Sicherheit ist geil

von Ilija Trojanow (Die Presse)

Der
Nacktscanner ist nur ein prägnantes Symbol einer Entwicklung, an deren
Ende von unseren Bürgerrechten nicht viel übrig sein wird. Und das ist
keine Übertreibung.

[diepresse.com] Nun
eifern und geifern sie wieder, die Sicherheitsfanatiker. Und sie haben
einen neuen Fetisch, den Nacktscanner. Die Maschinerie der
Masseneinschüchterung rattert und rasselt — wir brauchen mehr Schutz!
Kaum wurde die Nachricht von dem vereitelten Sprengstoffanschlag auf
einem Flugzeug der Northwestern Airlines am 25.12. gemeldet, erschrien
sich die Quacksalber des öffentlichen Wohls die nötige Aufmerksamkeit.
Kaum waren die Umrisse des Falles bekannt, wurden die Konturen einer
verschärften Sicherheitspolitik schon skizziert.

Wie gelegen, dass sich unter den Leichen im Keller unserer
Politik auch der Nacktscanner findet, der vor gut einem Jahr nach
heftigen Protesten und aus guten Gründen eingemottet wurde. Nun taucht
er, von den Politikern jetzt weitaus hartnäckiger als zuvor mit dem
euphemistischen Namen Körperscanner belegt, erneut auf. Noch im Oktober
2008 stimmte das Europäische Parlament in seltener Geschlossenheit
gegen den Einsatz von „Nacktscannern“ in Flughäfen. Die Abgeordneten
kritisierten damals, „dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie
er in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt und notwendig
ist, beachtet werden sollte“. Nun, die „Verhältnismäßigkeit“ erweist
sich mal wieder als besonders elastisches Gummiband. Dabei beweist dieser Fall vieles, nur eines nicht: dass wir ein
weiteres Kontrollinstrument benötigen, das die Bürger gesundheitlich
gefährdet (es ist momentan unklar, ob Röntgenstrahlen, wie in den USA,
oder angeblich ungefährliche Tetrahertzstrahlen verwendet werden) und
demütigt (wie sehr, weiß jeder, der einmal in Moskau in die
„Duschkabine“ steigen und seine Arme ausstrecken musste, um
durchstrahlt zu werden). Auf jeden Fall schreitet die Kriminalisierung
des gemeinen Bürgers voran. Zwar wissen wir noch gar nicht, ob der
23-jährige Nigerianer Abdul Farouk Abdulmutallab den Sprengstoff in ein
Kondom gestopft, in seine Unterwäsche eingenäht oder an seinen Beinen
versteckt hat (so die verschiedenen Erklärungen des Tathergangs), oder
ob er sich manche Komponenten im Duty-Free-Shop gekauft hat, aber wir
wissen, dass am 19.November 2009 sein Vater, ein wohlhabender Bankier,
persönlich die US-amerikanische Botschaft in Abuja vor seinem Sohn
warnte, der zunehmend extremistische Positionen vertrete und sie wohl
bald in die Tat umsetzen werde. Das ist der feuchte Traum eines jeden
Sicherheitsbeamten. Er muss niemanden verhören, entführen, foltern oder
einsperren. Diese Information sinnvoll zu verwenden wäre jeder
Bürgerwehr gelungen. Dazu wären keine sündhaft teuren Sicherheitsorgane
notwendig, die unsere Bürgerrechte seit Jahren immer stärker
einschränken. Wieso gibt es die sogenannten No-Fly-Lists, auf denen
schon mehr als eine halbe Million Namen gestanden sein sollen, darunter
auch jene von Nelson Mandela und Edward Kennedy?

Es fällt schwer, die übereilten öffentlichen Rufe nach mehr
Sicherheit nicht als Aktionen von Attentatsgewinnlern zu
diskreditieren. Denn es wird bei diesem Thema seit einiger Zeit mit
gezinkten Karten gespielt. Die Nationalstaaten, vor allem aber die EU,
beteiligen sich an einer Reihe von Forschungsprojekten, angesichts von
deren Zielen einem die freiheitlichen Haare zu Berge stehen könnten
(Näheres unter www.cilip.de).
An erster Stelle wäre das Projekt INDECT zu nennen, bei dem
vorprogrammierte Videokameras Auffällige und Verdächtige erkennen und
verfolgen sollen, damit die Polizei sie nur noch aufsammeln muss.

Die Zentralcomputer sollen in der Lage sein, Gesichter mit breit
angelegten Datenbanken abzugleichen. Die EU-Kommission würde dieses
System gerne schon 2013 einführen, weswegen sie schon knapp 15
Millionen Euro investiert hat. 17 Partner aus zehn europäischen Ländern
arbeiten seit einem Jahr forciert an dem Großen Überwachungsangriff.
Wer auf diese Aussichten nicht mit Angst und Bange reagiert, der sollte
überprüfen, ob er nicht selber ein Roboter ist.

Wieso aber wird die Umgestaltung zu einem Überwachungsstaat
scheinbar unaufhaltsam vorangetrieben? An dem vorgeschobenen
Sicherheitsbedürfnis der Bürger kann es nicht liegen. Seit den
Anschlägen vom 11. September 2001 hat es weltweit keinen einzigen
Anschlag auf ein Passagierflugzeug gegeben, und es wurden „nur“ drei
Anschläge verhindert. Bedenkt man, dass weltweit täglich 50.000 bis
70.000 kommerzielle Flüge stattfinden (allein in Deutschland waren es
2008 mehr als drei Millionen Flüge – das Klima hustet seinen Dank),
blicken wir auf eine phänomenale Sicherheitsquote zurück, die nur zwei
Schlüsse zulässt: Entweder sind die existierenden Sicherheitskontrollen
extrem effizient oder der Krake des internationalen Terrorismus ist
nicht annähernd so gefährlich wie behauptet.


Nein, die Gründe liegen woanders. Die Staatsapparate weiten mit
großer Entschiedenheit ihre polizeilichen Machtbefugnisse aus, so als
wollten sie ihre wirtschaftliche Entmachtung kompensieren. Es liegt
aber auch nahe, dass sie sich wappnen für die sozialen Konflikte, die
von den Krisen der Gegenwart voraussehbar provoziert werden. Schon beim
Klimagipfel in Kopenhagen wurden Aktivisten mit dubiosen neuen
Ordnungsgesetzen aus dem Tagungszentrum vertrieben und manche sogar
verhaftet. In England werden Anti-Terror-Gesetze seit Jahren verstärkt
auch gegen sogenanntes anti-soziales Verhalten eingesetzt. Der
Nacktscanner ist nur ein prägnantes Symbol einer Entwicklung, an deren
Ende von unseren Bürgerrechten nicht viel übrig sein wird. Und das ist
keine Übertreibung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2010)

Source: http://diepresse.com/home/meinung/debatte/531907/index.do?_vl_backlink=/home/meinung/debatte/index.do