Redebeitrag der Gruppe Out of Control auf der Kundgebung gegen das EU-Grenzregime am 26.4.2011 in Berlin
„Europa bedeutet keine Bewegungsfreiheit für illegale Immigranten“, so verkündete es der französische Europaminister Laurent Wauquiez vor wenigen Tagen. Auch die Regierungen der meisten anderen EU-Staaten geben sich größte Mühe, unter allen Umständen den Eindruck zu vermeiden, so genannte illegale Migration werde in Europa akzeptiert. Italien vergibt zwar zumindest vorläufige Visa an einen Teil der Flüchtlinge, um sich nicht selbst um sie kümmern zu müssen, aber Frankreich lässt Züge durch die Polizei anhalten um die Einreise zu verhindern und Deutschland garniert seine menschenverachtende Migrationspolitik weiterhin mit Heuchelei. Aber die Meinungsverschiedenheiten sind oberflächlich.
Stattdessen ist man sich einig darin, dass die Außengrenzen weiter hochgerüstet werden müssen: Selbst Sarkozy und Berlusconi zeigen ihre Einigkeit und fordern in einem gemeinsamen Brief eine bessere Ausstattung der Grenzschutzagentur FRONTEX, damit künftig der Strom der so genannten Wirtschaftsflüchtlinge gar nicht bis in die Wohlstandsinsel hinein sickert, sondern als Problem schon jenseits der Grenzen behandelt werden kann. So soll FRONTEX seine Analysekapazitäten weiter ausbauen und Flüchtlingsbewegungen als „Migrationsrisiken“ möglichst früh erkennen und proaktiv bekämpfen. Zu diesem Zweck wird eine neue, von FRONTEX koordinierte Datenbank angelegt, der die nationalen Behörden dann zuarbeiten werden.
Aber selbstverständlich bleibt das Kerngeschäft die Jagd auf Flüchtlinge. Die Grenzsicherung soll künftig mit “Rapid Border Intervention Teams”, zur völligen Irreführung niedlich RABIT abgekürzt, bewerkstelligt werden. Demnächst soll sie ihren ersten Einsatz im Mittelmeer starten, nachdem sie zuvor im Grenzgebiet zwischen Griechenland und der Türkei schon gezeigt haben, was sie können. Der Einsatz wird, unter deutscher Beteiligung, vor Malta stattfinden, dort wo erst jüngst 250 Menschen im Kontext der Hermes-Mission ertranken. An diesem Beispiel lassen sich noch einmal alle vermeintlichen Zugeständnisse an die Opfer der Jahrhunderte alten Politik von europäischen Kolonialismus und Kapitalismus, als Lippenbekenntnisse entlarven. Die tödliche Hermes-Mission steht unter italienischer Leitung und die 100 Flüchtlinge, die Deutschland aufzunehmen bereit ist, kommen von Malta. Die wenigen Flüchtlinge, von denen hier die Rede ist, sollen überhaupt nur aufgenommen
werden, weil es sich um legitime Krisenflüchtlinge handelt, die von den “illegitimen Wirtschaftsflüchtlingen” komplett willkürlich unterschieden werden. Innenminister Friedrich sieht darin dennoch “ein deutliches Zeichen europäischer Solidarität”. Es ist jemand auf den wir uns sonst nicht beziehen: Aber sogar der bayerische Papst ist der Meinung, dass Solidarität anders aussieht.
Die Grenzschutzagentur ist aber nur das bekannteste Element eines immer komplexeren europäischen Kontrollregimes: Das Grenzüberwachungssystem Eurosur, soll ab 2013 nationale Grenzbehörden miteinander vernetzen, wobei die Koordination bei FRONTEX liegt. Mit Eurosur werden Drohnen, Roboter, Radar- und Satellitensysteme und sämtliche Formen von Überwachungssoftware miteinander kombiniert. Außerdem wird mit der NATO und den verbliebenen autoritären Staaten in Afrika kooperiert, um die europäische Staatsgewalt im Mittelmeer durchzusetzen.
Weil Migration aber nicht völlig unterbunden werden kann und derzeit besonders viele Menschen aus Nordafrika die Flucht über´s Mittelmeer wagen, wird auch innerhalb der EU die Migrationspolitik repressiver. Die EU-Kommission gesteht Frankreich das Recht zu, Züge zu stoppen und Grenzkontrollen durchzuführen. Damit wird das Schengen-Abkommen außer Kraft gesetzt. Weitere Einschränkungen der Reisefreiheit werden bereits diskutiert. Und damit sich auch niemand aufregt, wird vor Terroristen unter den Flüchtlingen gewarnt. Praktischerweise wird inzwischen nicht mehr zwischen linken, rechten und religiösen Extremisten unterschieden, so dass die die sich gegen die Kriminalisierung von Flüchtlingen wenden, gleich selbst mit kriminalisiert werden können.
Deutschland, Frankreich, Italien. Fast ausschließlich die Positionen dieser Länder stehen in der Öffentlichkeit. Es sind die G8 Staaten in der EU, die das sagen haben. Deshalb richtete sich vor 10 Jahren eine antirassistische Demo in Genua gegen diese Politik. Beim G8-Gipfel 2001 – und seit dem immer wieder – hat Europa gezeigt, dass Grenzkontrollen, Überwachung und Mord, kurz ihr Programm gegen unerwünschte Migration auch jederzeit gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden kann. Das sollten wir nie vergessen, uns aber auch nicht davon einschüchtern lassen. Auch dieses Jahr wird es einen G8-Gipfel geben, eine hervorragende Gelegenheit internationale Solidarität von unten und grenzüberschreitenden Widerstand zu demonstrieren. Kommt zur G8 Demo am 26. Mai und lasst euch was Heißes zum dezentralen Aktionstag einfallen.
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Solange wir unseren Wohlstand mit dem Tod von Flüchtlingen an unseren Grenzen unterhalten kann man mit sich als freier Mensch einfach nicht im Reinen sein. Kein Aufgeklärter würde einen Hungernden an seiner Türschwelle verrecken lassen aber wir autorisieren unsere Politiker genau das zu tun.