Das Neue Europäische Polizeirecht

Vortrag von Rechtsanwältin Silke Studzinsky bei der Veranstaltung "Die ‚Sicherheitsarchitektur‘ bei ‚polizeilichen Großlagen’" am 27.11.2007 in Berlin.

Vorbemerkung

Im zurückliegenden
Jahrzehnt hat ein rasanter Wandel in der europäischen
Verbrechensbekämpfung stattgefunden. Dabei hat sich die
polizeiliche und justizielle Arbeit – zunächst unter dem
Stichwort organisierte Kriminalität, nach dem 11.9.2001
unter dem Motto der Terrorismusbekämpfung
neugeordnet. Die europäische Vernetzung und Integration der
Polizei- und Justizapparate vollzieht sich dabei geradezu lautlos und
begegnet bisher kaum Widerstand.

Umso erfreulicher
ist es, dass in letzter Zeit, wie auch mit der heutigen
Veranstaltung, zunehmend dieses System der Risikokontrolle auf
der einen Seite und des gesteigerten Sicherheitswahns auf der
anderen Seite öffentlich thematisiert wird.

Inzwischen ist ein
weitgehend verselbständigter transnationaler Apparat geschaffen,
der sich von dem innerstaatlichen Überwachungsregime in
folgendem unterscheidet:

  • Um
    individuelle Freiheiten zu beschränken wird das
    demokratisch-institutionelle Gerüst umgangen.
  • Nationalstaatlich
    verankerte Rechtsgarantien werden nach und nach ausgehebelt ohne
    dass ein entsprechendes transnationales Pendant geschaffen wird.
  • Ein
    Blankoeingriffsrecht wird installiert, indem auf unbestimmte
    Normen
    in intransparenten Verfahren gesetzt wird ohne
    dass eine tatsächliche Kontrolle
    stattfindet.
  • Die
    justizielle Verfolgung tritt hinter der polizeilichen mehr und mehr
    zurück, das heißt von der
    nachträglichen zur präventiven Kontrolle – von der
    Ahndung einer Straftat zur Pönalisierung des Verdachts.

Der europäische
Rechtsrahmen- Von Schengen nach Prüm

1. Das
Schengener Durchführungsübereinkommen

Den überkommenen
rechtlichen Rahmen zur polizeilichen Zusammenarbeit im Unionsverband
setzt die Schengen-Konvention bzw. für den deutschen Rechtsraum
deren Umsetzungsakt: das Schengener Durchführungsabkommen (SDÜ)
von 1990.1
Dieses Abkommen regelt zunächst – neben einem einheitlichen
Außengrenzregime – die Öffnung der europäischen
Binnengrenzen
für den Personenverkehr und die Abschaffung
jeglicher Binnengrenzkontrollen. Der Preis der Grenzöffnung
ist die Verflechtung der nationalen Polizeibehörden (Art.
39 ff. SDÜ) zum Zwecke der Vollzugskooperation und des
Informationstausches. Die grenzüberschreitende polizeiliche
Zusammenarbeit ist hier bereits auf die vorbeugende Bekämpfung
und Aufklärung strafbarer Handlungen gerichtet.

1.1 Kontrolle der
Binnengrenzen

Art. 2 II SDÜ
erlaubt jedem Mitgliedstaat, vorübergehend das Grenzregime
wieder einzurichten, wenn die „öffentliche Ordnung oder die
nationale Sicherheit es … erfordern“.

Diese unbestimmten
Rechtsbegriffe sind nicht näher definiert und werden
entsprechend beliebig und weit ausgelegt. Eine weitere
Konkretisierung im „Schengener Grenzkodex“ von 2006,
wonach „im Falle einer schwerwiegenden
Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“
die Grenzkontrollen wieder eingeführt werden können,
hilft auch nicht wirklich weiter und läßt der
individuellen Definitionsmacht der einzelnen Mitgliedsstaaten einen
weiten Spielraum.

Die Einrichtung der
Grenzkontrollen an den Binnengrenzen ist unabhängig von der
Zustimmung der übrigen Schengenstaaten. Sie sollen nur
konsultiert werden oder können auch erst im Nachhinein
unterrichtet werden.

Der jüngste
Versuch dieses Verfahren im „Schengener Grenzkodex“
(Verordnung- gilt unmittelbar in sämtlichen
Mitliedsstaaten)
zu standardisieren, hat jedenfalls auch keine
tatsächliche Überprüfungsinstanz geschaffen, sondern
bewegt sich vor allem bei vorhersehbaren Ereignissen im Bereich der
Information der Mitgliedsstaaten, der Kommission und des
Europäischen Parlaments, der Einleitung eines
Konsultationsverfahrens und einer Berichtspflicht
gegenüber dem EP – im Nachhinein.

Allerdings wird
selbst die Berichtspflicht völlig zahnlos denn: Auf Antrag des
betreffenden Mitgliedsstaats müssen das EP, die Kommission,
sowie die anderen Mitgliedsstaaten Vertraulichkeit zusichern. Und
auch die Öffentlichkeit, die eigentlich „in transparenter
Weise und umfassend“
über die Wiedereinführung von
Grenzkontrollen informiert werden soll, wird im Fall „übergeordneter
Sicherheitsgründe“
, außen vor gelassen.

Die Vorschrift
unterliegt keiner Kontrolle durch den EuGH, und die Staaten machen
entsprechend flexiblen und beliebigen Gebrauch von ihr.2

Die gemeinsame
Praxis erweist sich allerdings umso systematischer und die
Wiedereinführung der Grenzkontrollen gehört zum festen
Repertoire
der polizeilichen Zusammenarbeit bei Großereignissen.

Während Spanien
aus Anlass zweier Gipfel des Europäischen Rates das Grenzregime
wiedereingeführt hat, hat Deutschland die Vorschrift bemüht,
um während der Zeit der Fußballweltmeisterschaft 2006
seine Grenzposten zu reinstallieren.

1.2
Grenzüberschreitende Methoden

Im SDÜ von 1990
ist die Grundlage für die Tätigkeit der Polizei in einem
anderen Schengenstaat gelegt. So wird erstmalig die Nacheile,
also die Verfolgung von Personen, die auf frischer Tat angetroffen
werden oder entflohenen Gefangenen, erlaubt. (Art. 41)

Damals war dieser
Eingriff in die Souveränität noch eher neu und jeder
Mitgliedsstaat konnte bestimmen, bei welchen Delikten, mit welchen
zeitlichen und räumlichen Beschränkungen die Nacheile über
die Grenze zulässig ist und ob ein Festhalterecht hinter der
Grenze gewährt wird. 

Auch bereits im SDÜ
geregelt sind die grenzüberschreitende Observation, der
Einsatz verdeckter Ermittler sowie der Austausch von
Verbindungsbeamten.

1.3
Informationsweitergabe

Die Weitergabe von
Informationen (ohne Ersuchen) ist zum Zwecke der Unterstützung
bei der Bekämpfung zukünftiger
Straftaten
, zur Gefahrenabwehr und zur
Verhütung von Straftaten (Art. 46 SDÜ)
erlaubt und in eiligen Fällen sogar unmittelbar zwischen den
betroffenen Polizeibehörden zulässig.

Die
Eingriffsvoraussetzung ist denkbar unbestimmt.

1.4 Bilaterale
Abkommen geben neue Standards vor:

Inzwischen wurden
die polizeilichen Befugnisse hinter den Binnengrenzen durch
verschieden bilaterale Abkommen erheblich erweitert, die teilweise
weit über die Schengenstandards hinausgehen.

Beispiel Schweiz:

  • So
    ist die Nacheile sogar in einem Gebiet von 30 km hinter der Grenze
    geregelt und zwar, wenn sich eine Person einer polizeilichen
    Kontrolle „zum Zweck der Bekämpfung grenzüberschreitender
    Kriminalität oder der Fahndung nach Straftätern“
    entzieht.
  • Damit
    ist der Nacheile nahezu keine Grenze mehr gesetzt.
  • Arbeits-
    Betriebs- und Geschäftsstätten dürfen während
    der Öffnungszeiten aufgesucht werden.
  • Darüberhinaus
    sind gemischte Streifen, gemeinsame Arbeits-, Observations- und
    Ermittlungsgruppen und gemischte Kommissariate vorgesehen.
  • Bei
    Massenveranstaltungen und Großereignissen findet neben dem
    Informationsaustausch auch die polizeiliche hoheitliche Tätigkeit
    auf der anderen Seite der Grenze statt. Ferner ist die Entsendung
    von Spezialisten und Beratern und der Austausch von
    Ausrüstungsgegenständen vorgesehen. Hier werden dann
    Wasserwerfer und PolizistInnen ausgetauscht.
  • In
    dringenden Fällen haben die PolizeibeamtInnen auch hoheitliche
    Befugnisse auf der anderen Seite der Grenze. 

Das SDÜ ist
also längst nicht mehr exklusiv, sondern die
Mitgliedstaaten entwickeln die polizeiliche Kooperation auch
außerhalb und unabhängig von seinen
Eingriffsvoraussetzungen. Sie entwickeln die Grundidee des SDÜ
weiter fort.

Während das SDÜ
somit den institutionellen Rahmen für die Zusammenarbeit
(also z.B. die Benennung der Behörden und der Gesprächswege)
überhaupt erst bereitstellt, lässt sich über den
Inhalt der jeweiligen Kooperation flexibel zwischen den
Mitgliedstaaten verhandeln.

Im März 2000
beschloß die deutsche Innenministerkonferenz, dass der Vertrag
mit der Schweiz die Leitlinie für entsprechende Abkommen
mit sämtlichen Nachbarstaaten sein sollte.

Entsprechende
Verträge mit Österreich und den Niederlanden sind
ratifiziert.

Die effiziente
Kooperation zwischen den EU-Partnern hat sich schließlich auch
weiter über bilaterale Verträge hinaus fortgesetzt. So hat
z.B. die Schweiz zur WM Sicherheitskräfte entsandt, Daten und
Informationen, etwa mit Blick auf Entscheide zur
Einreiseverweigerung, übermittelt und Hooligans begleitet und
beobachtet.3
Zu diesem Zweck wurden bilaterale Absichtserklärungen4
unterzeichnet, in denen nur die Zusammenarbeit für die Zeit vor
und während der WM gesondert und über die bereits
existierenden bilateralen Verträge zur polizeilichen
Zusammenarbeit hinaus geregelt wurde.5
Solche Absichtserklärungen sind Verwaltungsabkommen, die
zwischenstaatlich und an den nationalen Parlamenten vorbei
geschlossen und abgewickelt werden. Sie erlauben eine flexible
Handhabe und verzichten auf eine innerstaatliche gesetzliche
Regelung.

2. Das Haager
Programm
 

Die Europäische
Kommission
legte zuletzt im Haager Programm6
von 2004 in einem Fünf-Jahres-Plan (von 2005 – 2010) die
grundlegenden Strategien für eine engere EU-weite Zusammenarbeit
im Bereich Justiz und Inneres fest. Ein Kernthema des Haager
Programms
ist die Erweiterung und Effizienz der europäischen
Datenbanken und die polizeiliche länderübergreifende
Kooperation.

Zielrichtung ist zum
einen die Abschottung der EU-Außengrenzen und die Verhinderung
der Einreise von Flüchtlingen, aber genauso die intensivere
Zusammenarbeit gegen Kriminalität im Inneren der EU, wozu auch
die Einrichtung von gemeinsamen Ermittlungsgruppen,
grenzüberschreitenden Einsätzen und gemeinsamen
Strategieplanungen gehört. Dabei ist der möglichst
grenzenlose Datenfluß aller verfügbaren Daten
zwischen den nationalen Polizeibehörden und auf europäischer
Ebene einer der wichtigsten Voraussetzungen und Bestandteil der
Kooperation.

3. Schengener
Informationssystem (SIS)
7,
das Herz des Schengener Durchführungsabkommens

Das SIS bezeichnet
ein elektronisches System zur Fahndung nach Personen und
Gegenständen. Es erlaubt die Speicherung und europaweite
Abrufbarkeit von Suchdaten („Ausschreibung“). Die nationalen
Ansprechpartner sind die jeweiligen Sirene- Stellen, in Deutschland
das BKA.

Dort können
Betroffene (theoretisch) Auskunft über die zu ihrer Person
gespeicherten Daten verlangen (Art.109 SDÜ). Die Auskunft
unterbleibt allerdings bei der verdeckten Ausschreibung und wenn dies
zur Durchführung der Aufgaben unerlässlich ist.

Was wird
gespeichert? Eine Auswahl:

  • Personen
    zum Zwecke der Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung; hier findet
    sich in Art. 94 eine abschließende Aufzählung der
    aufzunehmenden Daten, wie Name, Aliasname, Geburtsdatum und Ort,
    unveränderliche physische Merkmale, Geschlecht personenbezogene
    Hinweise „bewaffnet/gewalttätig“, Ausschreibungsgrund und
    zu ergreifende Maßnahme;
  • Drittausländer
    wg. Einreiseverweigerung wg. begangener Straftaten oder künftig
    geplanter
    Straftaten;
  • Sachen,
    wie KfZ, Waffen, Blankos, die zur Sicherstellung oder
    Beweissicherung gesucht werden;
  • Außerdem
    können Personen und Fahrzeuge zur verdeckten Registrierung
    oder zur gezielten Kontrolle ausgeschrieben werden
    Die so erhobenen Daten, z.B. über Umstände des
    Antreffens, Kontakt- und Begleitpersonen, mitgeführte
    Gegenstände etc. werden an die ausschreibende Stelle
    übermittelt.

Zusätzlich kann jede Vertragspartei in ihrem nationalen
Datensystem Ergänzungen vornehmen.

4. SIS II8

Mit der Erweiterung
der EU wird auch die größte polizeiliche Datenbank Europas
erweitert. Das SIS II is geschaffen und soll nächstes Jahr in
Betrieb gehen. SIS II soll für "polizeiliche
Informationszwecke im weitesten Sinne" genutzt werden und wird
sich damit immer mehr als transeuropäisches Ermittlungssystem
etablieren. 9

Neue Befugnisse
sollen auch auf andere Zielgruppen Anwendung finden. Bislang enthält
SIS mehr als 13 Millionen Datensätze, darunter fast 900.000
über Personen, die gesucht werden, sowie fast 800.000 Hinweise
auf Personen, die nicht einreisen dürfen.

Das Fahndungsvolumen
im SIS wird sich nach dem Vollausbau durch die neuen Schengen-Staaten
auf über 26 Millionen und nach Inbetriebnahme von SIS II Ende
2008 auf über 44 Millionen Datensätze erhöhen. Die
SIS-Fahndungsdaten werden dann etwa 1,5 Millionen PolizistInnen auf
Knopfdruck online zur Verfügung stehen.

Bisherige
Voraussetzung für die Datenerfassung und den entsprechenden
Polizeivollzug ist, dass "konkrete Anhaltspunkte"
für die zukünftige Begehung "außergewöhnlich
schwerer Straftaten
" vorliegen, begnügt sich die neue
Regelung
mit einer "Einzelbewertung", die den Schluss
auf die Begehung "schwerer Straftaten" erlaubt,
wobei auf die Katalogtaten des Rahmenbeschlusses zum Europäischen
Haftbefehl10
Bezug genommen wird. Zudem sollen neue Daten wie biometrische
Merkmale, Lichtbilder und Fingerabdrücke, nebst DNA Abgleich,11
einbezogen und eine Verbindung zu anderen Datenbanken hergestellt
werden. Auch sollen Personen- und Sachenfahndungen automatisch
verknüpft werden, um beispielsweise einen Bezug zwischen einem
flüchtigen Straftäter und einem von ihm verwendeten
Fahrzeug herstellen zu können.

Neben dem schon
bestehenden großzügigen Zugangsrecht für
polizeiliche, zollrechtliche und justizielle Stellen sollen
jedenfalls auch Kraftfahrzeugregistrierungsstellen Systemzugang
erhalten. EUROPOL und EUROJUST, die bereits mit Änderung des
Schengener Abkommens zu Datenempfängern gemacht wurden, behalten
ihre Stellung bzw. erweitern sie: EUROJUST wird nicht mehr nur Zugang
zu den Daten über Drittstaatsangehörige, sondern auch zu
Daten zu vermissten Personen und Objekten erhalten.

Daten können
künftig im Übrigen auch für andere Zwecke als für
diejenigen, die die Erhebung gerechtfertigt hat, übermittelt
werden, wenn eine ernste Gefahr für die Sicherheit und
Ordnung besteht oder die Begehung einer schweren Straftat droht
(vgl.
Art. 40 IV des Ratsbeschlussentwurfs).

5. Der
Vertrag von Prüm
12

Einzelne bilaterale
Abkommen werden gegenwärtig abgelöst vom Prümer
Vertrag.

Belgien,
Deutschland, Spanien, Frankreich, die Niederlande, Luxemburg und
Österreich haben am 27.Mai 2005 einen multilateralen Vertrag
über die Vertiefung der grenzüberschreitenden
Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus, der
grenzüberschreitenden Kriminalität und der illegalen
Migration unterzeichnet, der bisherige bilaterale Vereinbarungen
ersetzt. Inzwischen hat eine Vielzahl weiterer Staaten den Vertrag
unterzeichnet und ratifiziert. Während der deutschen
Ratspräsidentschaft wurde er in EU Recht überführt
mit Ausnahme des Passus zur Nacheile.

Mit dem Prümer
Vertrag
erreicht die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Inneren
Sicherheit in Europa eine neue Qualität.

Mit diesem Vertrag
wird nun der während des G 8 Gipfels in Genua 2001 praktizierte
Datenaustausch einschließlich der Übermittlung von
„schwarzen Listen“ legalisiert und ausgebaut.

Daten können
jetzt spontan oder auf Anfrage ausgetauscht werden. 13

Eine
wesentliche Neuerung ist. daß sich die beteiligten
Staaten untereinander bestimmte Zugriffsrechte auf DNA- und
Fingerabdruckdateien sowie Fahrzeugregister gewähren.

Zu einigen
Regelungen im Einzelnen:

  • Zur
    Verfolgung von Straftaten kann jeder Vertragsstaat künftig
    durch einen direkten Zugriff auf die DNA- und Fingerabdruckdateien
    der anderen Staaten feststellen, ob dort zu einer DNA-Spur oder
    einem Fingerabdruck Daten gespeichert sind. Kommt es zu einem
    Treffer, übermitteln die Staaten einander in einem zweiten
    Schritt die Daten der gesuchten Person (z. B. den Namen, die Adresse
    und weitere Informationen).
  • Im
    Falle der Fingerabdruckdateien ist ein solcher Zugriff auch zur
    Verhinderung von Straftaten zulässig.
  • Zur
    Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und zur
    Gefahrenabwehr kann außerdem jeder dieser Staaten in Zukunft
    Daten aus den Fahrzeugregistern der anderen Staaten direkt online
    abrufen.
  • Austausch
    von Informationen zu
    präventiven Zwecken
    über reisende Gewalttäter und Hooligans (z.B. vor
    Fußballspielen, Europäischen Räten und sonstigen
    internationalen Gipfeltreffen).
  • Zur
    Verhinderung terroristischer Straftaten können
    (personenbezogene) Informationen über sog.
    "terroristische Gefährder" übermittelt
    werden;

der Einsatz von Flugsicherheitsbegleitern ist vorgesehen.

  • Zur
    Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit ermöglicht der
    Vertrag gemeinsame Einsatzformen zur Gefahrenabwehr (z.B.
    gemeinsame Streifen),
    grenzüberschreitendes Eingreifen
    zur Gefahrenabwehr bei gegenwärtiger Gefahr für Leib oder
    Leben und Hilfeleistung bei Großereignissen und Katastrophen
    (auch durch Entsendung von Beamten, Spezialisten und Beratern).
    Ferner konkretisiert er die bisher bereits nach den Schengener
    Regelungen mögliche Zusammenarbeit der Polizeibehörden auf
    Ersuchen.

Schlußbemerkung

Der gegenwärtige
strukturelle Wandel in der Verbrechensbekämpfung ist besser als
anderswo14
am neuen Europäischen Polizeirecht ablesbar, das als
vermeintlich weiches Recht daherkommt, weil es vornehmlich
Informationswege statuiert, Daten erfasst wie archiviert und kaum
mehr tut, als die Kommunikation der verschiedenen mitgliedstaatlichen
Polizeibehörden herzustellen. Es geht nicht mehr so sehr darum,
Straftaten, die geschehen sind, aufzuklären, als vielmehr einer
– wirklich oder imaginiert –allgegenwärtigen
Gefährdungslage überall und jederzeit vorzubeugen.

Polizeiliche Arbeit und kompetenzrechtliche Befugnis nehmen deshalb
mehr und mehr jenen Bereich in den Blick, in dem vermutlich
künftig
Straftaten geplant und/oder begangen
werden könnten.

 

Silke Studzinsky,
Rechtsanwältin in Berlin

Berlin im November
2007

 

Fußnoten: 

1 BGBl 1993 II
1013.

2
S. dazu auch das jüngste gesetzgeberische Bemühen, die
Auslegung der Vorschrift zu standardisieren, Art. 23 ff. des
Schengener Grenzkodex vom 15. März 2006 (Verordnung (EG)
562/2006, ABl vom 13. April 2006 L 105). Am Ergebnis besehen, hätte
man sich den Versuch sparen können.

3
http://www.news-service.admin.ch/NSBSubscriber/message/de/7301

4
http://www.admin.ch/cp/d/385a68ad.0@fwsrvg.bfi.admin.ch.html

5
Wiederum für die Schweiz:
http://www.fedpol.admin.ch/fedpol/de/home/dokumentation/medieninformationen/2006/ref_2006-04-12.html

6 http://europa.eu.int/eur-lex/lex/LexUriServ/site/de/oj/2005/c_053/c_05320050303de00010014.pdf#search=%22haager%20programm%2

7http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexplus!prod!DocNumber&lg=de&type_doc=COMfinal&an_doc=2001&nu_doc=720. Empfehlungen und best practice
http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/2004/4/30/Schengen%20Catalogue%20police%20co-operation.pdf

8
Stellungnahme des Datenschutzbeauftrag
ten:
http://eur-lex.europa.eu/Notice.do?val=425235:cs&lang=de&pos=1&phwords=&checktexte=checkbox

9
Beachte: Die Neufassung des DSÜ, die mit der Einführung
des SIS II einhergeht, setzt sich gemäß den
unterschiedlichen Zuständigkeiten (Immigration und Außengrenzen
= 1. Säule (EG-Vertrag); EU-interne polizeiliche Kooperation =
3. Säule (EU-Vertrag) aus einer Ratsverordnung (EG) und einem
Ratsbeschluss (EU) zusammen. Letzter Entwurf der Verordnung zur
Einrichtung des SIS II vom 21. September 2006; jüngster Entwurf
des Ratbeschlusses zur Einrichtung und Nutzung des SIS II vom 29.
September 2006, alle Dokumente einsehbar über
http://www.statewatch.org/news/2006/oct/11eu-sis-II-sources.htm, http://www.statewatch.org/news/2006/oct/SISII-05710-rev07-06.pdf

10
Rahmenbeschluss 2002/584/JI.

11
Zunächst erfolgt nur eine sog. One-to-One-Suche (ein
biometrischer Abdruck wird gegen einen bestimmten Datensatz in der
Datei (Verknüpfung durch etwa den Namen); mit Technikreife geht
das System, ohne dass es eines weiteren Rechtsakts bedürfte,
zur sog. One-to-Many-Suche über, d.h. biometrisches Material
wird gegen die gesamte Datenbank auf Übereinstimmung gelesen.

12
http://www.statewatch.org/news/2005/jul/schengenIII-german-full.pdf

13
Beispiel: Anläßlich des
Gipfels in Genua wurden die Daten von Globalisierungsgegnern an die
Nachbarstaaten weitergeleitet, also an Italien, Schweiz, Frankreich
und Österreich. Grundlage für die
Einschätzung waren einige Ermittlungsverfahren im Zusammenhang
mit politischen Protesten – übrigens bis dahin keinerlei
Teilnahme an Gipfeln. Es handelte sich sämtlich um
Ermittlungsverfahren, deren Ausgang nicht angegeben wurde. Im Rahmen von Interpol erfolgte
die Anfrage über vorliegende Erkenntnisse, die sodann zu den
Ermittlungsverfahren in Italien weitergeleitet wurden. Auf diese Art und Weise werden
deutsche LKA-Dateien aus den „bereichsspezifischen Dateien des
polizeilichen Staatsschutzes“, und auch der beim BKA geführte
Aktennachweis an Interpol übermittelt. Es spielt dann tatsächlich
keine Rolle mehr, wenn die beim BKA als so genannte „interne
Arbeitsdatei“ geführte Datei über „Personen, die im
Zusammenhang mit internationalen oder europäischen
Gipfeltreffen polizeilich bekannt werden“, ausschließlich
dem Zugriff des BKA unterliegt. Hier genügt der bloße
Verdacht, und allein der Umstand, in eine polizeiliche
Personalienfeststellung anlässlich eines Gipfels geraten zu
sein, ist ausreichend zur Speicherung in der Datei und zur
entsprechenden Weitergabe. Rechtsschutz der Betroffenen,
sofern sie überhaupt erfahren, was über sie gespeichert
ist, geht ins Leere.


14
Dabei behauptet sich allerdings das Phänomen auf allen
sozio-politischen Ebenen, lokal, regional, national und global; für
präventiv-polizeiliche Entwicklungen auf lokaler Ebene im
Zusammenhang mit dem sog. „Community Policing“, bei dem das
tragende Element die Kommunikation mit den Bürgerinnen und
Bürgern bei gleichzeitiger Erhöhung der Kontrolle und des
Einflusses zur Befriedung eines stark geförderten und
ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses ist, s.
http://www.cilip.de/ausgabe/64/alternat.htm
mit weiteren Nachweisen