Libyen: Luftangriffe auf die Demonstranten!

19:15

Die Nachrichten, die einander über Twitter oder in den Medien jagen, lassen sich gar nicht zählen; es ist momentan extrem schwierig gesicherte Informationen zu bekommen, jedenfalls wurden die Luftangriffe bestätigt, die um die 250 Tote verursacht haben sollen. Einige Tweets, die sich, wir wiederholen, im Augenblick nur schwer bestätigen lassen, sprechen von der Anwesenheit italienischer Söldner bei der Repression der Revolte in Tripolis.

17:45

Seit einigen Dutzend Minuten kursiert über den Satelliten-TV AlJazeera die noch nicht dementierte Nachricht, dass die beiden libyschen Flugzeuge auf die Demonstranten im Zentrum Tripolis das Feuer eröffnet haben.

Updates werden folgen…

Libyen, der vierte Ölexporteur weltweit, steckt inzwischen in einer offenen Krise. Der Aufstand der Bewegung gegen das Regime und gegen die Krise weitet sich progressiv im ganzen Land aus, von der Cyrenaika (Mit Banghazi und AlBayda unter Kontrolle der Bewegung) hat er über Nacht auch Tripolis erobert, die Hauptstadt, dem als Bollwerk Gaddafis angesehenen Zentrum der loyalistischen Kräfte des Regime. In diesen Stunden wurden Regierungsgebäude angezündet wie der Sitz des Allgemeinen Volkskongresses, des Staatsfernsehens und diverse Polizeireviere.

Die Rhetorik des Regime stellte stark auf die Darstellung eines uneinnehmbaren und Gaddafi restlos ergebenen Tripolis, die Ereignisse aber, die widersprechen dem offiziellen Diskurs in Gänze, der auf hypothetische ethnische Spaltungen anzuspielen schien, die sich mit der Bewegung zwischen der rebellischen Cyrenaika und dem Rest Libyens politisiert hätten. Es ist vielleicht die durch den Eingriff Saif al-Islam Ghaddafi, einem der Söhne des Rais, der gestern Nacht gezeitigte Wirkung der Bewegung mit einer bevorstehenden Eskalation gedroht und sich gleichzeitig einigen politischen Forderungen geöffnet hat, in dem er von der Bereitschaft des Regime gesprochen hat, sich mit einer im (zur Stunde brennenden) Allgemeinen Volkskongress zu diskutierenden Verfassung auszustatten.

Es ist jedoch wahrscheinlich, dass es jenseits der versprochenen Öffnungen die Drohungen gewesen sind, denen nach die Gaddafi-Loyalen sich als „bereit, bis zum letzten Mann zu kämpfen“ erklären, die einen handfesten Zuwachs der Empörung auf der libyschen Piazza hervor gerufen haben. Der ultra-repressive Notbehelfsakt und die Mahnungen des Regimes lassen sich wiederum als Ausdruck von Schwäche und des Unvermögens, die Kontrolle eines Landes zu übernehmen, das inzwischen von einem waschechten sozialen Erdbeben durchzogen wird interpretieren, mit einem Regime, das Stunde um Stunde wichtige Teile des Apparates verliert.

Die Verwendung italienischer Söldner, die eingesetzt wurden, um mit Gewehrsalven die Demonstrationen abzumähen, muss auch bedeutende Grade in den militärischen Hierarchien und in Teilen des Establishments Empörung ausgelöst haben, es scheint nämlich, dass die Armee bzw. ein guter Teil der selben in verschiedenen Städten Partei für die Demonstranten ergriffen hat und dass diverse libysche Diplomaten neben ihrem Rücktritt auch öffentlich der revolutionären Bewegung in ihrem Land ihre Solidarität erklären.

Zeichen der Verschärfung des Krisenzustands erreichen uns auch über die Mitteilungen der verschiedenen Ölförderungsunternehmen, die im Begriff sind, die Evakuierung ihrer Angestellten zu organisieren, so wie die europäischen Botschaften an der Arbeit sind, um ihre Bürger in die jeweiligen Länder zurück kehren zu lassen. Derweil widerrufen inzwischen auch die Wüstenstämme die Unterstützung oder den Nicht-Kriegszustand gegenüber dem Gaddafi-Regime. Der Al Zuwayya-Stamm hat in einer offiziellen Mitteilung gedroht, dass sie „innerhalb 24 Stunden“ die Ölexporte „in Richtung der westlichen Länder“ kappen wird, wenn die Gewalt der Loyalisten kein Ende findet.

Beim Aufruf an die internationale Gemeinschaft sich zu den von Ghaddafi angeordneten Demonstranten-Massakern zu äußern beginnen sich auch Ex-Diplomaten und libysche Amtsträger den Blogger-Netzwerken anzuschließen. Das Schweigen ist fürwahr ohrenbetäubend gewesen, und es scheint so, als würden die europäischen Kanzlerämter erst heute, während die Ölgesellschaften das Personal evakuieren beginnen würden, sich zu äußern. Jedenfalls lehnt man sich nicht weiter hinaus, als, wie im Falle Deutschlands zu erklären, man sei „bestürzt“, während Italien sich erneut als das krächzende Sprachrohr der Regimes in der Krise erweist. Frattini geht über das Zitieren der amtlichen Rede der libyschen Regierung nicht hinaus, nach der ein Versuch einer separatistischen Ethnisierung des Landes im Gange sein soll, der einen Bürgerkrieg einleiten würde. Der italienische Außenminister vergisst aber denjenigen zu zitieren, der laut TV-Ansprache des Sohnes Ghaddafis hinter den Aufständen dieser Tage steckt: die beiden Libyen-Kolonialmächte Italien und Türkei. Beim verzweifelten Versuch, den Nationalgeist der Libyer wieder zu erwecken und sie wieder näher an den (nach einigen Quellen bereits flüchtenden) Oberst rücken zu lassen hat Saif al-Islam Ghaddafi unter explizitem Verweis auf Italien und die Türkei gesagt, dass die Proteste durch ausländische Kräfte angezettelt seien.

Die Widerlegung der Regime-Rhetorik erreicht uns jedoch direkt aus der Bewegung, die gerade heute den zweiundachtzigjährigen Mohamed Omar al-Mukhtar, dem greisen Sohn des Helden des libyschen Widerstands gegen die italienische Kolonialisierung begrüßt hat und sich auf einer improvisierten Kundgebung in Benghazi für an der Seite der libyschen Revolutionsbewegung erklärt hat. Die „Balkanisierung“ Libyens als politische Perspektive der Aufständischen scheint wiederum nur in den Minister Frattini zur Verfügung stehenden Quellen zu existieren. Die Ereignisse widersprechen ihm: Tarhouna und andere Städte Tripolitaniens sollen inzwischen in der Hand der Anti-Gaddafi-Bewegung sein. Derweil werden in Benghazi und in der Cyrenaika territoriale Verteidigungsgruppen gegen Milizianerm loyalistische Armee und Söldner. Die Bewegung wird zum Erdbeben, sie dehnt sich von der Wüste bis zur Küste aus und sie umfasst wichtige Städte Tripolitaniens. Die Rhetorik des Regime wurde also auch in Libyen durch die Initiative der Straße (Piazza) gebrochen. Der Widerstand und der Angriff auf den libyschen Staatsapparat durch die Bewegung gegen das Regime könnten einen entscheidendenden Schritt hin zum endgültigen Sturz von Ghaddafis Establishment darstellen, das zu Allem bereit ist, um nur nicht die politische und militärische Schlacht mit der Straße (Piazza) zu verlieren.

Source: http://www.infoaut.org/blog/prima-pagina/item/537-libia-300-morti-ma-il-movimento-avanza