Mittlerweile zum sechsten Mal fand das Europäische Symposium für „Nicht-tödliche“ Waffen (non-lethal weapons) in Ettlingen bei Karlsruhe statt. Vom 16.-18. Mai 2011 trafen sich dazu WaffenentwicklerInnen, RüstungsvertreterInnen, PolitikerInnen, PolizeivertreterInnen und WissenschaftlerInnen aus aller Welt. Diese Konferenz zählt zu der wichtigsten Veranstaltung im Bereich „Nicht-tödliche“ Waffen und wird zunehmend bedeutender für die Bereiche Militär und Sicherheit. Wir wollen mit diesem Artikel neben allgemeinen Informationen einen kritischen Rückblick auf das Geschehene werfen und eine zukünftige Auseinandersetzung mit dieser Thematik ermöglichen.
Allgemeines zu diesen Waffen:
Bei sozialen Protesten bekannt und häufig eingesetzt werden Wasserwerfer, Tränengas oder Pfefferspray, die alle zu den sogenannten „nicht-tödlichen“ Waffen zugeordnet werden. Andererseits wurden aber auch unzählige weitere Waffen(-systeme) entwickelt, die „nicht-tödlich“ wirken sollen. Dazu zählen beispielsweise Mikrowellenstrahlenwaffen oder (Elektroschock-)Taser, Blendgranaten, Infra-/Ultraschallwaffen, Geruchsstoffe oder materialzersetzende Mikroorganismen.
Unter der Begriffsbezeichnung „Nicht-tödliche“ Waffen bzw. „schonende Zwangs- und Wirkungsmittel“ werden von ihren VertreterInnen Waffen verstanden, deren primäres Ziel nicht das Töten sein soll, sondern welche Personen handlungsunfähig machen sollen bzw. unter Kontrolle gebracht werden sollen.
Aber die Realität sind anders aus: Hunderte Menschen sind schon aufgrund des Einsatzes dieser Waffen gestorben und weitaus mehr verletzt worden[1]. Dennoch halten die VertreterInnen dieser Waffen an der Begriffsbezeichnung fest. Unserer Ansicht nach ist der Begriff „Nicht-tödliche“ Waffen grob irreführend.
In kritischen Publikationen wird der Begriff „weniger-tödliche“ Waffen (less-lethal weapons) verwendet. Wir übernehmen im Folgenden vorerst den Begriff „less-lethal weapons“ (kurz LLW). Jedoch besteht auch bei diesem Begriff noch kritischer Diskussionsbedarf.
Die Konferenz in Ettlingen:
Im Folgenden sollen zuerst die Themen der Konferenz angesprochen werden. Danach werden die handelnden Akteure und ihre Motive beleuchtet.
Die Konferenz ist laut Veranstalter „das größte europäische Symposium auf dem NLW-Sektor“. Sie dient als Plattform um momentane und geplante technologische Entwicklungen auf dem LLW-Sektor vorzustellen und zu diskutieren. Weitere Themengebiete sind u.a. medizinische und rechtliche Gesichtspunkte sowie der Gebrauch und taktische Einsatz der LLW vor dem Hintergrund wachsender neuer Bedrohungen (Aufstandsbekämpfung, Kontrolle von Menschenmassen, „friedensschaffende Militäreinsätze“). Auf diese Weise soll, laut Veranstalter ein interdisziplinäres und umfassendes Verständnis des Themenkomplexes LLW bei den TeilnehmerInnen erreicht werden. Letztlich geht es jedoch vor allem darum, eine größere Akzeptanz für LLW bei wichtigen nationalen und internationalen Instanzen zu schaffen (NATO, EU, staatliche Verteidigungsministerien).
Hinter der Konferenz steht die „Europäische Arbeitsgruppe für Nicht-tödliche Waffen“ (EWG-NLW). Dieser Ausschuss fungiert nicht nur als Programm-Kommittee und Organisator während des Symposiums, sondern befasst sich auch dauerhaft mit dem Gebiet der weniger-tödlichen Waffen. Gegründet wurde die EWG-NLW 1998 vom Fraunhofer ITC Pfinztal, die Geschäftsstelle sowie der Vorsitz liegen ebenfalls beim ITC. Der Zusammenschluss von VertreterInnen der Sicherheits- und Rüstungsindustrie, WissenschaftlerInnen und VerteidigungsministerInnen aus verschiedenen europäischen Staaten widmet sich nicht nur der Forschungs- und Vernetzungsarbeit, sondern wirbt offen für weniger-tödliche Waffen und deren Einsatz, auch auf höchsten Ebenen: Die EWG-NLW berät und unterstützt Regierungen, arbeitet innerhalb von NATO-Gremien und wirkt bei Entscheidungsprozessen der Europäischen Union (EU) mit. Damit hat die EWG-NLW nicht nur einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Forschungsausgaben im Sicherheitsbereich, sondern trägt zur aktiven Verbreitung und der Akzeptanz von weniger-tödlichen Waffen bei.
Ziele und Inhalte der Konferenz 2011:
Wenn man Absichten und Ziele des Veranstalters durch das Symposium 2011 betrachtet und diese mit den vergangenen Konferenzen vergleicht, ist eine neue Ausrichtung erkennbar: In den ersten Jahren der Konferenz wurde der Erkenntnisgewinn und die Zusammenführung verschiedener Aspekte (Technik, Medizin, Recht, Taktik) als wichtiges Ziel der Konferenz definiert. Damals ebenfalls vorhandene Interessen der Verbreitung von weniger-tödlichen Waffen wurden nicht explizit kommuniziert. Vielmehr wurden teilweise auch Diskussionen über technische Mängel der Waffen geführt. Zum Teil erschienen die Waffen so als nicht völlig bedenkenfreie Alternative. Gleichzeitig wussten die TeilnehmerInnen, dass noch erhebliche Entwicklungsspielräume für technische Verbesserungen vorhanden waren, sodass diese Waffen und deren Funktion nie komplett infrage gestellt worden sind. Für die Konferenz 2011 wurde nun als erklärtes Ziel im offiziellen Programmtext angekündigt, sich auf die aggressive Verbreitung und Vermarktung von weniger-tödlichen Waffen zu konzentrieren. LLW-kritische Positionen und Diskussionen (die bisher schon unterrepräsentiert waren) sollen zugunsten dieser Ziele weichen [2]. Mit diesem Strategiewechsel steht zu befürchten, dass LLW schon bald auf breiter Fläche und in einer neuen Qualität eingesetzt werden könnten.
Inhaltlich rücken immer stärker die Einsätze gegen sogenannte wachsende neue Bedrohungen (Aufstandsbekämpfung, Kontrolle von Menschenmassen, sogenannte „friedensschaffende Militäreinsätze“) in den Fokus der Konferenz. Vor allem crowd-riot control-Maßnahmen ersetzen die „klassischen“ Szenarien Krieg und militärische Konflikte. Dies wiederum beeinflusst die technische Entwicklung von LLW, sodass diese Waffen immer deutlicher auch auf Aufstandsbekämpfung zugeschnitten werden.
Kritik und Positionierung:
Sowohl sogenannte „weniger-tödliche“ Waffen an sich, als auch informelle Zusammenschlüsse und Konferenzen, welche an der Öffentlichkeit vorbei agieren, sind unserer Meinung nach abzulehnen.
„Weniger tödliche“ Waffen stellen (genauso wie alle anderen Waffen) eine Form von militärischer bzw. staatlicher Unterdrückung dar, welche als Repression gegen Einzelne und Gruppen zum Ausdruck kommt. Sie haben einzig die Funktion, die herrschenden Machtverhältnisse zu erhalten und die Interessen der Mächtigen durchzusetzen. Diese Waffen stehen zentralen Werten wie Selbstbestimmung und Handlungsfreiheit entgegen. Sie ersetzen nicht tödliche Waffen, sondern ergänzen das bestehende Waffenarsenal. Deshalb sind sie nicht deeskalierend oder friedenschaffend einzuschätzen. Im Gegenteil verringern sie durch ihren „leichten“ und als unproblematisch propagierten Einsatz den Zeitraum der Kommunikation bzw. die Hemmschwelle Waffengewalt einzusetzen. Gerade der Einsatz gegen ZivilistInnen und friedlichen Menschenmengen kann durch „weniger-tödliche“ Waffen gerechtfertig werden.
Institutionelle Zusammenschlüsse und Konferenzen wie das „Europäische Symposium für Nicht-tödliche Waffen“ und die involvierten Organisationen dahinter stellen undemokratische, kaum zu kontrollierende Strukturen dar. Es findet eine massive Vernetzung und Interessenvertretung zwischen suprastaatlichen Organisationen, Staaten, Militärs, (universitärer) Forschung und der Rüstungsindustriewirtschaft hinsichtlich militärischer Verbreitung dieser Waffen statt. Die Gefahr, dass einseitige (sicherheitspolitische und rüstungsindustrienahe) Interessen bedient werden, scheint naheliegend. Das offene Bekenntnis zur Verbreitung von weniger-tödlichen Waffen im Programmtext der Konferenz 2011 bestärkt diesen Verdacht.
Diese potentielle Entwicklung betrifft auch und gerade die sozialen Bewegungen und radikalen linken Gruppen (bei Demonstrationen, Protestaktionen, zivilem Ungehorsam etc.). Vor dem Hintergrund sich weiter verschärfender sozialer Ungleichheiten, einem kollabierenden Finanzsystem, Umweltzerstörungen sowie ansteigender sozialer Konflikte werden schon gegenwärtig die Waffen und Abwehrsysteme entwickelt, welche zukünftig bei sozialen Auseinandersetzungen eingesetzt werden. Deshalb ist es sinnvoll, den Fokus gerade auch auf die Plattformen (in diesem Kontext die Konferenz und die EWG-NLW) zu richten, bei denen die Grundsteine für die Bewilligung solcher Waffen gelegt wird.