Paramilitärische Auslandspolizei

Die Bundesregierung soll für die deutschen Auslandsinterventionen eine paramilitärische Polizeitruppe ("Gendarmerie") gründen. Dies empfehlen Regierungsberater von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Demnach bestehe in den Interventionsgebieten von Bundeswehr und deutscher Polizei eine "Fähigkeitslücke", die vor allem die Niederschlagung von kleineren Unruhen und gewalttätigen Demonstrationen betreffe. Hierzu sei eine Mischung aus polizeilichen und militärischen Fähigkeiten nötig, die man gewöhnlich bei Gendarmerien vorfinde.

[german-foreign-policy.com] Gendarmen dürfen – anders als Polizisten – dem Militär unterstellt werden, ähneln laut SWP "einer leichten Infanterie" und können auch in Kriegsgebieten operieren; die NATO nutzt Gendarmen zum Polizeitraining in Afghanistan. Wie es bei der SWP heißt, stünden rechtliche Einwände dem Aufbau einer Gendarmerietruppe keinesfalls im Wege: Zwar schreibe das Grundgesetz eine klare Trennung zwischen Polizei und Militär vor, dies gelte jedoch nicht im Ausland. Die SWP-Regierungsberater plädieren für den Aufbau einer Spezialeinheit "von einigen hundert Gendarmen" unter dem Dach der Bundespolizei oder der Feldjäger der Bundeswehr.

Fähigkeitslücke
Wie es in einer neuen Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) heißt, bestehe in den Interventionsgebieten von Bundeswehr und Polizei eine "Fähigkeitslücke": Es fehlten Kräfte, die in der Lage seien, unterhalb eines militärischen Eskalationsniveaus, aber härter als die zivile Polizei zu operieren. Die Erfahrungen aus dem Kosovo und aus Afghanistan zeigten, dass es gerade zu Beginn eines Einsatzes nötig sei, "Plünderungen, Rachemorde und größere Unruhen in der Bevölkerung" zu verhindern.[1] Soldaten seien darauf "spezialisiert, gegnerische Ziele auszuschalten"; das berge "die Gefahr einer übertriebenen Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung". Polizisten dagegen verfügten nicht über genügend Eskalationspotenzial. Zur Optimierung der deutschen Interventionen benötige man Kräfte, die "in einem instabilen Umfeld eigenständig operieren" könnten und zudem in der Lage seien, "organisierte Kriminalität einzudämmen".

Zwischen Polizei und Militär
Der SWP zufolge kann eine Gendarmerie diese "Fähigkeitslücke" füllen. "Bestimmungsmerkmal einer jeden Gendarmerie", heißt es in dem SWP-Papier, "ist ihr hybrider Status zwischen Polizei und Militär." Ihre Einheiten sind demnach "mit schweren Waffen und robusten Selbstschutz- und Einsatzkapazitäten ausgerüstet", sie "verfügen über gepanzerte und bewaffnete Fahrzeuge und sind in Nahkampftechniken ausgebildet". Eine Gendarmerie kann militärischem Kommando unterstellt werden und ähnelt dann "einer leichten Infanterie". Zugleich verfügen ihre Angehörigen über eine umfassende polizeiliche Ausbildung und sind zum Beispiel in kriminalpolizeilichen Techniken und im Umgang mit organisierter Kriminalität geschult. Durch diese Doppelqualifizierung seien sie "besonders geeignet, gewalttätigen Demonstrationen und Aufständen zu begegnen", schreiben die Autoren des SWP-Papiers.

Europäische Gendarmerietruppe
Gendarmerien, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, besitzen acht Mitgliedstaaten der EU.[2] Fünf von ihnen unterzeichneten im Oktober 2007 den Gründungsvertrag für eine Europäische Gendarmerietruppe (European Gendarmerie Force, EGF).[3] Die EGF soll innerhalb von 30 Tagen 800 Gendarmen entsenden und die Truppe danach bis zu einer Gesamtstärke von 2.300 Gendarmen aufwachsen können. Perspektivisch soll sie in der Lage sein, zwei Einsätze ("Missionen") gleichzeitig durchzuführen. Gegenwärtig ist die EGF insbesondere in Afghanistan tätig, wo sie sich am sogenannten Polizeiaufbau beteiligt. Die NATO favorisiert hierbei Gendarmerien gegenüber der zivilen Polizei. Deutschland, das keine Gendarmerie besitzt, droht damit ins Abseits zu geraten.

Kombattantenstatus
Den Hintergrund für die Bevorzugung von Gendarmerien lässt die aktuelle Auseinandersetzung um den deutschen Polizeieinsatz in Afghanistan erkennen. Seit der dortige Krieg auch ganz offiziell als bewaffneter Konflikt eingestuft wird, drohen deutschen Polizisten Schwierigkeiten: Weil sie nicht zum Militär gehören und damit nicht Bürgerkriegspartei sind, gelten sie, sobald sie in einen Kampf verwickelt werden, als irreguläre Kräfte und genießen völkerrechtlich keinen Schutz. Erst kürzlich forderte deshalb der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei: "Keinesfalls kann von den eingesetzten Beamtinnen und Beamten verlangt werden, an der Seite von Soldaten und Feldjägern afghanische Polizisten in umkämpfte Gebiete zu begleiten und dort möglicherweise in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt zu werden".[4] Eine Gendarmerie hätte solche Schwierigkeiten nicht: Sie kann jederzeit dem Militär unterstellt werden und erhält dabei den erforderlichen Kombattantenstatus.

Kein Trennungsgebot im Ausland
Hieß es bislang, der Aufbau einer deutschen Gendarmerie schaffe Probleme, weil das Grundgesetz eine strikte Trennung von Militär und Polizei vorsehe, so teilen die SWP-Autoren diese Bedenken nicht. Das Trennungsgebot gelte nur "nach innen", schreiben sie; das Grundgesetz schreibe jedoch "weder explizit noch implizit vor", polizeiliche und militärische Aufgaben und Befugnisse auch im Ausland zu trennen. Schaffe man eine Gendarmerietruppe ausschließlich für Auslandseinsätze, sei dies zweifelsohne grundgesetzkonform. Ohnehin sei schon der Bundesgrenzschutz – die heutige Bundespolizei – "mindestens bis 1972 eine paramilitärische Polizei par excellence" gewesen, "abzulesen an der Unterbringung in Kasernen, den Ausbildungsmethoden, der Bewaffnung und dem Kombattantenstatus".

Nicht freiwillig
Die SWP-Autoren – beide sind oder waren Stipendiaten der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, einer der beiden ist im Bundesverband Sicherheitspolitik an Hochschulen [5] aktiv – empfehlen, "eine spezialisierte Einheit von einigen hundert Gendarmen ausschließlich für den Auslandseinsatz aufzubauen". Die Einheit solle entweder bei der Bundespolizei oder bei den Feldjägern eingegliedert werden. Entscheide sich Berlin für die Eingliederung in die Bundespolizei, dann sei darauf zu achten, dass eine Unterstellung unter militärisches Kommando ausdrücklich zugelassen werde. Auch einen letzten Vorteil der Gendarmerietruppe erwähnen die Regierungsberater. Zivile Polizisten können laut Beamtenrecht nicht zum Auslandseinsatz verpflichtet werden. "Gendarmen sind in Verbänden organisiert", heißt es bei der SWP: "Deshalb unterliegen sie nicht dem Prinzip der Freiwilligkeit für Auslandseinsätze". Sie sind damit jederzeit in kürzester Frist verfügbar – ganz wie das Militär.


[1] Ronja Kempin, Christian Kreuder-Sonnen: Gendarmerieeinheiten in internationalen Stabilisierungsmissionen. Eine Option für Deutschland? SWP-Studie S6, März 2010. Dieser Quelle entstammen auch die folgenden Zitate.
[2] Gendarmerien haben: Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, die Niederlande, Bulgarien, Rumänien und Polen.
[3] EGF-Gründer waren Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und die Niederlande.
[4] GdP: Arbeit deutscher Polizisten in Afghanistan wird gefährlicher; www.gdp.de 26.02.2010
[5] s. dazu Military-Scientific Community (II) und Military-Scientific Community (III)

Source: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57759