Geheimdienste und Polizeien auflösen – Anarchy in the EU!

Laut einem Pro­to­koll der EU-​Rats­ar­beits­grup­pe „Ter­ro­ris­mus“ or­ga­ni­siert die eu­ro­päi­sche Po­li­zeia­gen­tur EU­RO­POL am 24./25. April 2012 in Den Haag eine Kon­fe­renz zu An­ar­chis­mus. Neben einem Re­fe­rat der ita­lie­ni­schen De­le­ga­ti­on über Ak­ti­vi­tä­ten der „Fe­dera­zio­ne An­archi­ca In­for­ma­le“ (F.A.I.) soll die Kon­fe­renz laut Me­dien­be­rich­ten auch Ak­ti­vi­tä­ten gegen „Schie­nen­netz­wer­ke“ und das „No Bor­der-​Netz­werk“ be­han­deln.

„Schie­nen­netz­wer­ke“? WTF?!

Ganz im Stile eu­ro­päi­scher Po­li­tik bleibt der tat­säch­li­che In­halt und die In­ten­ti­on der Ver­an­stal­ter im Dun­keln. Un­klar ist zum Bei­spiel, was mit dem Be­griff „Schie­nen­netz­wer­ke“ ge­meint ist: Nahe lie­gen die Pro­tes­te gegen das „Schie­nen­netz­werk“ Stutt­gart 21 eben­so wie gegen die Hoch­ge­schwin­dig­keits­ver­bin­dung „Treno ad Alta Ve­lo­cità“ (TAV) von Turin ins fran­zö­si­sche Lyon. Gegen beide Pro­jek­te leis­tet die ört­li­che Be­völ­ke­rung mas­si­ven Wi­der­stand, der selbst­ver­ständ­lich auch aus un­ter­schied­li­chen lin­ken Be­we­gun­gen Ita­li­ens und Deutsch­lands ge­tra­gen wird. Die Bun­des­re­gie­rung spricht in die­sem Zu­sam­men­hang von „Links­ex­tre­mis­mus/-​ter­ro­ris­mus“ und des­sen an­geb­li­chen „An­grif­fe[n] auf Zug­trans­por­te“.

Es ist zu ver­mu­ten, dass die Kon­fe­renz von EU­RO­POL den le­gi­ti­men Wi­der­stand gegen sinn­lo­se Groß­pro­jek­te oder ge­fähr­li­che Tech­no­lo­gi­en in den Fokus kon­ser­va­ti­ver Si­cher­heits­fa­na­ti­ker rü­cken soll. Dies würde zur Po­li­tik der Re­gie­run­gen und ihrer Po­li­zei­en pas­sen, die immer wie­der be­haup­ten, De­mons­tran­t_in­nen wür­den Tote in Kauf neh­men und seien als „ter­ro­ris­tisch“ ein­zu­stu­fen. Dem­ge­gen­über sind es immer wie­der sie selbst, die bei De­mons­tra­tio­nen mit Waf­fen­ge­walt und Ter­ror­me­tho­den das Leben von en­ga­gier­ten Men­schen ge­fähr­den. Jüngs­te Bei­spie­le sind der No-​TAV-​Ak­ti­vist „Luca“, der durch eine Ak­ti­on der Po­li­zei le­bens­be­droh­lich aus gro­ßer Höhe ab­stürz­te oder der junge Mann, der beim spa­ni­schen Ge­ne­ral­streik gegen die ka­pi­ta­lis­ti­sche Kri­sen­po­li­tik von den Bul­len ein Gum­mi­ge­schoss in den Kopf ge­jagt bekam.

„96 An­ar­chis­ten“ und das „No Bor­der-​Netz­werk“

Laut Bun­des­re­gie­rung sol­len zudem Ak­ti­vi­tä­ten des „No Bor­der-​Netz­werks“ bei der Ta­gung the­ma­ti­siert wer­den. Auch hier ist un­klar, was das be­deu­ten soll. Seit den frü­hen 90er Jah­ren or­ga­ni­sie­ren mi­gra­ti­ons­so­li­da­ri­sche Grup­pen re­gel­mä­ßig grenz­über­schrei­ten­de De­mons­tra­tio­nen, Camps oder Kam­pa­gnen. Für die­ses Jahr wol­len sie unter dem Motto „Boats for peop­le“ mit Schif­fen auf dem Mit­tel­meer Prä­senz zei­gen und dort gegen die men­schen­ver­ach­ten­de und oft töd­li­che Ge­walt der EU-​Grenz­schutz­agen­tur FRON­TEX de­mons­trie­ren.

Wo­mög­lich sind aber die Vor­komm­nis­se auf dem Grenz­camp 2010 in Brüs­sel ge­meint: Die bel­gi­sche Po­li­zei woll­te in einer bei­spiel­lo­sen Ak­ti­on ver­hin­dern, dass Men­schen aus dem Camp an einer in­ter­na­tio­na­len Ge­werk­schafts­de­mons­tra­ti­on teil­neh­men. Ge­hol­fen hatte dabei ver­mut­lich der spä­ter ent­tarn­te Po­li­zei­spit­zel Simon Brom­ma, der seine „Er­kennt­nis­se“ täg­lich an das LKA in Stutt­gart wei­ter­gab. Wo­mög­lich ge­lang­ten dar­auf­hin ver­fälsch­te In­for­ma­tio­nen an die bel­gi­schen Be­hör­den, die schließ­lich zur Fest­nah­me von „96 An­ar­chis­ten“ führ­ten. Der­art ver­mel­de­te es da­mals ein Po­li­zei­spre­cher ohne An­ga­be von Grün­den. Weder führ­ten die Ak­ti­vis­t_in­nen „ver­bo­te­ne Ge­gen­stän­de“ mit, noch nah­men sie „straf­recht­lich re­le­van­te Hand­lun­gen“ vor. Es liegt also nahe, dass die Fest­nah­men nur wegen einer „an­ar­chis­ti­schen“ Ge­sin­nung vor­ge­nom­men wur­den.

„Eu­ro-​An­ar­chis­ten“

Auch das BKA setzt lin­ken Ak­ti­vis­mus mit einem an­geb­li­chen mi­li­tan­ten „An­ar­chis­mus“ gleich. Im Ja­nu­ar letz­ten Jah­res war des­sen Chef Jörg Ziercke vom In­nen­aus­schuss des Bun­des­ta­ges be­fragt wor­den, wozu seine Be­hör­de mit Groß­bri­tan­ni­en aus­gie­big ver­deck­te Er­mitt­ler tauscht. Ziercke hatte zur Be­grün­dung der staat­li­chen Un­ter­wan­de­rung des G8-​Gip­fels 2007 und NA­TO-​Gip­fels 2009 eine an­geb­li­che „Eu­ro­päi­sie­rung der An­ar­cho­sze­ne“ aus Grie­chen­land, Spa­ni­en, Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich, Dä­ne­mark und Deutsch­land an­ge­führt. Er be­grün­de­tet au­ßer­dem die in Hei­li­gen­damm ein­ge­setz­ten bri­ti­schen Spit­zel mit dem Vor­ge­hen gegen „Eu­r­o­an­ar­chis­ten, mi­li­tan­te Links­ex­tre­mis­ten und –ter­ro­ris­ten“. Der Be­griff „Eu­ro-​An­ar­chis­ten“ war bis dahin im deut­schen Sprach­raum nicht ge­bräuch­lich. Mitt­ler­wei­le wird sogar der eher li­be­ral-​bür­ger­li­chen Pi­ra­ten­par­tei eine „An­griffs­hal­tung ge­gen­über dem Staat“ at­tes­tiert und deren Kon­zep­ti­on ver­meint­lich als „an­ar­chis­tisch“ be­zeich­net.

„Or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät“ und „Ter­ro­ris­mus“

Auch der EU-​Ge­heim­dienst Sit­Cen be­schäf­tigt sich mit dem „Phä­no­men ’An­ar­chis­mus’“. Im Ok­to­ber hatte der Dienst ein „Si­tua­ti­on As­sess­ment“ er­stellt, für das auch das deut­sche Bun­des­amt für Ver­fas­sungs­schutz einen Bei­trag lie­fer­te. Bei EU­RO­POL selbst wer­den ein­lau­fen­de Er­kennt­nis­se im jähr­li­chen „Ter­ro­rism Si­tua­ti­on and Trend Re­port“ ver­öf­fent­licht. Zu den von „an­ar­chist ex­tre­mists“ un­ter­stütz­ten The­men zäh­len dem­nach „an­ti-​ca­pi­ta­lism, an­ti-​mi­li­ta­rism, an­ti-​fa­scism and the ’No Bor­ders’ cam­paign“. In­for­ma­tio­nen seien aus Deutsch­land, Schwe­den, der Tsche­chi­schen Re­pu­blik und Groß­bri­tan­ni­en an­ge­lie­fert wor­den.

Erst kürz­lich wurde of­fen­kun­dig, dass EU­RO­POL auch grenz­über­schrei­ten­de In­itia­ti­ven von Um­welt-​ und Tier­rechts­ak­ti­vis­t_in­nen be­ob­ach­tet. Auf Grund­la­ge die­ser „Er­kennt­nis­se“ or­ga­ni­siert die Po­li­zeia­gen­tur re­gel­mä­ßi­ge Kon­fe­ren­zen zu so ge­nann­ten „Tier­rechts­ex­tre­mis­mus”.

Die Be­ob­ach­tun­gen zu „Ter­ro­ris­mus“ und „Ex­tre­mis­mus“ wer­den bei EU­RO­POL in der weit­ge­hen­den Ana­ly­se­ar­beits­da­tei (AWF) „Dol­phin“ ab­ge­legt, die teil­wei­se re­gel­rech­te Dos­siers über Per­so­nen, Ob­jek­te oder Tat­her­gän­ge ent­hal­ten kann. Laut Bun­des­re­gie­rung fin­det das Tref­fen zu „An­ar­chis­mus“ am 25.​04. im Rah­men einer Ein­la­dung an die 20 Mit­glieds­staa­ten der AWF „Dol­phin“ statt. Nicht nur durch die Lis­tung in den „Dol­phin“-​Dos­siers wer­den po­li­ti­sche Ak­ti­vis­t_in­nen kri­mi­na­li­siert. Im Mai sol­len die zahl­rei­chen AWFs neu struk­tu­riert und fort­an unter den bei­den Schlag­wor­ten „Or­ga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät“ und „Ter­ro­ris­mus“ ge­führt wer­den.

Wenn An­woh­ner_in­nen und An­ar­chis­t_in­nen zum „Stand­or­t­ri­si­ko” wer­den

„An­ar­chis­mus“ oder ver­meint­li­che „Eu­ro-​An­ar­chis­ten“ wer­den zum Sam­mel­be­griff von po­li­tisch un­lieb­sa­mem in­ter­na­tio­na­len, lin­ken En­ga­ge­ment. An­ar­chis­mus ist indes eine po­li­ti­sche Ein­stel­lung, die Herr­schaft von Men­schen über Men­schen und jede Art von Hier­ar­chie als Form der Un­ter­drü­ckung von in­di­vi­du­el­ler und kol­lek­ti­ver Frei­heit ab­lehnt. Eine sol­che auf Frei­heit, Selbst­be­stim­mung, Gleich­be­rech­ti­gung sowie Selbst­ver­wirk­li­chung der In­di­vi­du­en set­zen­de und einen so­li­da­ri­schen Um­gang der Men­schen mit­ein­an­der ein­for­dern­de Hal­tung müss­te bei einem frei­heit­li­chen Pro­jekt, das die EU ja an­geb­lich sein soll, ei­gent­lich auf Re­spekt sto­ßen.

Die Kri­mi­na­li­sie­rung des le­gi­ti­men Wi­der­stands gegen „Schie­nen­netz­wer­ke” oder „Zug­trans­por­te”, die mör­de­ri­schen Ak­ti­vi­tä­ten von FRON­TEX sowie die ideo­lo­gisch-​mo­ti­vier­te Dif­fa­mie­rung des An­ar­chis­mus an­sich, macht uns wü­tend und zor­nig. Dass in Ber­lin ein In­nen­se­na­tor wie­der ein­mal ver­sucht, den Pro­test von An­woh­ner_in­nen gegen stei­gen­de Mie­ten (z.B. vor Kur­zem in Ge­stalt des BMW Gug­gen­heim Labs) zu kri­mi­na­li­sie­ren, in dem er bei­spiels­wei­se von „Lin­ken Chao­ten” und einem an­geb­li­chen „Stand­or­t­ri­si­ko” spricht, ist ein wei­te­rer Beleg für die Angst der Re­gie­ren­den vor dem er­folg­rei­chen Wi­der­stand der Re­gier­ten.

Daher wol­len wir am 25. April gegen 17 Uhr zur BKA-​Au­ßen­stel­le in Ber­lin-​Trep­tow zie­hen, um un­se­ren Unmut über EU­RO­POLs „An­ar­chis­mus“-​Kon­fe­renz, den all­täg­li­chen Ras­sis­mus in Eu­ro­pa und die Gleich­set­zung von An­ar­chis­mus bzw. lin­kem Ak­ti­vis­mus mit „Ter­ro­ris­mus“ deut­lich zu zei­gen. Au­ßer­dem bie­tet es die ge­wähl­te Route an, auch die Wi­der­wer­tig­kei­ten ka­pi­ta­lis­ti­scher Stadt­um­struk­tu­rie­rung sowie die Ein­schüch­te­rungs­ver­su­che der Ber­li­ner Re­pres­si­ons­be­hör­den im Vor­feld des 1. Mai zu adres­sie­ren.

Kri­mi­nell ist das Sys­tem – nicht der Wi­der­stand!

Un­se­re „In­to­le­ranz” gegen ihre Un­ter­drü­ckung — für mehr Stand­or­t­ri­si­ken!

Out of Con­trol Ber­lin

De­mons­tra­ti­on | 25.4. | 17 Uhr | U-Bhf Schle­si­sches Tor | Ber­lin-​Kreuz­berg

Source: http://outofcontrol.blogsport.de/2012/04/08/geheimdienste-und-polizeien-aufloesen-anarchy-in-the-eu/