Am Freitag, den 10. Dezember 2010, soll in Freiburg zum zweiten Mal der deutsch-französische Gipfel stattfinden. Neben Angela Merkel und Nicolas Sarkozy werden auch weitere geladene Minister_innen im Rathaus zusammentreffen, um über die Zukunft der deutsch-französischen Zusammenarbeit, innere und äußere Sicherheit, Migrations- und Umweltpolitik zu tagen. Neben einem Schaulaufen über den Freiburger Weihnachtsmarkt steht auch ein Empfang mit militärischen Ehren auf dem Münsterplatz auf dem Programm
Deutsch-französische Tradition
Die deutsch-französische Zusammenarbeit wird seit den 1950er Jahren stetig ausgebaut. Der am 22. Januar 1963 unterschriebene Élysée-Vertrag („Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit“) muss in erster Linie als ein Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen gesehen werden. Im Grunde genommen ging es um drei wesentliche Kernpunkte: Vertretung einer gemeinsamen Position in der Außenpolitik, Entwicklung gemeinsamer Strategien im Rahmen der Verteidigungs- und Rüstungspolitik und eine engere Zusammenarbeit in der Jugend- und Erziehungsarbeit.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit wird vielerorts sicht- und spürbar: beispielsweise wenn während des NATO-Gipfels im April 2009 deutsche Wasserwerfer in Strasbourg gegen Demonstrant_innen eingesetzt werden, 1.500 schwerbewaffnete Soldat_innen der deutsch-französischen Brigade, eine Eliteeinheit innerhalb der NATO, zum 20-jährigen Jubiläum unter massivem Polizeischutz durch Müllheim marschieren oder französische CRS-Polizist_innen im Wendland auf Castor-Gegner_innen einprügeln.
Freiheit stirbt mit Sicherheit…
Der Sinn des staatlichen Gewaltmonopols ist die Sicherung des gesellschaftlichen Anspruchs auf Vorherrschaft kapitalistischer Verwertung. So überrascht es nicht, dass in Zeiten der kapitalistischen Krise, verstärkter Proteste gegen von der Politik getroffene Entscheidungen und dem immer unerträglicher werdenden Normalzustand, kräftig aufgerüstet wird. Nicht nur im Inneren (Nacktscanner, verschärfte Gesetze und höhere Strafen, EU-weite Aufstandsbekämpfungstrainings usw.), sondern auch nach Außen (mobile NATO-Schnelleingreiftruppen, Absicherung der Außengrenzen, kriegerische Sicherung von Rohstoffen und Absatzmärkten). Geplant ist der Aufbau einer gemeinsamen europäischen Armee, welche laut Guido Westerwelle „…eigenständig Krisenmanagement betreiben…“ und „…rasch, flexibel und im gemeinsamen Verbund handeln…“ soll.
Gleichzeitig wird ein Klima der Angst geschürt: Angst vor Terroranschlägen, Angst vor Flüchtlingsströmen, dem Islam oder „gewalttätigen Chaot_innen“. Es geht darum, den Staat, Kriege, Repression und den Einsatz der Armeen im Inneren zu rechtfertigen und die weitere Militarisierung der Gesellschaft zu beschleunigen und ideologisch zu untermauern.
Den rassistischen Konsens brechen
Mit der Transformierung der EU zur „Festung Europa“ geht auch die massenhafte Abschiebung von Menschen einher. Allein in Deutschland werden jährlich mehrere tausend Menschen abgeschoben, zum Beispiel in die Türkei, in den Kosovo, Vietnam, Nigeria, Griechenland und nach Albanien.
Die prekäre Situation der Betroffenen verschärft sich auch durch die Diskriminierungen, denen sie gehäuft in den Ländern, in die sie abgeschoben werden, ausgesetzt sind. So kam es bspw. bereits nach dem Kosovokrieg 1999 unter den Augen der K-FOR-Soldat_innen zu massiven Pogromen gegen die sogenannten Sint_iza und Rom_nija*: Häuser wurden zerstört, Straßenzüge, ganze Stadtteile wurden geplündert, gebrandschatzt und niedergerissen. Über 150.000 Rom_nija flüchteten in Folge dessen in die EU, alleine 23.000 nach Deutschland. Zuletzt wurden 2004 nach einer erneuten Welle antiziganistischer Gewalt tausende Rom_nija zur Flucht gezwungen.
Doch um die Abschiebepraxis grundlegend zu kritisieren und diesem menschenverachtenden Zustand den Riegel vorzuschieben, müssen wir tiefer hinter die Kulissen dieses ekelhaften Schauspiels schauen, denn die Einteilung des Menschen in ökonomische Kategorien („nützlich“ – „unnützlich“) ist signifikant für eine kapitalistische Gesellschaft.
Durch den totalitären Anspruch, jegliches zur Ware zu degradieren, macht der Kapitalismus auch vor dem Menschen nicht halt. So werden Abschiebungen dadurch legitimiert, dass der Staat zu wenig Geld habe, um jeden durchzufüttern. Der weitverbreitete und somit auch „notwendige“ Rassismus legitimiert das staatliche Handeln. Abgerundet wird das Ganze durch rassistische und elitäre Hetzkampagnen der bürgerlichen Medien und z.B. der aktuellen Debatte um Muslime, „Sozialschmarotzer_innen“, deutsche Leitkultur und Lohnarbeit, angestoßen u.a. durch Thilo Sarrazin. Zusammen mit dem zu jeder Gelegenheit wiederkehrenden Partynationalismus, entsteht eine gefährliche Mischung, die sich zu oft in Gewalt und Morde gegen Menschen, welche nicht in das Idealbild einer kleinbürgerlichen und tüchtigen Gesellschaft passen, ausdrückt.
Für ein ganz anderes Ganzes!
Als emanzipatorische, radikale Linke bleiben wir nicht bei der Kritik an Merkels und Sarkozys Politik stehen, sondern müssen die herrschenden Verhältnisse grundlegend analysieren und kritisieren, um sie eines Tages überwinden zu können. Wir streben eine Gesellschaft an, in der die Bedürfnisse des Menschen, und nicht eine nach Profitmaximierung ausgerichtete Verwertung aller Lebensbereiche, im Vordergrund steht. Dabei belassen wir es nicht nur bei der Forderung nach weniger Arbeit, uneingeschränktem Bleiberecht, billigem Wohnraum oder kostenloser Bildung, weil diese in den Grenzen der Verhältnisse gefangen bleiben. Unserer Meinung nach lassen sich die Verhältnisse jedoch nicht „verbessern“, sondern müssen als Ganzes abgeschafft werden!
Raus gegen den deutsch-französischen Gipfel!
Kapitalismus überwinden. Für die soziale Revolution!
* Wir gehen nicht von der Existenz einer homogenen Gruppe „die Rom_nija“ aus, jedoch konstruiert der Antiziganismus genau diese Gruppe und richtet die Diskriminierung gegen diese Konstruktion. Wir benutzen hier die gegenderte Formen “Rom_nija” und „Sint_iza“, anstatt der männlichen Form „Sinti und Roma“. Dies ist die in Deutschland am meisten gewählte Selbstbezeichnung, sie wird u.a. vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma benutzt. Wir sind uns allerdings bewusst, dass es auch einige Kritik an dieser Bezeichnung gibt, da sie andere Gruppen nicht miteinschließt.
Anarchistische Gruppe Freiburg im November 2010
Alle Infos, Aufrufe und Materialien gegen den Gipfel finden sich auf www.kontrollverlust.blogsport.de
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