Der Skandal um die „NSU“, den „Nationalsozialistischen Untergrund“ hat die Dimensionen neonazistischen Terrors in der BRD offensichtlich werden lassen. Zehn weitere rechts-motivierte Morde sind auf einmal bekannt geworden. Dieser Skandal verdeutlicht die Notwendigkeit antifaschistischen Engagements. Alle antifaschistisch eingstellten Menschen in (ist doch keine reine Kader/Spezialist_innen aufgabe, oder? wir wolln doch alle aufrufen…) der BRD müssen auf diese zehn weiteren Opfer rechter Gewalt reagieren.
Dabei ist klar, dass der „NSU“ nur die Spitze des Eisbergs ist: fast 150 Menschen sind seit der Wiedervereinigung von Nazis ermordet worden. Das in diesem Zusammenhang altbekannte Verhalten der Behörden, das Verdrängen, Relativieren und Entpolitisieren rechter Strukturen und der von ihnen ausgehenden Gewalt, hat mit dem „NSU“ eine neue Dimension bekommen.
Anfang Dezember treffen sich nun die Innenminister von Bund und Ländern in Wiesbaden.
Diese tragen mit ihrer rassistischen, nationalistischen, autoritären und neuerdings an der Extremismus-Doktrin orientierten Politik seit Jahren zum Erstarken der rechtsradikalen Szene bei. Sie stehen den Behörden vor, die rechte Gewalt seit Jahren versuchen zu verharmlosen und zu entpolitisieren. Deshalb ist die Konferenz der Innenminister der richtige Ort um zu zeigen, was wir von dieser Politik halten. In diesem Sinne: Auf nach Wiesbaden, gegen rechtsextremen Terror, Extremismus-Doktrin und den autoritären Präventivstaat!*
Dass drei Nazis jahrelang durch die Republik fahren und am hellichten Tag Menschen exekutieren, die nicht in ihr Weltbild passen, hat die Öffentlichkeit schockiert. Aber wohl eher deshalb, weil sie „abgetaucht“ waren und ihre Taten erst im Nachhinein, auf einen Schlag bekannt wurden.
Der sonstige rassistische Mord und Totschlag, der statistisch zumindest jeden Monat, wenn nicht jede Woche passiert, schafft es kaum noch überregional in die Medien. Von den sonstigen rechts-motivierten Übergriffen verbaler und körperlicher Art einmal ganz abgesehen. Abseits des Skandals um den „NSU“ bleibt die erschreckende Alltäglichkeit und Normalität rechter Gewalt in weiten Teilen der Bundesrepublik unsichtbar. Rund 150 Tote durch rechte Gewalt seit der Wiedervereinigung sprechen eine deutliche Sprache.
Der Umgang der Behörden mit diesen Taten ist fast immer der gleiche: es wird versucht sie zu ignorieren, zu verharmlosen und vor allem zu entpolitisieren. Aktuelles Beispiel dafür ist der Fall eines in diesem Sommer ermordeten Obdachlosen aus Vietnam. Derzeit wird vor Gericht diskutiert, ob 8€ der Ausschlag für einen Raubmord gewesen sein, oder die bekannte rechtsradikale Einstellung des Täters nicht vielleicht doch die entscheidende Rolle gespielt haben könnte.
Der „NSU“ passt perfekt in dieses Bild. Zwar wird jetzt wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, aber die ermittelnden Behörden haben offensichtlich jahrelang nie ernsthaft in Richtung einer rassistisch-motivierten Mordserie ermittelt. Stattdessen war von „türkischen Clanstrukturen“ oder der „türkischen Mafia“ die Rede, sollte es um Wettschulden, Schutzgeld, Drogenstreitigkeiten oder sonstiges gehen. In jedem Fall wurde die Ursache in den scheinbar so „undurchsichtigen Strukturen“ von offenbar „Fremden“ gesucht. Obwohl in den Ermittlungen keine Hinweise auf die Verwicklung der Opfer in organisierte Kriminalität gefunden wurden, galt dies eher als Indiz einer besonders gut organisierten kriminellen Struktur.
Der Rassismus der Behörden, wie auch der Medien wird schon durch ihre Sprache eindeutig angezeigt. Obwohl nur zwei der Opfer der Mordserie in einem Döner Imbiss arbeiteten, ist von „Dönermorden“ die Rede. Dass in diesem Begriff die Opfer völlig entmenschlicht werden, schien dabei niemanden zu stören. Zu allem Überfluss nannten sich die ermittelnden SOKOS auch noch „Bosporus“ und „Aladin“ und bedienten somit auch das Bild der sogenannten „Ausländerkriminalität“.
Man kann gar nicht so viel fressen wie man kotzen möchte!
Aber es ist nicht nur der Rassismus in den Staatsapparaten, sondern auch die sogenannte Extremismus-Doktrin, welche die deutsche Justiz auf dem rechten Auge blind macht. Diese beruht auf der Behauptung einer vermeintlich gemäßigten, „demokratischen Mitte“, welche gegen die „extremen Ränder“ der Gesellschaft geschützt werden müsse. Rassistische und rechtsradikale Gewalt und antifaschistische Arbeit gegen diese werden hier gleich gewertet. Diese Gleichsetzung ist an sich schon eine Verharmlosung rechter Strukturen und Aktivitäten, vor allem in Anbetracht der deutschen Geschichte.
Die Präsentation und die Debatte um den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht veranschaulichen an dieser Stelle nochmals wie weitreichend die Extremismus-Doktrin das Bild der politischen Entwicklungen in der BRD bestimmt. Wenn der Verfassungsschutzbericht in der Öffentlichkeit rezipiert wird, ist unabhängig von den jeweiligen politischen Kontexten stets nur die Rede von einem „signifikanten Anstieg“ von Straftaten und Gewaltbereitschaft von sogenannten „extremistischen Gruppierungen“. Hier wird par excellence das Szenario einer Bedrohung der mitunter schwammig definierten normativen demokratischen Mitte zum Haupt- Ausgangs und Drehpunkt der politischen Debatte gemacht. An dieser Stelle wird nicht zwischen Sachbeschädigungen gegen Schienennetzwerke oder aber Militärfahrzeuge seitens einer militanten Linken einerseits und den rechts-motivierten Angriffen auf Körper und Leben gegen Migrant_innen, Obdachlosen, Linken aller Coleur oder gegen Schwulen und Lesben andererseits, differenziert. Das es hierbei sich um völlig verschiedenes handelt muss eigentlich jede_r_m mit etwas Verstand klar sein. Nicht desto weniger wird mit den abstrakten Zahlen das Bedrohungsszenario von „den Extremisten“ weiter perpetuiert und gleichsam die weitestgehende Aufrüstung eines Sicherheitsapparates legitimiert. Dass aber zum Beispiel die Aufstockung eines Verfassungsschutzes weit davon entfernt ist dem Problem rechts-motivierter Gewalt Einhalt zu bieten, sondern zynischer Weise sich solche Organisationen wie der Thüringer Heimatschutz aus Verfassungsschutzgeldern mitfinanzieren kann, zeigt eines umso deutlicher: Es braucht nicht ein mehr an autoritärer Staatsmacht, um solchen Momenten der Barbarei, wie den jüngst offengelegten Aktivitäten der NSU, beizukommen. Vielmehr bedarf es an dieser Stelle einer tiefergehenden Auseinandersetzung, mit der Frage, auf welchem Nährboden der sogenannten demokratischen Mitte sich rechte Ideologien und die daraus folgenden Angriffe auf Leib und Leben entwickeln. Es ist unumgänglich antifaschistisches Engagement der Zivilgesellschaft weiter zu stärken, anstelle dieses, wie bisher, zu kriminalisieren und mit dem Totschlagargument des Extremismusvorwurfs zu sabotieren.
Zu letzt hat das Bundesinnenministerium die sogenannte „Extremismusklausel“ durchgesetzt. Finanzielle Förderung durch das Innenministerium hängt für zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechts nun von einem Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung ab. In der sogenannten „Demokratieerklärung“ müssen die Initiativen unterschreiben, dass sie „Sorge tragen, dass die als Partner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls den Zielen des Grundgesetzes verpflichten“ und weiter, „dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller oder immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird“. Als extremistisch gelten hierbei nach Definition der Bundesregierung Gruppen und Initiativen, die „eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine „herrschaftsfreie“, anarchistische Gesellschaft etablieren wollen und ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologien orientieren“
Opferberatungsstellen, mobile Beratungsteams und viele andere Gruppen werden so unter Generalverdacht gestellt, anstatt die verdiente Anerkennung für ihre Arbeit zu bekommen. Ihren Mitarbeiter_innen soll die politische Einstellung vom Innenministerium vorgeschrieben werden.
Gleichzeitig werden Fördergelder von der Bekämpfung des sogenannten „Rechtsextremismus“ abgezogen. Auch diese Bekämpfung zivilgesellschaftlicher Initiativen gegen Rechts durch Bundesfamilienministerin Kristina Schröder trägt zur Stärkung der rechtsextremen Szene bei. Die Stärke und das Selbstbewusstsein der Naziszene gerade in vielen Teilen der BRD war ohne Zweifel die Grundlage für das Phänomen „NSU“.
Doch die Extremismus-Doktrin ist nicht nur eine Verharmlosung rechtsextremer Gewalt und eine Verunglimpfung antifaschistischen Engagements. Auch beschränkt sich die indirekte Förderung rechtsextremer Strukturen nicht auf die Umschichtung von Fördergeldern. Die Kriminalisierung der Proteste und Blockaden gegen Europas größten Naziaufmarsch in Dresden zeigt beispielhaft, wie die staatlichen Behörden die dringend notwendige gesellschaftliche (und eben nicht staatliche) Bekämpfung des Rechtsextremismus zu verhindern versuchen. War der Aufmarsch in Dresden seit den 1990er Jahren zum größten rechtsextremen Event in Europa gewachsen, wurde er in den letzten beiden Jahren erstmals von einem breiten antifaschistischen Bündnis verhindert. Deutlich mehr als 10.000 Menschen nahmen an den Aktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch teil. Mit Hilfe von Massenblockaden und militanten Aktionen konnte der Aufmarsch erfolgreich verhindert werden.
Derzeit laufen gegen zahlreiche Menschen, die sich an der Vorbereitung der Massenblockaden gegen den Naziaufmarsch in Dresden beteiligt oder öffentlich zu ihnen aufgerufen haben, Verfahren nach §129: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Direkt im Anschluss an den Aufmarsch wurde das Pressezentrum des Bündnisses „Nazifrei- Dresden stellt sich quer!“ durchsucht. Mittlerweile ist gerichtlich bestätigt, dass die gesamte Hausdurchsuchung rechtswidrig war. Nachdem sich ein Jenaer Jugendpfarrer als Teil des Bündnisses in der Presse kritisch zu den ersten Durchsuchungen geäußert hatte, wurde eine Woche später auch seine Wohnung durchsucht. Am Tag des Aufmarschs wurden sämtliche Handydaten in der gesamten Südvorstadt abgehört und gescannt; auch diese Maßnahme war illegal. Diese Situation zeigt, dass die Repressionsapparate gegen antifaschistisches Engagement den juristischen Spielraum nicht nur bis zum Äußersten ausreizen, sondern regelmäßig über diesen hinausgehen. Bei neonazistischer Gewalt ist das Gegenteil der Fall: deutlicher können die Behörden ihre politischen Prioritäten nicht zeigen.
Dies liegt einerseits in den politischen Einstellungen derjenigen Leute begründet, die in diesen Behörden arbeiten. Andererseits gibt es aber auch eine strukturelle Nähe rechtsextremer Positionen zur sogenannten „Mitte der Gesellschaft“. Denn rassistische, antisemitische, patriarchale, autoritäre, nationalistische usw. usf. Positionen sind tief in dieser Gesellschaft verankert. Dies verdeutlichen auch die regelmäßigen Studien, die von verschiedenen Stiftungen veröffentlicht werden. In der 2010 veröffentlichten Studie der Friedrich Ebert Stiftung zu „rechtsextremen Einstellungen“ ist zu lesen, dass 35,6 % der Befragten der Aussage „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ zustimmen. Von einem extremistischen Rand kann hier also kaum ausgegangen werden. Die organisierte Nazi-Szene formt aus diesen Elementen lediglich ein hermetisch geschlossenes Weltbild und versucht dieses gegen Recht und Gesetz durchzusetzen, statt in Übereinstimmung mit diesen.
Die Innenminister arbeiten kräftig daran mit, nationalistische, rassistische und autoritäre Einstellungen beständig zu reproduzieren. Um sich als Beschützer des nationalen Kollektivs aufspielen zu können, werden allerhand Bedrohungen skizziert und konstruiert. Von der „Asylantenflut“ über die „Organisierte Kriminalität“ bis zum „islamistischen Terrorismus“: beständig kommt die Gefahr von außen, droht die Nation zu zerstören und muss mit harter Hand bekämpft werden. Der/die anständige Staatsbürger_in im Präventivstaat muss angeblich, so heißt es weiter, für die Wahrung seines/ihres „Supergrundrechts“ auf Sicherheit die Unterhöhlung sämtlicher anderer Grundrechte ohne Klagen und Widerstand akzeptieren.
Jetzt zu versuchen mit Bezug auf den „NSU“ den Abbau von Grundrechten zu legitimieren ist eine absolute Frechheit! Stattdessen wird es dringend Zeit für eine deutliche antifaschistische Reaktion auf den „NSU“: kommt am 3.12. nach Wiesbaden, zeigen wir den Innenministern was wir von dieser Politik halten!
Der Opfer rechtsgesinnter Gewalt wegen:
Extremismus-Doktrin und den autoritären Präventivstaat bekämpfen!
Antifaschistischen Widerstand organisieren,
rechtsradikale Strukturen konsequent zerschlagen!
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