch den Beschluss 2006/512/EG des Rates ("Komitologie-Beschluss").
4 ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1.
5 ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13.
6 ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 36.
7 ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 31.
8 ABl. L 53 vom 27.2.2008, S. 52.
9 ABl. L 53 vom 27.2.2008, S. 1.
10 ABl. L 83 vom 26.3.2008, S. 3.
11 ABl. L 131 vom 1.6.2000, S. 43.
12 ABl. L 64 vom 7.3.2002, S. 20.