Meilenstein in der Luftaufklärung

Höher, schneller, weiter – all das kann er, der Euro Hawk. Er wird dabei nicht nur die ausgemusterte Breguet Atlantic ersetzen, sondern auch das Aufklärungsspektrum der gesamten Aufklärung deutlich erweitern helfen.

Am 21. Juli 2011 landete das Langstreckenaufklärungsluftfahrzeug mit dem Rufzeichen „Euro 1“ im bayerischen Manching bei der Wehrtechnischen Dienststelle für Luftfahrzeuge 61 (WTD 61). Gleich in mehrfacher Hinsicht stellt das UAS neue Maßstäbe. Und läutet eine neue Ära in der Aufklärung ein.

Neue Maßstäbe

Mit einer Länge von fast 15 Metern, einem maximalen Abfluggewicht von etwa 14,5 Tonnen sowie einer Reichweite von fast 23.000 Kilometern überragt der Euro Hawk alle anderen Systeme. Mit diesem Aufklärungssystem gelingt der technologisch zukunftsweisende Einstieg in die unbemannte Luftfahrt auch im deutschen Luftraum. Das System verfügt über keinerlei Bewaffnung und soll künftig die Aufgaben der bereits außer Dienst gestellten Flugzeuge vom Typ „Breguet Atlantic“ in der SIGINT-Variante (Signal Intelligence / Fernmelde- und elektronische Aufklärung) übernehmen und dabei Informationen aus dem elektromagnetischen Spektrum erfassen. Gestartet war der Erprobungsträger als erster von insgesamt fünf geplanten unbemannten Luftfahrzeugen für die Luftwaffe 22 Stunden zuvor auf der 10.000 Kilometer entfernten amerikanischen Edwards Air Force Base (AFB) in Kalifornien. Mehrere Piloten in Deutschland und den USA überwachten den Flug vom Boden aus. Begeistert und vor allem erleichtert wurde der Prototyp des Euro Hawk empfangen.

Europäischer Bruder eines Erfolgsmodells

In Manching werden in den kommenden Monaten nun sämtliche Sensoren eingerüstet und erprobt. Im Sommer 2012 wird der Euro Hawk mit der Kennzeichnung 99+01 an die Luftwaffe übergeben und am künftigen Standort in Jagel beim Aufklärungsgeschwader 51 „Immelmann“ (AG 51 „I“) betrieben. Mit dem Euro Hawk schließt sich dann die Lücke der luftgestützten, weiträumigen und Signal erfassenden Aufklärung, die durch die Außerdienststellung des Seefernaufklärers Breguet Atlantic entstand.
Bei den US-Streitkräften hat sich das UAS RQ-4 Global Hawk, auf dem der Euro Hawk basiert, bereits im Einsatz bewährt – wenn auch einer anderen Sensorausrüstung. Gebaut wird das weltweit größte, militärisch genutzte UAS mit einer Spannweite von rund 40 Metern von der US Firma Northrop Grumman. Jetzt ist die deutsche Industrie am Zug: Mit der für September angesetzten SIGINT-Sensoreinrüstung durch die Firma Cassidian ist er auch das erste operative UAS in Europa auf der Basis HALE (High Altitude Long Endurance – große Höhe, große Reichweite).

Höher, schneller, weiter

Höher – wegen der Flughöhe von 60.000 Fuß, etwa 18 Kilometern, in der sonst nur sporadisch Kampfflugzeuge aufsteigen.
Schneller – wegen der luftgestützten Datengewinnung in Echtzeit.
Weiter – wegen einer maximal möglichen Flugzeit von mehr als 30 Stunden, bei Tag und Nacht.
Ein Einsatz beispielsweise über Afghanistan – mit Start und Landung vom norddeutschen Jagel aus – wäre daher durchaus möglich: Das UAS hätte trotz einer An- und Abflugstrecke von insgesamt knapp 10.000 Kilometer immer noch genug Reserven, um ausreichend lange ein Einsatzgebiet über Afghanistan zu überwachen. Schon mit den bereits erwähnten 23.000 Kilometern Reichweite wird deutlich, dass dieses UAS weiter fliegt als jedes zivile Luftfahrzeug – wenn es zum Vergleich käme.

Schichtwechsel inklusive

Und die Besatzung ist trotz Flugdienst nach ihrem Dienstschluss zu Hause, da sie in solch einem Fall im Schichtbetrieb eingesetzt wäre. Dazu gehören der Mission Controller (MC) als Pilot, denn es wird nach wie vor in der dritten Dimension geflogen. Als Piloten des unbemannten Aufklärungssystems werden erfahrene Luftfahrzeugführer und Waffensystemoffiziere in den Bodenstationen sitzen, die ursprünglich auf bemannten militärischen Luftfahrzeugen geflogen sind. Sie wurden in den USA zunächst auf dem Global Hawk, dem amerikanischen Grundmuster der deutschen Variante, ausgebildet und dann auf den Euro Hawk umgeschult. Zukünftige Piloten werden nach erfolgreicher Offizierausbildung zunächst eine zivile Fluglizenz erwerben und dann direkt auf den Euro Hawk geschult.
Neben diesem neuen Berufsbild mit der Abkürzung ULFF (Luftfahrzeugführer unbemannter Luftfahrzeuge) gibt es noch den der Payload Operator (PO), der die Aufklärungssensoren bedient und die Datenkommunikation leitet.

Ein durchdachtes Konzept

Die Aufklärungssensorik betreut indes das Bataillon Elektronische Kampfführung 912 in Nienburg. Die Datenauswertung übernimmt das Kommando Strategische Aufklärung der Streitkräftebasis. „In einer mobilen Bedieneinheit samt Antennenpark sitzt die Crew, die im Launch Recovery Element (LRE) vom Boden aus Start und Landung des Euro Hawks koordinieren“, erklärt Oberstleutnant Michael Pusch. Der Erprobungs-Waffemsystemoffizier begleitet beim Euro Hawk-Projekt an der Wehrtechnischen Dienststelle 61 (WTD 61) den fliegerischen Anteil: „Die Flugphase übernehmen Soldaten, die im Mission Control Element (MCE) sitzen.“
Die Kommunikation zwischen Bodenstation und Euro Hawk läuft über mehrere Satellitenverbindungen. Zusätzlich hat die Bodenstation noch Kontakt zur Flugverkehrskontrolle über Telefonleitungen. Innerhalb der so genannten Line of Sight (LoS), in der direkter Funkkontakt besteht, führt das LRE, danach das MCE mit Satellitenverbindung. Letzteres bleibt in Bereitschaft, falls es mit der LoS-Verbindung Probleme gibt. „Der Flug verläuft also genauso wie ein ganz normaler bemannter Instrumentenflug“, beschreibt Pusch: „Ein sehr durchdachtes Konzept.“ So hat sich auch für das Tower-Personal nichts geändert, meint Flugverkehrskontrolldienstleiter Hauptmann Thomas Bauschke: „Durch die vielen Testflüge am Platz sind wir hier ohnehin auf alles vorbereitet, kennen die Limits der Flugzeuge und sämtliche Notverfahren.“

Das sei etwa beim Erstflug des Eurofighters nicht anders gewesen. „Der Euro Hawk als Trägersystem ist schon fertig“, sagt Peter Hemmert. Der Flugversuchsingenieur des Bundesamts für Wehrtechnik und Beschaffung kennt den Euro Hawk schon seit dessen Flugerprobung in der Edwards Air Force Base Kaliforniens: „Wir bringen ihn jetzt in die Luft, um zu sehen, ob die technischen Einbauten wie geplant funktionieren und das Flugzeug selbst – auch unter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen – nicht beeinträchtigen.“ Hemmert begleitet dabei vor allem die ISIS-Komponente (Integriertes SIGINT-System).
Der Euro Hawk ist für die Aufklärung militärisch relevanter Bereiche des elektromagnetischen Spektrums ausgelegt. Das können Raketen- oder Radarstellungen im Einsatzland sein, Funktürme, Fahrzeuge, Flugzeuge oder Schiffe mit Funk- oder Radaranlagen an Bord.

TÜV für ein UAS

Die während der Erprobungsphase gesammelten Erfahrungen helfen, verschiedene taktische und fliegerische Verfahren anzupassen und zu verfeinern, damit die Integration des UAS in die europäische Luftraumstruktur gelingt. Bei dieser Aufgabe arbeiten auch das Amt für Flugsicherung der Bundeswehr und die Deutsche Flugsicherung mit. Der Euro Hawk besitzt eine vorläufige Verkehrszulassung und fliegt derzeit für den Start und die Landung in – zeitweise – gesperrten Lufträumen. „Wir bewegen uns schließlich mit anderen Flugzeugen im gleichen Luftraum und haben deutsche und europäische Gesetze einzuhalten“, erklärt Wolfgang Steiger, Direktor der WTD 61 und des Musterprüfwesens für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät. Alles, was in der Bundeswehr fliegt und alles, was damit zusammenhängt, hat eine Zulassung der Manchinger WTD. Die Vorstellung, dass ein Luftfahrzeug dieser Größe unbemannt fliegt, ist für Steiger nichts Ungewöhnliches: „Der Automatisierungsgrad in der Luftfahrt nimmt immer mehr zu.“ Das sei in der zivilen Luftfahrt nicht anders. „Für den Euro Hawk gelten Sicherheitsstandards, die denen der bemannten Luftfahrt entsprechen.“
Selbst ohne Triebwerk könne der Euro Hawk auf entsprechend vorgeplanten militärischen Ausweichplätzen landen.

Euro Hawk verändert Aufklärungslandschaft

Das AG 51 „I“ in Jagel bereitet sich schon seit langem auf die Ankunft des Euro Hawks vor. Das betrifft zum Beispiel auch die Infrastruktur: Die für die unbemannten Luftfahrzeuge vorgesehene Start- und Landebahn hat nun die vorgeschriebene Länge, ebenso die Rollwege. So verlangen es die NATO-Standards. Wegen unterschiedlicher Oberflächen wird die eine Bahn für die in Jagel stationierten Aufklärungstornados, die andere für den UAS-Betrieb benutzt. Die eigens für den Euro Hawk errichtete Halle in entsprechender Größe ist ebenfalls fertig. Auch die Fliegenden Staffeln wurden neu organisiert. Während in der 1. Staffel der normale Ausbildungs- und Flugbetrieb für den „Tornado“ durchgeführt wird, ist die 2. Staffel für den Betrieb der unbemannten Systeme vorgesehen: Der Tornado zur bemannten abbildenden Aufklärung hat aber noch längst nicht ausgedient.

Drei Systeme – ein Aufklärungsspektrum

Im Gegenteil, nun wird das gesamte Spektrum luftgestützter Aufklärung genutzt: „Mit dem Tornado und dem Euro Hawk bietet unser Geschwader ein ganzheitliches und einzigartiges Leistungsspektrum“, betont Oberstleutnant Hans-Jürgen Knittlmeier, Kommodore des Luftwaffenverbandes. Er ist selbst Tornado-Pilot und war unter anderem im Verteidigungsministerium Referent für die Einführung und den Betrieb unbemannter Fluggeräte. Bleibt alles bei den derzeitigen Planungen, dann werden in Jagel bald drei Systeme stationiert sein: Der Tornado für die Aufklärung mit schneller Schwerpunktverlagerung, ein unbemanntes Aufklärungssystem für mittlere Höhen – wie sie beispielsweise derzeit mit der Zwischenlösung Heron 1 in Afghanistan praktiziert wird –, und für die permanente Überwachung und Aufklärung im Einsatzgebiet kommt noch der Euro Hawk mit seiner Fähigkeit zur weiträumigen, signalerfassenden Aufklärung hinzu, beschreibt Knittlmeier.

„Aufklärung ist und bleibt eine Kernaufgabe der Luftwaffe“, resümiert der Kommodore. Die Zeiten ändern sich – und damit auch die Anforderungen an die Bundeswehr und ihre Soldaten. Weltweit nimmt die Entwicklung unbemannter Luftfahrzeuge zu – bis jetzt überwiegend im militärischen Bereich. Für die Bundeswehr ist der Euro Hawk nicht nur eine neue Herausforderung, sondern ein bedeutender Meilenstein für die Luftfahrt und die Aufklärung der Bundeswehr.

Source: http://www.luftwaffe.de/portal/a/luftwaffe/!ut/p/c4/NYrLCsIwEEX_aCbBB9WdJRvpRlTQuottDIEkU4Zpu_HjTRbeA2dzLr6wkO0SvJVA2UZ8Yj-E43uFuAKxhzh_JIH1O42Peh4dDJSdVIvLEoo9WyGGiVhiLTNzKRBG7JU2rdqr__S36e7mdtkctubcXnFK6fQDTQYKkg!!/