Europa will hoch hinaus – Der EU-Geheimdienst entsteht

Seit es sie gibt, entziehen sich Geheimdienste jeglicher demokratischen Kontrolle, da sie fürchten, ihre Macht über die Definition von Sicherheit und Gefahr zu verlieren. Denn nur wer bestimmen kann, was sicher ist und was gefährlich, bestimmt auch die Maßnahmen, um diese Zustände herbeizuführen.

Mit der Errichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) werden drei Abteilungen der EU zu einem neuen Geheimdienst mit fragwürdiger Verantwortlichkeit und Transparenz vereint. Die Assoziierung von internen und externen sowie zivilen und militärischen Aufgaben im Rahmen der EU führt zu gefährlichen Machtstrukturen, bei denen ungeklärt ist, wie weit ihre Befugnisse reichen. Ziele dieser Neuerungen sind eindeutig die Ausweitung des interventionistischen Einflusses der EU weltweit und eine verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit.

Das „EU-Außenministerium“

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurde das Amt der/des EU-Außenbeauftragten ins Leben gerufen. Es entstand aus der Zusammenlegung der Ämter der Hohen Vertreterin / des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Kommissarin / des Kommissars für Außenbeziehungen, deren Aufgaben sich durch die Neuerungen des Vertrags von Amsterdam 1999 bereits teilweise überschnitten.
Zusätzlich zur Einbringung von Vorschlägen zur Festlegung der GASP und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) vereint die/der EU-Außenbeauftragte sowohl Vizepräsident_innenschaft der Europäischen Kommission, als auch Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten – zwei wichtige Posten innerhalb der EU-Institutionen.
Zur Unterstützung der/des EU-Außenbeauftragten bei diesen Aufgaben wurde im Vertrag von Lissabon darüber hinaus festgelegt, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) zu gründen. Der EAD nahm am 1. Dezember 2010 seine Arbeit schließlich mit dem Ziel auf, den Einfluss der EU in der Welt zu erhöhen und internationale Prozesse – besser als es die Mitgliedsstaaten im Alleingang können – als homogener Akteur zu lenken. Des Weiteren soll die Arbeit in auswärtigen Angelegenheiten optimiert werden, damit die „Interessen und Werte [der EU] in einer Welt mit wachsender Komplexität und fundamentaler Machtverschiebung“ (1) gesichert werden können.
Dafür werden im EAD bereits bestehende Abteilungen von Europäischer Kommission und EU-Minister_innenrat zusammengeschlossen, die zuvor hauptsächlich alleinstehend ihre Aufgaben erfüllten. Der gesamte Apparat des EAD umfasst somit ca. 8.000 Mitarbeiter_innen weltweit, wobei sich die 1.800 direkt im EAD tätigen Mitarbeiter_innen hauptsächlich aus Beamt_innen verschiedener Abteilungen des Generalsekretariats des EU-Rates und der Europäischen Kommission sowie Abgeordneten der nationalen diplomatischen Dienste zusammensetzen – mit denen zuvor ohnehin eng kooperiert wurde. Die administrative Leitung obliegt der/dem geschäftsführenden Generalsekretär_in, die/der ebenfalls die Finanzen verwaltet und für einen reibungslosen Ablauf zwischen den einzelnen Abteilungen zu sorgen hat. Sie/Er hat dabei weitreichende Kompetenzen, ist jedoch nur der/dem EU-Außenbeauftragten Rechenschaft schuldig.

Undurchsichtiger EAD will mehr sehen

Die Freiheiten der Generalsekretärin / des Generalsekretärs bei der Leitung des EAD wurden im EU-Parlament ausführlich diskutiert, denn sie/er unterliegt keiner direkten Kontrolle durch die Europäische Kommission oder die Parlamentsabgeordneten, bestimmt aber maßgeblich die EU-Außenpolitik.
Generell ist die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Arbeit des EAD durch parlamentarische Mittel stark eingeschränkt, denn nur über Fragen zum Budget ist der Öffentlichkeit momentan das Beziehen von Informationen möglich. Dabei sei außerdem dahingestellt, ob dieses Vorgehen Auswirkungen auf die politische Orientierung des Dienstes haben kann, da er den Gebrauch seiner Gelder selbst bestimmt.
Eine erforderliche Kontrolle des EAD durch das EU-Parlament, die Europäische Kommission oder die nationalen diplomatischen Dienste ist ebenfalls nicht vorhanden, da ihnen nur Anhörungs- und Informationsrechte zustehen. Die derzeitige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und der EAD willigten aber ein, sich bei ihren außenpolitischen Tätigkeiten – unverbindlich – an der UN-Charta sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention orientieren zu wollen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die schleichend vorangetriebene Militarisierung der EU-Außenpolitik mit der Einführung des EAD. Durch die Eingliederung der Referate für militärische und zivile Krisenbewältigung erfolgt keine Abgrenzung mehr zur Verteidigungs- und Militärpolitik der EU, was einer Fusion von Außen- und Verteidigungsministerium entspricht. Das Prinzip der Gewaltenteilung wird hierbei anscheinend bewusst übergangen.
Daneben besteht die Gefahr, dass der EAD für die Durchsetzung gemeinsamer Ziele von nur wenigen Mitgliedsstaaten mit gleichen Interessensschwerpunkten genutzt und somit gleichsam nationale Politik betrieben wird. Dabei kommt es zwangsläufig zu einer Überlegenheit der bevölkerungsstarken und wirtschaftlich bedeutenden Mitgliedsstaaten.
Mit ihrer einhelligen Forderung, der EAD benötige zur Ausübung seiner außenpolitischen Aufgaben auch eigene, nachrichtendienstliche Strukturen, haben die Verantwortlichen in der EU die Basis für einen EU-Geheimdienst geschaffen, der in die jetzt schon schwer zu kontrollierenden Gefüge des EAD eingegliedert wird.

Der neue EU-Geheimdienst – Ein namenloser Riese erwacht

Noch im Februar 2004 wurde die Errichtung eines europäischen Geheimdienstes mit der Begründung abgelehnt, für derartige Aufgaben sei Europol zuständig und außerdem sei es schwierig, die nationalen Nachrichtendienste in solch einer Institution zu vereinen. Nach den Anschlägen von Madrid (März 2004) und London (Juli 2005) änderte sich diese Meinung dahingehend, dass die Mitgliedsstaaten Europol nun zu wenig Erfolg auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung bescheinigten. Außerdem stünden die strikten Datenschutzbestimmungen der Behörde dem „Kampf gegen den Terror“ im Wege. Im Zuge dessen erfolgte, neben der längst stattfindenden Zusammenarbeit der einzelnen Nachrichtendienste der Mitgliedsstaaten, eine Aufwertung des noch unbedeutenden Joint Situation Centres (SitCen) hin zu einer europäischen Nachrichtendienst-Zentrale.
Im August 2008 sprach sich die Future Group – eine Zusammenkunft der Innenminister_innen von Belgien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik und Ungarn – schließlich offen für die Gründung eines EU-Geheimdienstes aus. Dafür wurden nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon 2009 neben SitCen auch der Crisis Room der Europäischen Kommission und die Watch-Keeping Capability des EU-Rates als Fundament der neuen Nachrichtendienst-Abteilung ausgewählt, welche am 1. Dezember 2010 offiziell ihre Arbeit aufgenommen hat.
Ziele der noch namenlosen Abteilung sind unter anderem eine größere Unabhängigkeit der EU von Geheimdienst-Informationen aus den USA und eine bessere Koordination der Arbeit nationaler Nachrichtendienste. Durch die Bündelung, Beurteilung und Aufbereitung geheimer Berichte aus allen Mitgliedsstaaten werden analytische Papiere und politische Empfehlungen für EU-Diplomat_innen erstellt und gleichzeitig sicherheitsrelevante Informationen auch für kleine Mitgliedsstaaten ohne weit ausgebauten Nachrichtendienst zugänglich gemacht. Zusätzlich sollen in Zukunft Informationen aus den neu zu gründenden EU-Botschaften des EAD ausgewertet werden. Mit der Gründung soll darüber hinaus die nachrichtendienstliche Kapazität der EU erhöht werden, wodurch der Einfluss Europas auf die internationale Ordnung maßgeblich bestimmt wird.

Die drei Standbeine des neuen EU-Geheimdienstes

Der Crisis Room besteht momentan aus vier Angestellten, zwei Dienstleister_innen sowie mehreren Teilzeitmitarbeiter_innen und wurde Ende 2001 als Folge des 11. Septembers gegründet. Damals wurden die vorhandenen EU-Strukturen von der Flut an Informationen und Eilmeldungen schlicht überschwemmt. Die daraufhin neu geschaffene Krisenzentrale beurteilt seitdem 24 Stunden am Tag alle aktuellen Konflikte der Welt durch computergestütztes Scannen öffentlicher Medien und aus Berichten von Auslandsbotschaften, um Zusammenfassungen davon auf einer Plattform für ausgewählte EU-Abgeordnete bereitzustellen – gewissermaßen ein „Frühwarnzentrum zur Konfliktprävention“.
Die Watch-Keeping Capability (WKC) war vor ihrer Eingliederung in den EAD bzw. den EU-Geheimdienst eine Abteilung des EU-Militärstabs und besteht zur Zeit aus zwölf europäischen Polizei- und Militärangehörigen, deren Aufgabe es ist, zivile sowie militärische Operationen im Rahmen der GSVP rund um die Uhr zu überwachen. Im Fall einer Krisensituation benachrichtigt die Abteilung alle Beteiligten der Operation und versorgt sie mit neuesten Informationen. Außerdem trägt sie „die Verantwortung für die Bereitstellung von Kapazitäten zur Planung und Durchführung von […] EU-Militäroperationen“ (2).
Die größte und machtvollste Abteilung des neuen EU-Geheimdienstes ist jedoch eindeutig das Joint Situation Centre – eine ehemalige Abteilung des Generalsekretariats des Rates der EU, die nun der/dem EU-Außenbeauftragten unterstellt ist. SitCen wurde 1999 aus der Westeuropäischen Union (3) in die EU eingegliedert, um als Analysezentrale für internationale Krisen zu operieren. Dabei übte es zunächst nur beobachtende Funktionen aus und erstellte Lagebilder für die GASP – allerdings noch nicht in Funktion eines Krisenzentrums. 2002 wurde die Arbeit des SitCen mit dem Austausch erster Informationen von EU-Auslandsgeheimdiensten auf das Gebiet der Terrorbekämpfung ausgedehnt, was seitdem zu einer kontinuierlichen Aufwertung der Abteilung führt.
So wurde 2004 beschlossen, dass die Counter Terrorism Group (CTG) aktiv mit SitCen zusammenarbeiten sollte, wodurch die Sicherheitsdienste der EU-Mitgliedsstaaten zum ersten Mal einen direkten Kanal zu einer offiziellen EU-Institution bekamen. Daraufhin erhielt SitCen 2005 eine „Anti-Terror-Einheit“ und wurde bevollmächtigt, auch Informationen der EU-Inlandsgeheimdienste auszuwerten. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten innerhalb wie außerhalb der EU zählten aber weiterhin nicht zu den Aufgaben von SitCen. Die Future Group empfahl dann 2008 bei den Beratungen zum Vertrag von Lissabon, dass SitCen, Eurojust und Europol – nun gleichwertig – beim europaweiten Austausch von sicherheitsrelevanten Information bezüglich der EU-Mitgliedsstaaten auftreten sollten.

Was kann SitCen – Was darf SitCen

Die aktuelle Arbeit von SitCen besteht unter anderem aus der Vorhersage möglicher bewaffneter sowie politischer Konflikte und der Beobachtung und politischen Bewertung von Krisensituationen außerhalb der EU. Hierfür besitzt es eine permanent besetzte Notfall-Abteilung, die regelmäßig Nachrichten an ausgewählte EU-Diplomat_innen verschickt. Des Weiteren stellt es die nachrichtendienstliche Infrastruktur für EU-Krisen-Einsatztruppen zur Verfügung und analysiert die Risiken, die von internationalen Terrorgruppen sowie organisierter Kriminalität ausgehen. Die Folgen illegalisierter Migration oder politischer Radikalisierung von Gruppen werden ebenso eingeschätzt wie die Flugsicherheit über Europa.
Diese politisch-strategischen Analysen werden dann zum Teil als geheime Papiere an die nationalen Nachrichtendienste verteilt oder als offizielle Berichte allen EU-Mitgliedsstaaten bereitgestellt. Sie sind somit auch Entscheidungsgrundlagen für Maßnahmen der EU im Rahmen der GSVP.
Die Quellen für diese Analysen sind öffentlich zugängliche Materialien wie Medien oder Internet und geheime Berichte der nationalen diplomatischen Dienste. Darüber hinaus erhält SitCen Informationen aus der militärischen Aufklärung der Mitgliedsstaaten und hat dadurch auch Zugriff auf Spionagesatelliten. Zusätzlich zu den Auskünften von Europol und Frontex stellen die wichtigsten Quellen jedoch die nationalen Nachrichtendienste der EU dar, die SitCen mit geheimen Dossiers und auch Informationen von Nicht-EU-Nachrichtendiensten versorgen.
Da SitCen (noch) keine operativen Einheiten unterhält oder verdeckte Ermittlungen betreibt – allenfalls Beobachter_innen zu EU-Auslandseinsätzen von Polizei und Militär entsendet – ist es auf das Wohlwollen der nationalen Nachrichtendienste angewiesen.

Kontrolle und Transparenz – Nicht vorhanden?

Die nationalen Nachrichtendienste der EU stehen seit jeher in engem Kontakt mit Diensten von Nicht-EU-Ländern, die jedoch in wachsendem Maße an der Sicherheit ihrer ausgehändigten Informationen zweifeln, sofern diese ins SitCen bzw. zum neuen EU-Geheimdienst gelangen. Häufig tauchten geheime Berichte kurz nach der Weitergabe an die Mitgliedsstaaten bei Nicht-EU-Nachrichtendiensten auf. Aus diesem Grund befürchtet Großbritannien bereits eine Beeinträchtigung der jahrelangen, angeblich guten Zusammenarbeit mit den USA.
Zusätzlich kritisiert „Open Europe“, eine euro-kritische Organisation, dass der neue EU-Geheimdienst durch die andauernde Abhängigkeit von anderen Diensten viel uneffizienter und unverlässlicher arbeiten wird als die nationalen Nachrichtendienste. Diese haben untereinander längst bewährte Wege zum Informationsaustausch errichtet. Mit dem Aufbau der weltweiten EU-Botschaften und der Bildung eigener Ermittlungseinheiten könnte jedoch die Unabhängigkeit des EU-Geheimdienstes schrittweise zunehmen, wodurch auch dessen Macht und Einfluss steigen dürfte.

Als Folge der jahrelangen Aufwertung und Erweiterung des SitCen seit der Eingliederung in die EU 1990 wurden dessen neu gewonnenen Aufgaben und Befugnisse im Gegensatz zu Europol nie rechtlich festgelegt. Kontrollversuche über den Umweg der Finanzen wie beim EAD sind im Fall von SitCen ohnehin nicht möglich, da dessen Budget unter der einstigen Führung des Europäischen Rates nicht ausdrücklich aufgelistet wurde und gegenwärtig intern über den EAD abgewickelt wird.
Weiterhin besteht die Gefahr, dass mit der Verschmelzung der drei Abteilungen zum neuen EU-Geheimdienst die Grenzen zwischen Nachrichtendienst, Militär und Polizei immer mehr verschwinden. Dadurch werden gültige Kontrollmechanismen ebenfalls wertlos. Folglich soll es bald sogar möglich sein, ohne Zustimmung der 27 EU-Abgesandten des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), nur durch einen Anruf der/des EU-Außenbeauftragten, eine EU-Mission weltweit in Gang zu setzen – egal ob friedlich oder nicht.
Letztendlich übertragen sich die im Zusammenhang mit dem EAD ohnehin schon schwer nachvollziehbaren Machtbefugnisse und Zuständigkeiten auf die ihm untergeordneten nachrichtendienstlichen Abteilungen, werden damit ausgebaut und führen so zu einer hochkomplexen Struktur, die Fragen zu Verantwortlichkeit und Transparenz völlig offen lässt.

E., Rote Hilfe Hamburg

Fußnoten

(1) Catherine Ashton, Pressemitteilung des Rates der EU,
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/EN/genaff/115960.pdf
(2) Stellenausschreibung für einen „watch-keeper“, Ref.: END/2010/EUMS/1, http://www.es‑isidarbinimas.lt/files/fckeditor_files/File/2010/dne/Letter%20PermRep%20and%20attachment.en.pdf
(3) Die Westeuropäische Union (WEU) wurde 1954 aus einem Militärbündnis heraus gegründet, besaß aber nie bedeutende Anteile an den Aufgaben der EG im Kalten Krieg. Dafür war die NATO mit ihren weitreichenden Befugnissen zuständig. Zur Jahrtausendwende hin gingen die WEU-Institutionen langsam in die EU über, was schlussendlich zur Auflösung der WEU 2010 führte.