Ein beträchtlicher Teil aller legislativen politischen Entscheidungen wird mittlerweile über den Umweg der Europäischen Union getroffen. Zu erwartender Widerstand in den 27 Mitgliedsstaaten wird durch dieses “Policy Laundering” ausgebremst, während weiterhin die zahlungskräftigeren Regierungen den Kurs dominieren. Gleichzeitig erweitern sich die Kompetenzen der EU durch eigene Strukturen, die entweder grenzüberschreitende Aktivitäten koordinieren oder Projekte unter eigener Regie vorantreiben. Besonders spürbar ist diese Politik im Bereich europäischer “Homeland Defence” und ihrer Versicherheitlichung, Militarisierung und „Gendarmerisierung“ sozialer Phänomene.
Die Entwicklung der EU geht jedoch nicht mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit, etwa auf Seiten der Sozialen Bewegungen, einher. Auch die radikale Linke, sonst nie um eine Staatskritik verlegen, bleibt sprachlos.
Eine Erklärung hierfür wäre, dass die EU als politisches Projekt in ihrer Vielfalt und dem ständigen Wandel schwer zu analysieren und zu fassen ist. Der Zusammenhang etwa zwischen Gesetzesänderungen im eigenen Land und einer dafür ursächlichen Richtlinie aus Brüssel ist kaum oder erst spät präsent – zu spät, um dagegen auf die Barrikaden zu gehen. Möglich ebenso, dass dem transnationalen Charakter der EU eine zu wenig über Staatsgrenzen hinaus vernetzte Linke gegenübersteht. Dabei stellt sich auch die Frage nach Ort und Adressat von Widerstand. Wo kann beispielsweise gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Druck ausgeübt werden, wenn nicht in Brüssel oder vor nationalen Gerichten?
Wir wollen eine fundierte EU-Kritik vorbringen und der Frage nachgehen, wie sich die Europäische Union in den letzten Jahren entwickelt hat und welche konkreten Auswirkungen, beispielsweise mit dem Lissabon-Vertrag, erfahrbar werden. Deshalb organisieren wir im Januar in Berlin den Kongress “Die Europäische Union: Analysieren, kritisieren, demontieren.”
Unser besonderes Interesse gilt den Konsequenzen für die radikale Linke. Wir wollen einerseits eine fundierte theoretische Auseinandersetzung mit der EU und ihren Institutionen führen, und andererseits die konkreten Auswirkungen ihrer Politik exemplarisch aufzeigen.
Der Kongress versteht sich als Gegenveranstaltung zum “Europäischen Polizeikongress”, der Mitte Februar wieder in Berlin stattfinden soll. Dort wollen sich zum 14. Mal europäische Polizeien mit Geheimdiensten, Militärs, Vertretern der „Sicherheits“- und Rüstungsindustrie und Wissenschaftlern treffen. Die Werbeveranstaltung für die polizeitechnische Antwort auf soziale Probleme wird finanziert von Unternehmen, die dafür mit Redezeit und Merchandising für ihre Produkte belohnt werden.
Inhaltlich wollen wir mit dem Kongress zwei Stränge beleuchten:
- Zum einen befassen wir uns auf theoretischer Ebene mit der Europäischen Union. Wer sind ihre Akteure, wo liegen Ansatzpunkte für eine Staatskritik? Welche Bedeutung hat die Politik der EU für die Mitgliedsstaaten und die anderen Länder Europas? Dabei wollen wir sozio-ökonomische Aspekte ebenso berücksichtigten wie politische und juristische.
- Ein zweiter Strang illustriert exemplarisch einige Auswirkungen der EU-Politiken im Bereich von “Homeland Defence”. Ob grenzüberschreitende Zusammenarbeit von “Sicherheitsbehörden”, Migrationskontrolle, EU-weiter polizeilicher Informationsaustausch mittels vernetzter Datenbanken, Forschung zur technischen Handhabung abweichenden Verhaltens mit digitaler Aufrüstung, Drohnen oder Satelliten: Beispiele für die allgegenwärtige Sicherheitsarchitektur gibt es genug.
Beide Themen sollen gleichermaßen Raum bekommen und auf mehrere Phasen in zwei parallelen Workshopschienen verteilt werden. Neben einer Menge Input gibt es auch ausreichend Raum für Diskussionen und Vernetzung. Eine Podiumsdiskussion, ein Zwischen- und ein Abschlussplenum stehen ebenfalls auf dem Programm.
Der Kongress findet vom 28. – 30. Januar 2011 statt. Wir stellen unsere Veranstaltung damit in den Gesamtkontext des Widerstands gegen den 14. Polizeikongress, der nach dem Wunsch vieler letztes Mal an der Mobilisierung Beteiligter breiter, inhaltlicher und grenzüberschreitender werden soll.
Zeit, die Europäische Union zu demontieren: Theoretisch und praktisch.
Kongress vom 28. – 30.01.2011 in Berlin
SFE (Schule für Erwachsenenbildung) im Mehringhof
Out of Control Berlin
http://outofcontrol.blogsport.de
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