Zivilisten im Auslandseinsatz

[german-foreign-policy.com] Ein neues Gesetz erlaubt der
Bundeswehr die Zwangsverpflichtung von zivilem Sanitätspersonal des
Deutschen Roten Kreuzes zum Auslandseinsatz in Afghanistan. Das Gesetz,
das vor wenigen Tagen verabschiedet wurde und unmittelbar in Kraft
getreten ist, regelt die "Unterstützung des Sanitätsdienstes der
Bundeswehr" durch Rotkreuz-Sanitäter; sie können zukünftig nicht nur zu
Einsätzen der Streitkräfte im Inland, sondern auch bei deren weltweiten
Interventionen herangezogen werden. Die Bundeswehr klagt seit geraumer
Zeit über Engpässe im Sanitätswesen und hat längst begonnen, Zivilisten
für Tätigkeiten in Afghanistan anzuwerben. Das neue Gesetz erweitert
den zivilen Personalpool, auf den sie Zugriff hat, um zehntausende
nichtmilitärische Spezialisten. Es betrifft auch weitere Hilfsdienste
und ist in den betroffenen Organisationen noch kaum bekannt. Die
Voraussetzungen für ein reibungsloses Funktionieren sind da: Das
Deutsche Rote Kreuz und die anderen Hilfsvereinigungen arbeiten schon
jetzt nicht nur eng mit staatlichen Stellen zusammen, sondern auch mit
der Bundeswehr.

Neues Gesetz

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit hat der
Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das es der Bundeswehr
erlaubt, ziviles Sanitätspersonal zwangsweise zur Unterstützung des
militärischen Sanitätsdienstes heranzuziehen. Unmittelbar nach der
Verlängerung und Ausweitung des Bundeswehr-Mandats für den
Afghanistan-Einsatz stimmte das Parlament einem entsprechenden
Gesetzesentwurf für das Deutsche Rote Kreuz zu – ohne Debatte und
Gegenstimmen: Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
Grünen votierten dafür, die Fraktion Die Linke enthielt sich. Das
Gesetz trat unmittelbar am folgenden Tag in Kraft. Es regelt die
Beteiligung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) am Sanitätsdienst der
Bundeswehr und bei der Betreuung von Kriegsgefangenen, für die das DRK
nun als amtliches Auskunftsbüro fungiert.
 

Partner des Staates

Beim DRK heißt es, man sei "sehr froh über die
Verabschiedung des Gesetzes" und begrüße die Neuregelung als "Würdigung
unserer nationalen und internationalen Aufgaben im Dienst des
Menschen".[1] Ein Sprecher des Malteser Hilfsdienstes, der – wie die
Johanniter-Unfall-Hilfe – ebenfalls von dem Gesetz betroffen ist,
erklärt: "Wir freuen uns sehr, dass mit der Gesetzesänderung nicht nur
das Deutsche Rote Kreuz, sondern auch freiwillige Hilfsorganisationen
als Partner des Staates anerkannt werden."[2] Durch die Neuregelung ist
das DRK nun offiziell als "Nationale Gesellschaft" des Internationalen
Roten Kreuzes bestätigt. Damit geht formal auch ein Schutz seiner
Mitarbeiter einher: Sie sind künftig, heißt es in dem Gesetz, in
bewaffneten Konflikten gemäß dem Humanitären Kriegsvölkerrecht "genauso
zu schonen und zu schützen wie militärisches Sanitätspersonal".[3]
 

Erste Aufgabe

Von besonderer Bedeutung ist die erste im Gesetz
genannte "Aufgabe" des DRK: "Die Unterstützung des Sanitätsdienstes der
Bundeswehr". Wegen Mittelkürzungen und Personalabbau ist die Lage im
Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr bereits seit Jahren
angespannt.[4] Zudem droht wegen der hohen Belastung von Ärzten und
Sanitätern im Auslandseinsatz eine Kündigungswelle: Jobs im zivilen
Bereich gewinnen an Attraktivität.[5] Der Inspekteur des
Bundeswehr-Sanitätsdienstes erklärte kürzlich auf einem Kongress der
Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und Wehrpharmazie, die
Bundeswehr leide unter einem "stetig zunehmenden Konkurrenzdruck des
zivilen Arbeitsmarktes im In- und Ausland". Maßnahmen seien notwendig,
"um eine Auszehrung des Sanitätsdienstes zu vermeiden".[6]
 

Zwangsverpflichtung

Wegen der angespannten Lage hat das Militär schon
längst begonnen, Zivilisten für Auslandseinsätze anzuwerben. Für ihre
weltweiten Interventionen benötige die Bundeswehr nicht nur Soldaten
mit rein militärischer Ausbildung, sondern auch "Fachleute mit
besonderen beruflichen Qualifikationen", hieß es in einem Bericht –
"Krankenschwestern, Rettungsassistenten". Diese habe die Truppe in der
zivilen Welt gesucht, gefunden und dann in fünfwöchigen Spezialkursen
getrimmt – "eine Art Grundwehrdienst auf die Schnelle" für
Auslandseinsätze etwa in Afghanistan.[7] Mit dem neuen Gesetz erhalten
die Militärs nun Zugriff auf zehntausende Sanitäter des DRK, der
Malteser und der Johanniter, um ihre Personalengpässe auszugleichen:
Das DRK hat inklusive Jugendrotkreuz rund 400.000 aktive Mitglieder,
die Johanniter-Unfall-Hilfe etwa 50.000 und der Malteser Hilfsdienst
ungefähr 48.000. Dabei kann laut dem neuen Gesetz die "Unterstützung
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr" problemlos erzwungen werden: Die
Gesetzesbegründung erläutert, dass sich das DRK "dieser Aufgabe nicht
entziehen kann". Gegenüber der Presse bestätigte eine DRK-Sprecherin,
Rotkreuzpersonal könne jetzt auch gegen seinen Willen von der
Bundeswehr herangezogen werden; es sei denkbar, einen Rotkreuzsanitäter
zwangsweise nach Afghanistan zu beordern.[8]
 

Malteser

Die betroffenen Hilfsorganisationen – DRK, Malteser
Hilfsdienst und Johanniter-Unfall-Hilfe – arbeiten schon jetzt eng mit
der Bundeswehr zusammen – gerade auch bei deren Auslandseinsätzen. Die
drei Rettungsverbände sind offizielle "Partner" des Bundesamtes für
Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, der zentralen Leitstelle für
die "Zivile Verteidigung", zu deren Hauptaufgaben die Unterstützung der
Streitkräfte gehört.[9] Der Malteser Hilfsdienst, eine
Hilfsorganisation des katholischen Malteserordens, der in Kontinuität
zu einem (ursprünglich Hospitalorden genannten) Ritterorden steht,
unterhält einen eigenen Auslandsdienst; dieser wird aus Mitteln des
Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für wirtschaftliche
Zusammenarbeit gefördert und war unter anderem im Kosovo und in
Mazedonien tätig. In Afghanistan übernahm der Malteser Hilfsdienst im
Auftrag des Auswärtigen Amtes die medizinische Versorgung für die
UN-Organisationen in Kabul. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit war der
Aufbau medizinischer Strukturen bei der afghanischen Polizei.[10]
 

Johanniter

Die evangelische Johanniter-Unfall-Hilfe engagiert
sich ebenfalls im Ausland – in insgesamt 30 Staaten. Präsident der
Hilfsorganisation ist seit 2001 der ehemalige Generalinspekteur der
Bundeswehr Hans-Peter von Kirchbach. Die von dem Ex-Militär geleitete
Organisation ist eng in die sogenannte
Zivil-Militärische-Zusammenarbeit der Bundeswehr eingebunden. Die
zentrale Bildungseinrichtung der Johanniter, die Johanniter-Akademie in
Münster, war erst vor wenigen Tagen Gastgeber der "S5/G5-Tagung" der
Bundeswehr. Hinter der bürokratischen Abkürzung "S5/G5" verbergen sich
diejenigen Stabsabteilungen des deutschen Militärs, die sich mit
"Zivil-Militärischer-Zusammenarbeit" im In- und Ausland befassen. Bei
der Tagung trafen sich in der Johanniter-Bildungsstätte 42
Bundeswehroffiziere, die diesen Bereich federführend und in
Entscheidungspositionen gestalten, informierten sich über aktuelle
Entwicklungen und diskutierten gegenwärtige Probleme und zu erwartende
künftige Schwierigkeiten.[11] Eine Kooperation mit der Bundeswehr ist
auch die "ASB DRK JUH Rettungsdienst Bielefeld gGmbH" eingegangen, die
gemeinsam von der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem DRK und dem
Arbeiter-Samariter-Bund gegründet wurde. Sie hat einen
Kooperationsvertrag mit der Wehrbereichsverwaltung West in Düsseldorf
geschlossen und bildet im Auftrag der Bundeswehr angehende
Rettungsassistenten aus – insbesondere für Auslandseinsätze.[12]

Deutsches Rotes Kreuz

Das DRK schließlich wirkt schon ausweislich seiner
Satzung "im ständigen Sanitätsdienst der Bundeswehr unter der
Verantwortung der Bundesregierung als freiwillige Hilfsgesellschaft
mit".[13] So unterhält das Militär eine "gut funktionierende
Kooperation mit anderen Blutspendediensten, insbesondere mit dem DRK",
um die nationale Gesamtversorgung an Blutspenden zu sichern: "Diese
Konserven werden bevorzugt für die Auslandskontingente gebraucht."[14]
Präsident des DRK ist der ehemalige Chef des Bundeskanzleramtes und
Bundesminister des Innern Rudolf Seiters. Im Präsidium der Organisation
sitzt als "Bundesarzt" der Generaloberstabsarzt a.D. Dr. Karl Demmer;
Demmer war von 1997 bis 2003 Inspekteur des Sanitätsdienstes der
Bundeswehr und leitete 1992/93 den ersten Auslandseinsatz der
Bundeswehr in Kambodscha.

Tradition

Das DRK kann auf eine lange, unrühmliche Geschichte
der Zusammenarbeit mit dem deutschen Militär zurückblicken. Bereits in
der Weimarer Republik behielt die Organisation die traditionelle
Aufgabe des Kriegssanitätsdienstes und die damit zusammenhängende
militärische Organisationsstruktur bei. In der Zeit des
Nationalsozialismus band sich das DRK eng an den Staat und an die
NSDAP. Es ließ sich unter anderem für die Mobilmachung in Dienst
stellen, die seit Gründung der Wehrmacht im Jahr 1935 zu einer der
wichtigsten Aufgaben der Hilfsorganisation wurde. Neben dem engen
Verhältnis zur Partei bestand ab 1938 eine starke informelle Verbindung
zur SS, die sich vor allem an Personalunionen im Führungspersonal
beider Organisationen erkennen ließ. Neben dem Reichsarzt-SS
Ernst-Robert Grawitz, der zum geschäftsführenden DRK-Präsidenten
berufen wurde, fand der damalige Verwaltungschef der SS, Oswald Pohl,
eine Nebentätigkeit als "Generalbevollmächtigter für alle
vermögensrechtlichen Angelegenheiten des DRK". Pohl unterstanden ab
1942 die Konzentrationslager. In seiner DRK-Funktion konnte er Kredite
für die SS in Millionenhöhe bewilligen – DRK-Gelder, die etwa für die
Gründung von Wirtschaftsunternehmungen der SS verwendet wurden. Im
Zweiten Weltkrieg waren schließlich mehr als 600.000 DRK-Kräfte im
Einsatz, vor allem Frauen.[15]
 

Nähere Informationen über die militärische Einbindung ziviler Organsiationen finden Sie hier: Deutsche "Warlords" in Afghanistan, Deutsche Hilfsorganisationen: "Koalitionen mit dem Militär", Im Schatten der Katastrophe, Strategische Abstimmung, Herzensangelegenheit, Grundlage, Nutzung anheim gestellt, Medizinische Kriegsvorbereitungen, Zivil-militärische Symbiose, Sammelrezension: Polizeisoldaten, Unterstützungsfunktion, Aufräumtrupps, Fünfhundert Ziele, Von Helfern zu Kollaborateuren, Fünfte Kolonne und Leerer Raum.
 

[1] Deutsches Rotes Kreuz Presseinformation 79/08: Bundestag verabschiedet neues Rotkreuz-Gesetz; www.drk.de
[2] Ab jetzt werden Gefangene gemacht; www.heise.de 18.10.2008
[3] Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über das Deutsche Rote Kreuz, Deutscher Bundestag Drucksache 16/9396
[4] Gefährdung des Dienstbetriebes im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr; Deutscher Bundestag Drucksache 16/3962
[5] Der Bundeswehr gehen wegen Afghanistan die Soldaten aus; www.heise.de 28.08.2008
[6] 39. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Wehrmedizin und
Wehrpharmazie in Hamburg; www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de 15.10.2008
[7] Auslandseinsätze der Bundeswehr: Zivile Fachleute werden eigens dafür geschult; stellensuche-bewerbung.suite101.de
[8] Erste Hilfe auf Befehl; junge Welt 20.10.2008
[9] s. dazu Strategische Abstimmung
[10] Malteser Auslandsdienst; www.malteser.de
[11] S5/G5 Tagung der Bundeswehr; www.johanniter.de
[12] Ausbildung bei uns; www.asb-drk-juh-bielefeld.de
[13] Paragraph 1 und 2 der Satzung des Deutschen Roten Kreuzes; www.drk.de
[14] Jeder Tropfen zählt!; www.sanitaetsdienst-bundeswehr.de 25.10.2006
[15] Birgitt Morgenbrod, Stephanie Merkenich: Das Deutsche Rote Kreuz unter der NS-Diktatur 1933 bis 1945, Paderborn 2008
 

Source: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57377

2 responses to “Zivilisten im Auslandseinsatz”

  1. lena

    Garantiert würde ich mich weigern dort hin zu gehen. Dann sollen sie mich einsperren.

  2. Sybille Nova

    Als Tochter eines pensionierten Natogenerals , der das Sanitaetswesen der deutschen Luftwaffe aufbaute und dann mit der Ueberwachung des Sanitaetswesens saemtlicher NATO-laender beauftragt war (1964-67,Paris NATO headquarters), bin ich der Ansicht, dass man gutglaeubige, ehrliche Menschen in Deutschland, die Organisationen angehoeren, bei denen es um Hilfe fuer Kranke und Verwundete geht n i c h t in die krimineller Kriege der Vereinigten Staaten einspannen sollte.
    Dass die Kriege in Afghanistan, Pakistan und Irak n i c h t s mit einer Bedrohung Amerikas zu tun haben, pfeifen inzwischen die Spatzen von den Daechern.

    Es handelt sich um imperialistische Landeroberungen die dazu dienen , Amerika Zugang zu den Einkommensmeoglichkeiten zu schaffen, die diese Laender haben.
    Die derzeitig propagierte Terroristentheorie ist eine der goressten Luegen, die jemals mehr oder weniger unbeachtet der Welt praesentiert wurde.

    LASST DIE DEUTSCHEN IN RUHE MIT DEN KRIEGEN DER VERBRECHER_IMPERIALISTEN.

    Sybille Nova