Armee patrouilliert in Italiens Straßen

[neues deutschland] Berlusconis »Sicherheitspaket« setzt Trennung zwischen Polizei und Streitkräften außer Kraft
Welches ist das größte Problem, das Italien zu lösen
hat? Für die neue Regierung gibt es auf diese Frage nur eine Antwort:
die Sicherheit – die Sicherheit der italienischen Bürger vor
Roma-Mädchen, die Handtaschen klauen, die Sicherheit gegenüber der
Mikrokriminalität in den Großstädten. Und um dieses Problem zu lösen,
scheut man vor gar nichts zurück: Man will sogar Soldaten als
Patrouillen in den Straßen einsetzen.

In Italien werden in wenigen Tagen 2500 Soldaten mit den notwendigen
Kompetenzen ausgestattet werden, um Aufgaben der öffentlichen Ordnung
wahrzunehmen. Sie dürfen Passanten anhalten, nach ihren Ausweisen
fragen und sie sogar festnehmen, wenn sie es für notwendig halten. Was
man sonst nur von Militärdiktaturen, autoritären Staaten und Nationen
im Kriegszustand kennt, wird mitten in Europa Alltag. Damit wird eines
der Grundprinzipien der demokratisch verfassten Länder – die rigorose
Trennung zwischen Polizeikräften und Militär – mit einem Federstrich
außer Kraft gesetzt.

Diese Maßnahme ist in einem
»Sicherheitspaket« enthalten, das die Regierung mit äußerster
Dringlichkeit und zum Teil per Dekret auf den Weg gebracht hat. Einige
Teile sind bereits in Kraft, andere werden in wenigen Tagen wirksam
sein, wenn sie vom Parlament verabschiedet wurden. Und an der
Zustimmung besteht kein Zweifel. Auf der einen Seite, weil das
sogenannte Volk der Freiheit von Silvio Berlusconi in beiden Kammern
über eine derart komfortable Mehrheit verfügt, dass man jede Maßnahme
von den Volksvertretungen absegnen lassen kann. Und zum anderen auch,
weil es derzeit in Italien keine wirkliche Opposition zu geben scheint,
die angesichts einer so unglaublichen Entscheidung die Bürger
mobilisieren oder wenigstens in der Öffentlichkeit eine heftige
Diskussion ins Leben rufen könnte. Auf die Medien hat sie sowieso
keinen nennenswerten Einfluss: Praktisch das gesamte Fernsehen
(öffentlich wie privat) und ein Großteil der Printmedien werden direkt
oder indirekt von Silvio Berlusconi kontrolliert.

Wenn überhaupt,
dann wird darüber diskutiert, ob so eine Maßnahme – also das Militär im
Inneren einzusetzen – »sinnvoll« sei. Sind 2500 Soldaten nicht viel zu
wenig? Sind sie überhaupt für solche Aufgaben ausgebildet? Wie
koordiniert man ihr Vorgehen mit der »normalen« Polizei? Einige
Oppositionspolitiker sind auch über das Bild besorgt, das Italien im
Ausland vermittelt: »So wird man sich ja wie in Kolumbien fühlen«,
erklärte etwa der ehemalige Anti-Korruptionsrichter Antonio Di Pietro,
heute Parlamentarier der Gruppe »Italien der Werte«, die mit der
Demokratischen Partei verbündet ist. Nur Fausto Bertinotti, einst
Vorsitzender der »Rifondazione comunista«, meinte schon in seiner
ersten politischen Stellungnahme nach dem verheerenden Wahlergebnis vom
April: »Wir bewegen uns auf ein ›leichtes‹ autoritäres Regime zu.«

Die
Regierungsvertreter haben ihre eigene Logik: Erstens die italienischen
Bürger fühlen sich unsicher – und dabei ist es egal, ob alle
Statistiken sagen, dass die Kriminalität in Italien keineswegs stärker
als in anderen europäischen Ländern ist. Zweitens die Polizei schafft
es einfach nicht allein – und auch da ist es egal, dass Italien sowieso
schon weit mehr Polizisten pro Einwohner hat als alle anderen. Und
drittens die Soldaten sind notwendig, damit sich die Italiener sicherer
fühlen können. Es sei – so der Exfaschist und heute
Verteidigungsminister Ignazio La Russa – »ein Akt der Liebe und der
Großzügigkeit der Soldaten gegenüber den Bürgern«. Sein Parteifreund
und Fraktionsvorsitzender von Volk der Freiheit in der Kammer, Maurizio
Gasparri, geht mit den Kritikern weniger blumig um: »Wer gegen die
Soldaten in den Straßen ist, steht auf der Seite der Mafia.« Eine Frage
sei zum Schluss noch hinzugefügt: Warum verschließt man in Europa die
Augen vor dem, was derzeit in Italien geschieht? Was muss noch alles
geschehen, damit der »Fall Italien« von internationalen Gremien
zumindest angesprochen wird?

Von Anna Maldini, Rom

 

Source: http://www.neues-deutschland.de/artikel/130454.armee-patrouilliert-in-italiens-strassen.html