Lutz Diwell, der frühere Staatssekretär des damaligen
Bundesinnenministers Otto Schily (SPD), muss sich nun doch nicht für
die von ihm unterzeichnete Dienstanweisung zur Ausforschung
"informationstechnischer Systeme" vor dem Bundestag rechtfertigen. Die
Union hatte sich Ende Oktober gemeinsam mit den Oppositionsfraktionen
im Innenausschuss des Parlaments überraschend darauf geeinigt, den
jetzigen Justizstaatssekretär vor das Gremium zu bitten.
Der SPD-Politiker sollte dort Auskunft geben über die näheren Umstände
der inzwischen widerrufenen Befugnis für Geheimdienste wie das
Bundesamt für Verfassungsschutz, heimliche Online-Durchsuchungen
durchzuführen. Diwell sieht sich nach eigenem Bekunden nach dem
Ressortwechsel nun aber "sachlich" nicht mehr zuständig für die heftig
umstrittene Anweisung.
Der Vorsitzende des Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD), machte
die Abfuhr seines Parteigenossen bei der Sitzung des Gremiums am
heutigen Mittwoch bekannt. Diwell habe ihm auf seine briefliche Ladung
geantwortet, dass er sich außer Stande sehe, zu dem Thema vor den
Abgeordneten zu sprechen. Der Staatssekretär hatte zuvor zum Ausdruck
gebracht, die Tragweite der von ihm abgesegneten Formulierungen nicht erkannt zu haben.
Seiner Einschätzung nach sei damit keine Lizenz für Online-Razzien
verknüpft gewesen. Er habe geglaubt, dass es nur um die Beobachtung von
abgeschotteten Internet-Foren gehe.
Die Opposition zeigte sich erwartungsgemäß sehr verärgert über die
Absage Diwells und die damit verhinderte Aufklärung der Hintergründe
der frühen, der Öffentlichkeit nicht bekannt gemachten
Online-Durchsuchungen. Vertreter der Linken erstaunte besonders, dass
der Staatssekretär gerade erst neue Vorschläge zur Unterscheidung verschiedener Formen
bei Online-Razzien gemacht habe. Dies lasse seine Erklärung, nicht
zuständig zu sein, "seltsam" aussehen. Die Grünen stellten fest, man
sei in einer "geschäftsordnungsmäßig verfahrenen Lage": Der
Innenausschuss habe nicht nur das Recht zur Kontrolle des
Regierungshandelns, sondern auch die Pflicht dazu. Die "nicht
nachvollziehbare erneute Weigerung" Diwells, im Ausschuss zu
erscheinen, stelle einen "Präzendenzfall" dar. Dem Parlament werde
damit "die Möglichkeit genommen, zurückliegende Vorgänge zu prüfen".
Auch die Union zeigte sich empört: Der Vorgang sei "eine Farce" und
man fühle sich "als Parlamentarier auf den Arm genommen". Diwells
Verhalten sei nicht das, was "man von einem der höchsten Beamten der
Bundesrepublik erwartet hätte". Allerdings seien den
Ausschussmitgliedern nunmehr die Hände gebunden und man plädiere dafür,
die Sache "als unwürdigen Vorgang im Deutschen Parlament"
abzuschließen. Anders als in der vergangenen Ausschusssitzung
unterstützte die Union aber das Beharren der Opposition, Diwell dennoch
zu laden, nicht mehr. Ein Antrag der FDP, erneut an Diwell und auch
erstmals an Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) zu schreiben,
scheiterte daher am nun wieder vereinten Widerstand der großen
Koalition. Von den Regierungsfraktionen war zu hören, dass es "kein
Zitierrecht" des Ausschusses gebe und man Diwell zu einem Besuch so
"nicht zwingen" könne. Das frühere Verhalten von CDU/CSU Ende Oktober
hatte zuvor zu schweren Verstimmungen mit der SPD geführt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) untersagte heimliche Online-Durchsuchungen
durch die Strafverfolgungsbehörden Anfang des Jahres wegen fehlender
Rechtsgrundlage. Insbesondere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
(CDU), andere Innenpolitiker der Union, das Bundeskriminalamt (BKA) und
der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz fordern seitdem die Schaffung
einer rechtlichen Grundlage für das derzeit vom
Bundesverfassungsgericht geprüfte neue Ermittlungsinstrument.
Ende April war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz derartige
Ausspähungen etwa von Festplatten bereits in einigen Fällen durchgeführt hatte. Nach massiven Protesten von vielen Seiten stoppte Schäuble die Online-Razzien vorerst, hält sie aber als Mittel für Geheimdienste und Strafverfolger weiterhin für dringend notwendig.
Der Streit um die Novelle des Gesetzes
für das Bundeskriminalamt (BKA) und die damit verknüpfte Lizenz für
heimliche Online-Durchsuchungen spitzt sich innerhalb der Koalition
derweil weiter zu. Schleswig-Holsteins scheidender Innenminister Ralf
Stegner (SPD) heizte die Debatte gerade erneut an. Das
"gesetzgeberische Abenteuer" Schäubles stellt ihm zufolge einen
schweren Eingriff in die Freiheitsrechte dar. Er warf seinem Kollegen
auf Bundesebene vor, politisch "unanständig" und "verwerflich"
vorzugehen. Auch Unions-regierte Länder lehnen das Vorhaben Schäubles
aufgrund einer befürchteten Einschränkung der Ermittlungsmöglichkeiten
der Landeskriminalämter entschieden ab.
Stegner übermittelte Schäuble nun einen sozialdemokratischen
Gesetzesentwurf zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt (BKA), den er zuvor mit den
SPD-Innenministerkollegen anderer Bundesländer und dem SPD-Präsidium
abgestimmt hatte. In dem Alternativentwurf fehlen die Passagen zur
Online-Durchsuchung, die Schäuble in seinen Vorstoß zur Ausweitung der
BKA-Befugnisse eingebaut hat. Das Bundesinnenministerium sprach
daraufhin von einem "vergifteten Angebot". Berlins Innensenator Ehrhart
Körting (SPD), der mit Stegner den Entwurf vorstellte, unterstrich
dagegen, dass Online-Razzien kein Allheilmittel zur Bekämpfung des
islamistischen Terrorismus seien.
Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die
erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die
Online-Durchsuchung siehe: