Von Blockupy in Frankfurt zum Noborder-Camp in Köln-Düsseldorf (13. bis 22. Juli 2012)
„Jetzt, wo ich beginne, anzukommen in Deutschland, merke ich, dass ich die letzte Freiheit verliere. Ich muss aufstehen, wenn der Wecker klingelt, ich muss zur Schule, ich habe einen Termin bei der Ausländerbehörde. Schnell einen Job als Packer am Flughafen finden, denn das sind die „besseren“ Arbeiten für uns. Und wenn ich Freunde treffen will, mache ich einen Termin. Damals, als ich von Gefängnis zu Gefängnis in Griechenland und Ungarn wanderte und mich verstecken musste auf der Flucht durch Europa, da war ich von außen betrachtet nicht frei. Aber ich habe mit äußeren Grenzen gekämpft. Die neue Unfreiheit schreibt sich direkt in mich ein. Wenn ich sie akzeptiere, werde ich ein anderer sein. Manchmal würde ich gern davor wegrennen und die Grenze überwinden wie damals.“ (Flüchtling aus Afghanistan, im Asylverfahren in Deutschland)
EU-Grenzregime als Filter
Bei den Besetzungen, Blockaden und Demonstrationen dieser Tage in Frankfurt tragen wir Schlauchboote und Leitern, Symbole des Widerstandes gegen das militarisierte EU-Grenzregime. Große Puppen thematisieren zudem prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen sich insbesondere Flüchtlinge und MigrantInnen wiederfinden – ob mit oder ohne Papiere. Denn die Spardiktate der Troika dienen nicht nur der Bankenrettung, sie sind auch Mittel zur Zurichtung und Verwertung, das heißt zur Umwandlung von Lebenszeit in Arbeitszeit – ein Prozess, den der eingangs zitierte Freund aus Afghanistan als Kampf gegen die bis ins innerste vordringende Grenze beschreibt. Die totale Ökonomisierung des Lebens ist im globalisierten Kapitalismus elementar, sie bestimmt daher auch keineswegs zufällig die fortwährende Aufrüstung der EU-Außengrenzen durch die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX. Das brutale Grenzregime fungiert als Filter, allenfalls die „Fittesten“ sollen durchkommen – sei es als ErntehelferInnen, Bauarbeiter, Schlachter, Pflege- oder Putzkräfte. Das bedeutet zugleich, dass der Tod von Abertausenden bewusst in Kauf genommen wird. Allein im Mittelmeer sollen im Jahr 2011 laut UN-Angaben über 1.500 Menschen ihr Leben verloren haben. Gleichwohl sprechen die Herrschenden verharmlosend von „Migrationsmanagement“, wenn sie die unterschiedlichen Strategien der tödlichen Ausgrenzung mit der Rekrutierung billiger Arbeitskräfte kombinieren.
Ökonomie des Abschieberassismus
Das Nobordercamp in Düsseldorf/Köln vom 13. bis 22. Juli spinnt viele dieser Fäden weiter: Sein Aktionsschwerpunkt liegt auf dem Düsseldorfer Abschiebeflughafen, der sich zum Drehkreuz für die maßgeblich von FRONTEX organisierten Charter-Abschiebungen entwickelt hat und daher stellvertretend für die Ökonomie des Abschieberassismus steht. Konkreter: Der Großteil der Abschiebecharter aus Düsseldorf fliegt Belgrad und Pristina an. Die Zielgruppe dieses Angriffs sind Roma, die als so genannte Armutsbevölkerung mit allen nur erdenklichen Mitteln daran gehindert werden sollen, Wege aus dem nackten Überlebenskampf zu finden – wie jüngst auch in Frankfurt zu erleben war. Denn der zunehmende Räumungsdruck gegenüber dem Occupy-Camp vor dem Tower der Europäischen Zentralbank war in den vergangenen Wochen maßgeblich davon geprägt, dass der Ansiedlung rumänischer Roma auf dem Camp und somit mitten in den Grünanlagen des Bankenviertels endlich ein Riegel vorgeschoben werden müsse, so die Stadt. Occupy hat sich allerdings der geforderten Spaltung verweigert und damit ein entschiedenes Zeichen gegen Rassismus und innerstädtische Vertreibung gesetzt. Die zweite große Zielgruppe sind nigerianische Flüchtlinge und MigrantInnen, entsprechend machen Abschiebungen nach Nigeria gut die Hälfte aller europaweit koordinierten Abschiebeflüge aus. Nicht zufällig gerät damit das bevölkerungsreichste Land Afrikas in den Fokus rassistischer Spaltungsstrategien: Abgeschoben wird, wer als nicht verwertbar und somit überschüssig gilt – eine Logik, die nicht zuletzt auf das globale Ausbeutungsgefälle verweist. Und doch sollte in diesem Zusammenhang keineswegs aus dem Blick geraten, dass es vielen immer wieder gelingt, sich hartnäckig und meist mit solidarischer Unterstützung durch Dritte gegen die eigene Abschiebung zur Wehr zu setzen. Hinzu kommt, dass der ständige Abschiebeterror bewusst Angst und Zermürbung unter den potentiell Betroffenen schürt, wozu im Übrigen auch physische bzw. psychische Angriffe auf MigrantInnen, Flüchtlinge oder People of Colour seitens staatlicher Stellen zählen. Beispielhaft erwähnt seien der Fall des Asylbewerbers Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 bei lebendigem Leib in einer Polizeizelle in Dessau verbrannt ist, oder die vom Verfassungsschutz unter bislang nicht geklärten Umständen mit verantwortete Mordserie der rechtsextremistischen Terrorzelle „NSU“.
Rassistische Krisen-Hetze
Zurück nach Frankfurt: Die Europäische Zentralbank wird nicht nur aus Solidarität mit den Kämpfen gegen die Durchsetzung der Sparpakete und somit die umfassende Ökonomisierung des Lebens blockiert – ob in Griechenland oder anderen Ländern der europäischen Peripherie. Blockupy ist zugleich auch eine Plattform für Proteste von Prekarisierten überhaupt. Eine besondere Rolle spielen dabei Flüchtlinge und MigrantInnen, die in doppelter Weise von der herrschenden Krisenpolitik betroffen sind. Sie werden als erste entlassen, zudem droht bei Arbeitslosigkeit häufig die Abschiebung – etwa wenn hierzulande Bleibeberechtigte wegen fehlendem oder zu geringem Einkommen wieder in die so genannte „Duldung“ zurückfallen. Gleichzeitig werden sie zu Sündenböcken für die soziale Krise gemacht. In Athen führt etwa diese rassistische Hetze und Spaltung schon seit Monaten zu regelmäßigen Pogromen durch faschistische Gruppen und Bürgerwehren – und zu einer medialen Hetzkampagne gegen Flüchtlinge und MigrantInnen, die vor allem kurz vor den Parlamentswahlen Anfang Mai von den tiefen sozialen Verwerfungen ablenken sollte, auf die momentan keine Partei eine Antwort hat.
Schuldendiktate und Klimwandel im globalen Süden
Bei Blockupy geht es in erster Linie um Visionen eines anderen Europas – manchmal auch um den Maghreb, ein mediterranes Projekt, inspiriert vom Wind der Veränderung des arabischen Frühlings, der vor gut einem Jahr vermeintlich fest im Sattel sitzende Diktatoren einfach hinwegfegte. Und doch fällt auf, dass derzeit deutlich weniger über jene Regionen der Welt gesprochen wird, die bereits seit Jahrzehnten von den Schuldendiktaten durch IWF, Weltbank und Co. am heftigsten in die Mangel genommen werden. Nicht von ungefähr begegnet uns daher in Gesprächen mit afrikanischen AktivistInnen oder mit denjenigen, die als MigrantInnen aus Afrika nach Europa gekommen sind, immer wieder die gleiche Feststellung: „Krise? Was soll daran neu sein? Bei uns ist seit einer Ewigkeit permanente Krise.“ Einige Beispiele mögen das illustrieren – auch im Kontext der Auswirkungen des Klimawandels in Afrika: Im vergangenen Jahr erschütterte eine Hungerkatastrophe das Horn von Afrika, vor allem Somalia war betroffen. Seit März spitzt sich nunmehr im Zuge anhaltender Dürre die Situation im Sahelgebiet zu. Mit Niger, Mali und Burkina Faso sind davon drei der ärmsten bzw. am ärmsten gemachten Länder der Welt massiv in Mitleidenschaft gezogen. Bislang sind also die Folgen des Klimawandels vor allem dort in Gestalt sinkender Niederschläge oder gravierender Bodenerosion zu spüren, wo die Krise durch das Zusammenspiel zwischen korrupten Regimen und neokolonialen Ausbeutungsverhältnissen ohnehin längst zum Dauerzustand geworden ist. Konsequenz sind nicht zuletzt Hunger und Unterernährung, wobei es schon ungewöhnlich vieler Toter bedarf, damit die Zustände überhaupt als Randnotiz in den Medien Erwähnung finden.
Klimawandel, Ressourcenausbeutung, Landgrabbing, Lebensmittelspekulation oder neoliberale Freihandelsabkommen – die Ausbeutung von Mensch und Natur im Interesse des industrialisierten Nordens und zunehmend auch der so genannten Schwellenländer nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Es passt insofern, dass sozial-ökologische Konflikte bei den Antitroika-Protesten in Frankfurt eine prominente Rolle spielen – nicht zuletzt durch eine starke Mobilisierung aus Climate Justice-Netzwerken, wodurch auch die Folgen des Klimawandels vor allem in der globalen Peripherie thematisiert werden. Ebenso haben sich antimilitaristische Gruppen mit Blick auf Ressourcen- und Verteilungskriege im Rahmen von Blockupy zusammengefunden. Beides macht deutlich, dass es in Frankfurt nicht nur um europäische, sondern um globale Solidarität geht.
From Blockupy to Noborder
Wenn wir mit Symboliken aus migrantischen Kämpfen an den EU-Außengrenzen die Banken blockieren, dann geschieht das im Wissen darum, dass MigrantInnen und Flüchtlinge heute eine ungleich stärkere Stellung in sozialen Bewegungen in Europa einnehmen als noch vor 10 oder 20 Jahren. Eine gemischte Organisierung braucht allerdings Zeit und immer wieder neue Räume für tiefergehende Auseinandersetzungen bzw. Begegnungen. Denn das Gefälle der ökonomischen, politischen und zivilen Entrechtungen ist massiv – prekarisierte Studierende in Frankfurt sind von einem anderen Prekarisierungslevel betroffen als papierlose Hausarbeiterinnen in Hamburg oder Flüchtlingsfamilien in Thüringen. Das Nobordercamp bietet daher vom 13. bis 22. Juli 2012 Gelegenheit zu weiterem Austausch und Aktivismus (und gecampt werden darf auch!). Es wird ein Ort sein, um theoretisch und praktisch die Suche nach Verbindungen zu intensivieren. Einerseits weil neben Migration auch die strukturellen Hintergründe von Flucht und Migration ausgiebig zur Sprache kommen sollen – erinnert sei nur an den bereits vor vielen Jahren von der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen geprägten Slogan „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört.“ Andererseits weil die dominanten Krisenlösungsstrategien wahlweise neoliberal, rechtspopulistisch oder beides zusammen sind und auf diese Weise emanzipatorische Kämpfe immer wieder aufzuspalten drohen.
Für ein solidarisches Europa
Migrantische und Flüchtlingsbewegungen durchkreuzen und bekämpfen das System einer neuen globalen Apartheid mit Forderungen nach globaler Bewegungsfreiheit und gleichen sozialen Rechten – ob im Widerstand gegen Residenzpflicht und Polizeigewalt, gegen Abschiebungen (und ihre Vollstrecker wie Fluggesellschaften, Ausländerbehörden und Botschaften) oder gegen die Isolation in Lagern – wobei letztere in den bayrischen Bergen genauso wie am Stadtrand ostdeutscher Kleinstädte oder an den Rändern der Festung Europa anzutreffen sind. Migrantische und Flüchtlingsbewegungen sind darüber hinaus so etwas wie Botschafterinnen der Auseinandersetzungen um Existenzgrundlagen beispielsweise in Afrika, eröffnen also die Möglichkeit einer transnationalen Perspektive, die sich gleichermaßen gegen die Ausbeutung und Unterdrückungen im Süden wie im Norden richtet. Sie forcieren auf diese Weise eine Debatte um die Vision eines anderen Europas – jenseits menschenverachtender Strategien der totalen Ökonomisierung des Lebens. Wenn wir von einem anderen Europa sprechen, denken wir also nicht an Europa als imperialem EU-Block mit der neoliberalen Lissabon-Agenda als Rückgrat, sondern an ein Europa, welches als geografische Region mit fließenden Übergängen seine inneren und äußeren Grenzen (samt eingebautem Ausbeutungsgefälle) aufsprengt und sich solidarisch mit den Kämpfen im globalen Süden bzw. von Flüchtlingen und MigrantInnen weltweit zeigt. Eine Vision, bei der angesichts des Klimawandels zudem kein Zweifel daran bestehen dürfte, dass wirtschaftliches Wachstum weder kurz- noch langfristig eine Lösung darstellt. Nein, unumgänglich ist vielmehr eine Neuerfindung dessen, worin ein gutes, würdiges und selbstbestimmtes Leben für alle Menschen bestehen könnte. Das Ringen um globale Visionen, die rund um Blockupy immer wieder aufblitzen, betrachten wir daher als einen jener Diskussions- und Aktionsstränge, die beim Nobordercamp in Köln/Düsseldorf auf jeden Fall weiterentwickelt werden müssten – möglichst auch mit vielen Menschen, die bislang noch nicht in Noborder-Zusammenhängen aktiv geworden sind…
Freedom of Movement is everybody’s right!
Für das Recht zu gehen und das Recht zu bleiben.
See you in Köln-Düsseldorf!
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