Tod des Internet 2010 – Gerüchte vermutlich stark übertrieben

2010 bricht das Internet zusammen, weil die Datenmengen, die bis dahin mit Videodiensten und anderen bandbreitenfressenden Anwendungen erzeugt werden, die Netzkapazitäten überlasten. So die offizielle Propaganda, auf die zahlreiche Newsportale hereinfallen. Tatsächlich dürfte es sich bei dem Untergangsszenario um einen PR-Coup zur Abschaffung der Netzneutralität handeln.

Netzneutralität bedeutet: jedes Datenpaket wird gleich behandelt, egal, woher es kommt und was es enthält. Faktisch existiert sie heute schon nicht mehr: P2P-Traffic wird von zahlreichen Providern geblockt oder gedrosselt. In Zukunft planen einige Telcos "priorisierte" Dienste: wer extra zahlt, wird besonders schnell bedient. Der Effekt dürfte aber genau gegenteilig ausfallen: wer nicht zahlt, wird ausgebremst.

Aus diesem Grund entbrannte vor allem in den USA die Debatte zur Netzneutralität. Und die Telcos pochen gerne auf die Notwendigkeit ihrer Abschaffung, unter anderem mit dem Verweis auf notwendige Ausbaumaßnahmen der Netzinfrastruktur, die entsprechend teuer werden können. Insofern kommt eine Studie, die fehlende Netzkapazitäten prognostiziert, den Gegnern der Gleichberechtigung der Netzteilnehmer wie gerufen.

Und natürlich ist ein Schelm, der böses dabei denkt, wenn sich herausstellt, dass mit der Internet Innovation Alliance die Studie ausgerechnet von einem Verband unterstützt wird, der auf die Abschaffung der Netzneutralität hinarbeitet. Was in den meisten Berichten zum angeblich kommenden Internetkollaps – mit wenigen Ausnahmen – jedoch unerwähnt bleibt.

Und so konstatiert beispielsweise die BBC eine Investitionslücke von bis zu 55 Milliarden Dollar bis 2010. So weit klaffen geplante und notwendige Infrastrukturmaßnahmen auseinander.

Völlig ignoriert werden dabei die Möglichkeiten, mit neuer Übertragungstechnik die Kapazität der vorhandenen Leitungen zu vervielfachen – aktuell werden über eine Glasfaser um die hundert Wellenlängen gesendet, die als Datenträger fungieren. Die Bell Labs schafften es bereits, diese Zahl auf 10.000 Wellenlängen zu verhundertfachen.

Darüber hinaus wurden in Zeiten des Dotcombooms um 2000 massive Investitionen in Netzwerke vorgenommen – die nach dem Platzen der Blase als "Dark Fiber" ungenutzt im Boden lagen. Dark Fiber-Kapazitäten existieren bis heute – die vorhandenen Leitungskapazitäten weltweit werden aktuell nicht ausgereizt.

Insofern sind die Szenarien vom bald bevorstehenden Crash des Internet mit großer Vorsicht zu genießen.

"Das nächste Amazon, Google oder YouTube wird vielleicht nicht kommen – nicht, weil es keinen Bedarf gibt, sondern weil die Infrastruktur die notwendigen Kapazitäten nicht bereitstellt",

orakelt die Studie, und man fragt sich, was dieses bandbreitenhungrige "nächste YouTube" denn sein soll. Was frisst Bandbreite? Video – und die Medienindustrie scheint momentan alles zu tun, um den Durchbruch von HDTV auf dem Netz mit DRM, "Trusted Video" und ähnlichen Restriktionen zu bremsen.

Von daher: auch 2010 werden wir im Netz Videos betrachten, streamen oder herunterladen können. Und die hochaufgelösten Formate werden vermutlich nicht durch fehlende Bandbreite eingeschränkt, sondern vor allem durch Piraterieverfolger – denn dass es einigermaßen nutzbare, vernünftige Angebote der Industrie gibt, die mit der unlizensierten Distribution von HDTV-Content im Netz mithalten kann, wäre eines dieser Wunder, an die man besser nicht glaubt. Man erspart sich Enttäuschungen.

Quelle: http://www.gulli.com/news/tod-des-internet-2010-ger-chte-2007-11-22/