NO TAV – Val de Susa gegen Schnellbahntunnel

Im folgenden geben wir eine kurze Einfuehrung zum Widerstand gegen die geplante Schnellbahntrasse Lyon-Torino, die den längsten Eisenbahntunnel Europas im Val de Susa vorsieht. Genauer wird auf die Demo und Aktionen vom 3.7.2011 eingegangen, als eine Massenmobilisierung versuchte, die Baustelle zu stürmen und die Bauarbeiten zu beenden. Es handelt sich größtenteils um eine Übersetzung französischer Indymedia-Artikel

NO TAV – VAL DE SUSA

Aus dem französisch übersetzter Bericht(+ gekennzeichnete Anmerkungen der ÜbersetzerInnen) über die No TAV Bewegung der letzten Jahrzehnte und dem aktuellen Widerstand

Der Schnellzug Lyon-Turin (TAV) ist ein Alpen querendes Bahnprojekt, für das unter anderem der längste Bahntunnel Europas (mehr als 50 km) durch mineralreiches Gestein (u.a Uran) getrieben werden soll. Auf italienischer Seite soll der Tunnel im Val de Susa enden, wo auch einige der Millionen Kubikmeter Abraum abgelagert werden sollen. Die geschätzte Bausumme für das seit 2001 geplante Projekt übersteigt 25 Milliarden Euro. Ursprünglich als reine Schnellzug-Trasse geplant, sollen nun auch LKW-Transporte auf der Trasse getätigt werden. Aus diesem Grunde unterstützen auch französische Grüne das Projekt – obwohl französische TAV-Gegner_innen alternative Konzepte ohne Großprojekt vorgestellt haben. Auf italienischer Seite sieht es anders aus: seit über 20 Jahren kämpfen die Bewohner_innen des Val de Susa gegen Autobahnbau und nun gegen den TAV. Im Commité NO TAV“ organisiert, organisieren sie nicht nur Massenproteste (z.B. 80.000 Menschen 2005 in Turin) sondern auch direkte Aktionen und Behinderung von Erkundungs- und Erschließungsarbeiten.

Seit Jahren leistet eine lebendige Bewegung Widerstand gegen das Schnellzugprojekt Lyon-Turin (TAV) und schaffte es bisher, den Beginn der Arbeiten zu verzögern. 2005 wurden Probebohrungen eingestellt, nachdem eine beeindruckende Mobilisierung in der sogenannten „Schlacht von Vernaus“ gipfelte, bei der Polizei und die betroffenen Bauarbeiter_innen aus dem Val de Susa vertrieben wurden. Jetzt sollen die Arbeiten wieder aufgenommen werden, an einem anderen Standort im Tal: La Madalena. Hier hatte die „NO TAV“ Bewegung vor einem Monat ein Widerstandscamp eingerichtet, das am 27sten Juni mit Bullengewalt geräumt wurde.

Medienberichte zu den Auseinandersetzungen im Val de Susa am Sonntag 3 Juli 2011: ein Zusammenschnitt aus Berichten unabhängiger Medien (Radio Onda Rossa und Radio Black Out) sowie bürgerlichen Zeitungen (La Stampa, und andere italienische Tageszeitungen):

Für Sonntag den 3ten Juli hatte die Bewegung landesweit aufgerufen, ins Val de Susa zu kommen um das Camp zurückzuholen und die Baustelle zu stoppen: 60.000 – 70.000 Leute (Veranstalter_innenzahlen) folgten dem Aufruf (6.000-7.000 nach Bullenangaben; Anmerkung der ÜbersetzerIn: da es sich um drei Demozüge sowie eine Vielzahl von Aktivist_innen die aus dem Wald agierten handelte ist die absolute Zahl für Augenzeug_innnen schwer einschätzbar). Unter dem stetigen Hubschrauberbrummen zog die Demo aus zwei Richtungen nach Chiomonte(von Exilles und Giaglione), wo bürgerlichere TAV-Gegner_innen ihren Protest manifestierten, ein heterogener Zug mit Familien, Kindern, Lokalpolitiker_innen und älteren Menschen, einigen großen Gewerkschaften etc. Andere Demoteile gingen direkt zur Baustelle um die Eingangstore zu durchbrechen: auch hier ein recht heterogenes Bild, aber deutlich entschlossener, die Dinge direkt in die Hand zu nehmen. Angeblich aus Sicherheitsgründen hatten die Bullen die Autobahn, die an der geplanten Baustelle vorbeiführt, gesperrt (sie schleppten auch ihren Nachschub darüber heran) Knapp 1.000 Bullen schützten die Tore, verschanzten sich hinter Baggern und feuerten stundenlang Tränengasgranaten in die Menge, die beständig versuchte, die Bullen zu vertreiben.

Öffentliche Stellen sprechen von „800 radikalen Elementen“, die an centri sociale gekoppelt wären, sowie 300 „Ausländer aus Frankreich, Spanien, Deutschland und Österreich“, die Methoden angewandt hätten, die zeitweise als „paramilitärisch“, teilweise als „para-terroristisch“ bezeichnet werden. Über 6h dauerten die Auseinandersetzungen auf mindestens 3 „Fronten“ (die militaristische Sprache ist den Medien entlehnt, bitte zu entschuldigen), sie wurden teilweise auf steilem und bewaldetem Gelände geführt. Der Bauzaun wurde an mehreren Stellen durchbrochen aber die Bullen schafften es letztlich, die Menge zurückzutreiben.

Am Ende des Tages meldeten die Bullen fast 200 Verletzte, NO TAV 233. Die Demonstrant_innen waren heftigem Tränengasnebel sowie flashballs ausgesetzt. Krasser noch: die Bullen zielten mit ihren Gasgranaten nicht in die Luft sondern auf Köpfe. Viele TAV-Gegner_innen erlitten Verletzungen am Thorax, an Schultern, Brust und Armen, wie auch der Italien-Korrespondent von Al-Jazeera, der kurz ins Krankenhaus musste. Auch Steinwürfe von Bullen wurden beobachtet. 5 italienische Demonstrant_innen wurden festgenommen.

Die Baurarbeiten wurden kurzzeitig ausgesetzt. Allerdings verkündete der Transportminister, ehemaliges Mitglied der neo-faschistischen MSI: „Eine begrenzte Gruppe von Gewaltbereiten und Straftätern, aus allen Teilen Italiens und dem Ausland nach La Madalena angereist, wird die italienische Regierung nicht dazu bringen, ihre Meinung zum TAV zu ändern und aus ihren internationalen Verpflichtungen und Übereinkünften auszuscheren. Die Linie Turin-Lyon schafft Entwicklung, Wachstum und Arbeitsplätze und ist von daher Priorität.“ (Anmerkung der ÜbersetzerIn: dieselben Versprechungen wurden der Talbevölkerung gemacht, als die Autobahntrasse durchs Tal gezogen wurde: nach Ansicht der überwältigenden Mehrheit im Tal ein ungehaltenes Versprechen. Ökologische und ästhetische Belastung durch den Schnellzugbau sowie der fehlende ökonomische Sinn eines solchen Großprojektes treiben daher die Menschen im Tal de Susa seit bald 30 Jahren auf die Barrikaden.) Die Spaltung in „gute“ und „schlechte“ Demonstrant_innen wird (wie erwartet) ungehemmt von allen politischen Parteien ausgespielt und den großen Medien übernommen. Der Staatspräsident, ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens verkündete in einem Communiqué: „Ich gratuliere den Ordnungskräften und drücke ihnen meine volle Solidarität aus, die doch zahlreiche Verletzte zu beklagen hatten. Die Einwohner vom Val de Susa sind aufgerufen, professionelle Gewalttäter zu isolieren.“ Die großen Zeitungen blasen ins selbe Horn: La Republica, ein Blatt der gemäßigten Linken, schreibt „die Jugendlichen, die den Bauzaun bestürmten, scheren sich vermutlich einen Dreck um den Schnellzug, ihnen geht es bloß um die Auseinandersetzung, die Gewalt“. Und natürlich steckt der sogenannte „Black Block“ dahinter.

Einige Zeitungen aber geben zu, dass die „jugendlichen Gewalttäter“ abends von den Einwohner_innen der Dörfer gefeiert werden. Die italienische Gewerkschaft USB, dem Klassenkampf verschrieben, hat ihre „bedingungslose Unterstützung für den Volxaufstand im Val de Susa“ erklärt. Informelle Sprecher_innen der NO TAV Bewegung haben erklärt „der Black Block sitzt in der Regierung“. Die Belagerung der Baustelle habe geklappt und der Tag sei ein Erfolg gewesen: „Sie wissen nun dass es so weiter gehen wird, dass sie neuen Aktionen entgegensehen müssen, vielleicht nicht immer so groß aber kontinuierlich.“ Während Mobilisierung und Aktionen weiter gehen werden die Baukosten steigen und schließlich „werden sie einknicken. Der TAV wird nie gebaut“.

Kleine persönliche Anmerkung von Augenzeug_innen: Wir sind uns bewusst, dass „ortsgebundener Widerstand“ die Gefahr in sich trägt in ein „Scholle verteidigen“ umzuschlagen und nicht progressiv und emanzipatorisch zu wirken sondern konservativ, reaktionär und identitär rüberzukommen. Obgleich einige Unterstützungsgruppen durchaus für solche (identitäre, reaktionäre) Werte stehen (z.B. der „Mouvement de la Savoie Libre“, erkennbar an roter Fahne mit weißem Kreuz, der Schweizer Flagge nicht unähnlich), schienen sie die verschwindende Minderheit darzustellen. Im Gegenteil: die Bewegung schien basisdemokratisch, und von Aktivist_innen im Tal getragen. Und die Stimmung im Tal war beeindruckend, große Teile der Bevölkerung schienen das entschlossene Vorgehen voranzutreiben, mitzumachen oder zumindest mitzutragen. Die Unfähigkeit der Politik, die Ablehnung für das Projekt aus dem Tal zu hören sowie ihr gewalttätiges Vorgehen bei verschieden Aktionen haben entscheidend zur Eskalation beigetragen, sie haben die Gewalt zu verantworten

Mehr Infos gibt’s auf der französischen und italienischen Indymedia Seite, der NO TAV homepage sowie youtube : val de susa

Italien: vier GefährtInnen in Haft
ABC Berlin 11.07.2011 – 14:20
Italien: vier GefährtInnen wurden im Laufe der Auseinandersetzungen um das TAV-Projekt verhaftet

Die italienische Region Piemont war innerhalb der letzten Wochen wieder Schauplatz vermehrter Aktionen des Widerstands und Angriffs gegen das TAV-Projekt: dieses sieht den Bau einer Schnellzuglinie zwischen Turin und Lyon (Frankreich) vor, welche die Zerstörung der Landschaft und der Dörfer im Tal Val di Susa im Nordwesten Italiens vorantreiben wird.

Schon seit den Neunzierjahren wehren sich widerständige AnwohnerInnen gegen das hundertste, unnötige Großbauprojekt: Selbstorganisierung, direkte Aktionen, Sabotagen, Ablehnung von PolitikerInnen kennzeichnen ihr Engagement. Anarchistische, libertäre und andere unzufriedene GefährtInnen sind vom Anfang an an diesem Kampf beteiligt: schon im Dezember 2005 wurde gemeinsam die Polizei – als Besatzertruppe bezeichnet – aus dem Val di Susa von GenossInnen und AnwohnerInnen erfolgreich vertrieben, als mit dem Bau begonnen werden sollte. Weitere Versuche seitens der Regierung die Arbeiten aufzunehmen, scheiterten an dem konsequenten Widerstand. Nun wurde klar, daß die Arbeiten bis zum 30. Juni diesen Jahres begonnen werden müssen, sonst wäre die EU-Finanzierung geplatzt: deshalb wurde zur Reise nach Susa aufgerufen, um das Tal zu verteidigen.

Nach dem Modell der „Freien Republik Wendland“ wurde einen Monat lang ein selbstorganisiertes Dorf – die „Freie Republik La Maddalena“ – aufgebaut, wo Austausch, Veranstaltungen, Vorbereitungen der Aktionen usw. stattfanden. Dieser autonome, permanente Standort, umzingelt von Barrikaden, wurde wie versprochen am Morgen des 27. Juni von 2.500 Staatsbütteln von Polizei, Carabinieri und Guardia di Finanza angegriffen: stundenlang dauerte die Räumung der Barrikaden, Blockaden der Autobahn fanden statt und die Widerständigen setzten sich mit der Brutalität der Besatzertruppen auseinander: Tränengas und Knüppel wurden reichlich verteilt, die Menschen wurden in die Wälder getrieben. In ganz Italien fanden am Tag der Räumung solidarische Aktionen statt.

Für den 3. Juli wurde dazu aufgerufen sich den Standort wieder zu erobern und die Bauarbeiten zu stoppen: 50.000 Menschen beantworteten mit ihrer Anwesenheit den Aufruf. Mehrere Hunderte blockierten die Straßen und griffen aus den Wäldern heraus die 1.000 PolizistInnen mit Steinen, Zwillen und allem was sie zur Verfügung hatten an. Die Staatsbüttel antworteten mit Tränengas, Knüppeln und sogar Gummischrott, was in Italien nicht gestattet ist und von den Bullen nach wie vor nicht zugegeben wird. Mehrere Menschen wurden schwer verletzt und erlitten Knochenbrüche und Schädeltraumas. Die hysterischen Medien reaktivierten prompt die Legende der ausländischen black blocs und einheimischen anarchistischen Hooligans. Sie erzählten, daß die GewalttäterInnen mit den Protesten im Val di Susa nichts zu tun hätten und sie hätten diese mal wieder infiltriert: die gleichen Märchen, die seit Genua 2001 gerne wiederholt werden, um eine Spaltung innerhalb des Widerstands zu provozieren und die Tatsache zu leugnen, daß diese vielfältige Bewegung auch auseinandersetzungsfreudig ist, mit AnarchistInnen oder nicht. Innerhalb der No-TAV-Bewegung kommt es zu keinerlei Distanzierungen bzgl. der notwendigen Auseinandersetzungen. Die Polizei behauptet anhand von reichlichem Videomaterial in der Lage zu sein über 300 GewalttäterInnen identifizieren zu können. Im Laufe der Aktionen wurden vier anarchistische GefährtInnen verhaftet: sie wurden verprügelt und erhielten gebrochene Knochen, Schädeltraumas, Bedrohungen und Erniedrigungen. Sie wurden dem Haftrichter vorgeführt und in den Knast in Turin verfrachtet: die Vier sollen für den Widerstand Tausender zahlen.

Von Seiten der No-TAV-Bewegung wird zur Solidarität mit ihnen aufgerufen, und wir können uns da nur anschließen: wir veröffentlichen hier ihre Adressen. Wir können noch nicht sagen, ob sie andere Sprachen als Italienisch sprechen, deshalb empfehlen wir erst einmal in einfachem Englisch zu schreiben und sich bei ihnen zu erkundigen, auf welchen Sprachen sie kommunizieren können. Sobald wir Updates haben, werden wir diese veröffentlichen. Sonst kennt die Sprache der aktiven Solidarität keine Beschränkungen.

Marta Bifani
Casa circondariale “Lorusso e Cutugno”
via Pianezza 300
10151 Torino
Italien

Roberto Nadalin
Casa circondariale “Lorusso e Cutugno”
via Pianezza 300
10151 Torino
Italien

Salvatore Soru
Casa circondariale “Lorusso e Cutugno”
via Pianezza 300
10151 Torino
Italien

Gianluca Ferrari
Casa circondariale “Lorusso e Cutugno”
via Pianezza 300
10151 Torino Italien

Source: http://de.indymedia.org/2011/07/311554.shtml und http://www.abc-berlin.net/italien-vier-gefaehrtinnen-wurden-im-laufe-der-auseinandersetzungen-um-das-tav-projekt-verhaftet