EU-Mission in Libyen deutlich von Logik „Innerer Sicherheit“ geprägt
IMI-Standpunkt 2012/050
von: Bernhard Klaus
In den Schlussfolgerungen der Rats für Auswärtige Angelegenheiten der EU vom 23. Juli 2012 hieß es: „Der EU ist bewusst, dass Libyen große Sicherheitsprobleme zu bewältigen hat. Sie bekräftigt, dass sie bereit ist, gegebenenfalls auch im Rahmen der GSVP weitere Hilfe auf dem Gebiet der Sicherheit und des Grenzschutzes zu leisten, und zwar in enger Partnerschaft mit der neuen demokratischen Regierung Libyens und in Abstimmung mit der Unterstützungsmission der VN in Libyen (UNSMIL) und der übrigen internationalen Gemeinschaft.“ Die Bezugnahme auf die „neue demokratische Regierung Libyens“ erfolgte vor dem Hintergrund der Wahlen zum Allgemeinen Volkskongress am 7. Juli 2012, die von einer EU-Wahlbeurteilungsmission und an diese anknüpfend auch vom EU-Rat als „pluralistisch … und im Großen und Ganzen friedlich“ eingestuft wurden (Siehe: „In großen Zahlen demokratisch Wählen gegangen“). Tatsächlich jedoch waren die Wahlen von Gewalt überschattet und einer geringen Wahlbeteiligung geprägt. Zwei Tage zuvor hatte der Nationale Übergangsrat überraschend einen neuen Fahrplan zur Verfassungsgebung ausgerufen und damit Unklarheit darüber erzeugt, was eigentlich gewählt wird, welche Befugnisse der Volkskongress haben würde und wie die Machtverteilung zwischen diesem und dem Nationalen Übergangsrat aussehen sollte. Trotzdem schlossen sich die westlichen Medien der Erfolgsgeschichte von der neuen demokratischen Regierung Libyens an und setzten noch eins drauf: „Liberales Bündnis gewinnt Wahlen in Libyen“ titelte etwa SPON, obwohl im selben Artikel eingeräumt wurde, dass nur 80 von 200 Sitzen über Listen vergeben wurden und nur hier die „Liberalen“ eine Mehrheit errungen hätten, über die 120 unabhängige Kandidaten hingegen ließe sich bislang nichts sagen. Internationale Medien riefen bereits damals zur Vorsicht, was die vorschnelle Freude über den angeblichen Sieg der Allianz der Nationalen Kräfte anginge, die nach Darstellung von SPON „für einen moderaten Islam, wirtschaftliche Liberalisierung und eine Öffnung zum Westen“ eintritt.
Allerdings ist bereits die Fokussierung auf angebliche oder tatsächliche Mehrheitsverhältnisse im Volkskongress irreführend, denn in Libyen, das unter einem Mandat des UN-Sicherheitsrates zum „Schutz der Zivilbevölkerung“ mit persönlicher Zustimmung des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon mit Waffen überschwemmt wurde (Siehe: Proliferation, Destabilisierung und der Schutz der Zivilbevölkerung), haben nach wie vor die bewaffneten Männer das Sagen. Die bewaffneten Auseinandersetzungen im Süden des Landes hielten ungeachtet der Wahl an und befeuerten Unabhängigkeitsbestrebungen im libysch-nigrisch-tschadischen Grenzgebiet. Im Osten des Landes nahmen Sprengstoffanschläge auf sich etablierende Institionen des Gesamtstaates und unter konkrurrierenden Sicherheitskräften zu, in Bengasi und Misrata wurden die Büros des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz angegriffen. In dem Moment, als die Verhandlungen über die Machtteilung zwischen dem Nationalen Übergangsrat und dem Volkskongress in der Hauptstadt anliefen, erreichte auch dort die Gewalt ein Niveau, dass auch die deutsche Presse hierüber wiedereinmal berichtete. Nach einer Zunahme an Bombenangriffen in Tripolis beschoss am 25. August in einer Nachbarstadt eine Miliz mit Artillerie trotz Widerstand aus der Bevölkerung eine Sufi-Pilgerstädte, 16 Menschen starben, eine der ältesten Bibliotheken Libyens brannte ab, angeblich dauerten die anschließenden Gefechte zwei Tage und waren sie bis an den Rand der Hauptstadt zu hören. Obwohl sich die Vertreter der „neuen demokratischen Regierung Libyens“ empört zeigten, sperrten „Sicherheitskräfte“ daraufhin die Straßen um die al-Shaab-al-Dahman-Moschee ab und sahen – ebenso wie Pressevertreter und Diplomaten im unmittelbar anliegenden Radisson Hotel – zu, wie mutmassliche Salafisten am hellichten Tag mit Bulldozern die Moschee einrissen und Gräber exhumierten. Der Innenminister, der nie Kontrolle über die Milizen und bewaffneten Banden hatte, legte daraufhin sein Amt nieder.
Offiziel, aber wenig öffentlich, wird diese Zunahme der Gewalt nun zum Anlass einer neuen EU-Mission in Libyen gemacht, die bereits lange geplant nun in die konkrete Vorbereitung geht. Nach dem, was über diese Vorbereitungen bislang bekannt wurde, scheint diese Mission jedoch ausschließlich auf den vorverlagerten Grenzschutz, also die Abwehr von Flüchtlingen und Migranten zu zielen. Nach gegenwärtiger Planung sollen ihr weniger als zehn Experten angehören, darunter neben Angehörigen des Europäischen Auswärtigen Dienstes auch Vertreter der Europäischen Kommission, der Generaldirektion des Rates für Innere Angelegenheiten und Mitarbeiter der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX. Allein diese Zusammensetzung verweist auf eine Aufgabenstellung, die eher der europäischen Logik von Innerer Sicherheit folgt, als der in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik vorherrschenden Doktrin einer zivilmilitärischen Stabilisierung „scheiternder Staatlichkeit“. Dafür spricht auch die konkrete Vorbereitung der Mission, die neben Treffen mit Vertretern der NATO und der USA auch Besprechungen mit der International Organisation for Migration (IOM) und dem UNHCR sowie Besuche in der Zentrale der FRONTEX-Agentur in Warschau, in Malta und Italien umfasst, dessen Regierung bereits bilateral mit dem Nationalen Übergangsrat bei der Bekämpfung „illegaler Migration“ zusammenarbeitet. Die Mission hat natürlich in Libyen keine operativen Befugnisse und wird stattdessen beratend und vermittelnd tätig werden. In Ermangelung staatlich kontrollierter „Sicherheitskräfte“ wird sie dabei auf die Zusammenarbeit mit den aus dem Bürgerkrieg hervorgegangenen Milizen angewiesen sein. Damit es ja kein Afrikaner im rassistisch aufgeladenen und von Chaos und Gewalt geprägten Klima bis an die Küste Libyens – und von dort aus womöglich gar nach Europa schafft.
Source: http://www.imi-online.de/2012/09/06/migrationsabwehr-mit-hilfe-von-milizen/