Hintergrund. »Zivil-militärische Zusammenarbeit« an bundesdeutschen Hochschulen (Teil I)
Von Peer Heinelt
[jungewelt.de] Zentrales Thema der Münchner »Sicherheitskonferenz«, die vom 5. bis 7. Februar in München stattfand, war die »Versorgungssicherheit« der westlichen Metropolen im allgemeinen und Deutschlands im besonderen; apodiktisch wird der Anspruch erhoben, nicht nur über alle für die Warenproduktion notwendigen industriellen Rohstoffe nach Belieben verfügen zu können, sondern diese auch zu Preisen zu erhalten, die den jeweiligen Abnehmern in ihr kommerzielles Verwertungskonzept passen. Um ein solches imperialistisches Programm in die Tat umzusetzen, bedarf es einer jederzeit weltweit einsatzfähigen Interventions- und Besatzungsarmee, die immer dann in Marsch gesetzt werden kann, wenn Rohstoffproduzenten irgendwo auf dieser Welt nicht spuren. Ein dieser Art funktionales Militär wiederum bedarf der Unterstützung zahlreicher ziviler Experten – »Entwicklungshilfe« etwa gilt heutzutage längst als Pendant erfolgreicher Aufstandsbekämpfung. So erklärte der für »wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung« zuständige Minister Dirk Niebel (FDP) unlängst mit Blick auf Afghanistan, daß in Zukunft die »Aktivitäten unserer Hilfsorganisationen« – er nannte die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) und die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – »dort konzentriert werden, wo die Bundeswehr aktiv ist«.
Wie eng die hier ministeriell verfügte »zivil-militärische Zusammenarbeit« auf der politisch-administrativen Ebene bereits ist, wurde ebenfalls einmal mehr anläßlich der Münchner »Sicherheitskonferenz« 2010 deutlich: Hier trafen sich unter anderem die »Munich Young Leaders«, ihrem Selbstverständnis nach ein »Netzwerk für den außen- und sicherheitspolitischen Führungsnachwuchs«. Wer dazugehören darf, bestimmt die Hamburger Körber-Stiftung; explizites Ziel ist die Rekrutierung eines »exklusiven Kreis (es) jüngerer Mitarbeiter aus den Büros von Bundestagsabgeordneten und Fraktionen, dem Bundeskanzleramt, dem Auswärtigem Amt, dem Bundesministerium der Verteidigung sowie aus Berliner Botschaften und Think Tanks«. Welche Positionen der »exklusive Kreis« zu vertreten hat, ist in den »Policy Papers« der Stiftung nachzulesen. Darin heißt es unter anderem, daß Deutschland zur »Großmacht« berufen sei, weshalb es sich endlich von seinem aus dem Erbe des Nazifaschismus resultierenden »Minderwertigkeitskomplex« frei machen müsse.
Intelligente Kampfmaschinen
Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, daß auch die deutschen Universitäten zunehmend zum Exerzierfeld »zivil-militärischer Zusammenarbeit« werden, dienen sie doch ebenso der wissenschaftlichen Forschung wie der Ausbildung von Spezialisten und Führungspersonal aller Art. Wie sich die Kooperation der Bundeswehr mit den technisch-naturwissenschaftlichen Bereichen des Wissenschaftsbetriebs darstellt, soll im folgenden am Beispiel der Entwicklung von Kampfrobotern oder »Unmanned Ground Vehicles« (UGVs) aufgezeigt werden, die für die deutschen Streitkräfte von strategischer Bedeutung sind. Dem deutschen Militär gelten UGVs als »Lebensversicherung« für die eigenen Soldaten, jedoch ist auch an weitergehende Einsatzszenarien gedacht: Ein Roboter sei »viel preiswerter als ein Panzer« und könne »viel mehr als nur Fahren und Schießen«, heißt es. Insgesamt verfügt die Bundeswehr mittlerweile über 40 UGVs, die von dem US-Konzern iRobot unter dem Markennamen »Packbot« vertrieben werden. Die »intelligenten« Kampfmaschinen firmieren unter der Bezeichnung »tEODor« (»telerob Explosive Ordnance Disposal and observation robot«) und werden in Afghanistan insbesondere zum Aufspüren und Entschärfen von Sprengsätzen eingesetzt. Sie zeichnen sich durch besondere Geländegängigkeit aus und sind in der Lage, ebenso in Schlamm und Schnee wie auf Sand und Asphalt zu operieren.
Federführend bei der Entwicklung von UGVs für die deutschen Streitkräfte ist der Wissenschaftler Hans Joachim Wünsche, Leiter des Bereichs »Technik Autonomer Systeme« an der Münchner Bundeswehr-Universität. Im Rahmen der Leistungsschau »European Land Robot Trial« (ELROB), die 2007 auf einem Truppenübungsplatz in der formal neutralen Schweiz stattfand, hatte Wünsche erstmals einen fahrerlosen Pkw vom Typ »VW Touareg« präsentiert. Seiner Aussage nach gelang es dem Fahrzeug, »in Bestzeit« nahezu autonom eine Strecke von acht Kilometern zurückzulegen; »enge Waldwege, steile Abhänge und in den Weg hineinragende Bäume« hätten dabei »kein Problem« dargestellt. Aber auch die Konkurrenz konnte sich sehen lassen: So schickten Forscherteams der Universitäten Hannover, Kaiserslautern und Siegen UGVs ins Rennen, die teilweise mit hervorragenden Bewertungen abschnitten.
Wie eng die »wehrtechnische« Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Universitäten ist, wird anhand der Person Wünsches deutlich. Neben seiner Tätigkeit für die Münchner Bundeswehr-Universität fungiert der Wissenschaftler als Teil des »Exzellenzclusters CoTeSys« (»Cognition for Technical Systems«), in das neben den Münchner Hochschulen auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das Max-Planck-Institut für Neurobiologie integriert sind. Des weiteren gehört Wünsche zu den Leitern des »Sonderforschungsbereichs Kognitive Automobile«, der mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am »Karlsruhe Institute for Technology« (KIT) eingerichtet wurde. Ziel, so die Münchner Bundeswehr-Universität, sei jeweils die Entwicklung von unbemannten Fahrzeugen, die sowohl mit Sensoren ausgestattet sind als auch über »kognitive Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Überlegung, Lernen und Planen« verfügen.
Partner der Wirtschaft
Wie das KIT wirbt auch das »strategische Forschungscluster« CoTeSys mit »erstklassigen« Arbeitsbedingungen um wissenschaftlichen Nachwuchs. In einer Selbstdarstellung werden »Absolventen und Absolventinnen technischer, sozialwissenschaftlicher oder naturwissenschaftlicher Studiengänge« explizit aufgefordert, »bei CoTeSys ein (zu)steigen«; die eigens für sie gegründeten »Independent Young Research Groups« böten ihnen »die Möglichkeit, im Team eigene themenübergreifende Forschungsvorhaben sehr frei zu planen und umzusetzen«. Die »Nachhaltigkeit des Clusters«, heißt es weiter, werde zudem durch ein »neues interdisziplinäres Lehrkonzept« sichergestellt; es umfasse »neue Bachelor- und Masterstudiengänge sowie Summer Schools für Doktoranden« und sei »darauf ausgerichtet, Studenten und junge Wissenschaftler am Standort zu fördern sowie Forscher exzellenter Einrichtungen weltweit nach München zu bringen« – zum Beispiel durch das Angebot einer »neue (n) Professur für strategisch bedeutsame Kompetenzbereiche«.
Aber das 120 Wissenschaftler umfassende »Exzellenzcluster«, das sich selbst als »Partner der Wirtschaft« versteht, hat auch denjenigen, die lieber in der Rüstungsindustrie als an der Universität arbeiten möchten, einiges zu bieten: Ein hauseigener »Career Service« zur Vermittlung von wissenschaftlichen Mitarbeitern an interessierte Unternehmen gehört ebenso dazu wie die »Qualifizierung« durch »Abordnung« an firmeneigene Forschungsgruppen »zum Erwerb eines Diploms, eines Masters oder zwecks Promotion«. Die »Verzahnung« mit der International Graduate School of Science and Engineering (IGSSE), einer weiteren »Exzellenzinitiative« der Technischen Universität München, biete außerdem die Möglichkeit, so heißt es, zahlreiche »Soft skills« wie etwa die Fähigkeit zur Teamarbeit zu schulen, da diese »für eine Tätigkeit in der Wirtschaft von hoher Relevanz« seien.
Strategische Forschung
Bei Waffenschmieden wie Rheinmetall, Diehl und Thales dürften Angebote wie diese auf fruchtbaren Boden fallen; erst unlängst hat ein von den drei Konzernen gebildetes Konsortium von der »Europäischen Verteidigungsagentur« (»European Defence Agency«/EDA) den Auftrag erhalten, ein »geländegängiges« UGV von der Größe eines vierrädrigen Motorrads, eines Quads, zu entwickeln. Das Fahrzeug soll eine Reichweite von 400 Kilometern haben und ohne Unterbrechung bis zu 24 Stunden lang einsetzbar sein. Zu den Aufgaben des projektierten UGV zählen »Langzeitpatrouillen« und »Überwachungsszenarien« ebenso wie »ABC-Spüreinsätze in möglicherweise kontaminiertem Gebiet« und die »Suche nach improvisierten Sprengladungen«.
Daß es sich hierbei nicht um technische Spielereien, sondern um strategische Forschungsvorhaben handelt, wird spätestens deutlich, wenn die beteiligten Rüstungsfirmen die »inhaltliche Orientierung« des Projekts erläutern. Diese, erklärt etwa Rheinmetall, beziehe das Entwicklungsvorhaben aus »aktuellen und künftigen militärischen Szenarien mit einer ernstzunehmenden Bedrohungssituation«, die allerdings »nur schwer einzuschätzen« sei: »Ob nun in Afghanistan, im Irak oder in zukünftigen Einsatzgebieten, überall stellt sich die Situation für die Einsatzkräfte ähnlich dar: Keine festen Frontverläufe, der Gegner ist nur schwer oder gar nicht zu erkennen und hat meist keine Skrupel, auch Unbeteiligte zu schädigen.« Darüber hinaus wollten die an »internationalen Missionen« beteiligten Militärmächte »die Verluste möglichst gering halten, um die Einsätze innenpolitisch weiter vertreten zu können«, heißt es. Die Lösung des Problems, so Rheinmetall weiter, seien »unbemannte Systeme, die autonom agieren und wichtige Aufgaben übernehmen können, während die Einsatzkräfte in sicherer Entfernung bleiben können und etwaigen Gefahren nicht unnötig exponiert werden«.
Unter dem Schutz der Truppe
Welche Dimensionen die »zivil-militärische Zusammenarbeit« im Wissenschaftsbetrieb mittlerweile angenommen hat, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß einer Studie der Tübinger Informationsstelle Militarisierung (IMI) zufolge an 60 deutschen Universitäten »wehrtechnische« oder »wehrmedizinische« Forschung betrieben wird – die Hochschulen der Bundeswehr nicht mitgerechnet. Allerdings geraten nicht nur Ärzte, Ingenieure und Techniker, sondern auch Geistes- und Sozialwissenschaftler zunehmend ins Blickfeld von Militär und Militärpolitik. Jüngst in dieser Hinsicht aufgefallen ist der Sonderforschungsbereich 700 »Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit« der Freien Universität Berlin (SFB 700), der zahlreiche Juniorprofessoren und Doktoranden beschäftigt (siehe jW-Thema vom 15.9.2008). Zwei der am SFB 700 tätigen Forscher wurden bereits direkt von der Bundeswehr unter Vertrag genommen: Jan Koehler und Christoph Zürcher befassen sich in einer vom Verteidigungsministerium bestellten Studie mit »rasch sichtbaren Maßnahmen des Wiederaufbaus«, sogenannten Quick Impact Projects, im Nordosten Afghanistans. Diese werden von der für die staatliche »Entwicklungshilfe« zuständigen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) durchgeführt und sollen angesichts zunehmender Aufstandsaktivitäten dazu beitragen, die »Akzeptanz« der deutschen Besatzungstruppen bei der afghanischen Bevölkerung zu erhöhen.
Laut Aufgabenstellung war in diesem Zusammenhang zu prüfen, inwieweit Bundeswehr-einheiten für »Operative Information« zu einer entsprechenden begleitenden »Öffentlichkeitsarbeit« herangezogen werden können. Nach ausgiebigen »Feldforschungen« unter dem Schutz der Truppe kamen die beiden Wissenschaftler zu folgenden Schlüssen: Zum einen müsse die Bundeswehr die GTZ »noch stärker (…) hinsichtlich Informationsbeschaffung und Analyse unterstützen«; dies liege »im militärischen Eigeninteresse«, da die Kooperation mit der Entwicklungsagentur helfe, »das Lagebild zu verbessern« und die Verbindung zur afghanischen Bevölkerung »zu verstetigen«. Zum anderen solle die auf psychologische Kriegführung spezialisierte Truppe für »Operative Information« eine »gezielte PR-Begleitung« der GTZ-Projektarbeit übernehmen, schließlich stünden hierfür ein von den Psycho-Kriegern betriebener Radiosender und eine von diesen publizierte Zeitung zur Verfügung.
Psychologische Kriegführung
Mit Aufstandsbekämpfung befassen sich auch die an etlichen deutschen Universitäten aktiven »Außen- und sicherheitspolitischen Studienkreise« (ASS). Der eingetragene Verein versammelt nach eigenen Angaben Politikwissenschaftler, Historiker, Islamwissenschaftler und »Geopolitiker« mit dem Ziel, »politischen, gesellschaftlichen und militärischen Kompetenzträger (n)« das »Handwerkszeug« für den Umgang mit Widerstandskämpfern, Partisanen und »Terroristen« zu liefern. Jüngstes Ergebnis der Expertenberatungen ist die Publikation »Asymmetrische Konflikte im Spiegel der Zeit«; hier wird unter anderem erklärt, daß sowohl die »Schwierigkeiten« als auch die »Problemlösungsansätze« des US-amerikanischen und des britischen Militärs bei der Bekämpfung von Aufständischen in Vietnam und in Malaysia »mannigfaltige Gemeinsamkeiten mit der heutigen Situation in Afghanistan und dem Irak« aufwiesen. Die Strategie »massivste (r) Bombardements«, wie sie die USA in Vietnam anwandten und wie sie heute in Afghanistan praktiziert werden, so heißt es weiter, habe sich als »kontraproduktiv« erwiesen: Da die zahlreichen Opfer unter der Zivilbevölkerung zu einem »Legitimitätsverlust« auf seiten der Besatzungstruppen führten, sei »ein gezieltes Eingreifen durch Spezialeinheiten am Boden, wie von den Briten in Malay (si)a systematisiert, sowohl militärisch als auch psychologisch vorzuziehen«.
Analog den Forschungsergebnissen des SFB 700 sieht der Autor Daniel Kramer die Grundlage für eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung in der »funktionierende (n) Informationsgewinnung« über Nachschubrouten, Rückzugsgebiete und militärische Strukturen der Insurgenten. Einer solchen »Informationsgewinnung« wiederum diene die psychologische Kriegführung, deren Aufgabe die »Gewinnung der Herzen und Köpfe« der Bevölkerung sei; dieser müsse man materielle Vorteile versprechen, um sie dazu zu bringen, sich von den Aufständischen zu »trennen«, heißt es. In Afghanistan etwa seien die offiziell für den »Wiederaufbau« des kriegszerstörten Landes zuständigen »Provincial Reconstruction Teams« der Bundeswehr das geeignete »zivil-militärische Instrument«, um »direkt an die lokale Bevölkerung anzudocken«.
Kampf um Ressourcen
Wie der »Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen« (BSH), der mittlerweile in 38 deutschen Universitätsstädten präsent ist, zählen auch die »Außen- und Sicherheitspolitischen Studienkreise« zu den »Zentralen Arbeitskreisen« des »Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr«. Ende April 2008 präsentierte der Reservistenverband im Rahmen einer Feierstunde in der Stuttgarter Theodor-Heuss-Kaserne ein gemeinsam mit den ASS erarbeitetes »Praxis-Handbuch Energiesicherheit«. Wie der Gastgeber und Kommandeur des Landeskommandos Baden-Württemberg, Oberst Franz Arnold, bei dieser Gelegenheit erklärte, sei heutzutage von einem »erweiterten Sicherheitsbegriff« auszugehen, der selbstverständlich beinhalte, daß »Streitkräfte weltweit eingesetzt werden, um Energiesicherheit zu gewährleisten«. Dementsprechend soll das »Handbuch« nach Mitteilung der Herausgeber dazu beitragen, die deutsche Bevölkerung auf einen »künftig mit Härte und Gewalt geführten Wettbewerb um Ressourcen, Verteilung und Transport« vorzubereiten; explizites Ziel ist die Lancierung einer politischen »Kampagne«, die die militärische Absicherung der deutschen Energieversorgung begleitet und von Reservisten organisiert wird.
Zu der sich an zivilen deutschen Universitäten etablierenden »Strategic Community« zählt neben den ASS und dem BSH auch die »Akademische Gesellschaft für sicherheitspolitische Kommunikation« (AGfsK). Die von dem Nachwuchspolitiker Ingo Wetter (CDU) und dem Reservisten Rouven Maid geleitete Organisation will nach eigener Aussage eine »breite, gesellschaftliche Debatte über Sicherheit, Sicherheitspolitik und Sicherheitsinteressen« initiieren und setzt zu diesem Zweck auf eine enge »Kooperation« mit den einschlägigen »Institutionen des politisch-administrativen Systems«. Man wolle zur »Sicherung des Friedens und der Freiheit in und außerhalb (sic!) Europas« beitragen, teilt die AGfsK unter Bezug auf traditionelle Floskeln expansionistischer Propaganda mit und kündigt an, dabei ganz bewußt »über klassische Modelle und Denktraditionen hinaus (zugreifen)«.
Die erste von der akademischen Gesellschaft organisierte Veranstaltung fand Ende Februar 2009 an der Universität Marburg statt und war der Beurteilung von »Bedrohungsszenarien« gewidmet. Erklärtes Ziel der Veranstalter war es, anhand von Planspielen das »Katastrophenpotential« und die »Eintrittswahrscheinlichkeit« von gegen deutsche Interessen gerichteten Angriffen einzuschätzen, um auf dieser Grundlage »geeignete Abwehrmaßnahmen« zu entwickeln – etwa im Bereich der »Terrorismusbekämpfung«. Ganz im Sinne des Selbstverständnisses einer »Strategic Community« waren zu dem Marburger »Workshop« nicht nur Studierende und Wissenschaftler geladen, sondern ebenso »Personen aus der strategisch-operativen Praxis«.
Allerhand »Bedrohungen«
Zu letzteren zählte unter anderem Stephan Böckenförde, der im Programm des »Workshops« als »Vertretungsdozent an der Universität Marburg« firmierte. Verschwiegen wurde dabei, daß Böckenförde hauptberuflich für die deutschen Streitkräfte tätig ist: Im Auftrag der »Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation« (AIK) in Strausberg bei Berlin, der Nachfolgeeinrichtung der »Schule für Psychologische Verteidigung«, bietet Böckenförde regelmäßig mehrtägige Seminare für Journalisten an. Dabei geht es seiner Aussage nach vorrangig um das »Bekanntmachen mit der Arbeit des Presse- und Informationsstabes des Bundesministeriums der Verteidigung« mit dem Ziel, entsprechendes »Hintergrundwissen« samt der zugehörigen »Kontakte« zu vermitteln. Grundsätzlich gelten Medienvertreter der AIK eigenen Angaben zufolge als »Multiplikatoren« von Propagandabotschaften; ihnen ist insbesondere die Rolle zugedacht, in der Öffentlichkeit immer wieder auf die vermeintliche Notwendigkeit und Alternativlosigkeit des Umbaus der Bundeswehr zu einer Armee im permanenten »Auslandseinsatz« hinzuweisen.
Die AIK wiederum hat Böckenförde an die Universität Potsdam abgeordnet, wo er als Dozent des Masterstudiengangs »Military Studies« wirkt. Angeleitet von ihm sowie Mitarbeitern des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr und des Militärgeschichtlichen Forschungsamts erfahren hier Interessierte der Eigenwerbung zufolge alles Wissenswerte über die »Themenfelder Militär, Krieg und organisierte Gewalt«. Der Studiengang ist den Fakultäten für Philosophie sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zugeordnet; Ziel ist es laut Prüfungsordnung, die Absolventen zu befähigen, »in Politik, Medien und Kultureinrichtungen militärhistorische und militärsoziologische Zusammenhänge zu vermitteln«. Daß damit die Rekrutierung von »Multiplikatoren« im Sinne eines gleichermaßen imperialistischen wie wohlstandschauvinistischen Programms gemeint ist, wird deutlich, wenn man liest, was Dozent Böckenförde in seinen Seminaren zum besten gibt: Diskutiert werden hier allerhand »Bedrohungen« für die »Sicherheit« Deutschlands – von der »von Märkten« und der »Verringerung von Angebotsmengen« über die Ausbreitung von Pandemien bis zu »Migrationsbewegungen« aus den Armutszonen des Südens.
Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main