Urban Operations

Eine militärpolitische Tagung in der deutschen Hauptstadt befasst sich mit der Aufstandsbekämpfung in den Großstädten der sogenannten Dritten Welt. Organisiert wird die für Anfang nächsten Jahres anberaumte „International Urban Operations Conference“ von der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), einer Lobbyorganisation der deutschen Rüstungsindustrie. Als Referenten vorgesehen sind neben Managern deutscher Waffenschmieden und hochrangigen Militärs auch Angehörige ziviler Forschungseinrichtungen. Unter anderem wird ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) über ein dort durchgeführtes Projekt zur Navigation und Führung von Repressionskräften innerhalb von Gebäuden berichten. Studierende und Beschäftigte des KIT haben sich bereits mehrfach mit großer Mehrheit für eine Selbstverpflichtung ihrer Hochschule ausgesprochen, ausschließlich für friedliche Zwecke zu forschen. Trotz gegenteiliger Ankündigungen hat die zuständige Landesregierung darauf bis heute nicht reagiert.

Das gesamte Spektrum
Wie die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) mitteilt, wird sie in der Zeit vom 31. Januar bis zum 2. Februar kommenden Jahres eine „International Urban Operations Conference“ in Berlin durchführen. Den Organisatoren zufolge soll sich die Tagung mit dem „gesamten Spektrum“ von Kriegshandlungen in den Großstädten der sogenannten Dritten Welt befassen. Das „massive Wachstum“ der dortigen urbanen Zentren führe zu einer „Verringerung der gesellschaftlichen Stabilität“, heißt es; dies könne von „Terroristen“ oder „politischen Gegnern“ genutzt werden, um die Kontrolle über das jeweilige Entwicklungsland zu übernehmen („to gain control over the country“).[1] Entsprechend umfasst das Themenspektrum der vorgesehenen Vorträge eine Vielzahl von Mitteln der Aufstandsbekämpfung: von Spionage- und Überwachungstechniken („Reconnaissance, Information systems and networks“) über Nachtsichtgeräte zur Verbesserung der Kampffähigkeit bei Dunkelheit („Night vision and night fighting capability“) bis hin zu Waffensystemen für Bodentruppen („Infantryman weapons systems“) und Schutzmaßnahmen für sogenannte kritische Infrastruktur („Protection of Critical Infrastructures“).[2]

Spezial-Panzerfaust
Als Vorsitzender der Konferenz fungiert Brigadegeneral Andreas Markus Berg, der die Abteilung III des Führungsstabes des deutschen Heeres leitet und im Bundesverteidigungsministerium für die „Einsatzgrundsätze“ der Truppe verantwortlich zeichnet. Zu den bereits nominierten Referenten zählen darüber hinaus weitere hochrangige Offiziere. Oberst Frank Baumgard ist Kommandeur des im niedersächsischen Nienburg beheimateten „CIMIC-Zentrums“ der Bundeswehr und zuständig für die Kooperation mit Behörden und Entwicklungsdiensten in den Operationsgebieten der deutschen Streitkräfte. Helmut Heck, der den gleichen Dienstgrad bekleidet, führt das „Informationszentrum Counter IED“ des deutschen Militärs im rheinland-pfälzischen Grafschaft-Gelsdorf; hier befasst man sich primär mit dem Aufspüren der von afghanischen Aufständischen präparierten „Sprengfallen“. Auch etliche Manager führender deutscher Rüstungskonzerne werden bei der „Urban Operations Conference“ Vorträge halten; vertreten sind unter anderem die Unternehmen EADS/Cassidian, Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, MBDA und Dynamit Nobel Defence. Der Repräsentant der zuletzt genannten Waffenschmiede informiert über die Vorzüge einer speziell für den Häuserkampf entwickelten Panzerfaust (RGW 90), die in der Lage ist, mannsgroße Löcher in Mauern und Wände zu sprengen.

Dual Use
Zu den Referenten aus Militär und Rüstungsindustrie gesellen sich mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter formal ziviler Forschungsinstitutionen. Neben verschiedenen Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft ist auch das aus der Fusion von Kernforschungszentrum und Universität Karlsruhe hervorgegangene Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bei der „Urban Operations Conference“ vertreten. Der Repräsentant des KIT, Christoph Keßler, wird über ein am dortigen Institut für Theoretische Elektrotechnik und Systemoptimierung (ITE) entwickeltes Navigationssystem für Innenräume berichten. „Indoor Guide“ simuliert laut KIT „Sehsinn, Tastsinn, Gleichgewichtssinn und das Wissen über die Bewegung des Fußes“, führt die mittels multipler Sensoren erhobenen Daten zusammen und ist auf diese Weise in der Lage, sowohl Menschen durch ein Gebäude zu leiten als auch dieses zu kartieren.[3] Wie das KIT ausführt, eigne sich „Indoor Guide“ speziell für die „Navigation in urbanem Gebiet“ [4] und ermögliche die „Orientierung unter schwierigen Bedingungen, beispielsweise bei starker Rauchentwicklung“ [5]. Vorgesehen ist nach Angaben des KIT, Minidrohnen und fahrbare Roboter mit „Indoor Guide“ auszurüsten, um diese dann quasi „autonom“ Innenräume und Gebäude ausspähen zu lassen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den Nutzen des neuartigen Navigationssystems für Feuerwehren, Rettungsdienste, Technisches Hilfswerk (THW) und Polizeibehörden. Während das militärische Anwendungspotential – etwa bei „Urban Operations“ – unerwähnt bleibt, erklärt das KIT, „Indoor Guide“ könne „Menschen mit Sehbehinderung im Alltag unterstützen“.[6]

Zivilklausel
Dass ein Vertreter des KIT bei der von der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik veranstalteten „Urban Operations Conference“ referieren wird, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Studierende und Beschäftigte des KIT fordern bereits seit mehreren Jahren mehrheitlich eine Selbstverpflichtung ihrer Hochschule auf Forschung für ausschließlich zivile Zwecke. Während die Ende März dieses Jahres abgewählte baden-württembergische Landesregierung unter Führung der CDU die Implementierung einer solchen „Zivilklausel“ stets strikt abgelehnt hatte, war ebendies vom Ministerpräsidenten und mehreren Ministern der heutigen Landesregierung aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD fest zugesagt worden. Da dieser Ankündigung jedoch bisher keine Taten gefolgt sind und Äußerungen der amtierenden Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) dies auch nicht erwarten lassen, rufen Studierende und Beschäftigte des KIT nun erneut zu Protesten auf.

[1] International Urban Operations Conference. Solving complex challenges in urban terrain. January 31 – February 02, 2012; www.urban-operations-conference.com
[2] Call for Papers; www.urban-operations-conference.com
[3] IndoorGuide – Navi für innen; www.pkm.kit.edu
[4] Fußgängernavigation (IndoorGuide); www.ite.kit.edu
[5], [6] IndoorGuide – Navi für innen; www.pkm.kit.edu

Source: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58171