IMI-Standpunkt 2011/020 – in: AUSDRUCK (April 2011)
Christoph Marischka
Bei einer Katastrophe geht es für die einen ums Überleben, für die anderen um das Eigentum und für die Dritten um die Macht. Wer die politische Macht erhalten und übernehmen – und damit auch Entscheidungen über Eigentum und Überleben fällen kann – hängt im Katastrophenfall davon ab, wer die Einsatzkräfte koordiniert und die Katastrophe nach außen kommuniziert. Die politische Herrschaft bestimmt sich durch die Fähigkeit, zu kommunizieren, zu zensieren und zu koordinieren – die Fähigkeiten des Feldherren und seines Hügels.
Die EUropäischen Bemühungen zur „Verbesserung“ des Bevölkerungsschutzes konzentrieren sich auf diese Aspekte der Katastrophe, die mit der Kommunikation und Koordination zu tun haben. Die tatsächlich vorhandenen Kapazitäten interessieren beeindruckend wenig, sie werden vorausgesetzt, ob sie nun eher ziviler oder militärischer Natur sind. Stattdessen werden zunächst gemeinsame Definitionen der Katastrophe und auch verschiedener (terroristischer) Gefährdungsstufen angestrebt, die entscheidend dafür sein sollen, wer wann zuständig ist. Letztlich wird darüber jedoch in der Praxis, die per Definition von jeder Vorhersehbarkeit und Verrechtlichung abweicht, dadurch entschieden, wer die Kommunikations- und Koordinationshoheit für sich beanspruchen kann. Die EUropäisierung des Katastrophenschutzes besteht deshalb in der Schaffung und präventiven Aktivität verschiedener und miteinander konkurrierender Lagezentren.
Ein Lagezentrum besteht aus: „Systemen zur Zugangskontrolle, gesicherten Kommunikationsstrukturen, geographischen Informationssystemen, Systemen für Tele- und Videokonferenzen und Datenbanksystemen zur Auswertung öffentlicher zugänglicher Informationen.“ Das aktuelle Vorbild für solche Lagezentren sind (die moderne Form des Feldherrenhügels) militärische Hauptquartiere und die Doktrin der Vernetzten Operationsführung. Die Technologie wird entsprechend von der Rüstungsindustrie bereitgestellt. In der Beschreibung des Forschungsprojektes „Straw“ (Security Technology Active Watch), gefördert im Rahmen des Rahmenforschungsprogrammes der EU, wird die wichtigste Funktion dieser Lagezentren umschrieben: „Das neue [Sicherheits-]Umfeld hat nicht nur den Bedarf nach Informationen gesteigert, sondern auch die Notwendigkeit, diese Informationen zu teilen und den Zugang zu ihnen effektiv zu kontrollieren. Das ist die gegenwärtig größte Herausforderung für Europäische Sicherheit überhaupt“. Die panoptischen Fantasien führt die Broschüre der im Rahmen der Europäischen Sicherheitsforschung geförderten Projekte gut vor Augen.[1] Dieselbe Broschüre enthält u.a. die Information, dass es etwa in Italien gilt, 8094 kommunale Polizeireviere im Falle einer nationalen Katastrophe ggf. zu koordinieren und selektiv zu verständigen. Brisante Informationen, zumal, wenn sie das Überleben ganzer Bevölkerungsgruppen betreffen, lassen sich nicht zurückhalten, wenn sie in solchem Umfang nicht-selektiv kommuniziert werden.
Im Zuge der vernetzten Sicherheit wird die vernetzte Operationsführung, die sich zuvor v.a. auf die Teilstreitkräfte bezog, auf internationale, ausländische, polizeiliche, humanitäre und zivilgesellschaftliche Organisationen ausgedehnt. Diese nutzen jeweils unterschiedliche Datenquellen nutzen, betreiben unter- schiedliche Informationspolitiken und verfolgen unterschiedliche Ziele. Angestrebt wird eine Vernetzung aller Daten vom RFID-Chip im Krankenhausbett, der sowohl die einzelnen Verletzten identifizieren als auch aggregierbar Informationen über die Zahl der verfügbaren Betten liefern soll bis hin zu Satellitenbildern, die Lage und Kurs sämtlicher Schiffe, Flugzeuge oder auch Flüchtlingstracks aufklären. Sowohl dem einzelnen Polizisten oder Feuerwehrmann als auch das UN Departement of Peacekeeping Operations müssen jederzeit auch grafisch komplexe Lagebilder vermittelbar und einzelne Informationen vorzuenthalten sein. Eine Pionierrolle bei der Erweiterung dieser militärischen Konzeption auf zivile und gar humanitäre Strukturen hat zunächst das Integrated Border Management und später die auf einer Studie der EU-Grenzschutzagentur Frontex basierende Entwicklung des Europäischen Grenzkontrollsystems EUROSUR gespielt. Vor diesem Hintergrund wundert es nicht mehr, dass die Möglichkeiten „interoperabler Kommunikation für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz“ im Auftrag der Generaldirektion des Rates für Unternehmen und Industrie sowie der Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) gemeinsam von Frontex und der mit der Grenzschutzagentur eng kooperierenden EU-Geheimpolizei EUPOL vorbereitet wurde. Kernthema der Konferenz waren die Anwendung, Vorteile und Defizite verschlüsselter Informationssysteme verschiedener Rüstungsunternehmen.[2]
Maßnahmen zur „Rekrutierung“ und „Generierung“ von Einsatzkräften (diese Begriffe werden tatsächlich so verwendet) finden auf Ebene der EU lediglich im Rahmen des Civilian Headline Goal der ebenfalls militärisch dominierten Gemein- samen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) statt. Damit soll insbesondere die Rolle der EU innerhalb der NATO gestärkt werden, die selbst kaum über sog. „zivile Fähigkeiten“ verfügt. Auch diese Bemühungen fokussieren wiederum auf Datenbanksystemen, in diesem Falle die „Goalkeeper“-Software, welche die Rekrutierungsbemühungen für zivile Einsatzkräfte für GASP- Missionen, wie sie in Deutschland v.a. vom Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) geleistet wird, koordinieren soll. Im Falle der Katastrophe stehen Feldherren auf jedem Hügel und streiten sich über ihre Kompetenzen. Für die konkrete Katastrophenhilfe wird nur das Militär mit seinen zivilen Anhängseln bereitstehen, soweit es nicht gerade anderswo Staaten baut oder Regime umstürzt. Hauptsache, die Macht ist gesichert und kann korrespondieren.
ANMERKUNGEN
[1] ftp://ftp.cordis.europa.eu/pub/fp7/security/docs/securityresearch_ catalogue2010_2_en.pdf
[2] http://sta.jrc.ec.europa.eu/index.php/related-conferences/205– proceedings-of-the-workshop-interoperable-communications-for- safety-and-security.
Sollte dieses zentrale Dokument EUropäischen Bevölkerungsschutzes eines Tages nicht mehr online sein, kann es die IMI gerne verschicken: imi@imi-online.de