BKA-Chef fordert Kompetenz-Center für Polizei in der digitalen Welt

Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), hat in einer Grundsatzrede auf der BKA-Herbsttagung zum "Tatort Internet"
die Bildung von länderübergreifenden Kompetenz-Centern für die
Kriminalistik in der digitalen Welt gefordert. Nur so könne die
Auswertung von Massendaten bewältigt werden. Scharf ging Ziercke mit
den "Berufskritikern" zu Gericht, denen er in puncto Online-Überwachung
und Vorratsdatenspeicherung eine unsachliche Argumentation vorwarf. Sie
führten eine Angstdebatte und redeten den Terrorismus schön. Ihre
Kritik, mit der Online-Durchsuchung würden nur DAUs (dümmste
anzunehmende User) ermittelt werden, sei irrelevant: "Sollten wir einen
Anschlag durch die Festnahme eines DAU verhindern, werden auch diese
Berufskritiker erleichtert sein," erklärte Ziercke.

Mit 6 Thesen zimmerte Ziercke den Rahmen für die Definition einer
neuen Kriminalistik. Für diese sind klassische Eingriffsinstrumente wie
die Wohnungsdurchsuchung oder die Beschlagnahme von Computern schlicht
unzeitgemäße Mittel. Sie müsse alles daran setzen, den von Terroristen
und Schwerstkriminellen vollzogenen digitalen Quantensprung aufzuholen.
Besonders die Kryptierung und Anonymisierung sei problematisch, weil
sie den Zugriff auf Beweismittel verhindere, die auf digitaler Hardware
abgelegt sind. Während in den 80er und 90er Jahren die Verschlüsselung
mit Ausnahme des Linksterrorismus keine Rolle gespielt habe, würden
moderne Terroristen immer raffinierter. Die Täter würden längst nicht
mehr alle Informationen auf ihren Computern ablegen, sondern die Weiten
des Internet nutzen. "Selten kommunizieren sie direkt per Mail.
Terroristen werden in den Ausbildungslagern im Umgang mit Weblogs und
konspirativen Datenspeichertechniken geschult." Der Zugriff auf das
Netz erfolge über Call-Shops und offene WLAN-Zugänge, beim Telefonieren
würde überwiegend die "deslozierte, verkryptete Kommunikation" von
Voice over IP benutzt.

Insgesamt zeichnete Ziercke ein düsteres Bild des Internet, in dem
trotz technischer Schutzprogramme zahllose Computer mit Trojanern
infiziert sind. Nach Erkenntnissen des BKA seien allein in Deutschland
750.000 Computer so infiziert, dass sie über Botnetze gesteuert werden
können. Auch die Kinderpornographie nehme immer größere Ausmaße an. In
einem einzigen deutschen Verfahren habe man 238.000 Zugriffe auf 4600
kinderpornographische Dateien festgestellt. Aus diesem Grunde habe die
Analyse von Massendaten eine immer größere Bedeutung. So müssen man im
Fall der Terroristen von Oberschledorn mittlerweile 300.000 Dateien mit
einem Umfang von 2,5 Terabyte auswerten. Um solche Massendaten
auszuwerten, setzt das BKA nach Ziercke ein neues Analysetool ein, das
gerade neben der Fremdprachenerkennung auch Metadaten auswerten kann.
Solche Programme könnten nur in einer engen Kooperation von Bund und
Ländern weiter entwickelt werden. "Zur Bündelung unserer Ressourcen
brauchen wir auf Bundesebene ein Service-Zentrum, das insbesondere für
den technischen Betrieb, die Methoden- und Softwareentwicklung
zuständig ist."

Nachdrücklich verteidigte Ziercke die Online-Durchsuchung. "Es
werden keine Hackertools oder Trojaner zum Einsatz kommen. Wir
benötigen keine Backdoors kommerzieller Programme. Wir entwickeln
Software als Unikate. Diese Software ist so ausgestaltet, dass auf dem
Zielsystem keine Daten manipuliert werden, der gesamte Einsatz wird
umfangreich forensisch dokumentiert und ist dann für die Gerichte
jederzeit nachvollziehbar." Die Software sei für alle Art von Einsätzen
geeignet und werde keineswegs nur den DAU überführen.

Auch die Vorratsdatenspeicherung und die Quellen-TKÜ
wurden von Ziercke als unverzichtbare Ermittlungsmittel bezeichnet.
Besonders die Quellen-TKÜ als Überwachung verschlüsselter
Internet-Telefonie sei wichtig. "Sie ist keine Online-Durchsuchung,
weil keine Untersuchung auf der Festplatte stattfindet. Aber die
filigrane Unterscheidung zwischen geronnenen Daten und gesprochenen
Daten, die Einige versuchen, halten wir für nicht möglich", erklärte
Ziercke in Reaktion auf einen Vorschlag des SPD-Politikers Lutz Diwell.

Zum Schluss seines Grundsatzvortrages stellte Ziercke vier Punkte
der Kriminalistik der digitalen Welt fest. Erstens brauche man
technikoffene und flexible rechtliche Regelungen, zweitens brauche man
die Online-Durchsuchung zur Aufhellung gespeicherter Daten. Drittes sei
die Quellen-TKÜ insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität
unverzichtbar. Viertens gehe kein Weg an der Einrichtung von
Kompetenz-Centern vorbei, die die Auswertung von Massendaten bewältigen
können. BKA-Kritiker forderte Ziercke abschließend zu einem fairen
Dialog ohne Angstdebatte "auf der Basis unserer Lage- und
Gefährdungserkenntnisse" auf.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die
erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die
Online-Durchsuchung siehe:

Quelle: 
http://www.heise.de/newsticker/meldung/99332