Am 14. und 15. Februar 2012 findet in Berlin der 15. Europäische Polizeikongress statt. In den letzten Jahren gab es unterschiedliche Proteste gegen diese Veranstaltung, deren Bedeutung für die sicherheitspolitische Vernetzung der EU-Staaten jedoch über den Tag hinaus kaum vermittelt werden konnte. Dabei ist der Kongress mehr als nur ein symbolisches Arbeitstreffen der europäischen Sicherheitsadministration.
Die Zusammenarbeit der EU-Staaten gegen Migration, „Terroristen“, kriminelle Banden oder linksradikale Bewegungen wird an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr betrieben. Für richtungsweisende Entscheidungen hat der jährliche Polizeikongress aber eine wichtige Funktion. Selten wird in der Presse über Beschlüsse dieser Veranstaltung berichtet, ohne große Reklame werden die vereinbarten Maßnahmen in die Apparate weiter gegeben.
Laut BKA-Präsident müsste die Polizei „international und konspirativ“ agieren, um „Euro-Anarchisten, militante Linksextremisten und -terroristen“ in Griechenland, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland aufs Korn zu nehmen. Die Bundesregierung ergänzt, eine „Europäisierung der Anarchoszene“ sei etwa sichtbar „in der grenzüberschreitenden Versendung von Briefbomben“ oder der „länderübergreifend abgestimmten Begehung schwerer Anschläge“.
Das Vokabular, das gegen internationale Gipfel-AktivistInnen in Anschlag gebracht wird, ist aufschlussreich: Der absurde Begriff „Euro-Anarchisten“ ist beispielsweise im deutschen Sprachraum bislang nicht gebräuchlich. Erstmals eingeführt wurde das Gespenst von „Euro-Anarchisten“ als „Kartell europäischer Anarchistengruppen“ vom damaligen italienischen Innenminister Guiseppe Pisanu 2003. Ähnlich hatte sich 2005 Tony Blair zum zahlreich vorgetragenen Gipfelprotest in Gleneagles geäußert. „We hate it!“, beschwerte sich der britische Premierminister gegenüber der Presse, da sich die FührerInnen der größten Industriestaaten wegen einer „kleinen Gruppe internationaler Anarchisten“ hinter einem Zaun verstecken hätten müssen. Die ehemalige Innenministerin Michèle Alliot-Marie schuf den Begriff einer „anarcho-autonomen Bewegung“, die über beste Kontakte ins Ausland verfüge. Auf dem Konstrukt basierte 2008 eine spektakuläre Repressionswelle gegen anarchistische und autonome Gruppen.
Nach dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegungen in Seattle, Genua und Göteborg gerieten linke AktivistInnen um die Jahrtausendwende zum grenzüberschreitenden Problem für die von ihnen angegriffenen Regierungen. Die 2001 begonnene Intensivierung und Regelung grenzüberschreitender verdeckter Ermittlungen flankierte andere Maßnahmen zur Handhabung von massenhaftem Gipfelprotest: Die deutsche Polizei reist seit Anfang des Jahrtausends mit Wasserwerfern und Polizei-Hundertschaften zu Gipfelprotesten und Fußballspielen nach Frankreich, Österreich und in die Schweiz. Die Bundesregierung setzt sich mit Nachdruck dafür ein, ihre Datensammlungen über bekannte GipfeldemonstrantInnen EU-weit anzusiedeln. Zahlreiche andere Maßnahmen sollen helfen, dass die Polizei mit dem europäischen Gipfel-Internationalismus Schritt halten kann. Der Terrorismus-Jahresbericht von Europol für 2010 führt hierzu aus, die „anarchistischen Extremisten“ würden sich vor allem in den Bereichen Antikapitalismus, Antimilitarismus und „No Borders“ engagieren. In mehreren Ländern kämen auch Umweltthemen bzw. die Beschäftigung mit dem Klimawandel sowie Hausbesetzungen oder Migration hinzu.
Um Aufständen in EU-Staaten vorzubeugen werden Sicherheitskräfte zunächst in Entwicklungsländern trainiert wobei eine Vermischung von Polizei und Militär stattfindet.
Eine militärpolitische Tagung kurz vor dem Polizeikongress in der deutschen Hauptstadt befasst sich mit der Aufstandsbekämpfung in den Großstädten der sogenannten Dritten Welt. Organisiert wird die für Anfang nächsten Jahres anberaumte “International Urban Operations Conference” von der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), einer Lobbyorganisation der deutschen Rüstungsindustrie. Als Referenten vorgesehen sind neben Managern deutscher Waffenschmieden und hochrangigen Militärs auch Angehörige ziviler Forschungseinrichtungen. Unter anderem wird ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) über ein dort durchgeführtes Projekt zur Navigation und Führung von Repressionskräften innerhalb von Gebäuden berichten. Studierende und Beschäftigte des KIT haben sich bereits mehrfach mit großer Mehrheit für eine Selbstverpflichtung ihrer Hochschule ausgesprochen, ausschließlich für friedliche Zwecke zu forschen. Trotz gegenteiliger Ankündigungen hat die zuständige Landesregierung darauf bis heute nicht reagiert.
Wie die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT) mitteilt, wird sie in der Zeit vom 31. Januar bis zum 2. Februar kommenden Jahres eine “International Urban Operations Conference” in Berlin durchführen. Den Organisatoren zufolge soll sich die Tagung mit dem “gesamten Spektrum” von Kriegshandlungen in den Großstädten der sogenannten Dritten Welt befassen. Das “massive Wachstum” der dortigen urbanen Zentren führe zu einer “Verringerung der gesellschaftlichen Stabilität”, heißt es; dies könne von “Terroristen” oder “politischen Gegnern” genutzt werden, um die Kontrolle über das jeweilige Entwicklungsland zu übernehmen (“to gain control over the country”).Entsprechend umfasst das Themenspektrum der vorgesehenen Vorträge eine Vielzahl von Mitteln der Aufstandsbekämpfung: von Spionage- und Überwachungstechniken (“Reconnaissance, Information systems and networks”) über Nachtsichtgeräte zur Verbesserung der Kampffähigkeit bei Dunkelheit (“Night vision and night fighting capability”) bis hin zu Waffensystemen für Bodentruppen (“Infantryman weapons systems”) und Schutzmaßnahmen für sogenannte kritische Infrastruktur (“Protection of Critical Infrastructures”).
Als Vorsitzender der Konferenz fungiert Brigadegeneral Andreas Markus Berg, der die Abteilung III des Führungsstabes des deutschen Heeres leitet und im Bundesverteidigungsministerium für die “Einsatzgrundsätze” der Truppe verantwortlich zeichnet. Zu den bereits nominierten Referenten zählen darüber hinaus weitere hochrangige Offiziere. Oberst Frank Baumgard ist Kommandeur des im niedersächsischen Nienburg beheimateten “CIMIC-Zentrums” der Bundeswehr und zuständig für die Kooperation mit Behörden und Entwicklungsdiensten in den Operationsgebieten der deutschen Streitkräfte. Helmut Heck, der den gleichen Dienstgrad bekleidet, führt das “Informationszentrum Counter IED” des deutschen Militärs im rheinland-pfälzischen Grafschaft-Gelsdorf; hier befasst man sich primär mit dem Aufspüren der von afghanischen Aufständischen präparierten “Sprengfallen”. Auch etliche Manager führender deutscher Rüstungskonzerne werden bei der “Urban Operations Conference” Vorträge halten; vertreten sind unter anderem die Unternehmen EADS/Cassidian, Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, MBDA und Dynamit Nobel Defence. Der Repräsentant der zuletzt genannten Waffenschmiede informiert über die Vorzüge einer speziell für den Häuserkampf entwickelten Panzerfaust (RGW 90), die in der Lage ist, mannsgroße Löcher in Mauern und Wände zu sprengen.
Zu den Referenten aus Militär und Rüstungsindustrie gesellen sich mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter formal ziviler Forschungsinstitutionen. Neben verschiedenen Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft ist auch das aus der Fusion von Kernforschungszentrum und Universität Karlsruhe hervorgegangene Karlsruher Institut für Technologie (KIT) bei der “Urban Operations Conference” vertreten. Der Repräsentant des KIT, Christoph Keßler, wird über ein am dortigen Institut für Theoretische Elektrotechnik und Systemoptimierung (ITE) entwickeltes Navigationssystem für Innenräume berichten. “Indoor Guide” simuliert laut KIT “Sehsinn, Tastsinn, Gleichgewichtssinn und das Wissen über die Bewegung des Fußes”, führt die mittels multipler Sensoren erhobenen Daten zusammen und ist auf diese Weise in der Lage, sowohl Menschen durch ein Gebäude zu leiten als auch dieses zu kartieren.Wie das KIT ausführt, eigne sich “Indoor Guide” speziell für die “Navigation in urbanem Gebiet” und ermögliche die “Orientierung unter schwierigen Bedingungen, beispielsweise bei starker Rauchentwicklung”. Vorgesehen ist nach Angaben des KIT, Minidrohnen und fahrbare Roboter mit “Indoor Guide” auszurüsten, um diese dann quasi “autonom” Innenräume und Gebäude ausspähen zu lassen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf den Nutzen des neuartigen Navigationssystems für Feuerwehren, Rettungsdienste, Technisches Hilfswerk (THW) und Polizeibehörden. Während das militärische Anwendungspotential – etwa bei “Urban Operations” – unerwähnt bleibt, erklärt das KIT, “Indoor Guide” könne “Menschen mit Sehbehinderung im Alltag unterstützen”.
Dass ein Vertreter des KIT bei der von der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik veranstalteten “Urban Operations Conference” referieren wird, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie: Studierende und Beschäftigte des KIT fordern bereits seit mehreren Jahren mehrheitlich eine Selbstverpflichtung ihrer Hochschule auf Forschung für ausschließlich zivile Zwecke. Während die Ende März dieses Jahres abgewählte baden-württembergische Landesregierung unter Führung der CDU die Implementierung einer solchen “Zivilklausel” stets strikt abgelehnt hatte, war ebendies vom Ministerpräsidenten und mehreren Ministern der heutigen Landesregierung aus Bündnis 90/Die Grünen und SPD fest zugesagt worden. Da dieser Ankündigung jedoch bisher keine Taten gefolgt sind und Äußerungen der amtierenden Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen) dies auch nicht erwarten lassen, rufen Studierende und Beschäftigte des KIT nun erneut zu Protesten auf.