Italien finanziert, Lybien deportiert die Eriträer von Misratah

Von Fulvio Vassallo Paleologo, Universität Palermo

Gewalt und Blut, zum wiederholten Mal. Italien guckt zu.

[meltingpot.org] Die entgegen allen internationalen Konventionen von der italienischen Regierung praktizierte Politik der kollektiven Zurückweisungen hat tausende Menschen in den libyschen Haftzentren vergraben, die ein Recht darauf hätten, nach Europa einzureisen und Asyl zu erhalten. Nach der Verherrlichung der von Frattini und Maroni "im Kampf gegen die illegale Einwanderung" mit der fast vollständigen Schließung [1] der Route Lybien-Lampedusa erzielten "historischen Erfolge" nagelt die tragische Realität jene, die wirtschaftliche Motive und Wahlinteressen über die Achtung der Menschenrechte und des Lebens der Migranten selbst gestellt haben an ihre Verantwortlichkeit fest.

In Misratah, einem der wenigen Haftzentren, zu denen bis zum vergangenen Monat die UNHCR Zugang hatte, wurden die Vorgänge für die Deportation von hunderten Asylbewerbern, einschließlich Frauen und Kindern, nach Eritrea eingeleitet. Diese wurden aufgefordert, an den Identifizierungsvorgängen mitzuwirken, die man einem Vertreter des Landes, aus dem sie geflohen waren aufgetragen hatte. Auf ihre Weigerung folgte eine extrem gewaltsame Repression durch die Polizeikräfte, die Dutzende Schwerverletzte und die Zerstreuung der Eriträergruppe in andere Haftzentren, die Libyen dank der politischen und finanziellen Unterstützung Italiens eröffnet hat. Augenblicklich ist über die Menschen, die in Misratah eingesperrt waren nichts mehr bekannt, einige wurden möglicherweise in andere Haftzentren wie dem in Sebha [2] verbracht, einem der furchtbarsten. Mit Sicherheit wurden und werden alle schwersten Misshandlungen ausgesetzt, die keines Landes würdig sind, das sich als zivilisiert bezeichnen will. Sie laufen Gefahr, auf die zahlreichen Lager in der Wüste an Libyens Südgrenze verteilt zu werden.

Noch vor wenigen Wochen hatte Amnesty international die vielfältigen Verletzungen der Menschenrechte, die Libyen den Migranten zufügt dokumentiert und das europäische Parlament hatte am vergangenen 17. Juni [3] wegen den von der libyschen Justiz nach Schauprozessen verhängten Todesstrafen protestiert, die in einigen Fällen auch Migranten betrafen, wie die bekanntlich Qadafi-Sohn Saif al-Islam nahe stehende Tageszeitung Cerene bestätigte. Diese Zeitung hatte berichtet, "dass 18 Personen, darunter jene, die aus Tschad, Ägypten und Nigeria stammten, am 30. Mai in Bengazi exekutiert worden waren, nach dem man sie wegen vorsätzlichen Mordes verurteilt hatte und dass die libyschen Behörden ihre Identitäten nicht bekannt gegeben haben".

In seiner Resolution äußerte das europäische Parlament unter Hinweis auf das Verbot unmenschlicher und erniedrigender Behandlungen sowie der Folter und der Todesstrafe große Sorge um das Schicksal der in Libyen festsitzenden Migranten, wobei es betonte, "dass nach Artikel 19 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder ausgeliefert werden darf, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht", während die seit Monaten andauernden Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Qadafi genau wegen den Berichten zur Frage der Wahrung der Menschenrechte in jenem Land ins Stocken gekommen waren [4]. Italien rühmt sich dennoch weiter seiner Verträge mit Libyen, ohne sich um die Menschen zu sorgen, die aus dem Land nicht mehr fliehen können, obwohl sie mehrheitlich potenzielle Asylbewerber sind.

Aus den "Erwägungen" in der Resolution der Europäischen Union vom vergangenen 17. Juni gehen interessante Daten hervor, die die europäischen Regierungen und die Italienische der Öffentlichkeit vorenthalten.

"in der Erwägung, dass die EU im Hinblick auf die Unterzeichnung eines Rahmenabkommens mit einem Kapitel zu Migrationsfragen einen informellen Dialog mit Libyen führt und eine Reihe von Konsultationen durchführt, in der Erwägung, dass die laufenden Verhandlungen bisher aus mindestens sieben Verhandlungsrunden zwischen den beiden Parteien bestanden, die weder zu wesentlichen Fortschritten noch zu eindeutigen Verpflichtungen Libyens führten, die internationalen Menschrechtsübereinkommen einzuhalten,
in der Erwägung, dass das Haupthindernis in den Beziehungen zwischen der EU und Libyen darin besteht, dass im Dialog über Menschenrechte, Grundfreiheiten und Demokratie keine Fortschritte zu verzeichnen sind und dass insbesondere die Genfer Konvention noch nicht ratifiziert wurde, sowie in der aggressiven Außenpolitik des libyschen Regimes, nicht zuletzt gegen europäische Staaten, in der Erwägung, dass Libyen kein nationales Asylsystem hat, das die Überprüfung und Registrierung von Flüchtlingen vorsieht, auf dessen Grundlage sie als Asylberechtigte anerkannt werden und das ihnen Besuche in Auffanglagern und die Bereitstellung medizinischer und humanitärer Hilfe ermöglicht, so dass derzeit der UN-Menschrechtsrat (UNCHR) diese Aufgaben erfüllt"

Wenige Tage nach der Schließung der kleinen UNHCR Vertretung in Tripolis, der es immerhin gelungen war, wenigstens einen Teil der Asylbewerber zu zählen – eine Tätigkeit, die Qadafi dann für illegal erklärte, forderte das europäische Parlament "die Mitgliedstaaten, die Migranten nach Libyen abschieben, auf, dieser Praxis in Zusammenarbeit mit der Frontex (Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) unverzüglich ein Ende zu bereiten, wenn für die betroffene Person das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht". Ein Aufruf, die Deportationen und die kollektiven Zurückweisungen zu unterlassen, dem kein Europäisches Land und schon gar nicht Italien Folge geleistet hat. Im Übrigen sind es inzwischen die von unserem Land Libyen geschenkten militärischen Einheiten mit ihren bei vereinheitlichter operativer Leitung unter der Supervision von unseren Ausbildern trainierten Teams, die sich die aus jenem Land flüchtenden Migranten zurückholen, selbst wenn sie es bis wenige Meilen vor den Küsten Lampedusas geschafft haben.  

Nur die italienische Regierung bleibt weiter der Meinung, dass aus Libyen keine asylsuchende Migranten kommen – ein Umstand, der dem europäischen Parlament, das auf Grundlage der UNHCR Daten genau die Eriträer als die stärkste Komponente unter den in libyschen Zentren gefangenen Migranten jedoch wohl bekannt ist. "dem UN-Menschenrechtsrat zufolge [sind] 9 000 Flüchtlinge – vor allem Palästinenser, Iraker, Sudanesen und Somalier – in Libyen registriert sind, darunter 3 700 Asylbewerber, vor allem aus Eritrea, in der Erwägung, dass Flüchtlinge stets von einer Abschiebung in ihre Herkunfts- oder Transitländer bedroht sind, ohne dass die Kriterien der Genfer Konvention zur Anwendung kommen, und sie damit von Verfolgung und Tod bedroht sind, in der Erwägung, dass es Berichten zufolge in Auffanglagern zu Misshandlungen, Folter und Ermordungen kommt und Flüchtlinge im menschenleeren Grenzgebiet zwischen Libyen und anderen afrikanischen Staaten ausgesetzt werden".

Italien fährt so damit fort, Qadafis Polizeipolitik zu unterstützen, wie die x-te Reise Berlusconis nach Tripolis vor wenigen Wochen belegt, die mit der Freigabe von drei von den Libyern in internationalen Gewässern eingenommenen Fischkuttern aus Mazara del Vallo endete, aber ohne den geringsten Hinweis auf das Schicksal der in den Haftzentren eingesperrten Migranten und auf die Schließung der UNHCR Niederlassung in Tripolis, die am vergangenen 8. Juni der Durchführung illegaler Tätigkeiten bezichtigt wurde. Eine Niederlassung, die der italienischen Regierung gerade zur Legitimierung ihrer Politik der kollektiven Zurückweisungen und der Kooperation mit den libyschen Polizeikräften gedient hatte. Die von der italienischen Regierung gegenüber Libyen hergestellte Abhängigkeit ist im Übrigen derart groß, dass jedweder Protest wegen der Verletzung von Menschenechten als unverzügliche Vergeltung die Blockade der Öl- und Gaslieferungen nach sich ziehen würde. Wenn die Libyer wollten, könnten sie Italien den Hahn andrehen, auf dass es zu Fuß gehen muss und vielleicht auch noch den Börsenkurs einer der größten italienischen Finanzgruppen. Das ist das brilliante Resultat der parteiübergreifenden Politik der Prodi und die Mittelinks-Regierungen seit dem Jahr 200 den Weg geebnet haben.

Mittlerweile hat das europäische Parlament die Kommission in aller Form angetragen, dass es über den Stand der Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Libyen informiert werden will "und die Kommission und den Rat auf [gefordert], nach Artikel 265 und 218 Absatz 10 AEUV tätig zu werden, wonach "[das] Europäische Parlament […] in allen Phasen des Verfahrens [über die Verhandlungen mit Libyen] unverzüglich und umfassend unterrichtet [wird]"" und "seine Forderung, umfassend über das Verhandlungsmandat der Kommission in diesem Zusammenhang unterrichtet zu werden" bekräftigt.

Das Europäische Parlament erklärt auch, dass "jede Zusammenarbeit oder Vereinbarung zwischen der EU und Libyen davon abhängig gemacht werden muss, dass Libyen die Genfer Flüchtlingskonvention und andere wichtige Menschrechtsübereinkommen und -protokolle ratifiziert und umsetzt. Den Präsidenten beauftragt es, die "Entschließung dem Rat, der Kommission, den Mitgliedstaaten, dem UN-Menschenrechtsrat, der UN-Generalversammlung, dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge sowie den libyschen Staatsorganen zu übermitteln". Die andere EU-Institutionen haben aber keinen Finger krumm gemacht, um Libyen daran zu hindern, mit seinen andauernden und überaus schweren Verletzungen der Rechte menschlicher Wesen fort zu fahren. Italien muss die Verträge mit Libyen anprangern, weil sie die Wahrung der Menschenrechte der Migranten nicht gewährleisten. Nachdem General Mori [5] schon 2005 die brutalen Methoden zur Anzeige gebracht hatte, mit denen die Libyer die Migranten behandeln, rechnen wir aber nicht damit, dass die italienische Regierung und die hohen Ränge der Polizei jeglichen Anflug von Humanität zeigen. Zu zahlreich sind die Berichte internationaler Organisationen wie HRW, MSF und Amnesty, die von der italienischen Regierung belächelt wurden – bis hin zum systematischen Angriff auf das UNHCR und die Anwälte, die jene verteidigen, die es nach der Zurückweisung nach Libyen vermocht haben, beim Gerichtshof in Strasbourg gegen Italien Widerspruch einzulegen. Die Fakten aber, wie die Missbräuchlichen Handlungen und die Gewaltakte in Misratah und anderen Haftzentren in Libyen bilden das Grabstein der Würde der Personen, die dazu beigetragen haben, diese herbei zu führen, sei es auf unmittelbarem oder auf mittelbare Wege, und sie beflecken die Ehre aller Italiener die nicht gegen diese Todes und Deportationspolitiken rebellieren.

Allen, denen das Leben und die Freiheit der Migranten noch am Herzen liegt bleibt nichts anderes Übrig, als die Anstrengungen zu vermehren, um die Netzwerke für rechtlichen Schutz zu erweitern und zu stärken und um auf jede mögliche Weise zur Verbreitung der von den Regierungsagenturen zensierten Informationen beizutragen und Initiativen zu starten, damit die Öffentlichkeit sich nicht gänzlich an den Gedanken gewöhnt, dass es letztlich besser sein könnte, dass die Migranten lieber fern von unseren Augen sterben oder misshandelt werden sollen, statt Italien zu erreichen.

A. d. Ü.

[1] siehe z. b.: http://snipurl.com/yny3d – Boat people looking for new ways in  

[2] siehe: http://snipurl.com/yol0u

[3] siehe: http://snipurl.com/yo6xm


[4] was die Schließung eines 60 Millionen schweren "Vorvertrages" nicht verhinderte, siehe http://snipurl.com/yny3d

[5] siehe: http://snipurl.com/yol0u

Source: http://www.meltingpot.org/articolo15666.html