[linksunten.indymedia.org] Eine Gruppe No Border Aktivist_innen war
vergangene Woche in Calais um die Migrant_innen dort zu unterstützen,
bei ihrem täglichen Kampf um Schlafplätze und gegen die Polizei. Die
Situation hat sich seit den großen Räumungen im Herbst nicht gebessert.
Wir wurden Zeug_innen von erneuten Räumungen, Hetzjagden und dem ganz
normalen Wahnsinn einer Stadt an der Grenze.
– ein persönlicher Wochenbericht –
Every Time Police Problem – Eine Woche in Calais
Als ich jünger war
Als
ich jünger war habe ich im Fernsehen mal einen Film gesehen, über ein
Dorf in dem gegen Ende des zweiten Weltkrieges ein Zug voller
Gefangener liegen bleibt und vergessen wird. Als wenige Tage später die
Nachricht vom Kriegsende auch dieses Dorf erreicht, wissen die
Bewohner_innen des Dorfes nicht damit umzugehen. Sie wissen nicht, was
sie mit diesem immer weniger und leiser stöhnenden Menschen machen
sollen, sie haben Angst vor ihnen. Sie wissen sich nicht anders zu
helfen, als gemeinsam die Waggons auf den Gleisen ein Stück weiter,
bergab in den nahe gelegenen Wald zu schieben. Gerade so weit, damit
das letzte Klagen nicht mehr zu hören ist, im Dorf.
Schweigen.
Die Hoffnungsvollen und Unerwünschten von Calais – zur Situation
Diese
Woche waren einige Aktivist_innen des Netzwerkes „No Border“ in Calais,
der kleinen französischen Hafenstadt am ÄrmelKanal mit dem Eurotunnel
nach Großbritannien. Seit Jahren erreichen zahlreiche Migrant_innen aus
den verschiedensten Ländern, unwirtlichen Regionen und Krisengebieten
dieser Welt Calais, um von hier die letzte Hürde zum Reiseziel England
zu nehmen. Sie haben beschlossen, unter den Bedingungen ihrer Heimaten
nicht mehr leben zu wollen und sie haben so manches Mal die schönsten,
traurigsten und bittersten Gründe und Träume, warum sie nach Europa und
nach England wollen. Viele von ihnen sind schon seit Monaten unterwegs,
stets ohne Rechte und abhängig von verschiedensten Schleppern in
Mafiaähnlichen Strukturen und viele von ihnen hängen nun wiederum schon
Monate fest in Calais, da die Grenze zur Insel eine der am
schwierigsten zu überwindendenden ist. Unter LKWs geklemmt, auf die sie
manchmal während der Fahrt aufspringen müssen, unter Planen, auf
Anhängern versuchen sie es. Manchmal auch schwimmend, sich an eine der
Fähren hängend, oder gar den ganzen Kanal überquerend – was bisher eher
wenigen gelungen sein dürfte.
Doch die hochgesicherte Grenze ist
nicht das einzige Problem, die einzige Hürde. Während sie des Nachts
versuchen diese zu überwinden, bleiben viele Stunden und ein ganzer Tag
der herumgebracht werden will.
Die Migrant_innen in Calais
organisieren sich in ihren Nationalitäten, bzw. nach ihrer Herkunft.
Einige leben in besetzten Häusern in Calais, Squats genannt. So leben
Menschen aus dem Sudan, Somalia, und anderen, meist afrikanischen
Ländern im so getauften „AfricaHouse“, oder im „EgyptianHouse“ Leute
aus Ägypten und Palästina; andere in „Jungles“, kleinen ZeltDörfern aus
Paletten, Pappe und Plastikplanen am Rande der Stadt – hier vorallem
Menschen aus Afghanistan, Iran, Irak und kurdischen Gebieten. Die
Jungles wurden den Herbst über vermehrt von der Polizei geräumt, so
dass es keine Bleibe für diese Menschen gab.
Im Winter, wenn die
Temperaturen unter nulll Grad sinken, öffnet die Stadt gnädigerweise
eine Turnhalle, das BCMO, zur Übernachtung. Diese war dank „wärmerer“
Temperaturen von acht Grad allerdings schon wieder geschlossen, als wir
Calais am vergangenen Wochenende (12. März) erreichten. In Ermangelung
anderer Schlafplätze haben die afghanischen Pashtun, Iraker, Iraner und
Kurden (es waren nur Männer) beschlossen unter dem Vordach der
BCMOTurnhalle zu schlafen. Wer sich dort nicht mehr hinquetschen
konnte, schlief an der Wand einer NachbarLagerhalle. Insgesamt dürften
es um die siebzig Menschen gewesen sein, die dort jede Nacht, nach
ihren missglückten Versuchen auf LKWs zu gelangen, ihren Schlaf fanden
– unter zahlreichen gesammelten und gespendeten AltkleiderDecken und
einzelnen Planen zum Schutz vor Regen.
Man stelle sich das vor.
In einer Stadt mit 70 000 Einwohner_innen, schlafen an einem relativ
zentralen Platz, an einer mittelgroßen Straße, täglich 70 Personen an
einem Fleck. Die Menschen aus Calais, Calais‘ sogenannte Bürgerinnen
und Bürger, scheinen das gekonnt zu ignorieren. Nicht einmal mehr die
Kinder auf dem Heimweg von der Schule, werfen noch einen Blick auf die
Deckenberge und die darin und drumherum wuselnden Menschen.
Es herrscht Schweigen über dieses „Problem“, meiner Meinung nach bedrückendes Schweigen.
Die
Frage, wie die Stadt Calais, in Form einer Stadtverwaltung, damit
umgeht, ist seit geraumer Zeit bekannt. Wiederkehrende Räumungen der
Jungles und Squats, Schikane der herumlaufenden Migrant_innen, das
UnmöglichMachen eines täglichen Lebens, eines Aufenthalts, eines
schlichten Seins in der Stadt – mit Hilfe der nationalen wie städtische
Polizei, Grenzschutz und polizeilichen Sondereinheiten.
Jede
Festnahme, jede Kontrolle der nicht vorhandenen Papiere der
Migrant_innen bedeutet die Gefahr des FingerabdrückeNehmens. Sind die
Fingerabdrücke einmal genommen, gibt es aufgrund der „sichere
DrittstaatenRegelung“ für die Betroffenen keine Möglichkeit mehr in
Großbritannien einen Asylantrag zu stellen und somit dort endlich aus
der „Illegalität“ herauskommen zu können.
In meinem Kopf
schwirrt das traurige Bild eines jungen Afrikaners, wie er in der Sonne
sitzt und mit Schleifpapier intensiv seine Fingerkuppen bearbeitet.
Später gesellt er sich ans Feuer, zeigt einem anderen Mann seine Hände,
der betastet sie ausgiebig. Ich verstehe nicht was sie sagen, doch es
ist nicht nötig.
Eine Woche in Calais – aktuelle Geschehnisse
Graffiti als Vorwand für Festnahmen – Dienstag
Die
ersten Tage die wir in Calais verbrachten, waren recht ruhig. Die
üblichen Schikanen, die üblichen kleinen Festnahmen, eine Stadt voller
Polizeipräsenz – an jeder Ecke. Nächtlich „heimkehrende“ Migrant_innen,
erneut gescheitert am Hafen, an der Autobahn, an der Grenze. Sie
rennen, gejagt von der Polizei, die sich einen Spaß daraus macht
Gruppen von circa zwanzig Menschen vor ihrem Auto herzutreiben, wie
eine Herde aufgescheuchter Tiere.
Ich der Nacht von Montag auf
Dienstag beschlossen einige der Pashtun am nächsten Tag in Hungerstreik
zu treten, zum einen weil dass Essen bei der täglichen Essensausgabe
oft ein einziger geschmackloser Brei sei, zum anderen, weil die Polizei
in letzter Zeit oft Leute auf dem Weg zur Essensausgabe festnahm,
obwohl eine eine definitive Absprache zwischen den NGOs der
Essensausgabe und der Polizei gab, dass genau das unterbleiben sollte.
No Border Aktivist_innen informierten auf Bitte der Migrant_innen die
lokale Presse und unterstützten sie mit Material beim Malen von
Transparenten mit ihren Forderungen. Eines der von den Migrant_innen
gemalte Demobanner lautete so ehrlich: „Every time police problem!“
Einige der Spraydosen wurden jedoch „zweckentfremdet“ und verschönerten
kurze Zeit später die umliegenden Häuserwände.
Dies nahm die
Polizei zum Anlass, nachdem sie am Morgen schon zwei Migranten an der
BCMOTurnhalle festgenommen hatte, wieder zu kommen. Unter dem Vorwand
die „schuldigen Sprayer“ festnehmen zu wollen, zählte sie 20
Migrant_innen regelrecht ab (!) und verfrachtete sie in ihre Busse.
Dies
war die erste „größere“ Polizei-Action die wir (wohlgemerkt lediglich
seit unseres Aufenthaltes) mitbekamen. Von da an rissen die Begegnungen
mit der Polizei, inklusive der Festnahmen, nicht mehr ab.
Die
Festgenommenen wurden am gleichen Tag noch freigelassen, doch kamen
wenige Stunden später Beauftragte der Stadt und sperrten einen
Durchgang zum Gelände hinter dem BCMO mit Gittern ab. Dadurch wurde
dieses Gelände, auf dem sich immer noch Migrant_innen aufhielten und
nachts auch schliefen, zu einer Mausefalle mit nur einem Ausgang.
Zu Befehl
Warum
sie das tun, woher die Anordnung käme, fragten wir. „Das wissen wir
nicht“, „Wir handeln nur im Auftrag“, war die Antwort. Wir handeln nur
im Auftrag, wir wissen von nichts. Diese Sätze habe ich dieser Tage so
oft gehört, bei jeder Begegnung mit irgendeiner Form von Staatsgewalt.
Niemand scheint Verantwortung für irgendetwas zu haben in Calais.
Niemand scheint nachzudenken, sich zu fragen, zu wundern, über das
Danach, die Folgen.
„Wir warten gerade auf Anweisungen“ war ein
weiterer Satz der einigen Uniformierten sehr leicht, zu leicht, über
die Lippen ging. Mein Lachen darauf zollten sie mit Unverständnis im
Blick.
Solidaritäts-Aktion am Abschiebeknast
Um
gegen die Festnahmen zu protestieren, fuhren einige der No Border
Aktivist_innen zum Abschiebeknast im Nachbarort Coquelles. An der
Hinterseite des Gebäudes zeigten wir unsere Banner und riefen – um von
den Menschem im Gefängnis gehört und um von den „Schreibtischtätern“ in
ihren Büros gesehen zu werden. Einige schauten aus ihren Zellen, ein
kurzer Sprechchor aus dem Hof kam uns zur Antwort. Doch die Polizei,
die von hinten kam und uns am Weggehen hinderte, ließ nicht lange auf
sich warten. Identitätskontrollen, eine Aktivistin wurde zu Boden
geworfen und durchsucht. Die Befehlshabende Polizistin, die wir schon
bei den Festnahmen am Morgen kennengelernt hatten, machte einen
wirklich strengen und schlecht gelaunten Eindruck, vorallem nachdem sie
unser Transpi: „No Borders!“ gelesen hatte und daraufhin meinte uns
eindeutig der No BorderGruppe zuordnen zu können.
Das
Polizeiaufgebot betrachten wir als angemessen: Zwei vollbestetze
Kleinbusse und zwei Polizeiautos – für sechs Aktivist_innen. Sie
geleiteten uns nach den Kontrollen zur Straße zurück, hinderten uns
jedoch daran unsere Autos zu holen. Nach Diskussionen und Befragen
eines Diensthöheren war dies dann doch möglich, allerdings wurde eines
unserer Autos (bzw. später auch die Insassen des Autos als sie zu Fuß
unterwegs waren) bis zum Abend von einem Polizeibus verfolgt. Bei
Dämmerung im Strandgetummel konnten die abgeschüttelt werden.
Wir werten diese Aktion als Einschüchterungsversuch von Seiten der Polizei.
Zur
gleichen Zeit wurde eine andere Aktivistin am Besuch eines Freundes in
Abschiebehaft gehindert, mit der Begründung sie sei „No Border“ und
weil ein Polizist sie von den MorgenFestnahmen her wiedererkannt hatte.
Nach drei Anläufen und letzten Endes durch Hinzuziehen eines Anwalts,
musste dem Besuch stattgegeben werden.
Räumung der BCMOTurnhalle – Mittwoch
Ein
Wiedersehen mit der Polizei und auch der freundlichen Kommandoleiterin
gab es schon am nächsten Tag, Mittwoch. Während die Migrant_innen
gerade bei der Mittagsessesausgabe waren (der Hungerstreik wurde nach
den Festnahmen und vielen Diskussionen doch ausgesetzt), machten
Polizei und Säuberungskommandos – in weißen Schutzanzügen und
Mundschutz sich dran den Platz rund um das BCMO von Decken und
jeglichen persönlichen herumliegenden Gegenständen der Migrant_innen zu
„säubern“. Darüber hinaus wurde alles mit (vermutlich)
Desinfektionsmittel eingesprüht, was die Nutzung der Decken nicht
gesünder macht. Aufgebracht kamen die Migrant_innen vom Essen zurück,
doch an der de facto Räumung war nichts zu ändern. Migrant_innen und
Aktivist_innen die wenigstens ein paar Gegenstände und Decken retten
wollten, wurden von der Polizei lautstark, zum Teil mit Körpereinsatz,
daran gehindert. Später gab es die gnädige Möglichkeit einige Decken
wieder vom Müllauto herunter zu ziehen, sie waren mittlerweile nass und
zum Teil stark verschmutzt. (Anmerkung dazu: Dass die Migrant_innen
keine Möglichkeit haben Wäsche zu waschen, kaum irgend duschen können,
liegt auf der Hand; Hautkrankheiten sind generell schon ein Problem)
Die
ganze Szenerie, der Umgang der Polizei mit den Migrant_innen war
wiederwärtig, die Behandlung der Migrant_innen als minderwärtig in so
vielen Gesten abzulesen. Das „Geschenk“ von zwei unterschiedlichen
Schuhen, die sie auf dem Boden gefunden hatte, von der lächelnden
befehlshabenden Polizistin an einen verzweifelten Mann, der seine
Decken suchte, war verachtend wie lächerlich zugleich.
Groteskes
Ende der Aktion war, dass nach Ende der Aufräumarbeiten die Polizei den
Migranten, die sich mittlerweile wartend an den Straßenrand gesetzt
hatten, signalisierte sie sollten jetzt gehen. „You go now. You can go
now!“ Auf die Frage wohin denn, gab es nur Schulterzucken von Seiten
der Polizist_innen die erneut anfingen Drohgebärden zu machen um die
Migrant_innen zu vertreiben. Einige der Migrant_innen fragten lauter,
einige der Aktivist_innen versuchten der Polizistin die totale
Sinnlosigkeit dieser Aufforderung zu erklären – ohne Erfolg. Irgendwann
machten sich die Migrant_innen auf den Weg sich irgendwo zu verteilen,
aufzulösen, und auch die Polizei fuhr ab. Beide, Migrant_innen wie
Polizei sahen wir den Tag über in der Stadt verteilt. Verstreut
verloren, mit einzelnen Decken bepackt, auf Parkbänken sitzend,
wartend, die Einen; im blauweißen Auto sitzend, eben jene Einen jagend,
die Anderen.
Wir sehen die Räumung des BCMO in mehrerlei Zusammenhang.
Bisherige
Erfahrungen mit den Reaktionen der Stadt Calais auf Migrant_innen
legten den Vermutung nahe, dass so viele Menschen, die täglich an einem
solch zentralen Ort in Calais übernachten, Lagerfeuer machen und sich
aufhalten, von der Stadt nicht dauerhaft akzeptiert werden würden. Eine
Räumung war also abzusehen. Das sie zu diesem Zeitpunkt stattfand, mag
an dem kleinen Aufmucken der Migrant_innen am Dienstag gelegen haben,
möglicherweise inklusive der Unterstützung durch die, bei der Polizei
nicht gerade beliebten No Border Aktivist_innen.
Darüber hinaus
war am Sonntag, den 14. März, jedoch auch der erste von zwei Wahlgängen
der Regionalwahlen in Frankreich. In Calais wurde bei einer
Wahlbeteiligung von 37 Prozent (!) zu knapp 20 Prozent die
rechtsextreme Partei Front National (FN) unter Führung von Marine Le
Pen, der Tochter des Rechtspopulisten JeanMarie Le Pen, gewählt.
Landesweit erhielt die FN allein schon elf Prozent der Stimmen. Solche
Wahlergebnisse haben bekanntermaßen oftmals eine straffere Umsetzung
einer ohnehin schon repressiven Politik zur Folge. Sie bieten
regelrecht eine Legitimation härter durchzugreifen um für „Recht und
Ordnung“ zu sorgen. So scheint es auch in Calais.
Kontrollen, Festnahmen, Schikane – Donnerstag
Diese
in wenigen Tagen, Stunden, so angewachsene Polizeirepression gegen die
Migrant_innen setzte sich am Donnerstag und Freitag fort. Das
EqyptianHouse und ein weiteres Migrant_innenSquat wurden geräumt, alle
Anwesenden festgenommen, mehrmals kam die Polizei zum AfricaHouse und
nahm einzelne Leute, einmal 20 Menschen auf einmal, fest. Die Menschen
die vor dem BCMO geschlafen hatten, kehrten zum schlafen an die Orte
ihrer früheren Jungles zurück. Sie spalteten sich in ihre kleineren
Nationalitätsgruppen auf. Die Pashtun suchten sich einige alte
Güterzüge auf Abstellgleisen, auf denen, bzw. bei Regen unter denen sie
übernachteten.
Am Donnerstag berichteten sie, dass in der Nacht
die Polizei fünf mal gekommen sei, sich einmal regelrecht angepirscht
hatte, um sie zu kontrollieren. Einzelne wurden dabei immer wieder
festgenommen, zur Wache gebracht und nach einigen Stunden wieder laufen
gelassen. Ärgerlicher zweistündiger Weg zurück bei Regen. Ein Mann
erzählte uns, dass er seit dem gestrigen Abend vier Mal festgenommen
worden war. Schikane. Reine Schikane.
In der Nacht von
Donnerstag auf Freitag wurden wir Zeug_innen eines PolizeiBesuchs auf
den Gleisen. Skurile Situation des Zusammentreffens von Migrant_innen,
Polizist_innen und Aktivist_innen, alle über Gleise und Züge kletternd,
des Nachts auf den Abstellgleisen vor Calais unweit des Hafens. Weit
entfernt davon, dass irgendwer sonst etwas von diesem verrückten Spiel
mitbekommen könnte. Weit davon entfernt, dass irgendwer etwas davon
mitbekommen wollte.
Wir waren gekommen um Planen und Decken zu
bringen für die Nacht. Kleine humanitäre Hilfeleistungen, die wir nicht
als unsere erste Aufgabe sehen, denen wir uns aber nicht entziehen
können, angesichts des Regens, der Kälte und der schlichten Tatsache,
dass um die hundert Menschen irgendwo in den Dünen oder unter Zügen auf
Gleisen schlafen. Ohne Decken, ohne Wasser, mitten in WestEuropa.
Während in der Stadt die Sporthallen leerstehen und die Kirche mit
einem Auto herumfährt, in welchem ein Zettel hängt der sagt: „Please,
we take just people under age 18 an sicks to the church, because there
is no enough space in the church, we are sorry“ [sic!].
Welch Hohn.
Schweigen
Eine
ganze Stadt schweigt, angesichts dieses täglichen Unrechts gegen über
Menschen, die einfach nur einen Traum haben und den Mut aufgebracht
haben, sich auf den Weg zu machen. Die zum Teil so viel Leid erfahren
haben, zu Hause oder unterwegs. Sich verändert haben in der Zeit de
Reise. Bei etwas Ruhe erzählen sie davon, beim Tee am Lagerfeuer, beim
Mittagessen, beim Warten auf die Nacht. So viele Geschichten vom
Eingeschlossen sein, arm sein, auf der Suche nach der Familie sein,
Minderheit zu sein, kriegsmüde sein. Geschichten über Stationen der
Reise, über Gefühle über das hier und jetzt, über die Utopie vom
freundlichen glücklichen gelobten Europa, über eine Stadt wie Calais.
Schmerzverzogenens
Gesicht eines 17jährigen jungen Sudanesen beim Kopfschütteln auf die
Frage ob er Kontakt zu seiner Familie in Dafur hat. Ob er Interesse an
aktuelle Informationen zur Situation in Dafur haben möchte? „No, no,
please no.“
Diese Geschichten scheinen in Calais keine Geschichte wert. Die Stadt schweigt sich aus. Die
Polizei tut ihren Job. Auf Anweisung. Ohne jegliche Verantwortung.
Bleiben
die NGOs die die täglichen Essensausgaben organisieren, sie geben das
Nötigste. Maximal. Macht es euch nicht zu gemütlich scheinen sie zu
sagen, mit der Stadtverwaltung und Polizei im Nacken.
Bleibt die
Kirche, die alle paar Tage mit einem Auto vier Leute (!) abholt, damit
sie sich duschen können. Es scheinen aktuell um die dreihundert
Migrant_innen in Calais zu sein. Die Leute rennen um die Wette zu
diesem Auto. Das Schmunzeln darüber bleibt im Hals stecken.
Bleibt
der UNHCR, die Flüchtlingsorganisation der UN. Welche Rolle, ich möchte
sagen, welches Spiel, sie spielen, ist nicht ganz klar. Aufgrund der
zahlreichen Festnahmen dieser Tage wurden Fingerabdrücke genommen, die
noch nie gegeben worden waren. Ein zerplatzter Traum vom vielleicht
möglichen Leben mit Papieren in England durch das Drücken eines Fingers
auf ein Stempelkissen, auf einen kleinen Scanner.
Menschen die
uns in den ersten Tagen stets gut gelaunt begegnet waren, sahen am
Donnerstag so unendlich niedergeschlagen und müde drein. Nächte ohne
Schlaf, Hetzjagden mit der Polizei. Fingerabdrücke. Und viele von
ihnen, so viele erzählten, dass sie Abkommen mit dem UNHCR
unterschrieben hätten, in ihrer Verzweiflung. In ihrer
Hoffnungslosigkeit überredet von den UNMitarbeitern. Abkommen darüber,
dass der UNHCR ihnen helfen würde einen hoffnungslosen Asylantrag für
Frankreich zu stellen, sowie – wer auf Asyl von vorn herein keine
Chance hat – die Übernahme der Flugkosten ins Heimatland durch den
UNHCR. Sogar die Finanzierung der Tage bis zum Flug im Hotel. Das
Niederschlagen der Augen. Kopfschütteln.
Was bedeutet eine
Heimreise von wenigen Stunden Flug, in den Iran, Sudan, Afghanistan für
diese Menschen? Wir können es nicht wissen, es uns nicht annähend
ausmalen. Für die meisten wohl in erster Linie ein Scheitern, für
manche Unglück, Krieg, Folter, Tod.
In meinem Kopf schwirren die
verunsicherten Gesichter von Menschen, die ich kennenlernen durfte, wie
sie schweigend im UNHCRAuto auf der Straße an mir vorüber fahren, mir
nach schauen. Ich winke. Und mir bleibt für den Moment auch nicht
anderes als zu scheigen. Doch mit Tränen in den Augen, angesichts
dieser Hoffnungslosigkeit, dieses todesmutigen geplatzten Traumes,
dieser schreienden Ungerechtigkeit, die da an mit vorbeifährt.
All
das wegen einer zufälligen Geburt, an einem zufälligen Ort und einem
Stück Papier, das man daraufhin bekommt – oder eben nicht.
Zum Abschied
Am
Freitag Vormittag bereitete die Polizei den No Border Aktivist_innen
noch ein ganz persönliches Abschiedsgeschenk, sie räumte das
leerstehende und besetzte Haus in dem wir schliefen und nahm vier
Aktivist_innen für sechst Stunden fest. Nach langem Warten und
Verweigern der Aussage, hieß es jedoch, dass es keine Strafverfolgung
gebe, wir lediglich „verschwinden“ sollten. Man wolle uns nicht mehr
sehen. Immerhin – das soll nicht verschwiegen werden – durften wir noch
unsere Sachen aus dem Squat holen.
Und so traten die meisten der
No Border Aktivist_innen Freitag Nacht ebenfalls die Heimreise an. Froh
und sich mit-schuldig fühlend zugleich diesen erdrückenden Ort
verlassen zu können, und zu Hause wieder in den Genuss von Betten,
Decken und Duschen zu kommen.
Viele der Migrant_innen jedoch
bleiben, in ihren Squats, auf der Straße, auf den realen wie
sinnbildlichen Abstellgleisen von Calais, wohin sie getrieben werden
von einer Stadt, einem Land, einem Kontinent; von schlichten anderen
Menschen, die nicht mit ihnen umgehen können, die sie nicht sehen
wollen und deshalb ignorieren, die Angst vor ihnen haben. Und die sie
deshalb quälen, statt mit ihnen zu reden – um dann zu überlegen, was
getan werden könnte.
Sie werden nicht verschwinden diese
Menschen, sie schaffen es sich durch die mitunter sichersten Grenzen
dieser Welt hindurch zu bewegen, und führen uns die Probleme dieser
Welt vor Augen. Auf dass sie dies auch weiterhin tun. No Borders! No
Nations!
Die nächsten No Border Aktivist_innen sind schon in Calais eingetroffen, oder auf dem Weg dorthin.
Weitere Infos unter calaismigrantsolidarity.wordpress.com